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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 01.03.2004
Aktenzeichen: 1 BvR 2099/03
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 6 Abs. 1
BVerfGG § 93 a Abs. 2
BVerfGG § 90 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2099/03 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen das Urteil des Bundessozialgericht vom 17. Juli 2003 - B 10 LW 15/01 R -

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier, den Richter Steiner und die Richterin Hohmann-Dennhardt gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 1. März 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Einbeziehung der Ehegatten privater Forstwirte in die Versicherungs- und Beitragspflicht nach § 1 Abs. 3 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte (ALG) vom 29. Juli 1994 (BGBl I S. 1890).

I.

Die Beschwerdeführerin ist versicherungspflichtig beschäftigt. Als ihr Mann 1997 ein etwa 81 ha großes forstwirtschaftliches Unternehmen erbte, wurde sie zur landwirtschaftlichen Alterssicherung herangezogen, ist aber seitdem nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ALG von der Versicherungspflicht befreit. Mit ihrer erfolglos gebliebenen Klage und ihrer Verfassungsbeschwerde rügt sie die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG.

Sie trägt unter anderem vor, Forst- und Landwirtschaft hätten keine sachlichen Gemeinsamkeiten. Die meisten privaten Forstwirte wohnten weitab von ihrem Forstbetrieb in Städten. Ihr Ehemann und sie leiteten den Betrieb nicht selbst, sondern ließen die notwendigen Arbeiten durch Lohnunternehmen erledigen. Ihre Unternehmerstellung ähnele eher der Vermögensverwaltung als der Landwirtschaft. Die Ehefrauen von Männern mit Forstbesitz seien in keiner Weise mit auf dem Feld tätigen Bäuerinnen zu vergleichen. Die Forstwirtschaft sei für eine familienhafte Mitarbeit strukturell ungeeignet. Allenfalls arbeiteten 10 vom Hundert der Forstwirtsehegatten in der Verwaltung des Unternehmens mit. Typisierungsgründe könnten daher die Versicherungspflicht nicht rechtfertigen. Auch mache es anders als bei Landwirten in der Forstwirtschaft strukturpolitisch keinen Sinn, die Abgabe des Unternehmens an Jüngere mit den Mitteln des Sozialversicherungsrechts zu fördern.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nach § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht zur Entscheidung anzunehmen. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg. Sie ist zwar zulässig. Insbesondere ist die Beschwerdeführerin trotz ihrer fortdauernden Befreiung beschwerdebefugt nach § 90 Abs. 1 BVerfGG, weil sie bei einem Ausscheiden aus ihrer rentenversicherungspflichtigen Tätigkeit vor ihrem 65. Geburtstag wieder beitragspflichtig würde. Das angegriffene Gerichtsurteil und die ihm zugrunde liegenden Vorschriften verletzen die Beschwerdeführerin jedoch nicht in ihren Grundrechten.

1. In seinem Beschluss vom 9. Dezember 2003 (1 BvR 558/99) hat das Bundesverfassungsgericht die Einbeziehung der Ehegatten von Landwirten in die Alterssicherung der Landwirte durch § 1 Abs. 3 ALG für verfassungsmäßig gehalten. Nicht entschieden hat es die Frage, ob der Gesetzgeber Art. 3 Abs. 1 GG verletzt, wenn er die Ehegatten privater Forstwirte nicht anders als Landwirtsehegatten in die Versicherungspflicht einbezieht. Diese Frage ist zu verneinen.

a) Art. 3 Abs. 1 GG verbietet dem Gesetzgeber, ohne hinreichend gewichtigen Grund Gleiches ungleich oder wesentlich Ungleiches gleich zu behandeln (vgl. BVerfGE 98, 365 <385>). Die Anforderungen an den rechtfertigenden Grund reichen je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmal vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 99, 367 <388>). Eine großzügige Prüfung ist insbesondere dann angezeigt, wenn eine Regelung Ungleiches gleich behandelt (vgl. BVerfGE 90, 226 <239>). Es ist Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, welche Merkmale für eine Regelung relevant sind. In diesem Rahmen ist er nicht zu jeder Differenzierung verpflichtet, die er vornehmen kann (vgl. BVerfG, a.a.O.). Ein ausreichender Grund für eine ansonsten nicht gerechtfertigte Gleich- oder Ungleichbehandlung kann insbesondere in der Befugnis des Gesetzgebers zur Typisierung und Generalisierung liegen. Sie setzt voraus, dass die aus der Typisierung folgenden Härten und Ungerechtigkeiten nur unter Schwierigkeiten vermeidbar wären, verhältnismäßig wenige Personen betreffen und der Gleichheitssatz nicht sehr intensiv beeinträchtigt ist (vgl. BVerfGE 100, 59 <90> m.w.N.).

