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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 09.02.1998
Aktenzeichen: 1 BvR 2234/97
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 2 Satz 1
GG Art. 2 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2234/97 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

des Herrn S...

gegen

Unterlassen des Gesetzgebers im Bereich des Nichtraucherschutzes

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Seidl und die Richter Grimm, Hömig gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 9. Februar 1998 einstimmig beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer fühlt sich durch das "Rauchen an öffentlich zugänglichen Aufenthaltsorten" in seinen Grundrechten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 2 Abs. 1 GG verletzt. Mit seiner Verfassungsbeschwerde beantragt er festzustellen, daß der Staat in diesem Bereich seiner ihm obliegenden Schutzpflicht nicht hinreichend nachgekommen und der derzeitige gesetzliche Nichtraucherschutz deshalb völlig unzulänglich sei.

Im Alltag eines Nichtrauchers komme es ständig zu Situationen, in denen er gegen seinen Willen Tabakrauch ausgesetzt sei. Tabakrauch sei unbestritten eine der wichtigsten Quellen für die Belastung von Innenräumen mit Schadstoffen. Bereits im Jahre 1974 sei die Bundesregierung erstmals von Gesundheitsschädigungen durch Passivrauchen ausgegangen. Auch das Bundesgesundheitsamt sehe das Passivrauchen nicht nur als bloße Belästigung, sondern als Gesundheitsrisiko an. Für die Weltgesundheitsorganisation sei die Gesundheitsschädlichkeit des Passivrauchens schon seit Jahren unbestreitbar. Ebenso gingen andere anerkannte Einrichtungen von der Gesundheitsschädlichkeit des Passivrauchens aus. Das Deutsche Krebsforschungszentrum schätze die Zahl der Lungenkrebstoten infolge des Passivrauchens auf jährlich mindestens 400 Menschen in Deutschland. Neben der Verursachung von Lungenkrebs stehe Passivrauchen im Verdacht, andere Krebsarten sowie Herz- und Kreislauferkrankungen zu verursachen. Auch wenn vereinzelte Stimmen dies anzweifelten, könne heute nicht mehr ernsthaft bestritten werden, daß Passivrauchen eine Gefahr für die Gesundheit darstelle. Das Passivrauchen an öffentlich zugänglichen Orten müsse demnach als Beeinträchtigung des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verstanden werden. Dieser Eingriff sei verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt. Auch der durch das Passivrauchen verursachte Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Nichtraucher sei weder durch die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung noch durch das Recht der Raucher aus Art. 2 Abs. 1 GG gedeckt. Infolgedessen müsse der Staat zur Erfüllung seiner Schutzpflicht eine gesetzliche Regelung schaffen, die das Rauchen an öffentlich zugänglichen Orten partiell verbiete. Der Gesetzgeber habe es jedoch unterlassen, hinreichende Nichtraucherschutzgesetze zu verabschieden.

II.

Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde (§ 93 a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu, weil die verfassungsrechtlichen Maßstäbe, auf die es für die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde ankommt, geklärt sind (vgl. zu diesem Kriterium BVerfGE 90, 22 <24 f.>). Im einzelnen wird dabei auf die nachstehend angeführten Rechtsprechungsnachweise Bezug genommen. Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten angezeigt, weil die Verfassungsbeschwerde - ihre Zulässigkeit unterstellt - in der Sache keine Aussicht auf Erfolg hat.

1. Die Grundrechte erschöpfen sich nicht in ihrer Bedeutung als Abwehrrecht gegen staatliche Eingriffe in den grundrechtlich geschützten Bereich. Sie enthalten auch eine objektive Wertordnung (vgl. BVerfGE 7, 198 <205>), aus der sich eine Pflicht der öffentlichen Gewalt ergeben kann, die Grundrechtsträger auch gegen Beeinträchtigungen der geschützten Rechtsgüter durch Dritte in Schutz zu nehmen. Insbesondere folgt aus dem Grundrecht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Pflicht des Staates, sich schützend und fördernd vor die Rechtsgüter Leben und körperliche Unversehrtheit der Bürger zu stellen und sie gegebenenfalls auch vor rechtswidrigen Eingriffen von seiten Dritter zu bewahren (BVerfGE 88, 203 <251> m.w.N.).

Konkrete Vorgaben dazu, wie diese staatliche Schutzpflicht im einzelnen umzusetzen ist, sind der Verfassung jedoch nicht zu entnehmen. Dem Gesetzgeber steht vielmehr bei der Erfüllung der Schutzpflicht eine weite Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsfreiheit zu, die auch Raum läßt, etwa konkurrierende öffentliche oder private Interessen zu berücksichtigen. Das Bundesverfassungsgericht kann eine Verletzung staatlicher Schutzpflichten daher nur feststellen, wenn die staatlichen Organe entweder gänzlich untätig geblieben oder wenn die bisher getroffenen Maßnahmen evident unzureichend sind (BVerfGE 56, 54 <80 f.>; 77, 170 <214 f.>; 79, 174 <201 f.>; 85, 191 <212 f.>; 92, 26 <46>).

