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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 29.10.2009
Aktenzeichen: 1 BvR 2237/09
Rechtsgebiete: BVerfGG


Vorschriften:

BVerfGG § 93a Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Hohmann-Dennhardt und die Richter Gaier, Kirchhof gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl. I S. 1473)

am 29. Oktober 2009

einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft einen Beschluss, mit dem Prozesskostenhilfe für die Berufung in einem Verfahren zur gesetzlichen Unfallversicherung aufgrund einer negativen Prognose über das Ergebnis einer Beweisaufnahme abgelehnt wurde. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe im Sinne von § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin nicht in der durch Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gewährleisteten Rechtsschutzgleichheit.

1.

Die Auslegung und Anwendung der Vorschriften zur Prozesskostenhilfe obliegt in erster Linie den zuständigen Fachgerichten, die dabei den - verfassungsgebotenen - Zweck der Prozesskostenhilfe zu beachten haben. Das Bundesverfassungsgericht kann hier nur eingreifen, wenn Verfassungsrecht verletzt ist, insbesondere wenn die angegriffene Entscheidung Fehler erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung der in Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verbürgten Rechtsschutzgleichheit beruhen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357 f.>).

Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gebietet eine weitgehende Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes. Es ist dabei verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich, die Gewährung von Prozesskostenhilfe davon abhängig zu machen, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat und nicht mutwillig erscheint. Prozesskostenhilfe darf verweigert werden, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht schlechthin ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>).

Die Prüfung der Erfolgsaussichten darf nicht dazu dienen, die Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung selbst in das summarische Verfahren der Prozesskostenhilfe zu verlagern und dieses an die Stelle des Hauptsacheverfahrens treten zu lassen (vgl. BVerfGE 81, 347 <357>). Insbesondere läuft es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit zuwider, wenn der unbemittelten Partei wegen Fehlens der Erfolgsaussichten ihres Rechtsschutzbegehrens Prozesskostenhilfe verweigert wird, obwohl eine Beweisaufnahme ernsthaft in Betracht kommt und keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Beweisaufnahme mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Beschwerdeführers ausgehen würde (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 20. Februar 2002 - 1 BvR 1450/00 -, NJW-RR 2002, S. 1069, stRspr; Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Februar 2008 - 1 BvR 1807/07 -, NJW 2008, S. 1060 <1061>; Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 15. Dezember 2008 - 1 BvR 1404/04 -, [...] ; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 1. Juli 2009 - 1 BvR 560/08 -, [...]). Eine Beweisantizipation im Prozesskostenhilfeverfahren ist nur in eng begrenztem Rahmen zulässig (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 7. Mai 1997 - 1 BvR 296/94 -, NJW 1997, S. 2745).

2.

Das Landessozialgericht hat bei der konkreten Beweisprognose die Grenzen zulässiger Beweisantizipation nicht in verfassungswidriger Weise überschritten.

Es hat die Erfolgsaussichten der Berufung insbesondere nicht mit der Begründung verneint, dass eine Beweisaufnahme nicht ernstlich in Betracht käme. Insoweit kommt dem Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme, auf den die Beschwerdeführerin hinweist, Bedeutung zu. Danach ist ein Gericht grundsätzlich verpflichtet, den Sachverhalt "unmittelbar" festzustellen, und darf die Niederschriften anderer Gerichte über Zeugenvernehmungen nur mit dem Einverständnis der Beteiligten anstelle einer erneuten Vernehmung verwerten (vgl. BSG, Urteil vom 15. Dezember 1983 - 12 RK 57/83 -, SozR 1500 § 117 Nr. 3).

Das Landessozialgericht hat für seine negative Beweisprognose konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte angegeben. Es ist hier verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Gericht für seine Prognose die früheren Zeugenaussagen herangezogen hat. Insofern kann zwischen einem gegebenenfalls noch anstehenden Beweisverfahren und dem Prozesskostenhilfeverfahren unterschieden werden. Auch ein bemittelter Rechtsuchender müsste sich insoweit überlegen, welche Erfolgschancen die erneute Vernehmung eines Zeugen hat, der den von der Beschwerdeführerin genannten Sachverhalt bereits zweimal bestritten hat.

Soweit die Beschwerdeführerin ausführt, dieser Zeuge hätte angehört werden müssen, um Widersprüche in den Sachverhaltsdarstellungen aufzuklären, ist dieser Vortrag ohne Vorlage der entsprechenden Unterlagen unsubstantiiert.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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