b) Diesen Anforderungen genügt die Einbeziehung der Forstwirtsehegatten in die landwirtschaftliche Alterssicherung.

aa) Die Forstwirtschaft weist hinreichende Gemeinsamkeiten mit den anderen in § 1 Abs. 4 ALG erfassten Wirtschaftszweigen, vor allem der Landwirtschaft, auf. Diese Wirtschaftszweige haben neben ihrer ökonomischen eine vergleichbare ökologische, klimatische, landschaftsbildende und soziokulturelle Bedeutung (vgl. Gesamtwaldbericht der Bundesregierung 2001, BTDrucks 14/6750, S. 19 ff.). Land- und Forstwirtschaft haben insbesondere wirtschaftliche Gemeinsamkeiten. Sie beruhen auf Bodenbewirtschaftung, so dass ihr Ertrag stark von nicht zu beeinflussenden natürlichen Faktoren abhängt. Die Wirtschaftslage in beiden Bereichen ist seit langem ungünstig. Die Erträge der großen Privatforsten mit mehr als 200 ha Waldfläche sind zwischen 2000 und 2001 von 75 € auf 7 € je ha Holzbodenfläche zurückgegangen. In kleineren Betrieben traten zum Teil Verluste auf (vgl. Ernährungs- und agrarpolitischer Bericht der Bundesregierung 2003, BTDrucks 15/405, S. 38 ff.). Aus diesen Gründen unterliegen Land- und Forstwirte gleichermaßen einem erhöhten Verschuldungs- und Insolvenzrisiko; die Unternehmen werden noch selten in einer haftungsmildernden gesellschaftsrechtlichen Form betrieben (vgl. § 3 HGB). Wegen dieser Gemeinsamkeiten werden Land- und Forstwirtschaft rechtlich oft einheitlich behandelt und vielfach begünstigt (vgl. § 4 Abs. 3, § 13 a EStG; § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB). Eine besondere soziale Absicherung im Alter, die gleichermaßen für Land- und Forstwirte gilt, trägt dem besonderen Schutzbedürfnis der Unternehmer Rechnung und trägt zum Erhalt dieser Wirtschaftszweige bei.

bb) Auch die Ehegatten von Forstwirten dürfen ohne Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in die gesetzliche Alterssicherung einbezogen werden.

(1) Das besondere Schutzbedürfnis, das bei Landwirtsehegatten die Versicherungspflicht rechtfertigt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 9. Dezember 2003, a.a.O., Umdruck S. 22 ff.), besteht grundsätzlich auch bei den Ehegatten von Forstwirten. Die meisten Forstwirtschaften, nämlich rund 90 vom Hundert, sind gemischte land- und forstwirtschaftliche Unternehmen (vgl. BTDrucks 15/405 S. 38 Nr. 86). Hier sind die Ehegatten wie bei Nur-Landwirtschaften durch ihre Mitarbeit im Betrieb, durch die fehlende oder verminderte berufliche Mobilität als Folge der Bindung des Haushalts an einen Standort und durch eine besondere, aus der Größe landwirtschaftlicher Haushalte resultierende Arbeitsbelastung typischerweise stärker als andere am Aufbau einer eigenen Alterssicherung gehindert. Zumindest teilweise besteht die so begründete Schutzbedürftigkeit auch bei den Ehegatten reiner Forstwirte, selbst wenn der Vortrag der Beschwerdeführerin zutrifft, dass diese Gruppe meist weit entfernt vom forstwirtschaftlichen Unternehmen wohnt und strukturbedingt nicht mitarbeitet. Es bleibt die erhöhte Gefahr, dass bei einer Überschuldung oder Insolvenz des Unternehmens das Familieneinkommen absinkt und daher die Mittel für eine eigene Altersvorsorge fehlen. Daran darf der Gesetzgeber im Rahmen seiner Befugnis zur Typisierung anknüpfen.

