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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 30.09.2003
Aktenzeichen: 1 BvR 2072/02
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2072/02 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe - Zivilsenate in Freiburg - vom 26. September 2002 - 4 W 33/02 -,

b) den Beschluss des Landgerichts Freiburg vom 31. Mai 2002 - 6 O 121/00 -

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier, die Richterin Haas und den Richter Hoffmann-Riem gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 30. September 2003 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen die Ablehnung eines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine gegen eine Bank gerichtete Klage auf Schadensersatz wegen arglistiger Täuschung und Falschberatung im Zusammenhang mit der Finanzierung eines Hotelneubaus.

1. Den Antrag der Beschwerdeführerin auf Gewährung von Prozesskostenhilfe lehnte das Landgericht mit umfangreichem Beschluss (72 Seiten, davon 36 Seiten Tatbestand) ab. Mit 9-seitigem Beschluss traf es eine Nichtabhilfeentscheidung. Die Beschwerdeentscheidung des Oberlandesgerichts umfasst 10 Seiten.

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung der Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG. Mit den angegriffenen Beschlüssen würden die Anforderungen an die hinreichende Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung überspannt. Allein der Umfang der Beschlüsse verdeutliche, dass die Gerichte die Funktion des Prozesskostenhilfeverfahrens verkannt hätten. Es handele sich um einen in tatsächlicher wie rechtlicher Hinsicht äußerst komplexen, viele Fragen aufwerfenden Sachverhalt. Sämtliche Fragen seien jedoch mit vorweggenommener Beweiswürdigung im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden worden.

3. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens, das Justizministerium des Landes Baden-Württemberg und die Bundesgerichte hatten Gelegenheit zur Äußerung.

II.

Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung liegen nicht vor.

Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

Die angegriffenen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Recht aus Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG).

1. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gebieten Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG eine weit gehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes (vgl. BVerfGE 9, 124; 10, 264 <270>; 22, 83 <87>; 51, 295 <302>; 63, 380 <394>; 67, 245 <248>; 78, 104 <117 f.>). Verfassungsrechtlich ist es dabei unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Die Prüfung der Erfolgsaussicht soll jedoch nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das Nebenverfahren der Prozesskostenhilfe vorzuverlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>).

Die Auslegung und Anwendung des § 114 ZPO obliegen in erster Linie den zuständigen Fachgerichten. Verfassungsrecht ist erst verletzt, wenn die angegriffenen Entscheidungen Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen (vgl. BVerfGE 56, 139 <144> m.w.N.). Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Beurteilung der Erfolgsaussichten einer Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung in engem Zusammenhang mit der den Fachgerichten vorbehaltenen Feststellung und Würdigung des jeweils entscheidungserheblichen Sachverhalts und der ihnen gleichfalls obliegenden Auslegung und Anwendung des jeweils einschlägigen materiellen und prozessualen Rechts steht. Die Fachgerichte überschreiten den Entscheidungsspielraum, der ihnen bei der Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals der hinreichenden Erfolgsaussicht verfassungsrechtlich zukommt, erst dann, wenn sie einen Auslegungsmaßstab verwenden, durch den einer unbemittelten Partei im Vergleich zur bemittelten die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung unverhältnismäßig erschwert wird. Das ist namentlich dann der Fall, wenn das Fachgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung überspannt und dadurch der Zweck der Prozesskostenhilfe, dem Unbemittelten den weit gehend gleichen Zugang zu Gericht zu ermöglichen, deutlich verfehlt wird (vgl. BVerfGE 81, 347 <358>).

Dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit läuft es dabei zuwider, dem Unbemittelten wegen fehlender Erfolgsaussicht seines Begehrens Prozesskostenhilfe vorzuenthalten, wenn die Entscheidung in der Hauptsache von der Beantwortung einer schwierigen, bislang ungeklärten Rechtsfrage abhängt (vgl. BVerfGE 81, 347 <358>). Gleiches gilt, wenn eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil der Beschwerdeführerin ausgehen würde (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Februar 2002 - 1 BvR 1450/00 -, NJW-RR 2002, S. 1069).

2. Nach diesen Grundsätzen sind die angegriffenen Entscheidungen nicht zu beanstanden.

Allein aus dem Umfang einer Prozesskostenhilfeentscheidung kann nicht ohne weiteres geschlossen werden, dass die Entscheidung über die Hauptsache in das Prozesskostenhilfeverfahren verlagert oder schwierige Rechtsfragen entschieden wurden. Maßgebend sind die konkreten Umstände des Einzelfalls.

