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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 21.05.2008
Aktenzeichen: 1 BvR 1192/08
Rechtsgebiete: ZPO, BVerfGG


Vorschriften:

ZPO § 372a
BVerfGG § 32
BVerfGG § 32 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES

- 1 BvR 1192/08 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 25. März 2008 - 10 WF 71/08 -,

b) den Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 20. März 2008 - 10 WF 71/08 -,

c) das Zwischen-Urteil des Amtsgerichts Straubing vom 29. November 2007 - 001 F 00648/06 -

und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe

und Beiordnung eines Rechtsanwalts

hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Hohmann-Dennhardt und die Richter Gaier, Kirchhof am 21. Mai 2008 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Erzwingung der Duldungspflicht aus dem Zwischen-Urteil des Amtsgerichts Straubing vom 29. November 2007 - 001 F 00648/06 - wird einstweilen für die Dauer des Verfassungsbeschwerdeverfahrens, längstens für die Dauer von sechs Monaten, ausgesetzt.

Gründe:

I.

Mit seiner Verfassungsbeschwerde und dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wendet sich der Beschwerdeführer gegen die durch Zwischen-Urteil gemäß § 372a ZPO angeordnete Verpflichtung, Untersuchungen zu dulden, die in einem Vaterschaftsanfechtungsverfahren feststellen sollen, dass das am 4. Dezember 1999 geborene Kind, für das der Beschwerdeführer die Vaterschaft mit Zustimmung der Kindesmutter, bevor sie am 25. Januar 2002 die Ehe miteinander geschlossen haben, am 18. Januar 2002 anerkannt hat, nicht von ihm abstammt.

1. Die Ehe wurde im März 2004 geschieden. Der Beschwerdeführer hat das Kind nach Scheidung zeitweise betreut. Seit 2005 besteht zwischen den Eltern Streit hinsichtlich des Umgangs des Beschwerdeführers mit dem Kind, der auch gerichtlich ausgetragen wurde. Seit seiner Inobhutnahme am 13. April 2007 lebt das Kind in einem heilpädagogischen Heim.

Mit Beschluss vom 5. Oktober 2006 bestellte das Amtsgericht Straubing als Vormundschaftsgericht das Amt für Jugend und Familie (Kreisjugendamt) S. als Ergänzungspfleger mit dem Wirkungskreis: "Vertretung des Kindes im Verfahren bezüglich der Feststellung der Nichtehelichkeit".

In der mündlichen Verhandlung am 30. November 2006 sagte die Kindesmutter als Zeugin aus. Sie habe in der gesetzlichen Empfängniszeit Anfang März 1999 im Schlachthof in M. auf einer Feier mit zwei Männern, deren Namen sie aktuell nicht nennen könne, Geschlechtsverkehr gehabt. Sie sei sich nicht hundertprozentig sicher, ob tatsächlich der Beschwerdeführer der Vater des Kindes sei. Hierauf beschloss das Amtsgericht, durch die Einholung eines Abstammungsgutachtens darüber Beweis zu erheben, ob der Beschwerdeführer als Vater der Klägerin auszuschließen sei. Der Beschwerdeführer verweigerte seine Mitwirkung, worauf das Amtsgericht Zwangsmittel anordnete.

Das Oberlandesgericht Nürnberg hob den Beschluss auf. Für eine zwangsweise Vorführung des Beschwerdeführers zur Blutentnahme bestünde derzeit kein Raum. Er habe Gründe für seine Weigerung vorgetragen, die es erforderten, dass hierüber in einem Zwischenverfahren zu befinden sei. Hierauf erklärte das Amtsgericht mit Zwischen-Urteil vom 2. Juli 2007, dass die Weigerung des Beschwerdeführers, die Entnahme der Blutprobe zum Zwecke der Blutuntersuchung zu dulden, unrechtmäßig sei.

Das Oberlandesgericht Nürnberg hob das Zwischen-Urteil auf. Es habe keine mündliche Verhandlung stattgefunden, worin ein erheblicher Verfahrensfehler zu sehen sei. Nach mündlicher Verhandlung erklärte das Amtsgericht mit Zwischenurteil vom 29. November 2007 die Weigerung des Beschwerdeführers mit im Wesentlichen der gleichen Begründung wie im Zwischen-Urteil vom 2. Juli 2007 für unrechtmäßig. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde wies das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 20. März 2008, die für das Beschwerdeverfahren beantragte Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit Beschluss vom 25. März 2008 zurück.

2. Der Beschwerdeführer greift die Entscheidungen mit der Rüge der Verletzung seines Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung, des Schutzes seiner Familie, seiner Elternschaft und seines Persönlichkeitsrechts an. Es bestünden keinerlei Anhaltspunkte für Zweifel an der Abstammung. Die Kindesmutter habe keine anderen Väter namentlich benennen können. Der Vaterschaftstest sei eine unzulässige Ausforschung. Die von der Kindesmutter geschilderten Umstände seien nicht glaubhaft. Sie stünden im Widerspruch zu einer eidesstattlichen Versicherung der Kindesmutter vom 23. Juni 2005, in der sie die Tochter als "gemeinsame" Tochter angebe. Er habe den Kontakt zur Tochter stets aufrecht erhalten. Die Anfechtung diene nicht dem Interesse des Kindes, insbesondere weil kein anderer Vater ersichtlich sei. Das Abstammungsinteresse eines Kindes könne jedenfalls dann keinen Vorrang vor den Grundrechten des Vaters haben, wenn das Anfechtungsverfahren auf Angaben der Kindesmutter hin betrieben werde, die offensichtlich unglaubhaft seien, und gravierende Umstände gegen die Glaubwürdigkeit der Kindesmutter sprechen würden. Der Beschwerdeführer sei zwar nicht in der Lage, dem Kind ausreichend Unterhalt zu bezahlen, er sei aber eine nahe Bezugsperson für das Kind. Er wolle rechtlicher Vater bleiben. Würde eine möglicherweise fehlende biologische Vaterschaft aufgedeckt, hätte er es ungleich schwerer, Kontakt mit dem Kind, das er als sein eigenes ansehe, zu halten. Die Vater-Tochter-Beziehung werde bereits jetzt durch das Vaterschaftsanfechtungsverfahren gestört. Sollte das Verfahren zu dem Ergebnis führen, dass der Beschwerdeführer tatsächlich nicht der biologische Vater sei, so sei damit zu rechnen, dass das Kind auf Dauer eine Bezugsperson verliere. Die Gerichte hätten im Vaterschaftsanfechtungsverfahren nicht auf die finanziellen Verhältnisse Bezug nehmen dürfen; jedenfalls könne dies nicht zum Nachteil des Beschwerdeführers gewertet werden.