(2) Ist - wie das Bundesverfassungsgericht entschieden hat (vgl. Beschluss vom 9. Dezember 2003, a.a.O.) - die Versicherungspflicht für die Ehegatten von Landwirten, die nicht im Betrieb mitarbeiten, verfassungsgemäß, so ist der Gesetzgeber nicht gehalten, für Mischbetriebe eine Versicherungspflicht nur für den landwirtschaftlichen Anteil vorzusehen, sofern sich dieser überhaupt praktikabel von der Forstwirtschaft abtrennen lässt.

Eine abweichende Behandlung wäre allenfalls für die rein forstwirtschaftlichen Privatbetriebe angezeigt. Jedoch darf der Gesetzgeber auch insoweit typisieren. Dafür sprechen zunächst Gründe der Verwaltungspraktikabilität. Für die Alterskassen wäre eine entsprechende Differenzierung mit zusätzlichem Ermittlungsaufwand verbunden. Die Abgrenzung zwischen land- und forstwirtschaftlicher Tätigkeit kann im Einzelfall zudem schwierig sein. Auch ist ein Wechsel in der Nutzung von Boden, durch Rodung oder Aufforstung beispielsweise, möglich. Ebenso schwierig dürfte festzustellen sein, in welchen Einzelfällen ein Forstwirtsehepaar in einer Weise vom Betrieb wirtschaftlich unabhängig ist, dass der Ehegatte nicht schutzbedürftig ist.

Die Versicherungspflicht trifft zudem nur sehr wenige Forstwirtsehegatten. Zunächst ist die Zahl der betroffenen Unternehmen gering. Nur etwa 17.000 der Forstwirtschaften in Deutschland sind Privatunternehmen (Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland 2001, Tab. 8.2, S. 147). Ins Verhältnis zu setzen ist diese Zahl zur Zahl aller land- und forstwirtschaftlichen Betriebe im Sinne von § 1 Abs. 4 ALG einschließlich der Imkereien, Binnenfischereien und Wanderschäfereien, weil der Gesetzgeber diese Unternehmen wegen ihrer Gemeinsamkeiten ohne Verfassungsverstoß sozialversicherungsrechtlich zusammenfassen durfte. Hierzu gehören neben den 27.800 Forstwirtschaften allein 394.600 Landwirtschaften einschließlich der Mischbetriebe (vgl. BTDrucks 15/405, S. 20 Nr. 34, S. 38 Nr. 86). Die rein forstwirtschaftlichen Privatunternehmen machen von der Gesamtzahl weniger als 4,5 vom Hundert aus. Weiterhin wird nur ein Teil dieser Unternehmen von natürlichen Personen oder Personengesellschaften betrieben. Nicht alle Inhaber sind verheiratet. Auch dürfte ein Teil der Forstwirtsehegatten versicherungsfrei sein (§ 2 ALG).

Die dann noch von der Versicherungspflicht erfassten Forstwirtsehegatten sind nicht schwer betroffen. Viele von ihnen, darunter die Beschwerdeführerin, sind zumindest auf Zeit nach § 3 Abs. 1 ALG befreit. Sind sie nicht befreit, müssen sie zwar Beiträge zahlen. Diese Last wird jedoch bei geringeren Einkommen durch die steuerfinanzierten Beitragszuschüsse nach § 32 ALG abgemildert, die bis zu 60 vom Hundert der Beitragshöhe erreichen können. Die versicherten Ehegatten erhalten im Alter, bei Erwerbsminderung und grundsätzlich auch nach dem Tode des Forstwirts eine Rente (§§ 11 ff. ALG). Die Rendite ihrer Beiträge ist relativ gut (vgl. hierzu BVerfG, Beschluss vom 9. Dezember 2003, a.a.O., Umdruck S. 32).