2. Unter Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabs ist nicht erkennbar, daß der Gesetzgeber seine Pflicht, die Bürger vor Gesundheitsgefahren durch Passivrauchen zu schützen, verletzt hätte. Insbesondere ist der Gesetzgeber nicht gänzlich untätig geblieben. Er hat im Gegenteil in vielfältiger Weise von seiner Befugnis Gebrauch gemacht, das Rauchen nach einer Abwägung der allgemeinen Handlungsfreiheit der Raucher mit anderen schutzwürdigen Rechtsgütern in bestimmten Bereichen zu untersagen oder einzuschränken. Im besonderen zum Schutze der Nichtraucher vor den Gefahren des Passivrauchens kann dabei auf der Ebene des Bundesrechts auf folgende Regelungen hingewiesen werden (vgl. hierzu auch die Zusammenstellung in BayVerfGH, BayVBl 1988, S. 108 <110>): § 5 der Verordnung über Arbeitsstätten - ArbStättV - (vom 20. März 1975, BGBl I S. 729, zuletzt geändert durch Verordnung vom 1. August 1983, BGBl I S. 1057) regelt, daß in Arbeitsräumen während der Arbeitszeit ausreichend gesundheitlich zuträgliche Atemluft - wozu eine stark mit Tabakrauch angereicherte Atemluft nicht gehört - vorhanden sein muß. Nach § 32 ArbStättV hat der Arbeitgeber in Pausen-, Bereitschafts- und Liegeräumen dafür zu sorgen, daß geeignete Maßnahmen zum Schutz der Nichtraucher vor Belästigungen durch Tabakrauch getroffen werden. Gemäß § 8 Abs. 5 der Verordnung über den Betrieb von Kraftfahrunternehmen im Personenverkehr - BOKraft - (vom 21. Juni 1975, zuletzt geändert durch Verordnung vom 18. Juli 1995, BGBl I S. 951) ist in Taxen und Mietwagen das Rauchen nur gestattet, wenn die Fahrgäste zustimmen. Nach § 14 Abs. 2 Nr. 8 BOKraft ist den Fahrgästen das Rauchen in Nichtraucherzonen von Linienbussen und in entsprechend gekennzeichneten Nichtrauchertaxen ausnahmslos untersagt. Nach § 14 der Eisenbahn-Verkehrs-ordnung - EVO - (vom 8. September 1938, RGBl II S. 663, zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. Dezember 1993, BGBl I S. 2378) ist in jedem Zug für jede Wagenklasse eine angemessene Zahl von Wagen oder Abteilen für Nichtraucher vorzuhalten. Gemäß § 59 Abs. 2 der Verordnung über den Bau und den Betrieb von Straßenbahnen - BOStrab - (vom 11. Dezember 1987, BGBl I S. 2648) ist es Fahrgästen untersagt, in Nichtraucher-Fahrgasträumen zu rauchen. Neben diesen speziellen Nichtraucherschutzgesetzen wirken sich zugunsten des Nichtraucherschutzes auch diejenigen gesetzlichen Regelungen aus, die dem Gesundheitsschutz von Arbeitnehmern allgemein dienen und in diesem Rahmen Rauchverbote rechtfertigen können (§ 618 BGB; § 62 HGB; § 120 a GewO; aus dem Bereich des Landesrechts z.B. Art. 86 BayBG). Im privaten Bereich schließlich gibt das private Hausrecht die Befugnis, das Rauchen zu untersagen.

Nach alledem ist der Gesetzgeber oder der von ihm ermächtigte Normgeber im Bereich des Nichtraucherschutzes keineswegs untätig geblieben. Es ist auch nicht ersichtlich, daß die derzeit existierenden gesetzgeberischen Maßnahmen evident unzureichend wären. Dabei kann offen bleiben, ob mittlerweile hinreichend verläßliche wissenschaftliche Erkenntnisse über die Gesundheitsrisiken des Passivrauchens existieren, wie der Beschwerdeführer behauptet (zu den Gesundheitsgefahren des Rauchens generell vgl. BVerfGE 95, 173 <184 f.>). Denn auch dann wäre eine Beurteilung der konkreten Zielsetzungen und Prioritäten sowie eine Auswahl der in Betracht kommenden Mittel und Wege erforderlich, die in erster Linie der Gesetzgeber zu treffen und in konkrete Gebote und Verbote umzusetzen hat. In Wahrnehmung dieser politischen Verantwortung hat der Gesetzgeber im Rahmen des ihm hierbei zustehenden weiten Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraums Nichtraucherschutzvorschriften geschaffen, die ihr Ziel jedenfalls nicht offensichtlich verfehlen, zumal sie gerade diejenigen Lebensbereiche erfassen, in denen sich der Einzelne - wie beispielsweise am Arbeitsplatz oder in öffentlichen Verkehrsmitteln - den Raucheinwirkungen nicht ohne weiteres entziehen und dadurch auch nur in eingeschränktem Maße selbst für seinen Schutz vor möglichen Gesundheitsbeeinträchtigungen durch Passivrauchen Sorge tragen kann. Wenn der Gesetzgeber derzeit eine Verstärkung des Nichtraucherschutzes nicht für geboten hält, wie in der Ablehnung des Entwurfs eines Nichtraucherschutzgesetzes durch den Bundestag jüngst zum Ausdruck gekommen ist, kann dies von Verfassungs wegen nicht beanstandet werden.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar. r.

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