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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 07.09.2000
Aktenzeichen: 1 BvR 1833/98
Rechtsgebiete: BVerfGG, EStG, BErzGG, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93 b
BVerfGG § 93 a
BVerfGG § 93 d Abs. 1 Satz 3
EStG § 33 b
EStG § 33 b Abs. 5
EStG § 10 c Abs. 3
BErzGG § 5 Abs. 2
BErzGG § 6 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a
BErzGG § 6 Abs. 2
BErzGG § 39 Abs. 2
BErzGG § 6
GG Art. 6 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 3 Satz 2
GG Art. 6 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1833/98 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

1. der Frau S... ,

2. des Herrn Dr. S... ,

1. unmittelbar

gegen

a) das Urteil des Bundessozialgerichts vom 13. Mai 1998 - B 14 EG 3/97 R -,

b) das Urteil des Landessozialgerichts Baden-Württemberg vom 7. November 1996 - L 1 Eg 2554/94 -,

c) das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 25. Oktober 1994 - S 7 Eg 881/94 -

2. mittelbar

gegen § 6 Abs. 2 BErzGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Januar 1992 (BGBl I S. 68)

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Papier und die Richter Steiner, Hoffmann-Riem gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 7. September 2000 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Ermittlung des für die Berechnung des Erziehungsgeldes maßgebenden Einkommens nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz (BErzGG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 21. Januar 1992 (BGBl I S. 68).

I.

1. Der als Angestellter tätige Beschwerdeführer zu 2. ist wegen einer Kinderlähmung als Schwerbehinderter anerkannt. Seiner nicht erwerbstätigen Ehefrau, der Beschwerdeführerin zu 1., wurde für die am 3. Mai 1993 geborene Tochter Julia Erziehungsgeld von monatlich 600 DM für die ersten sechs Lebensmonate des Kindes und von jeweils 49 DM für weitere 18 Monate bewilligt. Bei der Berechnung des ab dem 7. Lebensmonat gemäß § 5 Abs. 2 BErzGG vom Einkommen der Eheleute abhängigen Erziehungsgeldes legte der Leistungsträger nach Abzug der Einkommensteuer, des Solidaritätszuschlags und der Vorsorgepauschale ein bereinigtes Einkommen von 54.331,90 DM zu Grunde. Der beim Beschwerdeführer zu 2. steuerlich anerkannte Behinderten-Pauschbetrag von 7.200 DM nach § 33 b Einkommensteuergesetz (EStG) wurde dabei nicht einkommensmindernd berücksichtigt.

Die dagegen eingelegten Rechtsbehelfe der Beschwerdeführerin zu 1. hatten keinen Erfolg. Das Bundessozialgericht hat in der angegriffenen Entscheidung ausgeführt, § 6 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a BErzGG sehe lediglich den Abzug des Behinderten-Pauschbetrags für ein Kind nach § 33 b Abs. 5 EStG vor. Die Außerachtlassung des einem Elternteil zuerkannten Behinderten-Pauschbetrags bei der Berechnung des Einkommens gemäß § 6 BErzGG stehe mit der Verfassung in Einklang.

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung des Art. 3 Abs. 1 und 3 Satz 2 GG, des Art. 6 Abs. 1 GG sowie des Sozialstaatsprinzips (Art. 20 Abs. 1 GG).

Der Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz folge daraus, dass Familien mit einem behinderten Kind privilegiert, Familien mit einem behinderten Elternteil dagegen benachteiligt würden. Dies lasse sich nicht damit rechtfertigen, dass ein Elternteil wegen der Pflege des behinderten Kindes gehindert sei, eine Beschäftigung auszuüben. Dem Verlust an Erwerbseinkünften werde durch die Berücksichtigung des geringeren Familieneinkommens ausreichend Rechnung getragen. Es sei nicht sachgerecht, dass der bei einem Kind anerkannte Behinderten-Pauschbetrag selbst dann in Abzug gebracht werden könne, wenn beide Elternteile wegen eines geringen Aufwandes bei der Pflege eines Kindes einer Erwerbstätigkeit nachgingen, die eine Tätigkeit ausschließende aufwendige Pflege eines Ehegatten hingegen außer Betracht bleibe. Das in Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG enthaltene absolute Diskriminierungsverbot sei wegen mittelbarer Benachteiligung verletzt. Die steuerrechtliche Berücksichtigung des Behinderten- und Pflege-Pauschbetrags sowie der außergewöhnlichen Belastungen in der Person eines Elternteils verringere die im Erziehungsgeldrecht abzugsfähige Steuerlast und führe damit gegebenenfalls zu einem niedrigeren Erziehungsgeld. Auf Grund der fehlenden Harmonisierung von Steuer- und Sozialrecht sei die Steuerersparnis, die nur einen Bruchteil der tatsächlich entstehenden behinderungsbedingten Belastungen kompensiere, geringer als die Kürzung des Kinder- und Erziehungsgeldes, die Folge der niedrigeren Steuerlast sei.