2. Ebenfalls keinen Erfolg hat die Beschwerdeführerin mit ihrem Vorbringen, die Versicherungspflicht verletze Art. 2 Abs. 1 GG.

a) Sie kann sich nicht darauf berufen, sie bedürfe keiner Rente aus der landwirtschaftlichen Alterssicherung. Um eine insgesamt leistungsfähige Solidargemeinschaft in der landwirtschaftlichen Alterssicherung zu schaffen und zu erhalten, ist der Gesetzgeber nicht gehalten, Bürgern in wirtschaftlich guter Situation die Möglichkeit zu geben, die Versichertengemeinschaft zu verlassen. Im Übrigen kann sich ein Versicherter bei der Einschätzung seines Bedarfs an einer gesetzlichen Rente irren und später, wäre er nicht rentenberechtigt, auf öffentliche Hilfe angewiesen sein. Der Gesetzgeber durfte auch davon ausgehen, dass eine private Vorsorge gegenüber der Absicherung des Altersrisikos in der Sozialversicherung eine geringere Versorgungssicherheit aufweist. Im Übrigen würde es die landwirtschaftlichen Alterskassen überfordern, wenn sie in Einzelfällen überprüfen müssten, ob die zu erwartenden Rendite einer privaten Vorsorge im Alter ausreichen wird. Den Interessen besonders gut verdienender Versicherter, nicht übermäßig belastet zu werden, dienen in der gesetzlichen Rentenversicherung die Beitragsbemessungsgrenze und in der landwirtschaftlichen Alterssicherung der Fixbeitrag.

b) Auch die Verknüpfung zwischen der Gewährung einer Altersrente und der Abgabe des Hofes durch den Ehemann in § 11 Abs. 1 Nr. 3 ALG führt zu keiner anderen verfassungsrechtlichen Beurteilung. Ein Landwirtsehegatte, der älter ist als der Unternehmer, kann nach § 21 Abs. 9 Satz 3 ALG zunächst Rente beziehen, auch ohne dass der Hof abgegeben ist. Sein Rentenanspruch endet nach § 21 Abs. 9 Satz 4 in Verbindung mit Satz 2 ALG, wenn der Unternehmerehegatte das 65. Lebensjahr erreicht oder erwerbsunfähig wird, aber das Unternehmen fortführt. Durch die Regelung wird die Versicherungspflicht jedoch nicht mit Art. 2 Abs. 1 GG unvereinbar. Generell dient die Regelung der Erreichung eines der mit der landwirtschaftlichen Alterssicherung verfolgten Ziele, nämlich die Übergabe landwirtschaftlicher Unternehmen an jüngere Inhaber zu fördern (vgl. BVerfGE 25, 314 <315>).

Grundsätzlich besteht auch in der Forstwirtschaft für den Unternehmerehegatten ein ausreichender Anreiz zur Abgabe des Unternehmens, weil hiervon auch der eigene Rentenanspruch aus der landwirtschaftlichen Alterssicherung abhängt. Dies gilt zwar nicht für befreite Nebenerwerbslandwirte. Diese erwerben in aller Regel mit dem 65. Lebensjahr oder bei Erwerbsunfähigkeit einen Anspruch aus der gesetzlichen Rentenversicherung (§§ 35, 43 SGB VI) oder aus einer vergleichbaren, zum Beispiel einer berufsständischen Versorgung. Dies dürfte aber ein ausreichender Anreiz zur Abgabe sein, weil ein Ehepaar mit zwei Renten der Einkünfte aus dem Unternehmen nicht mehr bedarf. Im Übrigen kann ein Unternehmer unter Umständen im Hinblick auf den Rentenanspruch des Ehegatten familienrechtlich zur Abgabe verpflichtet sein, weil er nach § 1353 Abs. 1 Satz 2 BGB auf die finanziellen Interessen des anderen Partners Rücksicht zu nehmen hat (vgl. BGH, NJW 1984, 2040 <2041>).

3. Wegen der weiteren Begründung wird auf den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9. Dezember 2003 (a.a.O.) verwiesen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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