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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 27.10.1997
Aktenzeichen: 1 BvR 1615/97
Rechtsgebiete: BVerfGG


Vorschriften:

BVerfGG § 93 a
BverfGG § 93 b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1604/97 - - 1 BvR 1615/97 - - 1 BvR 1659/97 -

In den Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerden

I. des Herrn Sch...,

gegen die Entscheidung des Bayerischen Verfassungs- gerichtshofs vom 1. August 1997 - Vf. 6-VII-96 -

- 1 BvR 1604/97 -,

II. des Herrn M...,

gegen die Entscheidung des Bayerischen Verfassungs- gerichtshofs vom 1. August 1997 - Vf. 17-VII-96 -

und Antrag auf Zulassung des Herrn Dr. Gerhard Czermak als Beistand gemäß § 22 Abs. 1 Satz 4 BVerfGG

- 1 BvR 1615/97 -,

III. 1. des Herrn R..., 2. des B...,

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Aliki Busse und Partner, Herzog-Heinrich-Straße 38, München -

gegen die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichts- hofs vom 1. August 1997 - Vf. 1-VII-97 -

- 1 BvR 1659/97 -

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungs- gerichts durch den Vizepräsidenten Seidl, die Richterin Haas und den Richter Hömig gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 27. Oktober 1997 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.

G r ü n d e :

Die Verfassungsbeschwerden wenden sich gegen eine Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs, mit der Popularklagen gegen die bayerische Neuregelung über das Anbringen von Kreuzen in Klassenräumen der Volksschule abgewiesen worden sind. Gerügt wird eine Verletzung der Garantie des gesetzlichen Richters und des Anspruchs auf rechtliches Gehör.

I. 1. Mit Beschluß vom 16. Mai 1995 (BVerfGE 93, 1) hat das Bundesverfassungsgericht § 13 Abs. 1 Satz 3 der Schulordnung für die Volksschulen in Bayern (Volksschulordnung) vom 21. Juni 1983 (GVBl S. 597) für nichtig erklärt. Nach dieser Vorschrift war in öffentlichen Volksschulen in jedem Klassenzimmer ein Kreuz anzubringen.

Durch das Gesetz zur Änderung des Bayerischen Gesetzes über das Erziehungs- und Unterrichtswesen (BayEUG) vom 23. Dezember 1995 (GVBl S. 850) ist in den die Volksschulen betreffenden Art. 7 BayEUG folgender Absatz 3 eingefügt worden:

(3) 1Angesichts der geschichtlichen und kulturellen Prägung Bayerns wird in jedem Klassenraum ein Kreuz angebracht. 2Damit kommt der Wille zum Ausdruck, die obersten Bildungsziele der Verfassung auf der Grundlage christlicher und abendländischer Werte unter Wahrung der Glaubensfreiheit zu verwirklichen. 3Wird der Anbringung des Kreuzes aus ernsthaften und einsehbaren Gründen des Glaubens oder der Weltanschauung durch die Erziehungsberechtigten widersprochen, versucht der Schulleiter eine gütliche Einigung. 4Gelingt eine Einigung nicht, hat er nach Unterrichtung des Schulamts für den Einzelfall eine Regelung zu treffen, welche die Glaubensfreiheit des Widersprechenden achtet und die religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen aller in der Klasse Betroffenen zu einem gerechten Ausgleich bringt; dabei ist auch der Wille der Mehrheit soweit möglich zu berücksichtigen.