Der unzureichende Ausgleich der das Familieneinkommen mindernden behinderungsbedingten Aufwendungen erschwere auch die Gründung einer Familie, deren Schutz Art. 6 Abs. 1 GG gewährleiste. Im Vergleich zu Familien mit einem behinderten Kind seien Familien mit einem behinderten Elternteil einer doppelten Belastung ausgesetzt, weil dieser nicht nur der Pflege bedarf, sondern auch bei der Kinderbetreuung ausscheide. Schließlich sei der Staat seiner aus dem Sozialstaatsprinzip resultierenden Pflicht nicht nachgekommen, soziale Härten auszugleichen.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Ihr kommt weder grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG) noch ist die Annahme zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Grundrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Dabei kann offen bleiben, ob der Beschwerdeführer zu 2. durch die von der Beschwerdeführerin zu 1. herbeigeführten Verwaltungs- und Gerichtsentscheidungen beschwert und zudem seine Verfassungsbeschwerde unter dem Gesichtspunkt der Rechtswegerschöpfung unzulässig ist, weil er an den Verwaltungs- und Gerichtsverfahren nicht selbst beteiligt war. Jedenfalls hat die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg.

1. Es verstößt nicht gegen das Gleichbehandlungsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG, dass sich der steuerrechtliche Behinderten-Pauschbetrag für ein Kind im Erziehungsgeldrecht nach § 6 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a BErzGG einkommensmindernd auswirkt, während dies bei einem behinderten Elternteil nicht der Fall ist.

a) Dies gilt zunächst, soweit das Erziehungsgeld der Beschwerdeführerin zu 1. gekürzt wurde, weil die Berücksichtigung des beim Beschwerdeführer zu 2. anerkannten Behinderten-Pauschbetrags zu einer niedrigeren (im Rahmen des § 6 Abs. 2 BErzGG abzugsfähigen) Steuerlast führt. Diese Benachteiligung ist zwar erst mit der Einführung eines Pauschalabzugs von 27 vom Hundert oder bei Personen im Sinne des § 10 c Abs. 3 EStG von 22 vom Hundert der Einkünfte für Anspruchsberechtigte mit nach dem 30. Juni 1993 geborenen Kindern entfallen (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 39 Abs. 2 BErzGG i.d.F. des Art. 4 Nr. 4 und Nr. 8 Buchstabe b des Gesetzes zur Umsetzung des Föderalen Konsolidierungsprogramms vom 23. Juni 1993, BGBl I S. 944). Dem Gesetzgeber muss jedoch genügend Zeit zur Korrektur eingeräumt werden, wenn sich bei neuen Sozialleistungen mit komplexer Regelungsstruktur, wie dem Erziehungsgeld, im praktischen Vollzug familienpolitisch unerwünschte Folgen aus dem Zusammenwirken von Sozial- und Steuerrecht ergeben (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 22. September 1993 - 1 BvR 204/91). Die durch die genannten Vorschriften erfolgte Umstellung der Einkommensberechnung beim Erziehungsgeld auf einen prozentualen Abschlag hält sich in den Grenzen des dem Gesetzgeber eingeräumten Korrekturzeitraums.

b) Die nach der Einführung des prozentualen Abschlags fortbestehende Ungleichbehandlung von Familien mit einem behinderten Elternteil gegenüber Familien mit einem behinderten Kind ist durch hinreichend gewichtige Gründe gerechtfertigt.

