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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 14.08.2004
Aktenzeichen: 1 BvR 1249/04
Rechtsgebiete: BVerfGG, VermG, GG


Vorschriften:

VermG § 1 Abs. 6
VermG § 3 Abs. 2
VermG § 11 c
VermG § 30 a Abs. 1
VermG § 30 a Abs. 1 Satz 1
VermG § 30 a Abs. 1 Satz 4
BVerfGG § 93 a
BVerfGG § 93 a Abs. 2
BVerfGG § 93 b
BVerfGG § 93 d Abs. 1 Satz 3
GG Art. 14 Abs. 1
GG Art. 14 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1249/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

a) das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 21. Januar 2004 - BVerwG 8 C 9.03 -,

b) das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom 28. November 2002 - 1 K 2539/01 -,

c) den Bescheid des Landesamts zur Regelung offener Vermögensfragen Brandenburg vom 12. Juli 2001 - I/6 - VV 5500-23153 - La, I/6 - VV 5500-23153/B - La, IV/VV 5500-23113 -,

2. mittelbar gegen § 30 a Abs. 1 Satz 4 des Vermögensgesetzes in der Fassung des Vermögensrechtsbereinigungsgesetzes vom 20. Oktober 1998 (BGBl I S. 3180)

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Jaeger und die Richter Hömig, Bryde gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 14. August 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft § 30 a Abs. 1 Satz 4 des Vermögensgesetzes (VermG) in der Fassung des Vermögensrechtsbereinigungsgesetzes vom 20. Oktober 1998 (BGBl I S. 3180) und die Anwendung dieser Vorschrift im Ausgangsverfahren. Danach gilt § 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG, dem zufolge Rückübertragungsansprüche nach dem 31. Dezember 1992, für bewegliche Sachen nach dem 30. Juni 1993, nicht mehr ange-meldet werden können, nicht für Ansprüche, die nach Art. 3 Abs. 9 Satz 2 des Abkommens zwischen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Regelung bestimmter Vermögens-ansprüche vom 13. Mai 1992 (BGBl II S. 1223; im Folgenden: US-Abkommen) in das Vermögen der Bundesrepublik Deutschland übergegangen sind.

1. Für die Veräußerung der verfahrensgegenständlichen Grundstücke im Jahre 1938 durch die damaligen Eigentümer, beide jüdischen Glaubens, erhielt deren Rechtsnachfolgerin, die 1939 Deutschland verlassen und 1951 die amerikanische Staatsangehörigkeit erworben hatte, 1980 von der zuständigen amerikanischen Entschädigungskommission eine Entschädigung nach dem Bundesgesetz der Vereinigten Staaten von Amerika 94-542 vom 18. Oktober 1976. Für dieselben Grundstücke begehrten die Beschwerdeführer, deren Rechtsvorgänger die Grundstücke 1939 vom seinerzeitigen Erwerber gekauft hatte, im Ausgangsverfahren die Feststellung ihrer vermögensrechtlichen Berechtigung und die Auskehr des Erlöses aus der 1997 erfolgten Veräußerung der Grundstücke zur Durchführung investiver Maßnahmen mit der Begründung, die Grundstücke seien 1953 in Volkseigentum überführt worden.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen, das Bundesverwaltungsgericht die Revision der Beschwerdeführer zu-rückgewiesen (vgl. VIZ 2004, S. 264). Der Verkauf der Grund-stücke im Jahre 1938 erfülle die Voraussetzungen des § 1 Abs. 6 VermG. Die Erbin der Geschädigten habe die Entschädigung nach dem US-Gesetz 94-542 in Anspruch genommen. Dieser Anspruch werde von dem US-Abkommen nach dessen Art. 1 erfasst. Gemäß Art. 3 Abs. 9 Satz 2 des Abkommens seien die Ansprüche an den Grundstücken auf die beklagte Bundesrepublik Deutschland übergegangen. Die Legalzession scheitere nicht daran, dass die Ansprüche nicht bis zum 31. Dezember 1992 angemeldet worden seien. Dass die auf § 1 Abs. 6 VermG gestützten Ansprüche der Rechtsnachfolgerin der primär Geschädigten mit Ablauf dieses Datums zunächst erloschen seien, sei unschädlich. Denn mit der rückwirkenden Einfügung des § 30 a Abs. 1 Satz 4 Alternative 2 VermG habe der Gesetzgeber den Rechtsmangel der Fristversäumung geheilt. Das sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Es handele sich um eine unechte Rückwirkung, die zulässig sei, weil sich ein schutz-würdiges Vertrauen auf den Bestand einer bestimmten Rechtslage nicht habe bilden können. Die Rechtslage sei undeutlich und verworren gewesen, was den Gesetzgeber zur Klarstellung durch Schaffung des § 30 a Abs. 1 Satz 4 VermG veranlasst habe.

