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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 13.09.2001
Aktenzeichen: 1 BvR 2069/00
Rechtsgebiete: GG, BVerfGG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3
GG Art. 3 Abs. 1
BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe b
BVerfGG § 93 d Abs. 1 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2069/00 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 2. Oktober 2000 - 20 W 598/99 -,

b) den Beschluss des Landgerichts Frankfurt am Main vom 29. November 1999 - WE 1/91 -

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Jaeger und die Richter Hömig, Bryde gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 13. September 2001 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen zivilgerichtliche Entscheidungen, mit denen den Beschwerdeführern eine Entschädigung für Aktien versagt worden ist, die am Ende des Zweiten Weltkriegs verloren gegangen sind.

I.

1. Die Beschwerdeführer begehrten im Ausgangsverfahren die Feststellung, dass ihnen nach Wertpapierrecht dem Grunde nach ein Anspruch auf Entschädigung für 410.000 RM Aktien zustehe, die nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im heutigen Tschechien beschlagnahmt wurden. Das Landgericht hat den Antrag durch Beschluss abgelehnt, weil die Voraussetzungen für den behaupteten Anspruch nach dem Wertpapierbereinigungsschlussgesetz (im Folgenden: WBSchlG) von den Beschwerdeführern nicht glaubhaft gemacht worden seien. Die daraufhin eingelegte sofortige Beschwerde, mit der die Beschwerdeführer unter anderem vorgetragen hatten, vor dem Landgericht habe eine mündliche Verhandlung nicht stattgefunden, auf die auch in der Beschwerdeinstanz nicht verzichtet werde, hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. In der Sache sei die Entscheidung des Landgerichts nicht zu beanstanden. Dieses habe in dem vorliegenden Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit auch keine mündliche Verhandlung anberaumen müssen, weil kein Aufklärungsbedarf mehr bestanden habe. Für das Rechtsbeschwerdeverfahren gelte nichts anderes.

2. Mit der Verfassungsbeschwerde wenden sich die Beschwerdeführer gegen die Entscheidungen des Land- und des Oberlandesgerichts. Gerügt wird die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und von Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot.

Die angegriffenen Entscheidungen verstießen gegen Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, weil die Zivilgerichte ohne öffentliche mündliche Verhandlung entschieden hätten. Ein wertpapierrechtliches Anerkennungsverfahren der hier vorliegenden Art falle, weil es materiell infolge seines pekuniären Charakters eine zivilrechtliche Streitigkeit im Sinne von Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (im Folgenden: EMRK) darstelle, in den Anwendungsbereich des aus Art. 20 Abs. 3 GG folgenden Grundsatzes der Mündlichkeit gerichtlicher Verhandlungen. Zumindest in einer Tatsacheninstanz müsse mündlich verhandelt werden. Die Beschwerdeführer hätten im Ausgangsverfahren darauf nicht verzichtet, das Absehen von einer mündlichen Verhandlung gegenüber dem Oberlandesgericht vielmehr ausdrücklich gerügt. In der Sache halten sie die angegriffenen Entscheidungen für willkürlich.

II.

Die Annahmevoraussetzungen liegen nicht vor.

1. Der Verfassungsbeschwerde kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG nicht zu. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist nicht nur geklärt, unter welchen Voraussetzungen ein Richterspruch im Verständnis des Art. 3 Abs. 1 GG willkürlich ist (vgl. BVerfGE 89, 1 <13 f.>), sondern inzwischen auch geklärt, dass der Grundsatz der Öffentlichkeit mündlicher Gerichtsverhandlungen ein Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips ist. Auch entspricht dieser Grundsatz dem allgemeinen Öffentlichkeitsprinzip der Demokratie und wird in Art. 6 Abs. 1 EMRK ergänzend dahin normiert, dass vor einem Gericht öffentlich verhandelt und das Urteil öffentlich verkündet wird. Der Grundsatz der Gerichtsöffentlichkeit gilt allerdings nicht ausnahmslos. Denn einer unbegrenzten Öffentlichkeit der Verhandlungen vor dem erkennenden Gericht stehen gewichtige Belange wie das Persönlichkeitsrecht der am Verfahren Beteiligten (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG), deren Anspruch auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) sowie die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege, insbesondere die ungestörte Wahrheits- und Rechtsfindung, entgegen (vgl. BVerfG, EuGRZ 2001, S. 59 <64 f.>).

