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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 27.02.2008
Aktenzeichen: 1 BvR 2588/06
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3
GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2588/06 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Landgerichts Görlitz vom 1. August 2006 - 2 S 115/05 -,

b) das Urteil des Amtsgerichts Zittau vom 27. September 2005 - 5 C 0577/04 -

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Hohmann-Dennhardt und die Richter Gaier, Kirchhof gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 27. Februar 2008 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob die an einem Vier-Augen-Gespräch über vertragliche Absprachen beteiligte Partei eines Zivilrechtsstreits von Amts wegen angehört oder als Partei vernommen werden muss, wenn der beweisbelastete Gegner den Beweis durch Zeugenaussagen seiner Mitarbeiter geführt hat.

1. a) Die Klägerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Klägerin) verklagte den Beschwerdeführer wegen mehrerer Bierlieferungen auf Zahlung. Die Klägerin behauptete, der Beschwerdeführer habe die streitigen Mengen Bier telefonisch bei ihren Mitarbeitern bestellt und es sei vereinbart worden, dass die Bierfässer nicht übergeben werden müssten, sondern auf der Straße vor der Gaststätte des Beschwerdeführers abgestellt werden sollten. Für die mit dem Beschwerdeführer jeweils in Vier-Augen-Gesprächen getroffenen Abreden benannte die Klägerin - ebenso wie für die Lieferungen - ihre Mitarbeiter als Zeugen.

b) Das Amtsgericht ordnete nicht das persönliche Erscheinen des Beschwerdeführers an. Er war jedoch bei allen gerichtlichen Terminen anwesend. Nach Vernehmung der von der Klägerin benannten Zeugen verurteilte das Amtsgericht den Beschwerdeführer antragsgemäß zur Zahlung. Die Zeugen hätten glaubhaft bekundet, dass die behaupteten Lieferungen vom Beschwerdeführer bestellt worden seien. Aus Indizien und dem Zusammenhang der Zeugenaussagen ergebe sich auch, dass die Lieferungen tatsächlich erfolgt seien.

Die gegen dieses Urteil gerichtete Berufung des Beschwerdeführers hat das Landgericht durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) zurückgewiesen. Das Amtsgericht habe nach Ausschöpfung aller Beweise und zulässigerweise gestützt auf Indizien die Lieferung der streitigen Biermengen als bewiesen erachtet. Durch das Abstellen der Bierfässer vor der Gaststätte habe die Klägerin vereinbarungsgemäß ihre Verpflichtung zur Verschaffung des Eigentums erfüllt. Weder der Anspruch auf rechtliches Gehör noch der Grundsatz der Waffengleichheit seien verletzt. Unter Berücksichtigung des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung sei es ausreichend, wenn die Partei, die zum Inhalt eines Vier-Augen-Gesprächs keinen Zeugenbeweis anbieten könne, gemäß § 141 ZPO hinzugezogen werde und die Gelegenheit erhalte, Stellung zu nehmen. Die daraufhin vom Beschwerdeführer erhobene Anhörungsrüge blieb ebenfalls ohne Erfolg.

2. Mit der gegen das Urteil des Amtsgerichts und die Zurückweisung der Berufung gerichteten Verfassungsbeschwerde, die nach einer erfolglos gebliebenen Anhörungsrüge eingelegt worden ist, rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG.

Das Amtsgericht habe sein Urteil allein auf die Aussagen der Zeugen der Klägerin zum Inhalt der von ihr behaupteten Vier-Augen-Gespräche gestützt, ohne den Beschwerdeführer als Partei vernommen oder zumindest nach § 141 ZPO angehört zu haben. Auch das Landgericht habe ihm nicht die Möglichkeit eingeräumt, im Rahmen einer persönlichen Anhörung die Zeugenaussagen zu erschüttern. Dadurch sei sein Anspruch auf rechtliches Gehör und das Recht auf Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes verletzt.

3. Gelegenheit zur Stellungnahme erhielten das Sächsische Staatsministerium der Justiz, der Bundesgerichtshof, die Bundesrechtsanwaltskammer, der Deutschen Anwaltverein, der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein sowie die Klägerin des Ausgangsverfahrens.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen.

Die Voraussetzungen für eine Annahme der Verfassungsbeschwerde nach § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Verfassungsrechte des Beschwerdeführers angezeigt; denn die zulässige Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Es ist weder das Recht auf Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) noch der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verletzt.