2. Mit der Verfassungsbeschwerde machen die Beschwerdeführer insbesondere geltend, § 30 a Abs. 1 Satz 4 VermG verstoße gegen Art. 14 Abs. 1 GG. Die Norm stelle eine verfassungswidrige Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums dar und sei mit dem grundsätzlichen Verbot rückwirkender belastender Gesetze nicht vereinbar.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu, weil die für ihre Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen vom Bundesverfassungsgericht schon entschieden sind (vgl. insbesondere BVerfGE 95, 48 <58>; 101, 54 <75>; 101, 239 <257, 259, 263 f.>). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der von den Beschwerdeführern als verletzt gerügten Verfassungsrechte angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts und die weiter angegriffenen Entscheidungen sind im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Insbesondere begegnet die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, § 30 a Abs. 1 Satz 4 VermG stehe mit dem Eigentumsgrundrecht des Art. 14 Abs. 1 GG in Einklang, verfassungsrechtlich keinen Bedenken. Das gilt auch dann, wenn zugunsten der Beschwerdeführer unterstellt wird, dass Ansprüche auf Restitution nach dem Vermögensgesetz und auf Erlösauskehr nach § 16 Abs. 1 Satz 1 des Investitionsvorranggesetzes den Schutz des Art. 14 Abs. 1 GG genießen. Auch dann ist ein Verstoß gegen die Eigentumsgarantie, die den Schutz gegen rückwirkend belastende Gesetze einschließt (vgl. BVerfGE 101, 239 <257>), nicht gegeben.

§ 30 a Abs. 1 Satz 4 VermG ist in diesem Fall als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG anzusehen, die den gebotenen Interessenausgleich (vgl. BVerfGE 95, 48 <58>; 101, 54 <75>; 101, 239 <259>) in angemessener Weise vorgenommen hat. Auszugleichen waren einerseits das Interesse von Zweitgeschädigten wie den Beschwerdeführern und andererseits das Interesse der Bundesrepublik Deutschland, die für Erstgeschädigte wie die Rechtsnachfolgerin der Eigentümer der 1938 verkauften Grundstücke Abfindungen nach dem US-Abkommen gezahlt hat. Zweitgeschädigte waren, sofern sie den streitigen Vermögenswert in redlicher Weise erworben hatten, nach § 3 Abs. 2 VermG in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Satz 1 des Entschädigungsgesetzes von vornherein auf eine Entschädigungsleistung nach diesem Gesetz verwiesen. Die Bundesrepublik Deutschland rückte dagegen infolge der von ihr geleisteten Abfindung nach Art. 3 Abs. 9 Satz 2 des US-Abkommens in die Rechtsstellung der Erstgeschädigten ein, die, weil sie nach diesem Abkommen abgefunden wurden, selbst Ansprüche nach dem Vermögensgesetz nicht mehr geltend machen konnten (vgl. Art. 3 Abs. 1 Satz 1 des US-Abkommens). Die Anmeldung von Ansprüchen, die nach Art. 3 Abs. 9 Satz 2 des US-Abkommens in das Vermögen der Bundesrepublik übergegangen sind, dient daher der Sache nach der Erlangung eines Äquivalents für einen materiell schon "angemeldeten" und befriedigten Anspruch des Erstgeschädigten. Die Sicherung dieses Ziels ist nahe liegend, was für die Vorstellung des Gesetzgebers spricht (vgl. BTDrucks 13/10246, S. 10, 35), Satz 4 Alternative 2 des § 30 a Abs. 1 VermG habe bezüglich der Nichtgeltung der Ausschlussfrist des Satzes 1 für nach dem US-Abkom-men übergegangene Ansprüche nur klarstellende Bedeutung.

Selbst wenn dies anders gesehen und mit dem Bundesverwaltungsgericht angenommen wird, dass die auf § 1 Abs. 6 VermG gestützten Ansprüche hier mit Ablauf des 31. Dezember 1992 zunächst erloschen waren und erst infolge der Einfügung des § 30 a Abs. 1 Satz 4 VermG wieder aufgelebt sind, ist der mit dieser Vorschrift geschaffene Interessenausgleich angemessen und verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Ansprüche, die von dem US-Abkommen erfasst waren, hatten nach dessen Art. 1 ihren Ursprung in dem US-Gesetz 94-542 vom 18. Okto-ber 1976 und sind hinsichtlich der im Ausgangsverfahren streitig gewesenen Grundstücke nach den Feststellungen der Verwaltungsgerichte schon 1980 befriedigt worden. Insgesamt war bei Abschluss des Abkommens von einem nach diesem aufzubringenden Abfindungsbetrag von möglicherweise 190 Millionen US-Dollar ausgegangen worden (vgl. Art. 2 Abs. 1 ff. des US-Abkommens). Es konnte niemand erwarten, dass die Bundesrepublik Deutschland auf Vermögenswerte, für die Abfindung in einer solchen Größenordnung, wenn auch erst nach Feststellung des endgültigen Überweisungsbetrags, geleistet werden würde, auf Dauer würde verzichten wollen. Der Bund hat deshalb auch schon mit Schreiben des Bundesamtes zur Regelung offener Vermögensfragen vom 2. Oktober 1992 den zuständigen Landesbe-hörden die Listen mit den vom Abkommen erfassten Ansprüchen übermittelt (vgl. BTDrucks 13/10246, S. 35). Darüber hinaus hat der Gesetzgeber durch das Registerverfahrenbeschleunigungsgesetz vom 20. Dezember 1993 (BGBl I S. 2182) zur Abwicklung des US-Abkommens und zur Sicherung der danach übergehenden Ansprüche die Zuordnungsregelung in § 1 b Abs. 3 des Vermögenszuordnungsgesetzes geschaffen und den Genehmigungsvorbehalt in § 11 c VermG auf derartige Ansprüche erstreckt. Unter diesen Umständen konnte sich auch kein schutzwürdiges Vertrauen darauf bilden, dass es bei der Rechtslage nach § 30 a Abs. 1 Satz 1 VermG bleiben würde. Deren nachträglicher Änderung steht daher in Fällen der vorliegenden Art auch das grundsätzliche Verbot rückwirkender belastender Gesetze (vgl. BVerfGE 101, 239 <262>) nicht entgegen.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).

Ende der Entscheidung

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