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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 18.12.2003
Aktenzeichen: 1 BvR 1371/03
Rechtsgebiete: BAföG, GG


Vorschriften:

BAföG § 15 Abs. 3 a
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2
GG Art. 20 Abs. 3 Halbsatz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1371/03 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 3. Juni 2003 - 19 ZB 02.514 -,

b) das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichts Ansbach vom 11. Dezember 2001 - AN 2 K 00.985 -

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier, den Richter Steiner und die Richterin Hohmann-Dennhardt gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung

der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 18. Dezember 2003 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Weiterförderung einer Ausbildung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes.

I.

1. Über die Förderungshöchstdauer hinaus wird eine Ausbildung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 des Bundesgesetzes über individuelle Förderung der Ausbildung (Bundesausbildungsförderungsgesetz - BAföG) für einen angemessenen Zeitraum gefördert, wenn sie der Geförderte innerhalb der Höchstdauer aus schwer wiegenden Gründen nicht beenden konnte. Das Bundesverwaltungsgericht hatte dieser Vorschrift die Anforderung entnommen, der Geförderte müsse die Ausbildung im Zeitraum der Weiterförderung abschließen können (vgl. BVerwGE 57, 75 <78>; 68, 20 <27>). Das Förderungsamt habe seine Entscheidung auf der Grundlage einer entsprechenden Prognose zu treffen. In einem späteren Prozess müsse dagegen der tatsächliche Verlauf zu Grunde gelegt werden (vgl. BVerwG, FamRZ 1980, S. 730 f.) Die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföGVwV) vom 7. Juli 1982 (GMBl S. 311) hatte diese Rechtsprechung aufgenommen (unter 15.3.2).

Das Zwölfte Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (12. BAföG-ÄndG) vom 22. Mai 1990 (BGBl I S. 936) führte mit § 15 Abs. 3 a BAföG eine so genannte Studienabschlussförderung ein. Sie setzt nach der Regelförderung oder einer Weiterförderung nach § 15 Abs. 3 BAföG ein, wenn der Geförderte spätestens innerhalb von vier Semestern nach der Beendigung der Förderung oder der Weiterförderung zur Abschlussprüfung zugelassen ist und die Prüfungsstelle bescheinigt, dass er die Prüfung innerhalb der Dauer der Abschlusshilfe von höchstens einem Jahr beenden kann. Danach änderten die Verwaltungsgerichte ihre Rechtsprechung zu § 15 Abs. 3 BAföG. In die Prognose über den voraussichtlichen weiteren Ausbildungsablauf müsse die Möglichkeit der Studienabschlussförderung einbezogen werden. Der Geförderte müsse also innerhalb der Weiterförderungsdauer nur die Voraussetzungen für eine Abschlusshilfe, also die Zulassung zur Prüfung, erreichen können (vgl. BVerwG, FamRZ 1995, S. 767 <768>; OVG Münster, FamRZ 1993, S. 370; Hessischer VGH, FamRZ 1995, S. 318 <319>; nach der BAföG-Reform 2001 zuletzt Hessischer VGH, 26. Februar 2003, 5 UE 467/02). Teilziffer (Tz.) 15.3.2 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Bundesausbildungsförderungsgesetz in der Fassung vom 15. Oktober 1991 (GMBl S. 770) wurde entsprechend gefasst.

2. Der Beschwerdeführer studierte von 1995 bis 2002 Rechtswissenschaft und bezog Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz. Am Ende des vierten Semesters bescheinigte ihm die Fakultät gemäß § 48 Abs. 1 BAföG einen bis dahin ordnungsgemäßen Studienverlauf. Im Ausgangsverfahren hat der Beschwerdeführer geltend gemacht, er habe 1996 - also vor Ablauf des Grundstudiums - einen Zusammenbruch erlitten und leide seitdem an einer Phobie, die es ihm erschwert und zeitweise unmöglich gemacht habe, an Vorlesungen teilzunehmen und Klausuren zu schreiben. Dadurch habe sich sein Studium verzögert. Im Juli 1999 beantragte er, wegen krankheitsbedingter Studienverzögerung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG über die Förderungshöchstdauer von neun Semestern hinaus gefördert zu werden. Mit diesem Antrag hatte er keinen Erfolg. Antrag und Bescheid hat er nicht vorgelegt. Anscheinend hielt das Förderungsamt grundsätzlich ein Verlängerungssemester für angemessen, verweigerte aber die Förderung für diesen Zeitraum, weil der Beschwerdeführer bis einschließlich Sommersemester 2000 die Ausbildung nicht werde abschließen können. Im Verwaltungsstreitverfahren hat der Beschwerdeführer vorgetragen, im Sommersemester 2000 hätten ihm noch der so genannte große Schein im Öffentlichen Recht und ein Seminarschein gefehlt. Er bestand das Erste Juristische Staatsexamen im Durchgang 2002/I.