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht nach § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung der von den Beschwerdeführern als verletzt gerügten Verfassungsrechte angezeigt.

a) Für einen Verstoß der angegriffenen Entscheidungen gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG ist nichts ersichtlich. Von einer Begründung wird insoweit gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

b) Auch die Rüge einer Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG führt nicht zur Annahme der Verfassungsbeschwerde nach § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG.

Die Beschwerdeführer wenden sich mit dieser Rüge nicht gegen die einfachrechtlichen Bestimmungen des für das Ausgangsverfahren maßgeblichen Verfahrensrechts. Danach waren auf dieses Verfahren gemäß § 16 Abs. 4 Satz 3 WBSchlG in Verbindung mit § 61 des Wertpapierbereinigungsgesetzes die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (im Folgenden: FGG) sinngemäß anzuwenden. Aus diesen Vorschriften lässt sich zwar nicht herleiten, dass in gerichtlichen Verfahren nach dem genannten Gesetz öffentlich zu verhandeln ist; § 8 FGG verweist nicht auf die Regelung über die Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen in § 169 Satz 1 GVG, der zufolge § 2 EGGVG unmittelbar nur für die ordentliche streitige Gerichtsbarkeit gilt. Doch geht den Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit nach dem einschlägigen Schrifttum Art. 6 Abs. 1 EMRK als das spätere Gesetz mit der Folge vor, dass in privatrechtlichen Streitsachen der freiwilligen Gerichtsbarkeit regelmäßig öffentlich zu verhandeln ist, soweit in ihnen über vermögensrechtliche Ansprüche zu entscheiden ist (vgl. vor allem Kahl, in: Keidel/Kuntze/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 14. Aufl. 1999, Vorb vor §§ 8 bis 18 Rn. 7, 7 a; aber auch Brehm, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 2. Aufl. 1993, Rn. 315; Bumiller/Winkler, Freiwillige Gerichtsbarkeit, 7. Aufl. 1999, §§ 8, 9 Rn. 17).

Ob und inwieweit danach im Ausgangsverfahren hätte mündlich verhandelt werden müssen und ob in einer Nichtbeachtung des Art. 6 Abs. 1 EMRK hier zugleich ein Verfassungsverstoß gesehen werden müsste, kann dahingestellt bleiben. Eine etwaige Verletzung des Verfassungsgrundsatzes der Gerichtsöffentlichkeit einschließlich der Mündlichkeit der gerichtlichen Verhandlung hätte jedenfalls kein besonderes Gewicht (vgl. dazu und zum Folgenden BVerfGE 90, 22 <25>). Das Oberlandesgericht als letztinstanzliches Gericht hat eine mündliche Verhandlung für entbehrlich gehalten, weil ein Aufklärungsbedarf im Hinblick auf den Vortrag der Beschwerdeführer zur Sachlage nicht mehr bestanden habe. Diese Begründung lässt nicht auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten schließen. Auch für eine grobe Verkennung oder eine leichtfertige Behandlung grundrechtsgeschützter Rechtspositionen oder eine krasse Verletzung rechtsstaatlicher Prinzipien ist nichts erkennbar. Schließlich auch kann nicht angenommen werden, dass die geltend gemachte Verfassungsverletzung die Beschwerdeführer existentiell betrifft. An einer existentiellen Betroffenheit fehlt es trotz des im Ausgangsverfahren festgesetzten Gegen-standswerts von 1.644.000 DM deshalb, weil deutlich absehbar ist, dass die Beschwerdeführer auch im Fall einer Zurückverweisung der Sache an eines der Ausgangsgerichte im Ergebnis keinen Erfolg haben würden (vgl. dazu BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Sie haben nichts vorgetragen, was eine andere Beurteilung rechtfertigen könnte. Dem Beschwerdevorbringen ist insbesondere nicht zu entnehmen, dass die Beschwerdeführer in einer mündlichen Verhandlung noch Beweismittel hätten einführen können und wollen, deren Heranziehung eine für sie günstigere Entscheidung in der Sache hätte erwarten lassen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).

Ende der Entscheidung

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