2. Gegen diese Regelung erhoben die Beschwerdeführer gemäß Art. 55 des Gesetzes über den Bayerischen Verfassungsgerichtshof (VfGHG) Popularklagen zum Bayerischen Verfassungsgerichtshof. Der Beschwerdeführer zu I wandte sich gegen die Verpflichtung zur Darlegung ernsthafter und einsehbarer Gründe in Art. 7 Abs. 3 Satz 3 BayEUG, die Beschwerdeführer zu II und III griffen Art. 7 Abs. 3 BayEUG insgesamt an. Sie machten geltend, die Neuregelung verstoße gegen die Grundrechte der Glaubensfreiheit (Art. 107 Abs. 1 der Verfassung des Freistaates Bayern <BV>), des religiösen Schweigerechts (Art. 107 Abs. 5 BV), des Gleichheitssatzes (Art. 118 BV) und des elterlichen Erziehungsrechts (Art. 126 Abs. 1 BV) sowie gegen Art. 31 GG.

3. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verfassungsgerichtshof lehnten der Beschwerdeführer zu II dessen Präsidentin und die Beschwerdeführer zu III den Richter B. wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Zur Begründung trugen sie vor:

Die Präsidentin habe nach der ersten Lesung des mit den Popularklagen angegriffenen Gesetzes im Landtag an einer Veranstaltung der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung teilgenommen, bei der einseitige Kritik an der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts geübt worden sei. Zu diesem Zeitpunkt habe die Präsidentin bereits gewußt, daß sie den Vorsitz bei den zu erwartenden Verfahren gegen das Gesetz führen werde. Außerdem habe sie im Popularklageverfahren lediglich die beiden Großkirchen, nicht aber andere Organisationen beteiligt.

Richter B. sei viele Jahre Präsident des Landeskomitees der bayerischen Katholiken, des Hauptorganisators der großen Kruzifix-Demonstration im September 1995 in München, gewesen. Der Richter habe ferner 1990 als Vorsitzender Richter am Bayerischen Obersten Landesgericht an einem Urteil in einem der sogenannten Memminger Abtreibungsprozesse mitgewirkt, das in frappierender Weise mit einer Erklärung übereinstimme, die er in seiner Eigenschaft als Präsident des Landeskomitees wenige Wochen vor dem damaligen Prozeßbeginn veröffentlicht habe. Nach dem Prozeß habe er einem Zeitungsbericht zufolge auf die Frage, warum er sich nicht selbst als befangen abgelehnt habe, erklärt, es sei nicht nur sein Recht, sondern sogar seine Christenpflicht, seine religiöse Überzeugung auch im Alltag und im Berufsleben zum Ausdruck zu bringen.

Der Verfassungsgerichtshof wies die Befangenheitsanträge ohne Mitwirkung der Präsidentin und des anderen abgelehnten Richters als unbegründet zurück. Die bloße Teilnahme der Präsidentin an einer Vortragsveranstaltung könne bei vernünftiger Betrachtungsweise die Besorgnis einer Befangenheit nicht begründen. Es sei weder vorgetragen noch ersichtlich, daß sie über die Teilnahme hinaus in einer besonderen Weise Stellung genommen oder das Anliegen der Veranstalter demonstrativ unterstützt und sich dadurch in einer Weise festgelegt hätte, daß daraus eine Besorgnis der Befangenheit abgeleitet werden könnte. Die Beteiligung der beiden großen Kirchen am Popularklageverfahren beruhe auf Art. 55 Abs. 2 VfGHG. Ihre Interessen seien durch den Ausgang des Verfahrens berührt gewesen; es habe davon ausgegangen werden dürfen, daß die Argumente andersdenkender Vereinigungen durch die Antragsteller in das Verfahren eingebracht würden.

Die Mitgliedschaft des Richters B. in einer katholischen Organisation sei grundsätzlich kein Befangenheitsgrund. Auch das Innehaben einer leitenden Position oder Äußerungen zu politischen Tagesfragen, wie in den von ihm verfaßten rechtspolitischen Stellungnahmen (etwa zur Abtreibungsdiskussion), könnten, wenn nicht besondere Umstände hinzuträten, keinen Anlaß für die Annahme von Befangenheit geben. Solche Umstände seien hier nicht vorgetragen oder sonst erkennbar. Insbesondere sei nicht ersichtlich, daß der Richter in seiner vier Jahre zurückliegenden Funktion als Vorsitzender des Landeskomitees der Katholiken in Bayern sich zu Fragen geäußert habe, die im vorliegenden Verfahren streitgegenständlich seien.