3. Das Verwaltungsgericht wies seine gegen die Versagung der Weiterförderung nach § 15 Abs. 3 Nr. 1 BAföG gerichtete Klage ab. Es führte aus: Die angeblichen Verzögerungen vor der Erteilung der Bescheinigung nach § 48 Abs. 1 BAföG müssten unberücksichtigt bleiben. Für die Zeit danach habe der Beschwerdeführer nicht ausreichend Tatsachen vorgetragen, die eine krankheitsbedingte Verzögerung erkennen ließen. Er habe in allen Semestern an Prüfungen teilgenommen und in allen bis auf eines zumindest Teilleistungen erbracht, dabei ununterbrochen Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz erhalten und keine krankheitsbedingte Studierunfähigkeit gemeldet. All dies deute eher auf eine unübliche und nicht ordnungsgemäße Studienablaufplanung hin. Vor diesem Hintergrund sei es nicht zu beanstanden, dass ihm das Förderungsamt grundsätzlich nur ein Verlängerungssemester zugebilligt habe. Dieses habe aber zu recht verweigert werden können, denn die obergerichtliche Rechtsprechung verlange für eine weitere Bewilligung die Prognose eines erfolgreichen Studienabschlusses innerhalb der nach § 15 Abs. 3 BAföG möglichen Verlängerungszeit. Diese Prognose sei aber nicht möglich gewesen.

4. In seinem Antrag auf Zulassung der Berufung trug der Beschwerdeführer unter anderem vor, das Verwaltungsgericht habe die neue Rechtsprechung zu § 15 Abs. 3 BAföG nicht berücksichtigt. Zudem rügte er eine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Der Verwaltungsgerichtshof wies den Zulassungsantrag und den zugleich gestellten Prozesskostenhilfeantrag zurück. Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts entspreche der höchstrichterlichen Rechtsprechung; zum Beleg hierfür zitiert der Verwaltungsgerichtshof Entscheidungen aus der Zeit vor Einfügung des § 15 Abs. 3 a BAföG. Ein Gehörsverstoß liege nicht vor.

5. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer zum einen eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Halbsatz 2 und Abs. 3 Halbsatz 2 GG. Die Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte, eine Weiterförderung nach § 15 Abs. 3 BAföG erfordere eine Prognose über den Studienfortschritt in diesem Zeitraum, verletze den Grundsatz der Gewaltenteilung. Der Wortlaut der Norm gebe hierfür keinen Anhaltspunkt. Der Gesetzgeber habe durch die Einfügung des Absatzes 3 a in § 15 BAföG gezeigt, dass er eine solche Prognose allein bei der Abschlussförderung verlange. Weiterhin hält der Beschwerdeführer die angegriffenen Entscheidungen für willkürlich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 Hs. 2 GG. Verwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof hätten sich auf die frühere Rechtsprechung gestützt, die seit der Einführung der Abschlussförderung aufgegeben und nicht mehr vertretbar sei und auch den BAföGVwV widerspreche. Weil die Gerichte seine Ausführungen zu dieser Änderung der Rechtslage mit keinem Wort gewürdigt hätten, sei auch Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Letztlich seien die angegriffenen Entscheidungen nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Lege man sie zu Grunde, könne entgegen dem Wortlaut von § 15 Abs. 3 a BAföG kein Student nach einer Weiterförderung nach § 15 Abs. 3 BAföG noch eine Abschlussförderung erhalten. Außerdem berücksichtigten die Entscheidungen nicht die unterschiedliche Dauer der Prüfungsverfahren. Ein Gehörsverstoß liege auch darin, dass die Gerichte weder auf Grund seiner Beweisanträge noch von Amts wegen seine behandelnden Ärzte vernommen hätten.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG. Die von ihr aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen sind in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts geklärt. Auch eine Annahme nach § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG scheidet aus. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

