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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 29.08.2006
Aktenzeichen: 1 BvR 2772/04
Rechtsgebiete: VwGO, BVerfGG, StGB, GG


Vorschriften:

VwGO § 80 Abs. 7
BVerfGG § 93 a
BVerfGG § 93 a Abs. 2
BVerfGG § 93 b
BVerfGG § 93 d Abs. 1 Satz 3
StGB § 284 Abs. 1
StGB § 285
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 12 Abs. 1
GG Art. 19 Abs. 3
GG Art. 19 Abs. 4
GG Art. 103 Abs. 1
GG Art. 103 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 2772/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 8. November 2004 - 4 B 1270/04 -,

b) den Beschluss des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 24. Mai 2004 - 3 L 1119/04 -,

c) die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Ordnungsverfügung der Stadt Mönchengladbach vom 13. Februar 2004 - 32.323.1 wi - im Bescheid der Stadt Mönchengladbach vom 24. März 2004 - 32.323.1 wi -

und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Haas und die Richter Bryde, Eichberger gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 29. August 2006 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die sofortige Vollziehung einer Verfügung, mit der ihm der Betrieb einer Annahmestelle zur Vermittlung von Sportwetten untersagt wird.

1. Der Beschwerdeführer vermittelt in seinem Geschäftslokal in Mönchengladbach als Untervermittler der Laola Spielsysteme GmbH Wetten der Sportwetten GmbH in Gera, die aufgrund einer ihr nach dem Gewerbegesetz der Deutschen Demokratischen Republik vom 6. März 1990 (GBl S. 138) im Jahre 1990 erteilten Erlaubnis gewerbliche Sportwetten anbietet.

Mit Ordnungsverfügung vom 13. Februar 2004 untersagte die Stadt Mönchengladbach dem Beschwerdeführer diese Geschäftstätigkeit, da es sich dabei um unerlaubtes Glücksspiel handelte. Ferner ordnete die Behörde durch Bescheid vom 24. März 2004 die sofortige Vollziehung der Untersagungsverfügung an.

Den vom Beschwerdeführer dagegen gestellten Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs lehnte das Verwaltungsgericht ab. Das Oberverwaltungsgericht wies die dagegen erhobene Beschwerde zurück. Die Erfolgsaussicht des vom Beschwerdeführer eingelegten Hauptsacherechtsbehelfs könne allenfalls als offen beurteilt werden. Die danach zu treffende Abwägung ergebe ein vorrangiges öffentliches Vollzugsinteresse. Die vom Beschwerdeführer vermittelten Sportwetten seien in Nordrhein-Westfalen nicht - auch nicht aufgrund der Erlaubnis der Sportwetten GmbH in Gera - erlaubt. Der Beschwerdeführer stelle sein Geschäftslokal daher für unerlaubtes öffentliches Glücksspiel im Sinne des § 284 Abs. 1 StGB zur Verfügung; jedenfalls leiste er Beihilfe zur Beteiligung der Wettkunden an unerlaubtem Glücksspiel im Sinne von § 285 StGB. Ob und inwieweit die Monopolisierung erlaubten Sportwettens bei einem staatlichen Anbieter (verfassungs)rechtlichen Bestand habe, bedürfe einer eingehenden Prüfung im Hauptsacheverfahren. Es sei bei summarischer Prüfung nicht überwiegend wahrscheinlich, dass die Veranstaltung von Sportwetten in staatlicher Monopolregie nicht wirklich geeignet sei, die mit dem Glücksspiel einhergehenden Gefahren einzudämmen. Dies gelte auch im Hinblick auf die vielfältigen Werbemaßnahmen. Die Beherrschung des Gefahrpotenzials könne wegen der zahlreichen konkurrierenden Angebote gewerblicher Veranstalter nur dann effektiv gelingen, wenn für das staatliche Wettangebot geworben werde. Angesichts einer reizstarken Werbewelt und eines Attraktivitätsgefälles zwischen gewerblichen und staatlichen Angeboten seien auch allzu moderate Werbemaßnahmen nicht geeignet, das von staatlichen Veranstaltern anzusprechende Publikum zu erreichen. Wegen der mit dem Glücksspiel einhergehenden Gefahren überwiege das öffentliche Interesse an einer sofortigen Vollziehung.

Mit Bescheid vom 14. Dezember 2004 setzte die Behörde gegenüber dem Beschwerdeführer ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,- € fest.

2. Gegen die fachgerichtlichen Eilbeschlüsse und die behördliche Vollziehungsanordnung hat der Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerde erhoben und den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Insbesondere der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts stelle eine Verletzung seiner Rechte aus Art. 19 Abs. 4, Art. 12 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 19 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 2 GG dar. Das Oberverwaltungsgericht verkenne die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Es blieben die schweren und unzumutbaren Nachteile außer Acht, die für den Beschwerdeführer aus der existenzvernichtenden Wirkung der sofort vollziehbaren Untersagung folgten. Auch ermangele es einer konkreten Gefahrenlage, zu deren Abwehr der Eingriff allein gerechtfertigt sein könne. Angesicht der schwierigen und zum Teil ungeklärten einfachrechtlichen Fragen werde auch nur dies der besonderen Bedeutung der Berufsfreiheit gerecht.

3. a) Die Behörde sagte mit Schreiben vom 31. Januar 2005 zu, die Ordnungsverfügung vorerst nicht zu vollziehen. Die gegenüber dem Beschwerdeführer erfolgte Zwangsgeldfestsetzung wurde insoweit bereits mit Bescheid vom 23. Dezember 2004 widerrufen.

