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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 29.11.2005
Aktenzeichen: 1 BvR 2035/05
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 12 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2035/05 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 5. September 2005 - 26 W 51/05 -,

b) den Beschluss des Landgerichts Wiesbaden vom 21. Juni 2005 - 4 T 308/05 -

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungs-gerichts durch den Präsidenten Papier und die Richter Steiner, Gaier gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 29. November 2005 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Vergütung des Sachverständigen im Insolvenzverfahren, der zugleich zum "schwachen" vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt ist.

1. a) Der Beschwerdeführer wurde vom Insolvenzgericht zum vorläufigen Insolvenzverwalter bestimmt, ohne dass der Schuldnerin ein allgemeines Verfügungsverbot auferlegt worden wäre (so genannter "schwacher" Verwalter nach § 22 Abs. 2 der Insolvenzordnung <InsO> im Gegensatz zum "starken" Verwalter des § 22 Abs. 1 InsO). Außerdem wurde er mit der Erstellung eines Gutachtens beauftragt, das klären sollte, ob die Schuldnerin zahlungsunfähig oder überschuldet war, ob eine die Kosten deckende Masse vorhanden war und ob Anordnungen zur vorläufigen Sicherung der Masse erforderlich seien. Er erstattete das Gutachten und beantragte dafür eine Vergütung nach einem Stundensatz von 95 € gemäß der Honorargruppe 10 des § 9 Abs. 1 des Gesetzes über die Vergütung von Sachverständigen, Dolmetscherinnen, Dolmetschern, Übersetzerinnen und Übersetzern sowie die Entschädigung von ehrenamtlichen Richterinnen, ehrenamtlichen Richtern, Zeuginnen, Zeugen und Dritten (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz - JVEG).

Das Amtsgericht entsprach dem Antrag. Auf Beschwerde der Staatskasse setzte das Landgericht die Vergütung abweichend gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 JVEG in Anlehnung an § 9 Abs. 2 JVEG auf 65 € pro Stunde fest.

Die weitere Beschwerde des Beschwerdeführers blieb ohne Erfolg. Das Oberlandesgericht folgte dem Landgericht im Ergebnis (veröffentlicht ZInsO 2005, S. 1042). Der Stundensatz des Beschwerdeführers bestimme sich unmittelbar nach § 9 Abs. 2 JVEG. Die Vorschrift könne gemäß ihrem Wortlaut auch auf den "schwachen" Verwalter angewendet werden. Dies stehe in Einklang mit der Gesetzesbegründung, die keinen Anhaltspunkt dafür gebe, dass bei § 9 Abs. 2 JVEG zwischen dem "starken" und dem "schwachen" Verwalter zu unterscheiden sei. Der Zweck der Vorschrift liege in der Vermeidung von Abrechnungsschwierigkeiten, die bei beiden Formen der Insolvenzverwaltung gleichermaßen aufträten. Es werde auch der Intention des Gesetzgebers genügt, die Vergütungen der Sachverständigen gegenüber dem früheren Recht zu verbessern. Ausweislich der Gesetzesbegründung sei nach dem zuvor geltenden § 3 des Gesetzes über die Entschädigung von Zeugen und Sachverständigen (im Folgenden: ZSEG) die Tätigkeit der Sachverständigen im Insolvenzverfahren mit dem Höchstsatz von 52 € entschädigt worden, während der Stundensatz nun auf 65 € angehoben sei.

b) Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung von Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG.

Es fehle bereits an einer ausreichend bestimmten Rechtsgrundlage für die Festsetzung der Vergütung des "schwachen" Verwalters, der zugleich als Sachverständiger tätig werde, wie aus der bisherigen Kontroverse über die Auslegung der einschlägigen Vorschriften deutlich werde (vgl. OLG Bamberg, ZIP 2005, S. 819; OLG München, Rpfleger 2005, S. 571; LG Aschaffenburg, ZIP 2005, S. 226; AG Kleve, ZIP 2005, S. 228).

Jedenfalls sei die festgesetzte Vergütung von 65 € am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG nicht mit dem Gebot der Verhältnismäßigkeit zu vereinbaren. Im Wirtschaftsleben würden derartige Gutachten von Wirtschaftsprüfern und entsprechend qualifizierten Rechtsanwälten oft mit den bei diesen üblichen Stundensätzen von über 300 € vergütet. Im vorliegenden Fall seien hoch spezielle Kenntnisse einzusetzen gewesen, dem müsse die Vergütung Rechnung tragen. Außerdem handele es sich um eine Verschlechterung der Vergütung, weil nach früherem Recht verbreitet der Höchststundensatz von 78 € gemäß § 3 ZSEG festgesetzt worden sei.

