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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 05.08.2002
Aktenzeichen: 1 BvR 1854/01
Rechtsgebiete: GG, BVerfGG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 14 Abs. 1
GG Art. 103 Abs. 1
BVerfGG § 93 c Abs. 1 Satz 1
BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe b
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1854/01 -

IM NAMEN DES VOLKES

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen das Schlussurteil des Landgerichts Düsseldorf vom 11. September 2001 - 24 S 120/00 -

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier und die Richterinnen Haas, Hohmann-Dennhardt

am 5. August 2002 einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Das Urteil des Landgerichts Düsseldorf vom 11. September 2001 - 24 S 120/00 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit hierdurch das Urteil des Amtsgerichts Düsseldorf vom 18. Januar 2000 - 21 C 14393/99 - abgeändert und die gegen die Beklagte zu 1. gerichtete Zahlungsklage abgewiesen wird. Das Urteil wird insoweit aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Düsseldorf zurückverwiesen.

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen.

3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Abweisung einer Zahlungsklage wegen einer unbefugten Wohnungsnutzung. Das Amtsgericht hatte der Zahlungsklage stattgegeben, soweit die Beschwerdeführerin von der Beklagten zu 1. Nutzungsentschädigung für die von dieser selbst unbefugt genutzten Wohnung begehrt; soweit die Beschwerdeführerin von der Beklagten zu 1. Nutzungsentschädigung für eine Mitbenutzung des von der Beklagten zu 2. (Tochter der Beklagten zu 1.) bewohnten Appartements begehrt, hatte es die Klage abgewiesen.

Das Landgericht holte ein Gutachten eines Sachverständigen für das Maler- und Lackierer-Handwerk ein und hörte den Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung ergänzend an. Auf die Berufung der Beklagten zu 1. änderte es das Urteil des Amtsgerichts und wies die gegen die Beklagte zu 1. gerichtete Zahlungsklage ab; es wies außerdem die Berufung der Beschwerdeführerin gegen das abweisende Urteil des Amtsgerichts zurück.

Zur Begründung führte das Landgericht unter anderem aus: Nach dem Ergebnis der von der Kammer durchgeführten Beweisaufnahme stehe fest, dass der objektive Nutzungswert der von der Beklagten zu 1. genutzten Wohnung für den streitgegenständlichen Zeitraum mit "Null" festzusetzen sei. Der Sachverständige habe in der mündlichen Verhandlung erläutert, dass eine Wohnung ohne Warmwasserversorgung im Badezimmer nicht vermietet werden könne. Wenn es im Badezimmer kein warmes Wasser gebe, sei eine Minderung um 100 % gerechtfertigt. Dem schließe sich die Kammer an. Eine Wohnung, in der es keine zumutbaren Waschmöglichkeiten gebe, sei objektiv nicht vermietbar. Ob die Wohnung für die Beklagte zu 1. einen subjektiven Nutzungswert gehabt habe, sei unerheblich. Der von der Beschwerdeführerin erzielbare Mietzins, auf welchen es für die Bewertung des begehrten Nutzungsersatzes ankomme, sei gleich Null. Die Berufung der Beschwerdeführerin werde zurückgewiesen, weil die Beklagte zu 1. das von der Beklagten zu 2. bewohnte Appartement nicht mitbenutzt habe.

II.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Abweisung ihrer gegen die Beklagte zu 1. gerichteten Zahlungsklage sowie die Zurückweisung ihrer Berufung durch das Berufungsurteil des Landgerichts vom 11. September 2001 und rügt die Verletzung der Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG.

Sie trägt unter anderem vor, das Urteil verletze das Willkürverbot, weil es nach allgemeiner Lebenserfahrung geradezu unsinnig sei anzunehmen, dass der Defekt eines Warmwasserboilers bei ansonsten funktionierender Wasser- und Heizwärmeversorgung dazu führe, dass eine Wohnung nicht vermietbar und ihr Nutzungswert gleich Null sei. Sie habe im Ausgangsverfahren die Düsseldorfer Mietpreistabellen der Jahre 1993, 1994 und 1996 vorgelegt. Aus diesen sei ersichtlich, dass es ortsübliche Vergleichsmieten für Wohnungen der Baujahre bis 1960 gebe, die keinerlei Bade- oder Duschmöglichkeiten aufwiesen.

III.

1. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung ist gemäß § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG angezeigt, soweit durch das Urteil des Landgerichts das Urteil des Amtsgerichts abgeändert und die gegen die Beklagte zu 1. gerichtete Zahlungsklage abgewiesen wird. Insoweit verletzt das Urteil des Landgerichts die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG in der Ausprägung als Willkürverbot. Das Bundesverfassungsgericht hat die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen bereits entschieden (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

a) Willkürlich ist ein Richterspruch nur dann, wenn er nicht mehr verständlich, weil unter keinem denkbaren Aspekt mehr vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 74, 102 <127>; 87, 273 <278 f.>; 89, 1 <13 f.>). So liegt es hier.

Das Landgericht stellt für die Bemessung der begehrten Nutzungsentschädigung im Einklang mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung darauf ab, welcher Mietzins für die Wohnung bei objektiver Betrachtung hätte erzielt werden können, wenn sie nicht unbefugt genutzt worden wäre. Es ist sodann der Auffassung, dass die Beschwerdeführerin auch in dem Fall, dass die Wohnung am Wohnungsmarkt hätte angeboten werden können oder vermietet gewesen wäre, wegen der defekten Warmwasserversorgung im Badezimmer keinen Mietzins erzielt hätte. Dabei stützt es sich auf die gutachterlichen Äußerungen eines Sachverständigen für das Maler- und Lackierer-Handwerk.

Es mag dahinstehen, ob der angegriffenen Entscheidung nicht bereits eine dem Rechtsstaatsprinzip genügende Urteilsgrundlage fehlt, weil das Gericht den gutachtlichen Ausführungen eines Sachverständigen, der kein Mietpreissachverständiger ist und dessen Befundtatsachen bestritten sind, ohne nähere Prüfung dieser Tatsachen folgt (vgl. BVerfGE 91, 176 <182>).

Die Entscheidung begegnet jedenfalls im Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG (Willkürverbot) schon deshalb Bedenken, weil das Sachverständigengutachten die Feststellung des Landgerichts, dass die Wohnung keinen Nutzungswert hatte, nicht zu tragen geeignet ist. Es ist schlechthin nicht erkennbar, worauf der Sachverständige seine Erkenntnis stützt, eine Wohnung sei ohne Warmwasserboiler im Bad in Düsseldorf nicht vermietbar. Zu den im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Mietpreistabellen, die auch für Wohnungen ohne Bademöglichkeit in Düsseldorf einen Mietrichtwert enthalten, verhält sich das Gutachten nicht. Angesichts dessen ist es nicht mehr nachvollziehbar, dass sich die Entscheidung des Landgerichts allein auf das Gutachten stützt.

Die Begründung der angegriffenen Entscheidung ist aber auch im Ergebnis rechtlich nicht mehr vertretbar. Nach der Rechtsprechung ist von einem Nutzungswert "gleich Null" nur dann auszugehen, wenn eine Wohnung auf Grund der besonderen Umstände des Einzelfalls gänzlich unbewohnbar ist (vgl. Landgericht Mühlhausen, WuM 2001, S. 391). Bei Ausfall der Warmwasserversorgung wird durchweg nur eine Teilminderung gewährt (z.B. 15 %: Amtsgericht München, NJW-RR 1991, S. 845; 10 %: Kreisgericht Görlitz, WuM 1993, S. 113). Besondere Umstände, die für den vorliegenden Einzelfall die Annahme trügen, der erzielbare Mietzins läge gleichwohl bei Null, sind der angegriffenen Entscheidung nicht zu entnehmen.

b) Da das Urteil des Landgerichts somit aufzuheben ist, soweit es die gegen die Beklagte zu 1. gerichtete Zahlungsklage abweist, kann offen bleiben, ob diese Klageabweisung noch unter anderen Aspekten gegen das Willkürverbot oder andere Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechte verstößt.

2. Soweit sich die Beschwerdeführerin gegen die Zurückweisung ihrer Berufung in der angegriffenen Entscheidung wendet, genügt die Verfassungsbeschwerde bereits nicht den Darlegungsanforderungen (§ 92 BVerfGG).

3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin folgt aus § 34 a Abs. 2 BVerfGG. Soweit die Verfassungsbeschwerde zurückgewiesen wird, ist das Begehren der Beschwerdeführerin insoweit von untergeordneter Bedeutung, so dass ihr die notwendigen Auslagen in vollem Umfang zu erstatten sind (vgl. BVerfGE 32, 1 <39>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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