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Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 07.02.2007
Aktenzeichen: 1 BvR 2672/03
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 19 Abs. 4 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2602/03 - - 1 BvR 2672/03 - - 1 BvR 3/04 -

In den Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerden

1. unmittelbar gegen

das Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. September 2003 - B 12 RA 7/01 R -,

2. mittelbar gegen

§§ 153, 157 ff. SGB VI,

- 1 BvR 2602/03 -,

II. des Herrn O...

1. unmittelbar gegen

das Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. September 2003 - B 12 RA 3/02 R -,

2. mittelbar gegen

§§ 1 ff., 6, 153, 157 ff. SGB VI sowie §§ 63 ff. SGB VI,

- 1 BvR 2672/03 -,

1. unmittelbar gegen

a) das Urteil des Bundessozialgerichts vom 23. September 2003 - B 12 RA 5/02 R -,

b) das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 15. Juni 1998 - S 9 RA 4805/97 -,

c) den Bescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte vom 25. März 1997 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02. September 1997 - 63 160351 S 007 SG -,

2. mittelbar gegen

§§ 1 ff., 6, 153, 157 ff. SGB VI sowie §§ 63 ff. SGB VI,

- 1 BvR 3/04 -

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier und die Richter Steiner, Gaier gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 7. Februar 2007 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die miteinander verbundenen Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.

Die Anträge auf Verbindung der Verfassungsbeschwerden mit den Verfassungsbeschwerden 1 BvR 2973/06, 1 BvR 2983/06 bzw. 1 BvR 3039/06 werden abgelehnt.

Gründe:

Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden betreffen die Versicherungspflicht in der Gesetzlichen Rentenversicherung.

I.

Gemäß § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI sind Personen, die gegen Arbeitsentgelt oder zu ihrer Berufsausbildung beschäftigt sind, in der Gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig. Nach § 6 Abs. 1 SGB VI besteht in bestimmten Fällen die Möglichkeit der Befreiung von der Versicherungspflicht, über die gemäß § 6 Abs. 3 Halbsatz 1 SGB VI der Träger der Rentenversicherung entscheidet.

Nach § 28 h Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist der Gesamtsozialversicherungsbeitrag an die Krankenkassen (Einzugsstellen) zu zahlen. Die Einzugsstelle entscheidet gemäß § 28 h Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IV über die Versicherungspflicht und Beitragshöhe unter anderem in der Rentenversicherung. Sie erlässt auch den Widerspruchsbescheid (§ 28 h Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 SGB IV).

II.

1. Die Beschwerdeführer sind Väter mehrerer Kinder. Sie sind nach § 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VI in der gesetzlichen Rentenversicherung pflichtversichert. Mit ihren 1996 und 1997 an den jeweiligen Träger der gesetzlichen Rentenversicherung gerichteten Anträgen wandten sie sich unter Hinweis auf die von ihnen erbrachten Kindererziehungsleistungen gegen ihre Versicherungspflicht und die Heranziehung zu Beiträgen in der gesetzlichen Rentenversicherung. In den Verfahren 1 BvR 2602/03 und 1 BvR 2672/03 lehnte der Rentenversicherungsträger die Anträge unter Hinweis auf die gesetzlich angeordnete Versicherungspflicht ab. Im Verfahren 1 BvR 3/04 lehnte der Rentenversicherungsträger den Antrag mit der Begründung ab, über die Versicherungspflicht entscheide die jeweilige Krankenkasse als Einzugsstelle. Mit ihren gegen den Rentenversicherungsträger gerichteten Klagen blieben die Beschwerdeführer im sozialgerichtlichen Rechtsweg in allen Instanzen ohne Erfolg. Zuletzt wies das Bundessozialgericht die Revisionen durch die mit den Verfassungsbeschwerden angegriffenen Urteile vom 23. September 2003 zurück. In den Verfahren 1 BvR 2602/03 und 1 BvR 2672/03 wurden die Bescheide des Rentenversicherungsträgers unter Abänderung der vorinstanzlichen Urteile aufgehoben.

Zur Begründung verwies das Bundessozialgericht auf die von ihm eingeholten Erklärungen der Beschwerdeführer, wonach es diesen nicht um eine Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 SGB VI gehe. Vielmehr wendeten sie sich gegen das Bestehen der Versicherungspflicht und die Beitragshöhe. Eine derartige Entscheidung über die Versicherungspflicht selbst und die Beitragshöhe könne aber - anders als ein Antrag auf Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 SGB VI - nicht von dem beklagten Rentenversicherungsträger, sondern nach § 28 h Abs. 2 Satz 1 SGB IV nur von der jeweiligen Krankenkasse als Einzugsstelle getroffen werden. Die Klagen gegen den Rentenversicherungsträger seien daher unzulässig. Daran ändere auch die in allen Verfahren erfolgte Beiladung der Krankenkassen gemäß § 75 Abs. 2 SGG nichts. Zwar eröffne § 75 Abs. 5 SGG in seinem unmittelbaren Anwendungsbereich die Möglichkeit, einen beigeladenen Versicherungsträger zu einer Leistung oder zum Erlass eines Verwaltungsaktes zu verurteilen. Angesichts der klaren Zuständigkeitsregelung in § 28 h Abs. 2 SGB IV scheide eine Verurteilung der Krankenkasse nach § 75 Abs. 5 SGG indes aus. Andernfalls würde die gesetzlich begründete ausschließliche Entscheidungszuständigkeit der Krankenkassen ausgehöhlt.

