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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 15.09.2004
Aktenzeichen: 1 BvR 1924/04
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 1924/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 5. Juli 2004 - 8 U 0235/04 -

hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Jaeger und die Richter Hömig, Bryde gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93 d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 15. September 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Die gegen die Beschwerdeführer gerichtete Zwangsvollstreckung aus der vollstreckbaren Urkunde des Notars Karl-Heinz Moormann in Frankfurt am Main (UR-Nr. 362/93) wird bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen ausgesetzt.

2. Der Freistaat Sachen hat den Beschwerdeführern ihre notwendigen Auslagen im Verfahren der einstweiligen Anordnung zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Wirksamkeit der Unterwerfung der Beschwerdeführer unter die sofortige Zwangsvollstreckung im Zusammenhang mit ihrer Beteiligung an einem geschlossenen Immobilienfonds.

1. Ende 1991 schlossen die Beschwerdeführer zum Zweck ihrer Beteiligung an dem Fonds mit der TuV GmbH (im Folgenden: TuV) einen notariellen Geschäftsbesorgungsvertrag, dessen Gegenstand die Vornahme aller im Zusammenhang mit der Verwirklichung des Projekts stehenden Tätigkeiten war. Darin enthalten war eine umfassende Bevollmächtigung der TuV. Das Projekt sollte unter anderem durch die im Ausgangsverfahren beklagte Bank finanziert werden. Für die Beklagte wurde auf dem Grundstück eine Grundschuld eingetragen. Im Mai 1992 schloss die TuV unter Vorlage der notariellen Urkunden im Namen der Beschwerdeführer mit der Beklagten einen Zwischenfinanzierungsvertrag, in dem sich die Beschwerdeführer zur Abgabe einer Erklärung zur Unterwerfung unter die sofortige Zwangsvollstreckung verpflichteten.

2. Im Ausgangsverfahren erhoben die Beschwerdeführer gegen die beklagte Bank Klage mit dem Antrag, die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde für unzulässig zu erklären.

Das Landgericht wies die Klage ab. Zwar sei der Geschäftsbesorgungsvertrag der Beschwerdeführer mit der TuV wegen Verstoßes gegen Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1 des Rechtsberatungsgesetzes (RBerG) nichtig. Die Nichtigkeit erfasse auch die der TuV erteilte Vollmacht. Demnach sei auch die Unterwerfungserklärung nicht wirksam. Den Beschwerdeführern sei es jedoch nach Treu und Glauben (§ 242 BGB) verwehrt, sich darauf zu berufen.

Das Oberlandesgericht beabsichtigte, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil diese Argumentation in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stehe. Nach Erlass des entsprechenden Hinweisbeschlusses des Oberlandesgerichts erging am 14. Juni 2004 das Urteil des II. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs (II ZR 393/02; WM 2004, S. 1529). Zunächst war nur eine Pressemitteilung bekannt.

Die Beschwerdeführer baten das Oberlandesgericht unter Hinweis auf diese Pressemitteilung darum, mit der Entscheidung bis zur Veröffentlichung des Wortlauts der Entscheidung abzuwarten, zumindest aber nicht durch Beschluss zu entscheiden. Gleichwohl wies das Oberlandesgericht mit Beschluss vom 5. Juli 2004 die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück.

Am 19. Juli 2004 wurde der Volltext des Urteils durch den Bundesgerichtshof veröffentlicht. In dem Urteil vertritt der II. Zivilsenat die Auffassung, dass eine Bank, die in die Vertriebsorganisation der Initiatoren eines Fonds eingegliedert sei, was sich unter anderem darin zeigen könne, dass sie Darlehensverträge nicht mit den einzelnen Anlegern, sondern mit dem von den Initiatoren ausgewählten Treuhänder schließe, hinsichtlich der Vollmacht nicht wie ein gutgläubiger Dritter behandelt werden könne.

3. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung ihres Rechts auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

4. Die Beschwerdeführer beantragen, durch einstweilige Anordnung die Vollstreckung aus der notariellen Urkunde auszusetzen. Es müsse verhindert werden, dass sie durch eine Vollstreckung in den finanziellen Ruin getrieben würden, was unter Umständen nicht mehr rückgängig zu machen sei. Schon während des Ausgangsverfahrens sei die Zwangsvollstreckung vorläufig eingestellt gewesen.

II.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 32 Abs. 1 BVerfGG) hat Erfolg.

Nach vorläufiger Prüfung der Sach- und Rechtslage kann nicht festgestellt werden, dass die von den Beschwerdeführern erhobene Verfassungsbeschwerde unzulässig oder offensichtlich unbegründet ist. Bei offenem Ausgang des Verfassungsbeschwerdeverfahrens muss das Bundesverfassungsgericht die Folgen, die einträten, wenn eine einstweilige Anordnung nicht erginge, die Verfassungsbeschwerde aber Erfolg hätte, gegenüber den Nachteilen abwägen, die entstünden, wenn die begehrte einstweilige Anordnung erlassen würde, der Verfassungsbeschwerde aber der Erfolg zu versagen wäre (vgl. BVerfGE 94, 334 <347>; 96, 120 <128 f.>; stRspr). Danach ist dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattzugeben.

Ergeht die einstweilige Anordnung nicht, so kann die Beklagte aus der Urkunde die Zwangsvollstreckung gegen die Beschwerdeführer betreiben. Die von den Beschwerdeführern dargestellte Gefahr eines finanziellen Ruins ist nicht von der Hand zu weisen.

Ergeht hingegen die einstweilige Anordnung, ist die Beklagte für die Dauer der verfassungsrechtlichen Prüfung gehindert, die Zwangsvollstreckung aus der Urkunde zu betreiben. Falls die Verfassungsbeschwerde in dieser Konstellation keinen Erfolg hat, tritt für die Bank eine zeitliche Verzögerung bei der Durchsetzung ihrer Forderung ein. Dadurch besteht die Gefahr, dass die spätere Vollstreckung zwischenzeitlich vereitelt wird.

Werden die dargestellten Nachteile gegeneinander abgewogen, sprechen überwiegende Gesichtspunkte für die beantragte Einstellung der Zwangsvollstreckung. Die zeitliche Verzögerung der Vollstreckung fällt weniger ins Gewicht. Die Gefahr einer zwischenzeitlichen Vereitelung der Vollstreckung bestand schon während des Ausgangsverfahrens und wird durch einen weiteren Aufschub nicht mehr wesentlich erhöht. Zudem bleibt die Beklagte durch die Grundschuld gesichert. Die Folgen einer zwischenzeitlichen Vollstreckung für die Beschwerdeführer sind hingegen unter Umständen gravierend, auch wenn die Beklagte als solventer Schuldner vollstreckte Beträge zurückerstatten könnte.

Wegen der besonderen Dringlichkeit der Entscheidung hat die Kammer nach § 32 Abs. 2 BVerfGG von einer vorherigen Anhörung der Beteiligten abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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