4. Sodann hat der Verfassungsgerichtshof die Popularklagen mit der angegriffenen Entscheidung abgewiesen (vgl. EuGRZ 1997, S. 447), im wesentlichen aus folgenden Gründen:

Der bayerische Landesgesetzgeber sei weder durch den Grundsatz der staatlichen Neutralität gegenüber Kirchen, Religionsgemeinschaften und weltanschaulichen Gemeinschaften noch durch das Verbot der Staatskirche gehindert gewesen, in Art. 7 Abs. 3 BayEUG die Anbringung eines Kreuzes in jedem Klassenraum der Volksschule vorzuschreiben, weil er gleichzeitig eine Konfliktlösung für den Fall vorgesehen habe, daß dem widersprochen werde. Mit dieser Konfliktlösung habe der Gesetzgeber einen schonenden Ausgleich eröffnet, der den widerstreitenden Grundrechtspositionen der Glaubensfreiheit gerecht werde. Sie erfordere eine Abwägung, bei der dem Willen der Mehrheit nicht die ausschlaggebende Bedeutung zukomme. Im Konfliktfall müsse sich daher auch bei entgegenstehender Mehrheit der Widersprechende durchsetzen, wenn ernsthafte und einsehbare Gründe auf eine unzumutbare innere Belastung schließen ließen und eine weniger einschneidende Ausgleichslösung nicht möglich sei.

Dem Betroffenen sei es auch unter Berücksichtigung des Schweigerechts nach Art. 107 Abs. 5 BV zumutbar, gegebenenfalls der von ihm als nicht erträglich empfundenen Anbringung eines Kreuzes zu widersprechen. Der Widerspruch müsse begründet werden, weil andernfalls der verfassungsrechtlich geforderte schonende Ausgleich der widerstreitenden Grundrechtspositionen nicht erreicht werden, der Betroffene vielmehr seiner Überzeugung den absoluten Vorrang verschaffen könnte. Das Vorbringen ernsthafter und einsehbarer Gründe nach Art. 7 Abs. 3 Satz 3 BayEUG verlange allerdings im Hinblick auf das Schweigerecht keine umfassende Darlegung des Inhalts oder gar der Intensität der religiös-weltanschaulichen Überzeugungen im Sinn einer sachlichen Rechtfertigung. In der Regel werde der Widersprechende angeben müssen, inwieweit sich für ihn durch den Anblick eines Kreuzes ein ernsthafter und unausweichlicher Glaubens- oder Weltanschauungskonflikt ergebe.

An der Feststellung, daß die angegriffene Regelung der Bayerischen Verfassung nicht widerspreche, sei der Verfassungsgerichtshof durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 1995 nicht gehindert; § 31 BVerfGG stehe dieser Feststellung nicht entgegen. Die aus dieser Vorschrift folgende Bindung erfasse den Tenor und die tragenden Gründe. Tragender Grund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts sei gewesen, daß Andersdenkende angesichts der allgemeinen Schulpflicht bezüglich der staatlich veranlaßten Anbringung eines Kreuzes im Schulzimmer keine Ausweichmöglichkeit gehabt hätten. Elemente des Zwangs und der Unausweichlichkeit seien in der angegriffenen Neuregelung nicht enthalten. Aus der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ergebe sich nicht, daß die hoheitlich veranlaßte Anbringung von Kreuzen in Klassenräumen ausnahmslos als grundgesetzwidrig anzusehen sei. Das Bundesverfassungsgericht weise ausdrücklich darauf hin, daß es dem Landesgesetzgeber obliege, das Spannungsverhältnis zwischen den jeweiligen Positionen der Glaubensfreiheit unter Berücksichtigung des Toleranzgebots zu lösen. Diesem Auftrag sei der Landesgesetzgeber mit der Neuregelung nachgekommen.