Schließlich sei die Vergütung auch am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG nicht hinnehmbar. Eine Vergütung von 65 € bedeute, dass sachverständige Rechtsanwälte in gleicher Weise vergütet würden wie Angehörige der Honorargruppe 4 des § 9 Abs. 1 JVEG, also wie Sachverständige auf den Gebieten "Fußböden", "Heizungs-, Klima- und Lüftungstechnik" und "Holzbau". Dies sei keine vertretbare Zuordnung.

2. Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.

a) Vergütungsregelungen und hierauf gründende Entscheidungen, die auf die Einnahmen, welche durch eine berufliche Tätigkeit erzielt werden können, und damit auch auf die Existenzerhaltung von nicht unerheblichem Einfluss sind, greifen in die Freiheit der Berufsausübung ein und sind daher am Maßstab des Art. 12 Abs. 1 GG zu messen (vgl. BVerfGE 88, 145 <159>; 101, 331 <347>). Vergütungsregelungen in diesem Sinne stellen auch die gesetzlich bestimmten Sätze zur Vergütung gerichtlich in Anspruch genommener Sachverständiger dar (vgl. BVerfGE 33, 240 <244>; 85, 329 <334>).

b) Eingriffe in die Freiheit der Berufsausübung bedürfen nach Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG einer gesetzlichen Grundlage, die den Anforderungen des Grundgesetzes an grundrechtsbeschränkende Gesetze genügt.

aa) Zu diesen Anforderungen gehört der Grundsatz der Normenklarheit. Anhand der gesetzlichen Regelung muss der Betroffene die Rechtslage so erkennen können, dass er sein Verhalten daran auszurichten vermag. Zwar erhöhen sich die Anforderungen an die Klarheit der Norm, wenn die Unsicherheit bei der Gesetzeslage die Betätigung von Grundrechten erschwert (vgl. BVerfGE 108, 52 <75>; 110, 33 <53>; BVerfG, Urteil des Ersten Senats, NJW 2005, S. 2603 <2607>). Die Auslegungsbedürftigkeit steht jedoch dem Bestimmtheitserfordernis nicht entgegen, solange die Auslegung unter Nutzung der juristischen Methodik zu bewältigen ist (vgl. BVerfGE 93, 213 <238>; 110, 33 <56 f.>).

Wie die Entscheidung des Oberlandesgerichts zeigt, ist die von ihm herangezogene Vorschrift des § 9 Abs. 2 JVEG einer Auslegung anhand der üblichen Methoden ohne weiteres zugänglich. Auch unter Berücksichtigung dessen, dass hier die Betätigung eines Grundrechts, der Berufsausübungsfreiheit, betroffen ist, ist dem Gebot der Normenklarheit damit genügt.

bb) Ist hiernach das Gebot der Normenklarheit gewahrt, so ist es grundsätzlich nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts zu entscheiden, welche von mehreren Auslegungsmöglichkeiten einer Norm zutrifft. Die Auslegung des einfachen Rechts ist allein Sache der dafür allgemein zuständigen Gerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Das Bundesverfassungsgericht hat nur zu gewährleisten, dass dabei die Anforderungen des Grundgesetzes eingehalten werden (vgl. BVerfGE 18, 85 <92>; 96, 375 <394>). Vor diesem Hintergrund begegnet die Anwendung des § 9 Abs. 2 JVEG durch das Oberlandesgericht keinen Bedenken.

(1) Das Vorgehen des Oberlandesgerichts bei der Gewinnung seines Auslegungsergebnisses ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden. Zur Auslegung des einfachen Gesetzesrechts hat sich das Oberlandesgericht mit dem Wortlaut des § 9 Abs. 2 JVEG auseinander gesetzt, die Gesetzesbegründung zu Rate gezogen, den Zweck der Vorschrift geprüft und das Ergebnis an der Intention des Gesetzgebers gemessen. Gegen die Heranziehung dieser herkömmlichen Auslegungsmethoden bestehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BVerfGE 82, 6 <11>).

(2) Auch das vom Oberlandesgericht gefundene Ergebnis, wonach der Beschwerdeführer für seine Sachverständigentätigkeit mit 65 € pro Stunde vergütet wird, ist mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar.

Art. 12 Abs. 1 GG schützt den Grundrechtsträger auch davor, dass ihm durch staatliche Regelung eine unangemessen niedrige Vergütung zugemutet wird (vgl. BVerfGE 101, 331 <350>). Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Staat bei der Indienstnahme Privater für öffentliche Aufgaben, wie etwa für Sachverständigentätigkeit, eine Vergütung in der auf dem freien Markt für vergleichbare Leistungen erzielbaren Höhe vorzusehen hätte (vgl. BVerfGE 33, 240 <247>; 85, 329 <334>). Insbesondere muss sich der Gesetzgeber nicht an den Einkünften von Spitzenverdienern orientieren (vgl. BVerfGE 33, 240 <247>). Er war daher nicht gehalten, seiner Vergütungsregelung die vom Beschwerdeführer angeführten Stundensätze von über 300 € zugrunde zu legen.