1. Der Beschwerdeführer ist nicht in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Grundgesetz der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 GG) verletzt. Die von ihm beanstandete Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte zu § 15 Abs. 3 BAföG unterliegt keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

a) Die Auslegung des einfachen Gesetzesrechts einschließlich der Wahl der hierbei angewendeten Methode ist Sache der Fachgerichte. Das Bundesverfassungsgericht gewährleistet allein, dass dabei die Anforderungen des Grundgesetzes eingehalten werden (BVerfGE 96, 375, <394 f.>). Hierzu gehört der Grundsatz der Gewaltenteilung. Auch wenn das Grundgesetz die staatlichen Funktionen nicht strikt trennt (vgl. BVerfGE 9, 268 <279 f.>), so dürfen die Gerichte doch keine Befugnisse in Anspruch nehmen, die eindeutig dem Gesetzgeber übertragen sind (vgl. BVerfGE 4, 219 <234>). Den Fachgerichten obliegen die Auslegung und unter Umständen die Fortentwicklung des Rechts zur Schließung von Gesetzeslücken (vgl. BVerfGE 88, 145 <166 f.>). Eine im engeren Sinne normsetzende Tätigkeit steht ihnen nicht zu (vgl. BVerfGE 87, 273 <280>; 96, 375, <394>).

b) Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts beruht auf einer zulässigen Auslegung des § 15 Abs. 3 BAföG. Danach soll auch der Förderung während der Höchstdauer die Erwartung zu Grunde liegen, dass der Geförderte die Ausbildung in diesem Zeitraum abschließen könne (vgl. BVerwGE 57, 75 <78>). Im In-teresse einer sparsamen und sinnvollen Verwendung von Haushaltsmitteln müsse eine gewisse Gewähr für den Erfolg der geförderten Ausbildung bestehen (vgl. BVerwGE 68, 20 <28>). Die Förderungshöchstdauer sei daher an die Regelstudienzeit gekoppelt. Nur ausnahmsweise könne darüber hinaus gefördert werden; dann aber gelte die genannte Erwartung umso stärker. Diese Auslegung beruhte auf systematischen und teleologischen Erwägungen, also auf herkömmlichen juristischen Methoden. Der Normwortlaut stand ihr nicht entgegen. Es ist nicht ersichtlich, dass die den Fachgerichten von Verfassungs wegen für die Interpretation des geltenden Rechts gezogenen Grenzen überschritten sind.

c) Nach der Einfügung des § 15 Abs. 3 a BAföG haben die Verwaltungsgerichte ihre Rechtsprechung im Hinblick auf den maßgeblichen Prognosezeitraum der neuen Rechtslage in einer verfassungsrechtlich nicht zu beanstandenden Weise angepasst. Die Einfügung des § 15 Abs. 3 a BAföG erzwingt von Verfassungs wegen nicht eine Auslegung, wonach eine Prognose über den Studienerfolg allein bei der Abschlussförderung geboten sei. Der Gesetzgeber hat die frühere Rechtsprechung bei der Neuregelung ausdrücklich gebilligt und nur eine Anpassung für nötig gehalten (BTDrucks 11/5961, S. 21). Dem ist die Exekutive gefolgt (vgl. Tz. 15.3.2 BAföGVwV).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist auch nicht wegen willkürlicher Rechtsanwendung oder wegen Gehörsverstößen der Gerichte des Ausgangsverfahrens begründet.

a) Allerdings sind die vom Beschwerdeführer insoweit gegen die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen erhobenen Einwände nachvollziehbar. Die Entscheidungen berücksichtigen nicht, dass die Ausbildung nicht mehr allein in der Verlängerungszeit nach § 15 Abs. 3 BAföG, soll der Auszubildende Förderung erhalten, beendet werden muss, sondern dass die einjährige Abschlussförderung nach Abs. 3 a hinzuzurechnen ist. Gestützt sind sie auf eine nicht mehr maßgebliche höchstrichterliche Rechtsprechung. Unter den gegebenen Umständen hätte es einer Würdigung der rechtlichen Ausführungen des Beschwerdeführers bedurft.

b) Im Ergebnis kann jedoch offen bleiben, ob die angegriffenen Entscheidungen Verfassungsrechte des Beschwerdeführers verletzen. Denn sie beruhen nicht darauf.

Im vorliegenden Fall hätte der Beschwerdeführer selbst dann nicht obsiegt, wenn die Gerichte die zum Zeitpunkt der Entscheidungen maßgebliche höchstrichterliche Rechtsprechung zu Grunde gelegt hätten. Der Beschwerdeführer hatte bis zum Ende der zugebilligten Weiterförderung, dem Sommersemester 2000, auch die Voraussetzungen für eine Abschlussförderung nicht erreicht. Ihm fehlten in diesem Semester noch zwei Leistungsnachweise, die Voraussetzung für die Zulassung zum Ersten Juristischen Staatsexamen waren. Entsprechend konnte er sich in diesem Semester noch nicht zum Examen anmelden. Dass die Entscheidungen dabei "ex post" von dem tatsächlichen Ablauf ausgegangen sind, ist bei Verpflichtungsverfahren nicht zu beanstanden (vgl. BVerfGE 54, 341 <359 f.>).

3. Im Übrigen wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG von einer Begründung abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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