Im Nachgang zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 - (NJW 2006, S. 1261 ff.) forderte die Behörde den Beschwerdeführer mit Bescheid vom 13. April 2006 auf, die Vermittlungstätigkeit nunmehr zum 30. April 2006 einzustellen. Für den Fall der Zuwiderhandlung drohte sie die Anwendung unmittelbaren Zwangs in Form der Schließung und Versiegelung des Geschäftslokals an.

b) Den daraufhin vom Beschwerdeführer gestellten Abänderungsantrag nach § 80 Abs. 7 VwGO lehnte das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 1. Juni 2006 ab. Die behördlich angeordnete und gerichtlich bestätigte Vollziehbarkeit der Ordnungsverfügung vom 13. Februar 2004 habe in der Sache Bestand. Die vorzunehmende Interessenabwägung gehe - erneut - zum Nachteil des Beschwerdeführers aus. Die in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Dezember 2004 vorliegende Ordnungsverfügung stelle sich auch unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 - nicht als offensichtlich rechtswidrig dar.

II.

Gründe für die Annahme der Verfassungsbeschwerde im Sinne von § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor.

Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg, da sie nach dem zwischenzeitlich erreichten Verfahrensstand unzulässig ist.

1. Soweit sich der Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde gegen die im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren ergangenen Beschlüsse wendet, besteht für verfassungsgerichtliche Feststellungen kein Rechtsschutzinteresse mehr.

a) Die im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren angegriffenen Eilbeschlüsse sind durch den im Abänderungsverfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO zwischenzeitlich ergangenen Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 1. Juni 2006 prozessual überholt. Gegenüber den zunächst ergangenen Eilbeschlüssen stellt dieser eine eigenständige und erneute Entscheidung darüber dar, ob die frühere gerichtliche Bestätigung der behördlichen Vollziehungsanordnung weiterhin Bestand hat, und bildet verfassungsprozessual einen neuen Beschwerdegegenstand. Für eine verfassungsgerichtliche Überprüfung und gegebenenfalls Aufhebung der mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen fachgerichtlichen Eilentscheidungen sowie eine Zurückverweisung der Sache an die Gerichte besteht daher grundsätzlich kein Bedürfnis mehr.

b) Ein Rechtsschutzinteresse besteht auch nicht deshalb fort, weil anderenfalls die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe oder der Beschwerdeführer mit einem schweren Nachteil belastet wäre (vgl. BVerfGE 33, 247 <257 f.>; 99, 129 <138>; stRspr).

aa) Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG), da sie keine Fragen aufwirft, die sich nicht ohne weiteres aus dem Grundgesetz beantworten lassen oder die noch nicht durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt sind (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 f.>).

Dies gilt neben den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die an einen effektiven und willkürfreien Rechtsschutz zu stellen sind, vor allem auch hinsichtlich der Frage der Vereinbarkeit von Beschränkungen der Veranstaltung und Vermittlung von Sportwetten mit Art. 12 Abs. 1 GG.

Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 28. März 2006 (a.a.O.) grundsätzlich geklärt, welche Anforderungen das Grundrecht der Berufsfreiheit an die Errichtung eines staatlichen Sportwettmonopols stellt und inwieweit die damit einhergehenden Beschränkungen gerechtfertigt sein können. Die dortigen verfassungsrechtlichen Aussagen treffen dabei gleichermaßen auf die Rechtslage in Nordrhein-Westfalen zu. Entgegen der vom Oberverwaltungsgericht - vorläufig - zugrunde gelegten Einschätzung ist danach die derzeitige Ausgestaltung des staatlichen Sportwettmonopols in Nordrhein-Westfalen als mit Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar anzusehen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 2. August 2006 - 1 BvR 2677/04 -).

bb) Dem Beschwerdeführer sind durch die im vorliegenden Verfassungsbeschwerdeverfahren angegriffenen fachgerichtlichen Eilentscheidungen keine gewichtigen Nachteile entstanden, da die Behörde ihre Geschäftstätigkeit trotz der sofort vollziehbaren Untersagung während des hier maßgeblichen Zeitraums bis zur erneuten Entscheidung des Verwaltungsgerichts im Verfahren nach § 80 Abs. 7 VwGO geduldet und von Vollstreckungsmaßnahmen abgesehen hat. Das von der Behörde zwischenzeitlich festgesetzte Zwangsgeld ist insoweit wieder aufgehoben worden.

2. Soweit der Beschwerdeführer die Verletzung von Grundrechten durch die behördliche Vollziehungsanordnung rügt, entspricht die Verfassungsbeschwerde nicht (mehr) dem Grundsatz der Subsidiarität, da es an einer Erschöpfung des im Abänderungsverfahren erneut eröffneten fachgerichtlichen Rechtswegs fehlt.

Soweit die Behörde unter Berufung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 (a.a.O.) das Verbot der Vermittlung und die sofortige Vollziehung der gegenüber dem Beschwerdeführer ergangenen Untersagungsverfügung aufrecht erhält, obliegt sowohl die Kontrolle der Einhaltung der dies rechtfertigenden verfassungsrechtlichen Vorgaben (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 4. Juli 2006 - 1 BvR 138/05 -, juris, sowie vom 2. August 2006 - 1 BvR 2677/04 -), als auch - sofern entscheidungserheblich - eine Klärung der Frage, welche rechtlichen Wirkungen der aufgrund des Gewerbegesetzes der Deutschen Demokratischen Republik erteilten Erlaubnis zukommt, zunächst den Fachgerichten im Rahmen des - vorliegend noch in der Beschwerdeinstanz anhängigen - Verfahrens nach § 80 Abs. 7 VwGO.

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

III.

Mit dieser Entscheidung erledigt sich zugleich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).

Ende der Entscheidung

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