Darüber hinaus sei die Anfechtungsfrist abgelaufen. Wenn die Kindesmutter zwei Jahre bis zu ihrer Zustimmung zur Vaterschaftsanerkennung verstreichen lasse, sei dies einem Fristablauf gleichzusetzen. Die Kindesmutter habe nach ihrer Aussage schon vor der Geburt des Kindes von den Umständen gewusst, welche eine Anfechtung begründet hätten. Sie hätte die Vaterschaft des Beschwerdeführers verhindern können, indem sie ihre Zustimmung zur Anerkennung verweigert hätte. Die angegriffenen Entscheidungen würden die Zweijahresfrist nicht als abgelaufen ansehen, weil das Jugendamt von den Umständen erst 2006 erfahren und zu diesem Zeitpunkt auch der Vaterschaftsanfechtungsklage zugestimmt habe. Die Frist könne nicht davon abhängig gemacht werden, dass der Vertretungsberechtigte eines minderjährigen Klägers einen Ergänzungspfleger bestellen lässt. Ausgangspunkt sei vielmehr die Kenntnis des Anfechtungsberechtigten beziehungsweise die Kenntnis des Vertretungsberechtigten im Fall eines minderjährigen Kindes. Wenn die Kindesmutter seit über sechs Jahren von den Umständen der Anfechtung Kenntnis habe, sie aber gleichwohl zwei Jahre nach der Geburt der Tochter die Zustimmung zur Vaterschaftsanerkennung durch den Beschwerdeführer erteile und weitere vier Jahre es unterlassen habe, die Bestellung eines Ergänzungspflegers zu beantragen, sei die Zweijahresfrist abgelaufen beziehungsweise könne sich auch die Tochter, vertreten durch das Jugendamt, nicht mehr darauf berufen, dass die Frist eingehalten sei. Wenn der anfechtungsberechtigte gesetzliche Vertreter die Frist verstreichen lasse, so bleibe es für das Kind bis zur Volljährigkeit und seiner eigenen Anfechtung bei der Vaterschaft des "eventuellen" Scheinvaters. Die Anfechtungsfrist lebe auch nicht wieder auf, wenn die zur Anfechtung vertretungsberechtigte Mutter sie habe verstreichen lassen und dann ein Ergänzungspfleger bestellt werde. Die Ansicht der Gerichte sei nicht durch Auslegung dem Gesetz zu entnehmen und es widerspreche zudem der Intention des Gesetzes, Kinder von Belastungen durch Vaterschaftsanfechtungsverfahren freizuhalten.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg.

1. Nach § 32 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit der angegriffenen Entscheidung vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, der in der Hauptsache gestellte Antrag ist insgesamt unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Hauptsacheverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde indes Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die angegriffene Regelung nicht erginge (vgl. BVerfGE 91, 320 <326>; stRspr). Wegen der meist weittragenden Folgen, die eine einstweilige Anordnung in einem verfassungsgerichtlichen Verfahren auslöst, ist bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 32 Abs. 1 BVerfGG ein strenger Maßstab anzulegen (vgl. BVerfGE 87, 107 <111>; stRspr). Im Zuge der nach § 32 Abs. 1 BVerfGG gebotenen Folgenabwägung legt das Bundesverfassungsgericht seiner Entscheidung in aller Regel die Tatsachenfeststellungen und Tatsachenwürdigungen in den angegriffenen Entscheidungen zu Grunde (vgl. hierzu etwa BVerfGE 34, 211 <216>; 36, 37 <40>).

2. Die erhobene Verfassungsbeschwerde erweist sich weder als offensichtlich unzulässig noch als offensichtlich unbegründet.

Die danach gebotene Folgenabwägung ergibt, dass die Nachteile, die dem Beschwerdeführer im Falle der Ablehnung des Erlasses der begehrten einstweiligen Anordnung drohen, gewichtiger als die Nachteile sind, die im Falle der Stattgabe entstehen könnten.

Erginge die beantragte einstweilige Anordnung nicht und erwiese sich die Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren als begründet, würde dies dazu führen, dass der Beschwerdeführer einen körperlichen Eingriff dulden müsste und die vom Ausgangsgericht für erforderlich gehaltene Abstammungsuntersuchung zu dem Ergebnis komme könnte, dass das Kind nicht vom Beschwerdeführer abstammt und die rechtliche Beziehung des Beschwerdeführers zu dem Kind aufgehoben sowie seine soziale Beziehung zu diesem dadurch gestört würde.

Demgegenüber führt der Erlass der einstweiligen Anordnung für den Fall, dass sich die Verfassungsbeschwerde im Hauptsacheverfahren als unbegründet erweist, dazu, dass die für erforderlich gehaltene Abstammungsuntersuchung später erfolgen würde.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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