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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 09.01.2007
Aktenzeichen: 1 BvR 3068/06
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 9 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 3068/06 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Brandenburgischen Oberlandesgerichts vom 2. November 2006 - 1 U 23/05 -,

b) das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 14. Juli 2005 - 2 O 348/04 -

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Bryde, Eichberger, Schluckebier gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 9. Januar 2007 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I.

Der Beschwerdeführer vertritt als Berufsverband und Gewerkschaft der Journalisten zusammen mit seinen Landesverbänden die beruflichen Interessen von rund 40.000 Mitgliedern. Er machte im Ausgangsverfahren vergeblich Unterlassungs- und Herausgabeansprüche gegen seinen Landesverband Brandenburg (im Folgenden: DJV-Br) geltend, den er zuvor auf einem Verbandstag ausgeschlossen hatte. In den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen hielten das Landgericht und das Oberlandesgericht den Ausschluss, der die einzige relevante Voraussetzung der streitgegenständlichen Ansprüche darstellte, aus formellen und aus materiellen Gründen für unwirksam.

Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 9 Abs. 3 GG.

II.

Gründe für die Annahme der Verfassungsbeschwerde im Sinne von § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung kommt ihr nicht zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung von in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechten des Beschwerdeführers angezeigt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg. Ein Verstoß gegen die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Koalitionsfreiheit des Beschwerdeführers oder gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG ist nicht erkennbar.

1. Der Beschwerdeführer wird durch die angegriffenen Entscheidungen nicht in seinem Grundrecht der Koalitionsfreiheit gemäß Art. 9 Abs. 3 GG verletzt.

a) Art. 9 Abs. 3 GG schützt nicht nur den Einzelnen in seiner Freiheit, eine Vereinigung zur Wahrung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen zu gründen, ihr beizutreten oder fernzubleiben oder sie zu verlassen. Geschützt ist auch die Koalition selbst in ihrem Bestand, ihrer organisatorischen Ausgestaltung und ihren Betätigungen, sofern diese der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen (vgl. BVerfGE 84, 212 <224>; 100, 271 <282>; 103, 293 <304>). Zur organisatorischen Ausgestaltung gehört die Selbstbestimmung der Koalition über die eigene Organisation, das Verfahren ihrer Willensbildung und die Führung ihrer Geschäfte (vgl. BVerfGE 80, 244 <253>) sowie über ihre innere Ordnung. In den Schutzbereich des Grundrechts fallen damit auch Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Geschlossenheit der Koalition nach innen und nach außen. Dazu gehört auch die Befugnis der Koalition, ihre innere Geschlossenheit durch verbandsinterne Sanktionen zu wahren. Für Koalitionen im Sinne von Art. 9 Abs. 3 GG sind die Solidarität ihrer Mitglieder und ein geschlossenes Auftreten nach außen von besonderer Bedeutung (vgl. BVerfGE 100, 214 <221 ff.>).

Die in Art. 9 Abs. 3 GG garantierte Koalitionsfreiheit kann aber, obwohl sie ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistet ist, jedenfalls zum Schutz von Rechtsgütern und Gemeinwohlbelangen eingeschränkt werden, denen gleichermaßen verfassungsrechtlicher Rang gebührt (vgl. BVerfGE 84, 212 <228>; 92, 26 <41>; 100, 271 <283>; 103, 293 <306>). Die Rechte der Gewerkschaft aus Art. 9 Abs. 3 GG können insbesondere mit der individuellen Koalitionsfreiheit ihrer Mitglieder in Widerstreit treten und hierbei Beschränkungen erfahren (vgl. BVerfGE 100, 214 <223 f.>). Die kollidierenden Grundrechtspositionen sind dann in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und so zu begrenzen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfGE 89, 214 <232>; 97, 169 <176>).

Die Auslegung und Anwendung einfachen Rechts ist zunächst Sache der Fachgerichte und einer Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen. Das gilt auch, soweit es sich um auf der Grundlage von Art. 9 Abs. 3 GG entwickeltes Richterrecht handelt. Auch dieses Richterrecht bleibt einfaches Recht, dessen Auslegung und Anwendung vom Bundesverfassungsgericht nach denselben Maßstäben zu überprüfen ist, nach denen entsprechendes Gesetzesrecht zu überprüfen wäre (vgl. BVerfGK 4, 60 <63>). Das Bundesverfassungsgericht kontrolliert hierbei nur, ob der Einfluss der Grundrechte grundlegend verkannt wurde (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 89, 276 <285>). Es ist nicht Sache des Bundesverfassungsgerichts zu kontrollieren, wie die Gerichte den Grundrechtsschutz im Einzelnen auf der Grundlage des einfachen Rechts gewähren und ob ihre Auslegung den bestmöglichen Schutz sichert (vgl. BVerfGE 92, 140 <153>). Insbesondere ist die Feststellung und Würdigung der Tatsachen, die der rechtlichen Würdigung zugrunde liegen, Sache der Fachgerichte (vgl. BVerfGE 96, 189 <200>; 100, 214 <222>).

b) Nach diesen Maßstäben kann eine Verletzung der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Koalitionsfreiheit des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden.