aa) Das Konzept der Abzugsregelung des § 6 Abs. 2 BErzGG steht im Einklang mit dem Zweck des Erziehungsgeldes und ist sachgerecht. Mit dieser Sozialleistung wollte der Gesetzgeber eine wichtige Rahmenbedingung für die Erziehung von Kindern schaffen. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführer soll sie weder tatsächliche Einkommenseinbußen als Folge der Kindererziehung ausgleichen noch den tatsächlichen Betreuungsaufwand entschädigen (vgl. BVerfG, SozR 7833 § 3 Nr. 2; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 22. Dezember 1993 - 1 BvR 54/93). Ziel der Gewährung von Erziehungsgeld ist es vielmehr, einem Elternteil den zumindest teilweisen Verzicht auf eine Erwerbstätigkeit zugunsten der Betreuung und Erziehung eines Kindes in der für die gesamte spätere Entwicklung entscheidenden ersten Lebensphase zu ermöglichen oder jedenfalls zu erleichtern (vgl. BTDrucks 10/3792, S. 1, 13 f.). Auch wenn das Erziehungsgeld die wirtschaftliche Situation von Familien insgesamt im Ergebnis verbessert, bleibt es sein besonderer Zweck, einen finanziellen Beitrag zur Betreuung und Erziehung eines Kindes nach der Geburt durch eine nicht oder nicht voll erwerbstätige, sorgeberechtigte Person in den ersten Lebensmonaten des Kindes zu leisten (vgl. BVerfG, a.a.O.).

Mit dieser beschränkten Zielsetzung ist es vereinbar, dass behinderungsbedingte familiäre Belastungen außer Betracht bleiben. Dem besonderen Unterstützungsbedarf von Menschen, die an Behinderungen leiden, wird an mehreren Stellen im Arbeits- und Sozialrecht Rechnung getragen (vgl. z.B. §§ 15 ff., 47, 48 Abs. 1, 54 ff. Schwerbehindertengesetz; § 37 SGB VI; §§ 97 ff. SGB III). Der Gesetzgeber ist verfassungsrechtlich nicht verpflichtet, die Zweckbestimmung des Erziehungsgeldes um einen Ausgleich der mit der Behinderung eines Elternteils verbundenen Belastungen zu erweitern. Dies gilt auch im Hinblick auf die aus Art. 6 Abs. 1 GG folgende Förderpflicht des Staates zugunsten von Ehe und Familie und auf das Sozialstaatsprinzip.

bb) Die Außerachtlassung des einem Elternteil gemäß § 33 b EStG zugebilligten Behinderten-Pauschbetrags bei der Bemessung des Einkommens gemäß § 6 Abs. 2 BErzGG ist auch wegen des für nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten in § 5 Abs. 2 BErzGG vorgesehenen Freibetrags gerechtfertigt. Diese Vorschrift räumt den Eltern einen bei der Berechnung des Erziehungsgeldes zu berücksichtigenden Einkommensfreibetrag von 25.200 DM ein, der deutlich über dem steuerrechtlichen Grundfreibetrag von 21.059 DM, 22.139 DM und 23.111 DM in der hier maßgebenden Zeit von 1993 bis 1995 (§ 32 d Abs. 1 Satz 1 EStG 1990) liegt. Demgegenüber erreicht der kindbezogene Einkommensfreibetrag von 4.200 DM nicht annähernd das so genannte Existenzminimum eines gesunden Kindes. Die Abzugsmöglichkeit des § 6 Abs. 2 Nr. 2 a BErzGG soll die besondere Unterhaltsbelastung der Familie durch ein behindertes Kind auffangen (vgl. BTDrucks 12/1368 Anlage 2, S. 35 zu Nr. 56 und 12/1495, S. 14 zu Nr. 6). Wie das Bundessozialgericht in der angegriffenen Entscheidung überzeugend ausgeführt hat, konnte der Gesetzgeber zu Recht davon ausgehen, dass die schwer wiegende Unterhaltsbelastung durch die Sorge für ein behindertes Kind nicht hinreichend von der Kinderkomponente des Einkommensfreibetrags im Erziehungsgeldrecht erfasst wird, die lediglich der allgemeinen Unterhaltsbelastung typisierend Rechnung trägt.

2. Die Regelung des § 6 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a BErzGG ist auch mit dem besonderen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG vereinbar. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob sich die Beschwerdeführerin zu 1. überhaupt auf diese Grundrechtsnorm berufen kann. Jedenfalls geht eine nach dieser Grundgesetzbestimmung relevante Benachteiligung von § 6 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a BErzGG nicht aus. Indem diese Vorschrift allein auf § 33 b Abs. 5 EStG Bezug nimmt und damit nur die Behinderung eines Kindes im Erziehungsgeldrecht berücksichtigt, wird lediglich innerhalb der Gruppe der Behinderten differenziert. Dies ist aber - wie unter 1. ausgeführt - nicht gleichheitswidrig. Wegen der oben unter 1 a) dargestellten Benachteiligung kann Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG schon deshalb nicht verletzt sein, weil der Gesetzgeber sie noch vor Inkrafttreten dieser Vorschrift am 15. November 1994 beseitigt hat.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.



Ende der Entscheidung

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