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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 19.09.2003
Aktenzeichen: 1 BvR 1557/03
Rechtsgebiete: BVerfGG


Vorschriften:

BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe a
BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe b
BVerfGG § 90 Abs. 2 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1557/03 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen § 9 Abs. 2 bis 7 in Verbindung mit § 11 Abs. 3, § 85 Abs. 1 Satz 3 und § 88 Abs. 1 Satz 4 des Brandenburgischen Schulgesetzes in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 10. Juli 2002 (GVBl I S. 55)

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Jaeger und die Richter Hömig, Bryde gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 19. September 2003 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde wendet sich unmittelbar gegen Vorschriften des Brandenburgischen Schulgesetzes (BbgSchulG) mit dem Ziel einer Einführung des Schulfachs Humanistische Lebenskunde an den öffentlichen Schulen des Landes Brandenburg.

I.

Der Beschwerdeführer zu 1, der H... e.V, ist eine Weltanschauungsgemeinschaft des Humanismus in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins. Die weiteren Beschwerdeführer sind Eltern und deren schulpflichtige minderjährige Kinder. Sie sind übereinstimmend der Ansicht, die Regelungen in § 9 Abs. 2 bis 7, § 11 Abs. 3, § 85 Abs. 1 Satz 3 und § 88 Abs. 1 Satz 4 BbgSchulG in der Fassung des am 1. August in Kraft getretenen Änderungsgesetzes vom 10. Juli 2002 (GVBl I S. 55) verletzten sie in ihren Grundrechten aus Art. 3 Abs. 1 und 3, Art. 4 Abs. 1 und 2 sowie Art. 6 Abs. 2 GG. Das Land Brandenburg habe dadurch, dass in den genannten Vorschriften nur Kirchen und Religionsgemeinschaften aufgeführt und damit Weltanschauungsgemeinschaften vom Bekenntnisunterricht ausgeschlossen seien, gegen seine bekenntnisrechtliche Neutralität verstoßen und die Bekenntnisfreiheit der Beschwerdeführer verletzt. Auch sei kein sachlicher Grund dafür ersichtlich, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sowie deren Anhänger hinsichtlich des Bekenntnisunterrichts an den öffentlichen Schulen unterschiedlich zu behandeln. Die beschwerdeführenden Eltern seien außerdem in ihrem Erziehungsgrundrecht beeinträchtigt.

II.

Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der rechtzeitig erhobenen Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG nicht zu. Ihre Annahme ist auch nicht nach § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung der von den Beschwerdeführern als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt. Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, weil sie unzulässig ist.

1. Der Zulässigkeit der Verfassungsbeschwerde steht der in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommende Grundsatz der Subsidiarität entgegen. Dieser Grundsatz kann es erfordern, dass ein Beschwerdeführer, auch wenn er sich unmittelbar gegen eine gesetzliche Regelung wendet, gegen die ein fachgerichtlicher Rechtsweg nicht eröffnet ist, Rechtsschutz zunächst bei den zuständigen Fachgerichten sucht, sofern für ihn die Verweisung an sie nicht im Einzelfall unzumutbar ist (vgl. BVerfGE 71, 305 <336>; 102, 197 <207>). Dadurch wird gewährleistet, dass dem Bundesverfassungsgericht nicht nur die jeweils aufgeworfene abstrakte Rechtsfrage, sondern auch die Beurteilung der Sach- und Rechtslage durch ein für die Materie speziell zuständiges Gericht unterbreitet wird (vgl. BVerfGE 74, 69 <74 f.> m.w.N.). Dem Bundesverfassungsgericht soll auf diese Weise vor seiner Entscheidung ein regelmäßig in mehreren Instanzen geprüftes Tatsachenmaterial vorgelegt und die Fallanschauung der Gerichte, insbesondere der obersten Bundesgerichte, vermittelt werden. Zugleich entspricht es der grundgesetzlichen Zuständigkeitsverteilung und Aufgabenzuweisung, dass vorrangig die Fachgerichte selbst Rechtsschutz gegen Verfassungsverletzungen gewähren (vgl. BVerfGE 77, 381 <401>; 79, 174 <189 f.>). Diese Gesichtspunkte fal-len vor allem dann ins Gewicht, wenn die angegriffene Re-gelung der Verwaltung einen Entscheidungsspielraum belässt (vgl. BVerfGE 72, 39 <43 f.>; 79, 1 <20>).