Die angegriffenen Entscheidungen beruhen auf zwei jeweils selbständig tragenden Erwägungen. Die Annahme eines formellen Satzungsverstoßes war entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers gerade unter Berücksichtigung seiner durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Satzungsautonomie geboten. Ohne dass es dann noch in entscheidungserheblicher Weise darauf ankäme, ist auch die fachgerichtliche Beurteilung der materiellen Rechtmäßigkeit des Ausschlusses des DJV-Br im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

aa) Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die fachgerichtliche Annahme eines formellen Satzungsverstoßes richtet, könnte sie nur dann Erfolg haben, wenn die diesbezüglichen Erwägungen der Gerichte auf einer grundlegenden Verkennung der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Satzungsautonomie des Beschwerdeführers beruhen würden. Dies ist jedoch nicht der Fall. Die Gerichte haben einen Verstoß gegen die Abstimmungsregelung des § 13 Abs. 2 Satz 4 der DJV-Satzung mit verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Begründung bejaht. Entscheidend kam es auf die Beurteilung der einfachrechtlichen Frage an, ob es sich beim Ausschluss des DJV-Br um eine personelle Angelegenheit gehandelt hat, bei der nach § 13 Abs. 2 Satz 4 der DJV-Satzung schon auf Antrag eines Mitglieds des Verbandstages eine geheime Abstimmung zwingend vorgeschrieben war. Der Beschwerdeführer meint, dass ihn die Bejahung dieser Frage in seiner Satzungsautonomie verletze, weil nur die Landesverbände seine Mitglieder seien, so dass Mitgliedschaftsverhältnisse der Mitglieder des DJV-Br im Falle des Ausschlusses des Landesverbands nicht betroffen seien. Die gegenteilige Auffassung der Fachgerichte beruht jedoch auf einer sorgfältigen Analyse der Bestimmungen der DJV-Satzung, namentlich ihres § 3 Abs. 1, und wird der Satzungsautonomie des Beschwerdeführers deshalb gerecht. Gerade unter Berücksichtigung des durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Rechts des Beschwerdeführers, seine innere Ordnung selbst zu regeln, war es angesichts seiner Satzungsbestimmungen geboten, von einer Mitgliedschaft der Mitglieder des DJV-Br bei ihm auszugehen.

Der Beschwerdeführer vermag dieser Auslegung seiner Satzung auch in der Verfassungsbeschwerde keine beachtlichen Argumente entgegenzuhalten. Er erläutert insbesondere nicht hinreichend, welche andere als die von den Instanzgerichten angenommene Bedeutung die den Landesverbänden eröffnete Möglichkeit haben soll, eine unmittelbare Mitgliedschaft ihrer Mitglieder beim Beschwerdeführer durch korrespondierendes Satzungsrecht zu begründen. Ebenso wenig geht der Beschwerdeführer darauf ein, dass der DJV-Br von dieser Möglichkeit nach den eingehend begründeten Feststellungen der Gerichte tatsächlich Gebrauch gemacht hat.

bb) Aber auch die Erwägungen der Fachgerichte zur materiellen Unwirksamkeit des Ausschließungsbeschlusses halten, ohne dass dies noch entscheidungserheblich wäre, der verfassungsrechtlichen Überprüfung stand. Das Oberlandesgericht hat, wie seine Überlegungen zum Prüfungsmaßstab und im Rahmen der Abwägung zeigen, grundsätzlich erkannt, dass das verfassungsrechtlich geschützte Recht des Beschwerdeführers zur Regelung interner Angelegenheiten betroffen ist. Bei der notwendigen Abwägung mit den ebenfalls durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Interessen der vom Ausschluss betroffenen Mitglieder sind die Gerichte aufgrund nachvollziehbarer Überlegungen zu einem vertretbaren Ergebnis gelangt.

Soweit sich der Beschwerdeführer dagegen wendet, dass die Gerichte im Rahmen der Abwägung zu Unrecht seine Sozialmächtigkeit betont hätten, beruhte die Feststellung der materiellen Unwirksamkeit des Ausschlusses jedenfalls nicht auf einem zu weit gefassten gerichtlichen Kontrollspielraum. Die Gerichte haben den nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. BGHZ 102, 265 <276 f.>) für alle Vereine, also nicht nur für Monopolverbände und ihnen gleichstehende Vereinigungen, geltenden Unwirksamkeitsgrund der groben Unbilligkeit des Ausschlusses als erfüllt angesehen. Die insoweit maßgebende Abwägung der im Einzelfall betroffenen Interessen weist keine verfassungsrechtlich relevanten Mängel auf.

2. Aus den genannten Gründen scheidet auch ein Verstoß gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG aus. Die tragenden Erwägungen der angegriffenen Entscheidungen sind auch vor dem Hintergrund des Art. 9 Abs. 3 GG nachvollziehbar und gut vertretbar.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).

Ende der Entscheidung

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