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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 25.07.2006
Aktenzeichen: 1 BvR 1549/06
Rechtsgebiete: AAÜG, BVerfGG, AAÜG-ÄndG


Vorschriften:

AAÜG § 6 Abs. 2
AAÜG § 6 Abs. 2 Nr. 4
AAÜG § 6 Abs. 3
BVerfGG § 93 d Abs. 1 Satz 3
AAÜG-ÄndG Art. 1 Nr. 1 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1549/06 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) Art. 1 Nr. 1 a des Ersten Gesetzes zur Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes vom 21. Juni 2005 (BGBl I S. 1672),

b) § 6 Abs. 2 Nr. 4 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes vom 25. Juli 1991 (BGBl I S. 1606, 1677), zuletzt geändert durch Art. 54 des Gesetzes vom 9. Dezember 2004 (BGBl I S. 3242) in der Fassung des Art. 1 Nr. 1 a des Ersten Gesetzes zur Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Steiner, Gaier, Eichberger gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 25. Juli 2006 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Überleitung der im staatlichen Alterssicherungssystem der Deutschen Demokratischen Republik erworbenen Ansprüche und Anwartschaften. Sie richtet sich unmittelbar gegen die 2005 erfolgte Neuregelung der Begrenzung der berücksichtigungsfähigen Arbeitsverdienste für die Inhaber bestimmter Funktionen im Staats- und Wirtschaftssystem der Deutschen Demokratischen Republik.

I.

Bei der Überleitung der im staatlichen Alterssicherungssystem der Deutschen Demokratischen Republik erworbenen Ansprüche und Anwartschaften in das Rentenversicherungssystem des wiedervereinigten Deutschlands hat der Gesetzgeber Ansprüche und Anwartschaften begrenzt, die nach seiner Auffassung auf ungerechtfertigt überhöhten Arbeitsverdiensten in der Deutschen Demokratischen Republik beruhten (zum Ganzen BVerfGE 100, 59; 111, 115). Die von ihm gewählte Kürzungsregelung in § 6 Abs. 2 und 3 des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG) vom 25. Juli 1991 (BGBl I S. 1606, 1677) in der Fassung des Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (AAÜG-Änderungsgesetz - AAÜG-ÄndG) vom 11. November 1996 (BGBl I S. 1674) und des Zweiten Gesetzes zur Änderung und Ergänzung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes (2. AAÜG-Änderungsgesetz - 2. AAÜG-ÄndG) vom 27. Juli 2001 (BGBl I S. 1939) wurde vom Bundesverfassungsgericht durch Beschluss vom 23. Juni 2004 (BVerfGE 111, 115) für verfassungswidrig erklärt.

§ 6 Abs. 2 und 3 AAÜG hatten in dieser Fassung folgenden Wortlaut:

(2) Für Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem nach Anlage 1 Nr. 2, 3 oder Nr. 19 bis 27 oder Anlage 2 Nr. 1 bis 3 bis zum 17. März 1990, in denen eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt wurde, in der ein Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen mindestens in Höhe des jeweiligen Betrags der Anlage 4 bezogen wurde, ist den Pflichtbeitragszeiten als Verdienst der jeweilige Betrag der Anlage 5 zugrunde zu legen. Für die Ermittlung des nach Anlage 4 jeweils maßgebenden Betrags wird neben dem Gehalt oder den Vergütungen für die Dienststellung, den Dienstgrad und das Dienstalter auch eine Aufwandsentschädigung berücksichtigt. Zulagen werden nicht berücksichtigt. Bei einer Minderung des Arbeitsentgelts oder Arbeitseinkommens durch Arbeitsausfalltage ist für die Ermittlung des nach Anlage 4 jeweils maßgebenden Betrags das Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zugrunde zu legen, das ohne die Arbeitsausfalltage erzielt worden wäre.

(3) Absatz 2 gilt auch für Zeiten, in denen eine Beschäftigung oder Tätigkeit als

1. Betriebsdirektor, soweit diese Funktion nicht in einem Betrieb ausgeübt wurde, der vor 1972 in dessen Eigentum stand,

2. Fachdirektor eines Kombinats auf Leitungsebene oder einer staatlich geleiteten Wirtschaftsorganisation,

3. bis 8. ...

Durch die mit der vorliegenden Verfassungsbeschwerde angegriffene Regelung in Art. 1 Nr. 1 des Ersten Gesetzes zur Änderung des Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetzes vom 21. Juni 2005 (BGBl I S. 1672) hat der Gesetzgeber § 6 Abs. 2 AAÜG geändert. § 6 Abs. 3 AAÜG in der bisherigen Fassung ist entfallen.