2. Nach diesen Maßstäben sind die Beschwerdeführer zunächst auf den Rechtsweg vor den Verwaltungsgerichten zu verweisen. Sie können dort, wie es der Beschwerdeführer zu 1 nach seinem Vortrag auch schon getan hat, nach vorangegangenem Verwaltungsverfahren Klage mit dem Ziel erheben, für Schülerinnen und Schülern, die wie die Beschwerdeführer zu 4, 6, 8 und 10 daran interessiert sind, die Möglichkeit eines Unterrichts in dem Fach Humanistische Lebenskunde in den Räumen der Brandenburger Schulen zu eröffnen. In diesen Verfahren kann auch die Verfassungsmäßigkeit der hier angegriffenen schulrechtlichen Vorschriften überprüft werden. Dazu gehört nicht nur die rechtliche Erwägung, wie diese Vorschriften zu interpretieren sind und ob sie erforderlichenfalls verfassungskonform ausgelegt werden können. Die fachgerichtliche Prüfung gibt vielmehr auch die Gelegenheit, die tatsächlichen Verhältnisse aufzuhellen, die noch der Aufklärung bedürfen. Das trifft insbesondere hinsichtlich der Zahl und der Ausbildung des für das Fach Humanistische Lebenskunde notwendigen Lehrpersonals und für die genaue Zahl der für dieses Fach in Betracht kommenden Schüler sowie deren Verteilung auf die bisher in Aussicht genommenen fünf Schulen zu. Es dürfte aber auch wesentlich sein, über die in öffentlichen Verlautbarungen enthaltenen Erläuterungen (vgl. etwa die Drucksachen 3/2371 und 3/2888 des Landtags Brandenburg) hinaus Näheres zu den Erwägungen der Landesregierung Brandenburg zu erfahren, die diese bewogen haben, dem Begehren der Beschwerdeführer bisher nicht zu entsprechen.

Dass es für die Beschwerdeführer unzumutbar wäre, zunächst den Verwaltungsrechtsweg zu beschreiten, ist nicht ersichtlich. Allein der von den Beschwerdeführern angeführte Umstand, dass schon anhängige verwaltungsgerichtliche Verfahren längere Zeit andauern, rechtfertigt keine Ausnahme vom Grundsatz der Subsidiarität. Wie der Kammer aus dem abgeschlossenen und ebenfalls vom Bevollmächtigten der Beschwerdeführer geführten Verfahren 1 BvR 1490/03 bekannt ist, gibt es Lehrer, die interessierte Schülerinnen und Schüler in Brandenburg in dem Fach Humanistische Lebenskunde unterrichten können. Auch den Angaben zu den Plänen des Beschwerdeführers zu 1 für die zweite Hälfte des Schuljahr 2003/2004 kann dies entnommen werden. Dieser hat damit die Möglichkeit, Unterricht in Humanistischer Lebenskunde zumindest außerhalb der Schule zu erteilen, und die beschwerdeführenden Schülerinnen und Schüler können an diesem Unterricht teilnehmen, ohne dass ihnen dadurch nennenswerte Nachteile entstehen. Das zuständige Landesministerium hat dem Beschwerdeführer zu 1 darüber hinaus die Möglichkeit einer Erteilung des genannten Unterrichts auch in den Räumen der Brandenburger Schulen in Aussicht gestellt. Es fehlt jeglicher Vortrag der Beschwerdeführer dazu, dass diese Möglichkeit nicht oder nicht mehr besteht und weshalb sie bis zu einem Abschluss des fachgerichtlichen Verfahrens nicht ausreicht, die Wünsche der Beschwerdeführer nach einer schulnahen Unterweisung in dem Fach Humanistische Lebenskunde zu erfüllen.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).

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