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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 30.09.2004
Aktenzeichen: 1 BvR 1418/04
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 14 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3
GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES

- 1 BvR 1418/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. März 2004 - BVerwG 8 C 5.03 -

hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Jaeger und die Richter Hömig, Bryde gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93 d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 30. September 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Dem im Ausgangsverfahren Beigeladenen, Herrn S..., wird bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, untersagt, über das Grundstück Gemarkung S..., Flur x, Flurstücke Nummer x und x, eingetragen im Grundbuch von S..., Blatt x, zu verfügen.

2. Die Eintragung dieses Verfügungsverbots an der vorbezeichneten Grundbuchstelle wird angeordnet. Das Amtsgericht B... - Grundbuchamt - wird ersucht, die Eintragung vorzunehmen.

3. Die Bundesrepublik Deutschland hat der Beschwerdeführerin die notwendigen Auslagen für das Verfahren über die einstweilige Anordnung zu erstatten.

Gründe:

I.

Gegenstand des Verfahrens ist ein Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung, durch welche die Beschwerdeführerin verhindern will, dass aus dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Revisionsurteil des Bundesverwaltungsgerichts, das in einem Rechtsstreit nach dem Vermögensgesetz (VermG) ergangen ist, Nachteile für sie entstehen.

1. Die Beschwerdeführerin wandte sich im Ausgangsverfahren dagegen, dass dem Beigeladenen jenes Verfahrens, ihrem früheren Ehemann, ein im Beitrittsgebiet belegenes, mit einem Wochenendhaus bebautes Grundstück restituiert worden war. Dieses stand nach dem Tod des früheren Eigentümers zunächst im Eigentum einer Erbengemeinschaft, der der Beigeladene angehörte. Nachdem dieser 1977 die Deutsche Demokratische Republik ohne Beachtung der polizeilichen Meldevorschriften verlassen hatte, nahm die Beschwerdeführerin das bis dahin gemeinsam genutzte Grundstück für sich in Alleingebrauch.

1978 wurde der Rat der Gemeinde für den Grundstücksanteil des Beigeladenen zum Treuhänder bestellt. 1979 veräußerte dieser das Grundstück an den Rat des Kreises zu Eigentum des Volkes. 1980 wurde die Überführung in Volkseigentum in einem Schreiben des Rats des Kreises "annulliert". Aufgrund eines im September 1980 geschlossenen Kaufvertrags wurde schließlich 1981 die Beschwerdeführerin als Eigentümerin des Grundstücks im Grundbuch eingetragen.

1994 ordnete der Beklagte des Ausgangsverfahrens die Rückübertragung des Grundstücks an den Beigeladenen an. In dem dagegen gerichteten Verwaltungsstreitverfahren hat das Bundesverwaltungsgericht die - vor dem Verwaltungsgericht erfolgreiche - Klage der Beschwerdeführerin abgewiesen, weil der Beigeladene Berechtigter im Sinne des Vermögensgesetzes sei und seinem Rückübertragungsanspruch Ausschlussgründe nach § 4 VermG im Hinblick darauf nicht entgegenstünden, dass die die Beschwerdeführerin beim Erwerb des Grundstücks im Sinne des § 4 Abs. 2 VermG unredlich gewesen sei (vgl. VIZ 2004, S. 356).

2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot sowie von Art. 14 Abs. 1, Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG. Sie wendet sich insbesondere gegen die Würdigung der Tatsachenbasis durch das Bundesverwaltungsgericht sowie gegen die Annahme, dass sie beim Grundstückserwerb unredlich gewesen sei.

Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung erstrebt sie die Sicherung ihrer im Verfassungsbeschwerdeverfahren geltend gemachten Rechtsposition, nachdem der Beigeladene im Juni 2004 gemäß § 34 VermG als Alleineigentümer in das Grundbuch eingetragen worden ist.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat Erfolg.

1. Nach den §§ 32, 93 d Abs. 2 BVerfGG kann die Kammer im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben, es sei denn, die Verfassungsbeschwerde erweist sich von vornherein als unzulässig oder offensichtlich unbegründet. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die eintreten würden, wenn die einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber später Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 94, 334 <347>; 104, 51 <55>; stRspr).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist weder unzulässig noch offensichtlich unbegründet. Die danach gebotene Folgenabwägung führt zu einem Überwiegen derjenigen Gründe, die für den Erlass der von der Beschwerdeführerin erstrebten einstweiligen Anordnung mit dem im Tenor ausgewiesenen Inhalt sprechen.

Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, erweist sich die Verfassungsbeschwerde aber später als begründet, besteht insbesondere die Gefahr, dass die Rechtsposition an dem restituierten Grundstück, deren Wahrung die Beschwerdeführerin mit der Verfassungsbeschwerde erreichen will, durch einen zwischenzeitlichen aufgrund der Grundbucheintragung des Beigeladenen als Eigentümer möglichen gutgläubigen Erwerb eines Dritten (§ 892 Abs. 1 BGB) unwiederbringlich verloren geht. Demgegenüber muss der Beigeladene, wenn die einstweilige Anordnung erlassen wird, die Verfassungsbeschwerde aber erfolglos bleibt, nur eine vorübergehende Beschränkung seiner Verfügungsbefugnis über das Grundstück hinnehmen. Anhaltspunkte, dass dies für ihn zu unzumutbaren Nachteilen führen könnte, die das Interesse der Beschwerdeführerin an einem Schutz vor endgültigem Rechtsverlust überwiegen, bestehen nicht.

Zur Sicherung der Rechtsposition der Beschwerdeführerin reicht es aus, gegen den Beigeladenen ein vorläufiges Verfügungsverbot entsprechend § 136 in Verbindung mit § 135 BGB zu erlassen, dessen Eintragung in das Grundbuch anzuordnen und das Grundbuchamt nach § 35 BVerfGG, § 941 ZPO analog zu ersuchen, diese Eintragung durchzuführen (§ 38 GBO).

III.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34 a Abs. 3 BVerfGG.

IV.

Wegen der besonderen Dringlichkeit ergeht diese Entscheidung nach § 32 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG unter Verzicht auf die Anhörung des Beigeladenen des Ausgangsverfahrens.

Ende der Entscheidung

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