2. Die Beschwerdeführer haben dagegen Verfassungsbeschwerden erhoben, mit denen sie sich gegen die Vorschriften wenden, die ihre Versicherungs- und Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung begründen. Hilfsweise rügen sie einen Verstoß gegen die Rechtsweggarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG durch die Entscheidung des Bundessozialgerichts. Außerdem sei ihr Anspruch auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

3. Im Hinblick auf die ihre Revisionen aus prozessualen Gründen zurückweisenden Urteile des Bundessozialgerichts haben die Beschwerdeführer erneut Verfahren mit dem gleichen Ziel - diesmal gegen die jeweiligen Einzugsstellen als Beklagte - angestrengt. Die Klagen blieben in der Sache ohne Erfolg. Das Bundessozialgericht wies die Revisionen mit Urteilen vom 5. Juli 2006 zurück. Die Vorschriften zur Versicherungspflicht und zur Beitragserhebung seien verfassungsgemäß. Die Beschwerdeführer haben auch gegen diese Entscheidungen Verfassungsbeschwerde erhoben (1 BvR 2973/06; 1 BvR 2983/06; 1 BvR 3039/06). Sie beantragen, diese Verfassungsbeschwerden mit den vorliegenden zu verbinden.

III.

Die Verfassungsbeschwerden sind nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe gemäß § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerden sind ohne Aussicht auf Erfolg, weil sie unzulässig sind.

1. Soweit sich die Beschwerdeführer gegen ihre Versicherungs- und Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung wenden, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig, da entgegen § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG der Rechtsweg nicht beschritten wurde. Den Beschwerdeführern geht es nicht um eine Befreiung von der Versicherungspflicht nach § 6 Abs. 1 SGB VI. Vielmehr wenden sie sich - wie die Anträge im Verfassungsbeschwerdenverfahren zeigen - gegen das Bestehen der Versicherungspflicht selbst und gegen die Beitragspflicht zur Rentenversicherung. Über diese Frage hat gemäß § 28 h Abs. 2 Satz 1 SGB IV die Krankenkasse in ihrer Funktion als Einzugsstelle zu entscheiden. Eine entsprechende Entscheidung wurde vorliegend weder getroffen noch wurde ihre Rechtmäßigkeit im fachgerichtlichen Rechtsweg überprüft.

2. Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung der Rechtsweggarantie aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG durch die angegriffenen Entscheidungen des Bundessozialgerichts rügen, genügt die Verfassungsbeschwerde nicht den Anforderungen an eine substantiierte Begründung nach § 23 Abs. 1 Satz 2 und § 92 BVerfGG.

a) Die Garantie wirkungsvollen Rechtsschutzes folgt aus dem Rechtsstaatsprinzip (vgl. BVerfGE 88, 118 <123>; 96, 27 <39 f.>). Das Grundgesetz garantiert Rechtsschutz vor den Gerichten nicht nur gemäß Art. 19 Abs. 4 GG, sondern darüber hinaus im Rahmen des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs. Dieser ist Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips in Verbindung mit den Grundrechten, insbesondere mit Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. BVerfGE 93, 99 <107>). Die grundgesetzliche Garantie des Rechtsschutzes umfasst den Zugang zu den Gerichten, die Prüfung des Streitbegehrens in einem förmlichen Verfahren sowie die verbindliche gerichtliche Entscheidung (vgl. BVerfGE 107, 395 <401>).

b) Aus der Begründung der Verfassungsbeschwerde ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass das Bundessozialgericht diese Garantie verletzt hat. § 75 Abs. 5 SGG eröffnet die Möglichkeit, den beigeladenen Versicherungsträger zu verurteilen, stellt dies aber in das Ermessen des Gerichts. Das Bundessozialgericht hat die Verurteilung eines Beigeladenen insbesondere auf Fälle beschränkt, in denen aufgrund des formellen oder materiellen Sozialrechts entweder eine Unsicherheit über die Zuständigkeit verschiedener Leistungsträger besteht oder verschiedene Leistungsträger alternativ zuständig sind. Diese Voraussetzungen hat das Gericht aufgrund der Zuständigkeitsregelung in § 28 h Abs. 2 Satz 1 SGB IV verneint.

