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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 13.03.2001
Aktenzeichen: 1 BvR 1265/96
Rechtsgebiete: GG, EMRK


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 1
EMRK Art. 6
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1265/96 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

des Herrn K...,

- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Rolf Battenstein, Leostraße 21, 40545 Düsseldorf -

gegen

a) das Urteil des Bundessozialgerichts vom 19. März 1996 - 2 RU 15/95 -,

b) das Urteil des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen vom 25. Januar 1995 - L 17 U 141/94 -,

c) den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Duisburg vom 17. Mai 1994 - S 6 (7, 26) U 16/92 -,

d) den Bescheid der Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft vom 6. August 1991 - 21/35924/91 g BK 1 - i.d.F. des Widerspruchsbescheids vom 13. Dezember 1991

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Papier und die Richter Steiner, Hoffmann-Riem gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 13. März 2001 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Gegenstand der Verfassungsbeschwerde ist die Gewährung von Entschädigungsleistungen der gesetzlichen Unfallversicherung an Ehepartner eines Versicherten, die im Rahmen der Familienarbeit einem betrieblichen Risiko (Reinigung asbestverschmutzter Arbeitskleidung) ausgesetzt sind.

I.

In der gesetzlichen Unfallversicherung sind kraft Gesetzes Beschäftigte sowie solche Personen versichert, die wie ein Versicherter tätig werden. Die entsprechenden Vorschriften der für den vorliegenden Fall noch maßgeblichen Reichsversicherungsordnung (RVO) lauten, soweit hier von Bedeutung:

§ 539 RVO

(1) In der Unfallversicherung sind, unbeschadet der §§ 541 und 542 gegen Arbeitsunfall versichert

1. die aufgrund eines Arbeits-, Dienst- oder Lehrverhältnisses Beschäftigten,

2. bis 19. ...

(2) Gegen Arbeitsunfall sind ferner Personen versichert, die wie ein nach Absatz 1 Versicherter tätig werden; dies gilt auch bei nur vorübergehender Tätigkeit.

(3) ...

An dieser Rechtslage hat sich durch das Gesetz zur Einordnung des Rechts der gesetzlichen Unfallversicherung in das Sozialgesetzbuch (Unfallversicherungs-Einordnungsgesetz - UVEG) vom 7. August 1996 (BGBl I S. 1254) nichts geändert.

II.

1. Der bei der Beklagten des Ausgangsverfahrens, einer Maschinenbau- und Metall-Berufsgenossenschaft, unfallversicherte Beschwerdeführer ist Ehemann der am 13. September 1992 an den Folgen eines Pleura-Mesothelioms verstorbenen Gisela K. Er war von 1964 bis 1974 als Asbestisolierer beschäftigt, ist selbst asbestosekrank und bezieht von der Beklagten eine Verletztenrente. Im März 1991 begehrte die Ehefrau des Beschwerdeführers von der Beklagten die Anerkennung des Mesothelioms als Berufskrankheit nach Nr. 4105 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung und Entschädigung, weil ihre Erkrankung auf die langjährige Reinigung der vom Asbestspritzen stark verunreinigten Arbeitskleidung des Beschwerdeführers zurückzuführen sei. Dies wurde unter anderem mit der Begründung abgelehnt, sie sei nicht wie eine Versicherte nach § 539 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 1 RVO tätig geworden, weil das Reinigen der Arbeitskleidung nach Art, Umfang, Zeit und Dauer sein Gepräge durch die familiäre Bindung erhalte.

Die Klage blieb in allen Instanzen erfolglos. Das Bundessozialgericht wies die Revision mit der Begründung zurück, die Ehefrau des Beschwerdeführers habe bei ihrer Verrichtung nicht nach § 539 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 1 Nr. 1 RVO unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gestanden. Danach seien gegen Arbeitsunfall zwar auch Personen versichert, die wie ein nach § 539 Abs. 1 Nr. 1 RVO Versicherter tätig würden. Dies erfordere aber nach ständiger Rechtsprechung, dass es sich um eine dem Fremdunternehmen zu dienen bestimmte Tätigkeit handele, die dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmens entspreche und die unter solchen Umständen geleistet werde, dass sie der Tätigkeit auf Grund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich sei. Dabei komme der Handlungstendenz der betreffenden Person eine ausschlaggebende Bedeutung zu. Die Reinigung der Arbeitskleidung des Beschwerdeführers als Teil der Hausarbeit habe in einem inneren Zusammenhang mit der Haushaltsführung durch dessen Ehefrau gestanden. Deren Handlungstendenz sei damit sowohl nach ihrer subjektiven Auffassung als auch nach den objektiven Umständen nicht fremdwirtschaftlich auf die Belange des Unternehmens gerichtet gewesen, bei dem der Beschwerdeführer beschäftigt gewesen sei. Der Umstand, dass im April 1973 eine Änderung der Unfallverhütungsvorschriften erfolgt sei, wonach Unternehmen die Arbeitskleidung der bei ihnen Beschäftigten nunmehr selbst zu reinigen hätten, rechtfertige keine Änderung der rechtlichen Beurteilung.

2. Mit der gegen die Gerichts- und Verwaltungsentscheidungen gerichteten Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 3 Abs. 1, Art. 6 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1 GG und von Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK). Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG sei verletzt. Die Ehefrau des Beschwerdeführers werde durch die angegriffenen Entscheidungen diskriminiert, da sich die Familienangehörigkeit zu ihren Lasten auswirke. § 539 Abs. 2 RVO begründe eine Beschränkung des hier begehrten Versicherungsschutzes nicht. Die Fälle geschädigter Familienangehöriger stellten vielmehr die klassischen Fälle der Entschädigungspraxis nach § 539 Abs. 2 RVO dar. Familienangehörige seien insoweit nicht anders zu behandeln als die Leibesfrucht einer unfallversicherten Mutter (BVerfGE 45, 376 <386>).

3. Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung namens der Bundesregierung sowie der Hauptverband der gewerblichen Berufsgenossenschaften Stellung genommen. Die Äußerungsberechtigten halten die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.

III.

Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde nach § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG liegen nicht vor. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg. Es ist nicht ersichtlich, dass die Auslegung des § 539 Abs. 2 RVO durch die angegriffenen Entscheidungen verfassungsmäßige Rechte des Beschwerdeführers verletzt.

1. Es verletzt nicht Art. 3 Abs. 1 GG, dass § 539 Abs. 1 Nr. 1 und § 539 Abs. 2 RVO den Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung auf die abhängig Beschäftigten und die arbeitnehmerähnlichen Personen begrenzen. Welche Merkmale der zu ordnenden Lebensverhältnisse für eine Gleichbehandlung oder Ungleichbehandlung als maßgeblich anzusehen sind, entscheidet grundsätzlich der Gesetzgeber (vgl. BVerfGE 100, 1 <46>). Die von ihm getroffene Abgrenzung lässt sich dadurch rechtfertigen, dass die Ausübung einer Beschäftigung oder Tätigkeit wesentliches Strukturelement der gesetzlichen Unfallversicherung ist (vgl. BVerfGE 75, 348 <358> m.w.N.), das im Zusammenhang mit der Ablösung der Unternehmerhaftung durch sie steht (vgl. Schwerdtfeger/Watermann in: Lauterbach, Unfallversicherung Sozialgesetzbuch VII, 4. Aufl., Band 1, Stand: Februar 1999, vor § 2 Rn. 3; Kater in: Kater/Leube, SGB VII, 1997, Einführung Rn. 38). Die Einbeziehung von Personen, die als Familienangehörige nur mittelbar über den Versicherten in Verbindung zur unternehmerischen Risikosphäre stehen, in den Schutzbereich der Unfallversicherung würde dem herkömmlichen und verfassungsrechtlich unbedenklichen System der gesetzlichen Unfallversicherung widersprechen. Davon sind die angegriffenen Entscheidungen zu Recht ausgegangen.

Zur Bewältigung der sich bei der näheren Bestimmung des Versichertenkreises ergebenden Abgrenzungsprobleme hat die Rechtsprechung unter dem Begriff der Handlungstendenz (näher dazu Krasney, NZS 2000, S. 373) Kriterien entwickelt, die jedenfalls in den Fällen der vorliegenden Art eine Art. 3 Abs. 1 GG entsprechende Feststellung der Leistungsberechtigten ermöglichen. Mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juni 1977 (BVerfGE 45, 376) steht diese Rechtsprechung nicht in Widerspruch. Er stellt bei der Einbeziehung des ungeborenen Kindes in den unfallversicherungsrechtlichen Schutz der Mutter maßgeblich auf die natürliche Einheit von Mutter und Kind und auf die sich daraus ergebende gleiche Gefahrenlage ab (a.a.O., S. 388). Es ist Sache des Gesetzgebers, den Kreis der versicherten Personen und versicherten Tätigkeiten gegebenenfalls weiterzuziehen oder auch Dritte dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung zu unterstellen, die mit einem bestimmten betrieblichen Risiko in Verbindung kommen und dabei Schaden erleiden. Eine entsprechende Gesetzesinitiative hat es gegeben; sie hat aber keine Mehrheit gefunden (vgl. BTDrucks 13/4853, S. 3 und 15; Protokoll der 55. Sitzung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung vom 22. Mai 1996, S. 10).

2. Die angegriffenen Entscheidungen verletzen auch nicht Art. 6 Abs. 1 GG. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift kommt nur in Betracht, wenn die Auslegung einer Gesetzesbestimmung gerade an das Bestehen einer Ehe oder Familie nachteilige Rechtsfolgen knüpft. Benachteiligt sie dagegen Personen ohne Rücksicht darauf, wird also insbesondere auch ein Nichtfamilienmitglied denselben Rechtsfolgen unterworfen, so scheidet eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 GG aus (vgl. BVerfGE 28, 104 <112 f.>). Das ist hier der Fall. Verwaltung und Sozialgerichte haben bei der Begründung ihrer Auffassung, die Ehefrau des Beschwerdeführers sei nicht unfallversichert gewesen, maßgebend darauf abgestellt, ob die Zielsetzung der in Rede stehenden Tätigkeit fremdbestimmt war. Damit ist ein allgemeines Kriterium für die Zurechnung einer Tätigkeit zum Unternehmen gewählt, von dem das Risiko ausgeht und das die Versicherungsbeiträge aufbringt. Seine Anwendung kann nicht nur mithelfende Familienangehörige ohne Versicherungsschutz belassen, sondern darüber hinaus alle, die anderen Personen aufgrund weniger enger verwandtschaftlicher oder persönlicher und gesellschaftlicher Beziehungen bei einer Verrichtung gefällig sind und dabei einen Gesundheitsschaden erleiden.

3. Auf die behauptete Verletzung des Art. 6 EMRK kann eine Verfassungsbeschwerde nicht gestützt werden (vgl. BVerfGE 74, 102 <128> m.w.N.).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.



Ende der Entscheidung

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