Danach ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, dass sich das Landgericht dafür entschieden hat, den dem Rechtsstreit zu Grunde liegenden komplexen Sachverhalt einschließlich des Inhalts der vorgelegten Urkunden und den umfangreichen Vortrag der Beschwerdeführerin sowie den der beklagten Bank ausführlich darzustellen. Dieser Teil nimmt allein 36 Seiten der insgesamt 72 Seiten umfassenden Entscheidung des Landgerichts ein. Hinzukommt, dass die Beschwerdeführerin Prozesskostenhilfe für insgesamt 9 Klageanträge, gestaffelt nach Haupt- und Hilfsanträgen, beantragt hat. Diese prüft das Landgericht nach allen in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen, wobei es deutlich macht, dass die Anträge jeweils aus mehreren, jeweils selbstständig tragenden Gründen keine Aussicht auf Erfolg bieten. Teilweise begründet das Gericht seine Entscheidung auch damit, dass eine Erfolgsaussicht selbst dann verneint werden müsste, wenn der Anspruch dem Grunde nach gegeben wäre. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass das Landgericht die Anforderungen an die Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung überspannt hätte. Vielmehr zeigt das Landgericht die fehlende Erfolgsaussicht der gestellten Anträge gerade dadurch auf, dass sich diese auf verschiedene Gründe stützen lässt. Auch der Umfang der Beschwerdeentscheidung, die sich die Gründe des landgerichtlichen Beschlusses hinsichtlich der Ausführungen zu den einzelnen Anspruchsgrundlagen zu Eigen macht und im Übrigen auf das Vorbringen in der Beschwerde eingeht, lässt nicht auf eine Verkennung des mit dem Prozesskostenhilfeverfahren verfolgten Zwecks schließen. Insoweit ist ebenfalls in Rechnung zu stellen, dass es um einen umfangreichen Sachverhalt ging und die Beschwerdeführerin ihre sofortige Beschwerde mit 88-seitigem Schriftsatz begründet hat.

Die Verfassungsbeschwerde zeigt auch nicht auf, dass das Landgericht und das Oberlandesgericht schwierige, bislang nicht geklärte Rechtsfragen im Prozesskostenhilfeverfahren entschieden hätten. Dafür ist auch nichts ersichtlich. Insbesondere war nicht entscheidungserheblich, welche Auswirkungen ein dem so genannten "Optima-Modell" entsprechender - unzulässiger - Lebensversicherungsvertrag auf die Wirksamkeit eines mit ihm gekoppelten Darlehensvertrages hat und welche Ansprüche gegen die Bank sich daraus ergeben. Denn ein solcher Vertrag lag nach der Auffassung des Oberlandesgerichts nicht vor. Da sich das Oberlandesgericht auf das im Parallelverfahren eingeholte Sachverständigengutachten beziehen konnte, hat es auch insoweit keine schwierige Rechts- oder Tatfragen im Prozesskostenhilfeverfahren geklärt.

Soweit die Gerichte Beweisprognosen angestellt haben, wurden die Grenzen zulässiger Beweisantizipation nicht überschritten. Insbesondere in der Würdigung der vorgelegten Urkunden liegt keine, die Anforderungen an die Erfolgsaussichten einer Klage überspannende Auslegung der Prozesskostenhilfevorschriften. Denn diese sehen ausdrücklich die Möglichkeit vor, dass das Gericht Erhebungen anstellen, insbesondere die Vorlage von Urkunden verlangen kann (§ 118 Abs. 2 Satz 2 ZPO). Aber auch mit der Einschätzung des Beweiswerts angebotener Zeugenaussagen haben die Gerichte den ihnen verfassungsrechtlich gezogenen Rahmen nicht überschritten. Die herrschende Auffassung der Rechtsprechung der Fachgerichte, dass eine Beweisantizipation in eng begrenztem Rahmen zulässig ist, hat das Bundesverfassungsgericht bereits mehrfach unbeanstandet gelassen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Februar 2002 - 1 BvR 1450/00 -, NJW-RR 2002, S. 1069). Dabei prüft das Bundesverfassungsgericht lediglich, ob konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass eine Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil der Beschwerdeführerin ausgehen würde. Das Bundesverfassungsgericht hat keine eigene Prognose der Erfolgsaussichten anzustellen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 7. Mai 1997 - 1 BvR 296/94 -, NJW 1997, S. 2745).

Danach kann ein Verfassungsverstoß nicht festgestellt werden. Dem Landgericht lagen zu den unter Zeugenbeweis gestellten Tatsachenbehauptungen eidesstattliche Versicherungen und Aussagen in einem im Zusammenhang mit dem Ausgangsverfahren stehenden strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vor, die ausreichend nachvollziehbare Anhaltspunkte für die Einschätzung des voraussichtlichen Ausgangs einer Zeugenvernehmung boten. Soweit das Landgericht an verschiedenen Stellen seiner Entscheidung darauf abstellt, dass der Mitgesellschafter K. in einem Hauptsacheverfahren als Zeuge voraussichtlich nicht zur Verfügung stehen werde, weil die Beklagte Drittwiderspruchsklage gegen den Zeugen angekündigt habe und dieser daher Partei sein werde, stellt diese Begründung jeweils eine von mehreren selbstständig tragenden Erwägungen dar.

Schließlich zeigt die Verfassungsbeschwerde auch mit den von ihr dargestellten "Einzelaspekten" nicht auf, dass die Gerichte die Anforderungen, die von Verfassungs wegen an die Erfolgsaussichten einer Klage gestellt werden dürfen, überspannt hätten. Die gerügten Erwägungen betreffen zum einen das Ergebnis der Auslegung der vorgelegten Vertragsurkunden. Insofern hat das Bundesverfassungsgericht nicht zu überprüfen, ob die von einem Gericht unter mehreren verfassungsgemäßen Auslegungsalternativen gewählte die vorzugswürdige ist (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 7. Mai 1997, aaO). Dafür, dass die Vertragsauslegung durch die Ausgangsgerichte unter keinem erkennbaren Gesichtspunkt mehr vertretbar, mithin willkürlich wäre, ist nichts ersichtlich. Zum anderen Teil greift die Verfassungsbeschwerde Erwägungen auf, mit denen ein Anspruch lediglich hilfsweise verneint wurde. Auf diesen Erwägungen beruhen die Entscheidungen nicht.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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