1. Die als verletzt gerügten Verfassungsnormen sichern den Anspruch auf rechtliches Gehör vor Gericht und das damit in Zusammenhang stehende Recht auf Gewährleistung eines wirkungsvollen Rechtsschutzes. Art. 103 Abs. 1 GG gebietet die Gewährung rechtlichen Gehörs auch deshalb, um im Interesse eines wirkungsvollen Rechtsschutzes die Klärung der tatsächlichen Grundlagen einer Entscheidung zu fördern (vgl. BVerfGE 55, 1 <5 f.>). Es gehört zu den für einen fairen Prozess und einen wirkungsvollen Rechtsschutz in zivilrechtlichen Streitigkeiten unerlässlichen Verfahrensregeln, dass das Gericht die Richtigkeit bestrittener Tatsachen nicht ohne hinreichende Prüfung bejaht (vgl. BVerfGE 91, 176 <181>). Die Parteien eines Zivilprozesses müssen die Möglichkeit erhalten, sich im Rechtsstreit nicht nur mit rechtlichen, sondern auch mit tatsächlichen Argumenten zu behaupten (vgl. BVerfGE 55, 1 <5 f.>; 60, 305 <310>; 81, 123 <129>; 84, 188 <189 f.>; 86, 133 <144 ff.>; 108, 341 <347 f.>; 113, 273 <310>).

2. Diesen Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen gerecht. Auslegung und Anwendung des Zivilprozessrechts sind vornehmlich Aufgabe der Fachgerichte und werden vom Bundesverfassungsgericht nur darauf überprüft, ob sie Fehler enthalten, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung eines Grundrechts beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <93>; 97, 12 <27>; stRspr). Die dem Beschwerdeführer gewährten Möglichkeiten, sich mit seinem Vorbringen gegenüber dem Vortrag der Klägerin zu den Vier-Augen-Gesprächen im Zivilrechtsstreit zu behaupten, unterschreitet nicht das verfassungsrechtlich gebotene Mindestmaß an rechtlichem Gehör und effektivem Rechtsschutz.

a) Unzutreffend ist allerdings die Annahme des Landgerichts, der Beschwerdeführer sei zur Zeugenvernehmung des Amtsgerichts gemäß § 141 ZPO hinzugezogen worden. Das Amtsgericht hat zu keinem der anberaumten Termine eine Verfügung über das persönliche Erscheinen einer der Parteien getroffen. Die Teilnahme des Beschwerdeführers an der mündlichen Verhandlung und insbesondere an der Beweisaufnahme erfolgte daher aus eigener Initiative in Ausübung seines Anwesenheitsrechts als Partei. Zwar kann das Gericht auch die ohne gerichtliche Anordnung erschienene Partei nach § 141 ZPO anhören. Eine persönliche Anhörung des Beschwerdeführers im Ausgangsverfahren ist jedoch weder dokumentiert noch sonst ersichtlich. Daher ist für die verfassungsrechtliche Prüfung davon auszugehen, dass eine solche Anhörung unterblieben ist.

b) Die Anordnung des persönlichen Erscheinens des Beschwerdeführers zum Gütetermin - insoweit entgegen der Sollbestimmung des § 278 Abs. 3 Satz 1 ZPO - und zu den folgenden Terminen ist unterblieben, obwohl sich schon aus den vorbereitenden Schriftsätzen ergab, dass die von der Klägerin behaupteten vertraglichen Abreden bestritten waren und die entscheidungserheblichen Gespräche ausschließlich zwischen Mitarbeitern der Klägerin und dem Beschwerdeführer geführt wurden. Bei dieser Sachlage war absehbar, dass es dem Beschwerdeführer als Partei nicht möglich sein würde, den Aussagen der Mitarbeiter der Klägerin mit einem anderen förmlichen Beweismittel der Zivilprozessordnung als einer Parteivernehmung entgegenzutreten. Das Amtsgericht hätte daher von Amts wegen (vgl. Leipold, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl. 2005, § 141 Rn. 19) den Beschwerdeführer zur Aufklärung des Sachverhalts gemäß § 141 ZPO laden und anstelle einer Parteivernehmung als Partei anhören können, um ihm im Rahmen des Gegenbeweises die Erschütterung der Aussagen der klägerischen Zeugen zu den streitigen Vier-Augen-Gesprächen zu ermöglichen (vgl. BVerfG, Beschluss der 4. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Februar 2001 - 2 BvR 140/00 -, NJW 2001, S. 2531).

c) Diese nach den zivilprozessualen Vorschriften mögliche Vorgehensweise ist aber von Verfassungs wegen zumindest dann nicht zwingend geboten, wenn die betroffene Partei bei der Beweisaufnahme oder in einem der Beweisaufnahme nachfolgenden Verhandlungstermin anwesend war.

aa) Aus dem Rechtsstaatsprinzip und aus dem Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) folgt das Erfordernis grundsätzlicher Waffengleichheit und gleichmäßiger Verteilung des Prozessrisikos (vgl. BVerfGE 52, 131 <144>). In bürgerlichrechtlichen Streitigkeiten muss jeder Partei eine vernünftige Möglichkeit eingeräumt werden, ihren Fall - einschließlich ihrer Aussage - vor Gericht unter Bedingungen zu präsentieren, die für diese Partei keinen wesentlichen Nachteil gegenüber ihrem Gegner darstellen (vgl. EuGHMR, Urteil von 27. Oktober 1993 - 37/1992/382/460 <Dombo Beheer B.V./Niederlande> -, NJW 1995, S. 1413). Das bedeutet, dass die einander gegenüberstehenden Parteien verfahrensrechtlich grundsätzlich gleichgestellt werden müssen (vgl. Grabenwarter, Europäische Menschenrechtskonvention, 3. Aufl. 2008, § 22 Rn. 61).