Insoweit handelt es sich um eine vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich zu respektierende Auslegung und Anwendung einfachen Rechts. Das Bundesverfassungsgericht überprüft derartige Entscheidungen allein darauf hin, ob die Fachgerichte gegen Grundrechte oder grundrechtsähnliche Rechte der Beschwerdeführer verstoßen haben, ob der angewendeten Norm ein verfassungswidriger Sinn beigelegt und dadurch die Einwirkung von Verfassungsrecht auf die Feststellung, Auslegung und Anwendung einfachen Rechts grundsätzlich verkannt worden ist, ob die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts willkürlich ist, gegen das verfassungsrechtliche Übermaßverbot verstößt oder ob eine verfassungsrechtlich gebotene Rechtsgüterabwägung entweder nicht oder offensichtlich fehlerhaft vorgenommen worden ist (vgl. BVerfGE 57, 9 <20>). Angesichts dessen hätte es den Beschwerdeführern oblegen, derartige Verstöße substantiiert darzulegen. Die Begründung der Verfassungsbeschwerden zeigt aber lediglich auf, warum eine andere Auslegung der Norm durch das Bundessozialgericht möglich gewesen wäre. Im Hinblick auf die behauptete Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG fehlt es insbesondere an einer Darlegung, inwieweit das Bundessozialgericht durch unzumutbare Anforderungen an das prozesserhebliche Verhalten des Rechtsuchenden den Rechtsschutz unangemessen erschwert oder gar versperrt hat (vgl. BVerfGE 57, 9 <21>).

c) Die Begründung der Verfassungsbeschwerden setzt sich auch nicht hinreichend damit auseinander, dass die Bestimmung des Verwaltungsverfahrens- und des Prozessrechtsverhältnisses Aufgabe des jeweiligen Antragstellers und Klägers ist. Dies hätte umso näher gelegen, als im Verfahren 1 BvR 3/04 bereits der Antrag vom Rentenversicherungsträger mangels Zuständigkeit abgelehnt worden war und in den Verfahren 1 BvR 2602/03 und 1 BvR 2672/03 das Sozialgericht die Anträge auf Verurteilung der Einzugsstellen abgewiesen hat, weil die Beschwerdeführer nicht zuvor in einem Verwaltungsverfahren gegen die jeweilige Einzugsstelle vorgegangen seien. In einem solchen Fall bleibt es dem Kläger zwar unbenommen, den Rechtsweg weiter gegen den ursprünglichen Beklagten zu beschreiten. Entscheidet er sich dafür, ist es indes sein Risiko, auch in letzter Instanz zu unterliegen. Dagegen kann nicht eingewandt werden, es spreche aus der Sicht der Beschwerdeführer viel für die Annahme, der 12. Senat des Bundessozialgerichts hätte genau umgekehrt entschieden, wenn sie sich zuerst an die Einzugsstelle gewandt hätten. Derartige - rein hypothetische - Erwägungen sind nicht geeignet, die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung aufzuzeigen.

d) Die Möglichkeit einer Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG ergibt sich schließlich auch nicht daraus, dass das Bundessozialgericht im Hinblick auf die Passivlegitimation des Rentenversicherungsträgers an einer früheren Entscheidung nicht mehr festgehalten hat. Art. 19 Abs. 4 GG garantiert effektiven Rechtsschutz, schützt aber nicht vor Änderungen einer höchstrichterlichen Rechtsprechung. Dies gilt auch dann, wenn wie hier zwischen Verwaltungsverfahren und letztinstanzlicher gerichtlicher Entscheidung mehrere Jahre liegen. Denn es ist eher die Regel als die Ausnahme, dass bis zur Entscheidung eines obersten Bundesgerichts in einem Verfahren eine gewisse Zeit vergeht. Mit Rücksicht darauf wäre es Sache der Beschwerdeführer gewesen, sich in der Verfassungsbeschwerde mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit von Änderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. etwa BVerfGE 84, 212 <227>; BVerfGK 4, 12 <15>) auseinanderzusetzen. Eine solche Auseinandersetzung ist nicht erfolgt.

3. Soweit die Beschwerdeführer eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör rügen, weil das Bundessozialgericht auf ihre materiellrechtlichen Argumente nicht eingegangen sei, kann das Urteil auf dem gerügten Verstoß nicht beruhen (vgl. dazu BVerfGE 7, 239 <241>; stRspr). Das Bundessozialgericht hat die Klagen wegen Unzulässigkeit abgewiesen; die materiellen Fragen spielten für die Entscheidung aus prozessualen Gründen keine Rolle.

4. Andere Verfassungsverletzungen sind weder substantiiert vorgetragen noch sind sie sonst ersichtlich. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Willkürverbot vor, wenn sich ein Gericht wie hier mit der - für die Entscheidung des konkreten Falls erheblichen - Rechtslage eingehend auseinandergesetzt hat und seine Auffassung nicht jedes sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 87, 273 <279>; 96, 189 <203>).

IV.

Die Anträge auf Verbindung der vorliegenden Verfassungsbeschwerden mit den Verfassungsbeschwerden 1 BvR 2973/06, 1 BvR 2983/06 und 1 BvR 3039/06 werden abgelehnt, weil die Verbindung nicht zweckmäßig ist. Es geht weder um dieselben noch voneinander abhängige Fragen (vgl. BVerfGE 12, 205 <223>).

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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