Die beantragte Vorlage an das Bundesverfassungsgericht nach Art. 100 Abs. 3 GG komme nicht in Betracht, weil der Verfassungsgerichtshof bei der Überprüfung der angegriffenen Rechtsvorschriften keine "Auslegung des Grundgesetzes" im Sinn von Art. 100 Abs. 3 GG vornehme, sondern eine Kontrolle anhand der Bayerischen Verfassung durchführe.

II. Mit ihren Verfassungsbeschwerden rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit Art. 100 Abs. 3 GG, die Beschwerdeführer zu II und III zusätzlich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG. Zur Begründung tragen sie im wesentlichen vor:

1. Der Anspruch auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) sei verletzt, weil die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs von den tragenden Gründen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 1995 abweiche und der Verfassungsgerichtshof deshalb verpflichtet gewesen sei, nach Art. 100 Abs. 3 GG die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.

Die Bindungswirkung des § 31 BVerfGG sei hinsichtlich mehrerer tragender Gründe mißachtet worden. Der Verfassungsgerichtshof verstehe schon das Neutralitätsprinzip im Ansatz völlig anders als das Bundesverfassungsgericht. Während dieses ein striktes Einmischungs- und Beeinflussungsverbot annehme, sehe der Verfassungsgerichtshof darin nur ein Verbot "unsachlicher" Differenzierungen, wobei er Tradition, Kulturhoheit der Länder, Mitgliederzahl und Bedeutung der Religionsgemeinschaften sowie die Akzeptanz der Schulorganisation durch die Mehrheit der Bevölkerung als zulässige Kriterien für eine Ungleichbehandlung nenne. Im Gegensatz zum Bundesverfassungsgericht lasse der Verfassungsgerichtshof eine indirekte Einflußnahme durch das christliche Glaubenssymbol zu, solange die Schüler nicht zusätzlich geistig beeinflußt würden und Andersdenkenden keine bejahende geistige Haltung oder aktives Verhalten abverlangt werde.

Aus dem Beschluß vom 16. Mai 1995 folge dagegen klar, daß die staatlich veranlaßte Anbringung von Kreuzen in allgemeinen staatlichen Schulen mit dem Neutralitätsprinzip als objektivem Verfassungsrecht unvereinbar sei. Der gedankliche Ansatz, daß die nach objektivem Verfassungsrecht vorliegende Grundrechtsbeeinträchtigung durch eine Entfernung des Kreuzes aufgrund der Widerspruchsregelung ausgeglichen werden könne, scheitere daran, daß in Wahrheit gar keine Grundrechtskollision vorliege, weil niemand einen Anspruch darauf habe, daß durch den Staat gerade sein Glaubenssymbol angebracht werde.

Die Widerspruchsregelung sei mit einem Offenbarungszwang verbunden, der die Wahrnehmung des Grundrechts der Glaubensfreiheit nahezu unmöglich mache. Dabei lege der Verfassungsgerichtshof das in Art. 107 Abs. 5 Satz 1 BV garantierte Recht, seine religiöse Überzeugung nicht offenbaren zu müssen, anders aus als das Bundesverfassungsgericht den wortgleichen Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 136 Abs. 3 Satz 1 WRV. Indem er von dem Widersprechenden Angaben fordere, inwieweit sich für ihn durch den Anblick des Kreuzes ein ernsthafter und unausweichlicher Glaubens- oder Weltanschauungskonflikt ergebe, dränge er den Widersprechenden in eine Rolle struktureller Intoleranz. Seine Erfolgsaussichten seien um so größer, je entschiedener und ablehnender er sich gegen das Kreuz wende. Wie "schonender Ausgleich" möglich sein solle, wenn Intoleranz ratsam sei, sei nicht nachvollziehbar. Wenn der Widersprechende darlegen müsse, warum sich für ihn aus dem Anblick des Kreuzes ein Konflikt ergebe, äußere er sich zwangsläufig auch über die Intensität seines Glaubens.

2. Gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter sei auch durch die Zurückweisung der Befangenheitsanträge gegen die Präsidentin und den weiteren Richter des Verfassungsgerichtshofs verstoßen worden. Insoweit wiederholen die Beschwerdeführer zu II und III im wesentlichen die Gründe ihrer Ablehnungsgesuche an den Verfassungsgerichtshof.

3. Der Anspruch auf rechtliches Gehör sei verletzt, weil der Verfassungsgerichtshof als tragenden Grund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts allein das Fehlen der Möglichkeit angesehen habe, dem Kreuz auszuweichen, auf die übrigen tragenden Gründe - trotz entsprechenden Vortrags durch die Beschwerdeführer zu II und III - dagegen nicht eingegangen sei.

III. Die Verfassungsbeschwerden sind, ohne daß über den Antrag des Beschwerdeführers zu II, Herrn Dr. C. gemäß § 22 Abs. 1 Satz 4 BVerfGG als Beistand zuzulassen, entschieden zu werden braucht, zulässig. Sie richten sich gegen eine im Popularklageverfahren ergangene Entscheidung, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts mit der Rüge einer Verletzung von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 und Art. 103 Abs. 1 GG angegriffen werden kann (vgl. BVerfGE 13, 132 <140 ff.>; 69, 112 <120>; Beschluß des Zweiten Senats vom 9. Juli 1997 - 2 BvR 389/94 -, Umdruck S. 17 f.).

IV. Die Verfassungsbeschwerden sind jedoch nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil sie in der Sache die Annahmevoraussetzungen des § 93 a BVerfGG nicht erfüllen.

1. Die Verfassungsbeschwerden haben keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung (vgl. § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Inhalt, Bedeutung und Tragweite sowohl des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 als auch des Art. 103 Abs. 1 GG sind, wie sich aus den Nachweisen unter nachstehend 2 ergibt, in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hinreichend geklärt. Anhand der dabei entwickelten Maßstäbe lassen sich die mit den Verfassungsbeschwerden aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen ohne weiteres beantworten (vgl. BVerfGE 90, 22 <24>).

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerden ist auch nicht zur Durchsetzung der von den Beschwerdeführern als verletzt bezeichneten Rechte angezeigt (vgl. § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

a) Ein Verstoß gegen den Anspruch der Beschwerdeführer auf den gesetzlichen Richter läßt sich nicht feststellen. Es ist mit Blick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht zu beanstanden, daß der Verfassungsgerichtshof in dem bei ihm anhängigen Verfahren nicht gemäß Art. 100 Abs. 3 GG eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts eingeholt (aa) und die Befangenheitsanträge der Beschwerdeführer zu II und III zurückgewiesen hat (bb).

aa) (1) Ein Gericht kann jemand seinem gesetzlichen Richter auch dadurch entziehen, daß es seine Verpflichtung zur Vorlage an ein anderes Gericht außer acht läßt (vgl. BVerfGE 13, 132 <143>; 87, 282 <285> m.w.N.). Das Bundesverfassungsgericht beanstandet die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsnormen, zu denen in einem weiteren Sinne auch Vorschriften über die Vorlage an ein anderes Gericht gehören, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind (vgl. BVerfGE 29, 198 <207>; 82, 159 <194>; stRspr). Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG bietet deshalb nur Schutz gegen Willkür, nicht gegen Irrtum (vgl. BVerfGE 6, 45 <53>; 17, 99 <104>). Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Pflicht zur Vorlage sich nicht aus "einfachem Recht", sondern aus der Verfassung durch eine Vorschrift ergibt, die eine ausschließliche Zuständigkeit des Bundesverfassungsgerichts begründet (vgl. BVerfGE 23, 288 <320>; 64, 1 <20 f.>; BVerfG, EuGRZ 1997, S. 436 <439>).