Um eine solche Gleichbehandlung beider Parteien zu erreichen, muss das Gericht aber eine anwesende Partei, die keinen Beweis für ihren Vortrag zum Inhalt eines Vier-Augen-Gesprächs anzubieten vermag, nicht in jedem Fall von Amts wegen informatorisch anhören oder als Partei vernehmen. Der Zivilprozess wird durch das Prinzip der Parteifreiheit und der Parteiverantwortung beherrscht. Dies kommt in dem Verhandlungs- oder Beibringungsgrundsatz zum Ausdruck, der den Zivilprozess prägt und nach dem allein die Parteien den Streitstoff in den Prozess einführen, über seine Feststellungsbedürftigkeit entscheiden und grundsätzlich auch seine Feststellung ermöglichen. Während der Beibringungsgrundsatz hinsichtlich der übrigen Beweismittel nicht streng gilt und diese Beweise auch von Amts wegen erhoben werden können, erfolgt nach § 373 ZPO die Vernehmung von Zeugen nur auf einen entsprechenden Antrag der beweisbelasteten Partei, der die Benennung des Zeugen und die Bezeichnung der streitigen Tatsache, über welche die Vernehmung erfolgen soll, enthalten muss. Verfahrensrechtlich ist damit die Vernehmung der Zeugen der Klägerin davon abhängig gewesen, dass diese entsprechende Beweisanträge gestellt hatte. Ohne diese Beweisanträge wären im Ausgangsverfahren ihre Zeugen nicht gehört, sondern eine Beweislastentscheidung zum Nachteil der beweisbelasteten Klägerin getroffen worden. Eine verfahrensrechtliche Gleichstellung der Parteien eines Zivilprozesses verlangt daher nicht, dass die über keine Zeugen verfügende Partei von Amts wegen angehört oder vernommen wird, sondern nur, dass ihre diesbezüglichen Anträge nicht abgelehnt werden. Solche Fälle liegen auch - soweit ersichtlich - der bisherigen Rechtsprechung und Literatur zugrunde. Durch eine zwingende und von Amts wegen durchzuführende Anhörung oder Vernehmung der sich in Beweisnot befindenden Partei, würde diese gegenüber ihrem Gegner mit Blick auf dessen Obliegenheit zur Stellung eines Beweisantrages begünstigt. Deshalb besteht von Verfassungs wegen keine Notwendigkeit zu einer Parteivernehmung oder einer Anhörung nach § 141 ZPO von Amts wegen, wenn der Partei das Ergebnis der Vernehmung der vom Prozessgegner benannten Zeugen bekannt ist und sie aufgrund ihrer Anwesenheit bei der Beweisaufnahme oder in einem nachfolgenden Termin in der Lage war, ihre Darstellung vom Verlauf eines Vier-Augen-Gesprächs durch eine Wortmeldung nach § 137 Abs. 4 ZPO persönlich vorzutragen (vgl. auch BGH, Beschluss vom 30. September 2004 - III ZR 369/03 -, juris).

bb) Auch andere Verfassungsrechte des Beschwerdeführers haben die Gerichte im Ausgangsverfahren nicht missachtet. Es stellt keine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG (vgl. dazu BVerfGE 84, 82 <89>) oder des rechtsstaatlichen Gebots effektiven Rechtsschutzes (vgl. dazu BVerfGE 91, 176 <181>) dar, wenn nach den Verfahrensgrundsätzen des Zivilprozesses die vom Gericht zu treffenden Feststellungen von einer hierauf gerichteten Prozesshandlung einer Partei abhängen.

d) Ob die Fachgerichte von Verfassungs wegen gehalten waren, den anwaltlich vertretenen Beschwerdeführer gemäß § 139 Abs. 1 ZPO auf die Möglichkeit hinzuweisen, gestützt auf das Recht aus § 137 Abs. 4 ZPO seine persönliche Anhörung zum Inhalt der zwischen ihm und den Zeugen geführten Vier-Augen-Gespräche herbeizuführen, bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung. Etwaige unterlassene Hinweise der Fachgerichte hat der Beschwerdeführer nicht zur Grundlage seiner Rügen hinsichtlich der Verletzung von Verfassungsrechten gemacht.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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