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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 21.09.2000
Aktenzeichen: 1 BvR 2069/98 (1)
Rechtsgebiete: GG, RNPG, BRAO, BVerfGG


Vorschriften:

GG Art. 12 Abs. 1
RNPG § 1 Abs. 2
BRAO § 42
BVerfGG § 93 d Abs. 1 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2069/98 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

der Frau H...

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Johannes Eisenberg und Koll., Görlitzer Straße 74, Berlin -

gegen

a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 5. Oktober 1998 - AnwZ (B) 30/98 -,

b) den Beschluss des Sächsischen Anwaltsgerichtshofs beim Oberlandesgericht Dresden vom 6. März 1998 - AGH 11/95 (I) -,

c) den Bescheid des Sächsischen Staatsministeriums der Justiz vom 22. Juni 1995 - 1020E-I.5-816/92 -

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Kühling, die Richterin Jaeger und den Richter Hömig

am 21. September 2000 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Rücknahme ihrer Zulassung zur Rechtsanwaltschaft nach § 1 Abs. 2 des Gesetzes zur Prüfung von Rechtsanwaltszulassungen, Notarbestellungen und Berufungen ehrenamtlicher Richter vom 24. Juli 1992 (BGBl I S. 1386; im Folgenden: RNPG).

1. Die 1952 geborene Beschwerdeführerin war zwischen 1982 und 1988 in der Abteilung I a bei der Staatsanwaltschaft des Bezirks L. tätig, die mit der Verfolgung politischer Straftaten befasst war. Sie wirkte an zahlreichen Strafverfahren mit, die Vorwürfe wegen landesverräterischer Nachrichtenübermittlung und landesverräterischer Agententätigkeit oder versuchte ungesetzliche Grenzübertritte und Beeinträchtigungen staatlicher Tätigkeit betrafen (§§ 99, 100, 213, 214, 219 StGB/DDR). In diesen Verfahren wurden Freiheitsstrafen von bis zu vier Jahren beantragt und verhängt.

Seit 1. August 1990 ist die Beschwerdeführerin als Rechtsanwältin zugelassen. Die Landesjustizverwaltung nahm die Zulassung mit Bescheid vom 22. Juni 1995 zurück, weil die Tätigkeit in den politischen Strafverfahren im Sinne von § 1 Abs. 2 RNPG gegen die Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit verstoßen habe. Dieser Würdigung haben sich die nachfolgend angerufenen Gerichte angeschlossen. Nach Auffassung des Bundesgerichtshofs war die Beschwerdeführerin an zumindest 21 Strafverfahren mit schwerwiegenden Verletzungen der Grundsätze der Menschlichkeit oder der Rechtsstaatlichkeit beteiligt. Die Strafen, die unter Mitwirkung der Beschwerdeführerin verhängt worden seien, hätten in grobem Missverhältnis selbst zu den damals herrschenden Rechtsvorstellungen gestanden.

Inzwischen ist die Beschwerdeführerin durch Urteil des Landgerichts vom 25. Mai 1999 in zwei Fällen wegen Rechtsbeugung, jeweils in Tateinheit mit Freiheitsberaubung, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt ist. Die Revision der Beschwerdeführerin wurde insoweit vom Bundesgerichtshof am 8. März 2000 verworfen.

2. Die Beschwerdeführerin, die bisher kraft einstweiliger Anordnung weiterhin als Rechtsanwältin zugelassen ist, rügt die Verletzung ihres Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG. Die Entziehung der Zulassung habe Strafcharakter. Der Bundesgerichtshof habe die Zulassungsentziehung zu einem Zeitpunkt bestätigt, als die Beschwerdeführerin bereits acht Jahre beanstandungsfrei als Rechtsanwältin gearbeitet habe. Die erhobenen Vorwürfe könnten zu diesem Zeitpunkt die Besorgnis, dass die Beschwerdeführerin für die Zukunft der Integrität des Anwaltsstandes schade, nicht mehr rechtfertigen.

3. Zu der Verfassungsbeschwerde haben die Bundesrechtsanwaltskammer, die Rechtsanwaltskammer Sachsen, der Deutsche Anwaltverein und der Deutsche Juristinnenbund Stellung genommen.

II.

Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde liegen nicht vor.

1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Diese ist nur gegeben, wenn die Verfassungsbeschwerde eine verfassungsrechtliche Frage aufwirft, die sich nicht ohne weiteres aus dem Grundgesetz beantworten lässt und noch nicht durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt ist. Die hier mit der Verfassungsbeschwerde aufgeworfenen Fragen sind durch die Rechtsprechung geklärt (vgl. BVerfGE 92, 140; 93, 213; vgl. auch die Beschlüsse vom heutigen Tage in den Verfahren 1 BvR 661/96 und 1 BvR 514/97).

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Das ist der Fall, wenn die geltend gemachte Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten besonderes Gewicht hat oder den Beschwerdeführer in existentieller Weise betrifft. Eine solche existentielle Betroffenheit kann sich vor allem aus dem Gegenstand der angegriffenen Entscheidung oder seiner aus ihr folgenden Belastung ergeben. Ein besonders schwerer Nachteil ist jedoch dann nicht anzunehmen, wenn die Verfassungsbeschwerde keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat oder wenn deutlich abzusehen ist, dass der Beschwerdeführer auch im Falle einer Zurückverweisung an das Ausgangsgericht im Ergebnis keinen Erfolg haben würde (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).

Letzteres ist hier der Fall. Bei einer Aufhebung und Zurückverweisung zur erneuten Entscheidung könnten vor dem Bundesgerichtshof, der gemäß § 42 BRAO über die sofortige Beschwerde zu entscheiden hat, die aktuellen Tatsachen zugrunde gelegt werden (vgl. Feuerich/Braun, Kommentar zur Bundesrechtsanwaltsordnung, 4. Aufl., § 42 Rn. 16). Eine günstigere Entscheidung als diejenige, die der Bundesgerichtshof bereits getroffen hat, dass eine erneute Zulassung nicht vor dem Ende des Jahres 2002 in Betracht kommt, ist nach der inzwischen erfolgten Verurteilung wegen Rechtsbeugung in zwei Fällen nicht zu erwarten.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).



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