(2) Gemessen daran ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, daß der Verfassungsgerichtshof sich nicht für verpflichtet gehalten hat, nach Art. 100 Abs. 3 GG eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen.

Der Verfassungsgerichtshof hat eine solche Verpflichtung mit der Begründung verneint, daß er bei der Überprüfung der angegriffenen Rechtsvorschriften keine "Auslegung des Grundgesetzes" im Sinne des Art. 100 Abs. 3 GG vornehme, sondern eine Kontrolle anhand der Bayerischen Verfassung durchführe. Dieser Ansatz entspricht der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 13, 132 <143> sowie Beschlüsse der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 2. Februar 1993 <NVwZ 1994, S. 58/59>, und der 1. Kammer des Ersten Senats vom 19. April 1993 <NVwZ 1994, S. 59/60>) und kann schon von daher nicht als offensichtlich unhaltbar und damit willkürlich angesehen werden. Damit ist auch kein Raum für eine Überprüfung des Vorbringens der Beschwerdeführer, daß die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs in mehrfacher Hinsicht mit den tragenden Gründen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 1995 nicht übereinstimme.

bb) Unter dem Blickwinkel des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ebenfalls nicht zu beanstanden ist, daß der Verfassungsgerichtshof über die Popularklagen der Beschwerdeführer unter Mitwirkung seiner Präsidentin und eines weiteren Richters entschieden hat, die zuvor von den Beschwerdeführern zu II und III ohne Erfolg wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt worden waren. Dabei können etwaige Zulässigkeitsbedenken gegen die dagegen erhobene Rüge (vgl. BVerfGE 89, 28 <34>) dahingestellt bleiben. Jedenfalls könnte auch hinsichtlich dieser Rüge nur der Willkürmaßstab gelten (vgl. BVerfGE 29, 45 <48 f.>; 31, 145 <164>). Die Zurückweisung der beiden Ablehnungsgesuche war zumindest vertretbar. Anhaltspunkte für sachfremde Erwägungen sind nicht erkennbar.

b) Schließlich ist auch Art. 103 Abs. 1 GG nicht verletzt. Die Beschwerdeführer zu II und III beurteilen dies anders, weil der Verfassungsgerichtshof als tragenden Grund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 1995 allein angesehen habe, daß die in dieser Entscheidung für nichtig erklärte Regelung für Andersdenkende keine Ausweichmöglichkeit vorgesehen habe, und - trotz entsprechenden Vortrags - auf die übrigen nach ihrer Auffassung tragenden Gründe nicht eingegangen sei. Dies vermag indessen einen Gehörsverstoß nicht zu begründen.

Art. 103 Abs. 1 GG verpflichtet die Gerichte nicht, der Rechtsansicht einer Partei zu folgen (vgl. BVerfGE 64, 1 <12>; 87, 1 <33>) oder jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden. Es ist grundsätzlich davon auszugehen, daß ein Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen hat. Ein Gehörsverstoß kann deshalb nur festgestellt werden, wenn er sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt (vgl. BVerfGE 22, 267 <274>; 88, 366 <375 f.>; stRspr). Solche Umstände sind hier nicht erkennbar. Der Verfassungsgerichtshof hat seine Auffassung zum Umfang der Bindungswirkung des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Mai 1995 unter Bezugnahme auf einzelne Aussagen in diesem Beschluß und unter Berufung auf Äußerungen im Schrifttum eingehend begründet und damit gleichzeitig zu erkennen gegeben, daß er den darüber hinaus gehenden Gedanken der Beschwerdeführer nicht zu folgen vermochte. Zu einer weitergehenden Begründung war er nach Art. 103 Abs. 1 GG nicht verpflichtet.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Seidl Haas Hömig Haas Hömig

Ende der Entscheidung

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