Hinzu kommt, dass die Sachverständigenvergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters nicht isoliert betrachtet werden darf, sondern im Kontext mit der ihm zusätzlich zustehenden Vergütung für die Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter zu sehen ist. Unbeschadet der Zuweisung weiterer Pflichten nach § 22 Abs. 2 InsO nimmt der "schwache" vorläufige Insolvenzverwalter im Insolvenzeröffnungsverfahren zumindest Aufsichts- und Sicherungsfunktionen wahr (vgl. Uhlenbruck, in Gottwald, Insolvenzrechts-Handbuch, 2. Aufl. <2001>, § 14 Rn. 29). Ihm obliegt es insbesondere, dem Gericht Erkenntnisse über Beeinträchtigungen des Sicherungszwecks mitzuteilen, damit weitere Sicherungsmaßnahmen geprüft und angeordnet werden können (vgl. Haarmeyer, in: Münchener Kommentar zur InsO, 2001, § 22 Rn. 30). Da sich beide Tätigkeiten überschneiden, etwa bei der Erarbeitung des Gutachtens auf Erkenntnisse aus der Tätigkeit als vorläufiger Insolvenzverwalter zurückgegriffen werden kann, oder die Ergebnisses des Gutachtens auch für die Aufsichtstätigkeit nutzbar sind, kommt es in gewissem Umfang zu einer doppelten Vergütung.

Verfassungsrechtlich unbedenklich ist auch, dass bei der vom Oberlandesgericht gefundenen Lösung der Vergütungssatz von 65 € pro Stunde festgelegt ist und nicht gesondert den konkreten Umständen des Einzelfalls angepasst werden kann. Damit können zwar im Einzelfall die herausragende fachliche Qualifikation eines Sachverständigen und die Notwendigkeit, diese Fähigkeiten zur Erstellung eines Gutachtens einzusetzen, keine Berücksichtigung finden. Der Gesetzgeber ist jedoch nicht gehindert, bei der Festsetzung der Vergütung von Sachverständigen zu verallgemeinern (vgl. BVerfGE 33, 240 <247>). Außerdem gilt auch hier, dass sich solche besonderen Umstände des Einzelfalls entsprechend in der Vergütung für den vorläufigen Insolvenzverwalter niederschlagen (vgl. § 11 Abs. 1 Satz 2 InsVV) und damit die starre Vergütungsregelung für Sachverständige mildern.

Zu berücksichtigen ist zudem, dass ein Insolvenzverwalter mit der hohen Qualifikation, wie sie der Beschwerdeführer für sich in Anspruch nimmt, den ganz überwiegenden Teil seiner Einkünfte nicht durch Gutachten der hier in Rede stehenden Art, sondern durch Vergütungen als Insolvenzverwalter erzielen wird. Der Beschwerdeführer macht demgemäß auch nicht geltend, durch die nach seiner Einschätzung zu geringe Vergütung existenziell betroffen zu sein.

Schließlich kann dahinstehen, ob entgegen der in den Gesetzesmaterialien (BTDrucks 15/2487, S. 140) vertretenen Ansicht nach früherem Recht ein regelmäßiger Stundensatz von 78 € zulässig gewesen wäre. Selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte und der Beschwerdeführer somit durch die Neuregelung eine Kürzung hinnehmen muss, führt dies nicht zur Verfassungswidrigkeit des § 9 Abs. 2 JVEG. Es gibt keinen verfassungsrechtlich garantierten Besitzstandsschutz hinsichtlich der Höhe von Sachverständigenvergütungen. Die Verfassungsmäßigkeit wird auch nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Gesetzgeber dann von seiner erklärten Absicht, die Vergütung zu erhöhen (BTDrucks 15/2487, S. 140), unwissentlich abgewichen wäre.

c) Art. 3 Abs. 1 GG ist ebenfalls nicht verletzt. Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG gebietet zwar auch, Ungleiches seiner Eigenart entsprechend verschieden zu behandeln, auch wenn der Gesetzgeber nicht gehalten ist, Ungleiches unter allen Umständen ungleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 110, 141 <167>).

Die Vergütung des vorläufigen Insolvenzverwalters als Sachverständiger mit 65 € pro Stunde stellt jedoch nur scheinbar eine Gleichbehandlung mit den Sachverständigen auf den Gebieten der Honorargruppe 4 des § 9 Abs. 1 JVEG dar. In der Gliederung des § 9 JVEG wird dies deutlich in der gesonderten Erwähnung des Falles in einem eigenen Absatz. Der sachliche Unterschied liegt in dem oben erwähnten Umstand, dass die Sachverständigenvergütung in der Sonderkonstellation des § 9 Abs. 2 JVEG faktisch ergänzt wird durch einen Teil der Vergütung als vorläufiger Insolvenzverwalter, so dass sich bei wirtschaftlicher Betrachtung letztlich eine höhere Vergütung ergibt.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).

Ende der Entscheidung

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