§ 6 Abs. 2 AAÜG hat nunmehr folgenden Wortlaut:

(2) Für Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem nach Anlage 1 oder Anlage 2 Nr. 1 bis 3 bis zum 17. März 1990, in denen eine Beschäftigung oder Tätigkeit ausgeübt wurde als

1. Mitglied, Kandidat oder Staatssekretär im Politbüro der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands,

2. Generalsekretär, Sekretär oder Abteilungsleiter des Zentralkomitees der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) sowie als Mitarbeiter der Abteilung Sicherheit bis zur Ebene der Sektorenleiter oder als die jeweiligen Stellvertreter,

3. Erster oder Zweiter Sekretär der SED-Bezirks- oder Kreisleitung sowie Abteilungs- oder Referatsleiter für Sicherheit oder Abteilungsleiter für Staat und Recht,

4. Minister, stellvertretender Minister oder stimmberechtigtes Mitglied von Staats- oder Ministerrat oder als ihre jeweiligen Stellvertreter,

5. Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates, Vorsitzender des Staatsrats oder Vorsitzender des Ministerrats sowie als in diesen Ämtern ernannter Stellvertreter,

6. Staatsanwalt in den für vom Ministerium für Staatssicherheit sowie dem Amt für Nationale Sicherheit durchzuführenden Ermittlungsverfahren zuständigen Abteilung I der Bezirksstaatsanwaltschaften,

7. Staatsanwalt der Generalstaatsanwaltschaft der DDR,

8. Mitglied der Bezirks- oder Kreis-Einsatzleitung,

9. Staatsanwalt oder Richter der I-A-Senate, ist den Pflichtbeitragszeiten als Verdienst höchstens der jeweilige Betrag der Anlage 5 zugrunde zu legen.

II.

Der Beschwerdeführer hatte nach seinen Angaben in der Deutschen Demokratischen Republik unter anderem das Amt eines stellvertretenden Ministers und das Amt eines Staatssekretärs inne.

III.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe gemäß § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig.

1. Der Beschwerdeführer hat entgegen § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG den Rechtsweg nicht erschöpft. Eine Vorabentscheidung gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG kommt nicht in Betracht.

a) Eine unmittelbar gegen ein Gesetz gerichtete Verfassungsbeschwerde ist nicht schon deshalb von allgemeiner Bedeutung, weil die angegriffene Regelung eine Vielzahl von Personen betrifft. Mit dieser Begründung wäre jede gegen ein Gesetz gerichtete Verfassungsbeschwerde zulässig, da für eine gesetzliche Regelung in der Regel ein unbestimmter, allgemeiner Adressatenkreis charakteristisch ist.

Vielmehr soll der im Gebot der Rechtswegerschöpfung zum Ausdruck kommende Subsidiaritätsgrundsatz vor allem sichern, dass durch die umfassende fachgerichtliche Vorprüfung der Beschwerdepunkte dem Bundesverfassungsgericht nicht nur ein regelmäßig in mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial unterbreitet wird, sondern dass ihm auch die Fallanschauung und Rechtsauffassung der Gerichte, insbesondere der obersten Bundesgerichte, vermittelt werden. Das Bundesverfassungsgericht soll nicht genötigt werden, auf ungesicherten Grundlagen weit reichende Entscheidungen zu treffen. Darüber hinaus wird damit der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung entsprochen, nach der vorrangig die Fachgerichte Rechtsschutz (auch gegen Verfassungsverletzungen) gewähren (zum Ganzen BVerfGE 86, 15 <27>; stRspr).

Eine vorherige fachgerichtliche Aufbereitung des Sachverhalts und Vorprüfung der Beschwerdepunkte ist auch im Hinblick auf den vorliegenden Verfahrensgegenstand angezeigt. Der Gesetzgeber hat sich durch die angegriffene Neuregelung dafür entschieden, zur Feststellung des Vorliegens ungerechtfertigt überhöhter Arbeitsentgelte (vgl. hierzu BVerfGE 111, 115 <137 f.>) nur noch auf tätigkeitsbezogene Tatbestandsvoraussetzungen abzustellen. Die Anwendbarkeit der Neuregelung auf die jeweiligen Sachverhalte bleibt einer fachgerichtlichen Überprüfung vorbehalten. Gleiches gilt für die verfassungsrechtliche Prüfung der Neuregelung.

b) Zu den individuellen wirtschaftlichen Verhältnissen des Beschwerdeführers enthält die Begründung der Verfassungsbeschwerde keine substantiierten Angaben, die die Gefahr des Entstehens eines schweren und unabwendbaren Nachteils begründen könnten, falls das Bundesverfassungsgericht ihn auf den Rechtsweg verweist.

2. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Ende der Entscheidung

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