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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 12.11.1997
Aktenzeichen: 1 BvR 307/94
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 1 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
L e i t s a t z

zum Beschluß des Ersten Senats vom 12. November 1997

- 1 BvR 479/92 - - 1 BvR 307/94 -

Die Rechtsprechung der Zivilgerichte zur Arzthaftung bei fehlgeschlagener Sterilisation und fehlerhafter genetischer Beratung vor Zeugung eines Kindes verstößt nicht gegen Art. 1 Abs. 1 GG.

BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 1 BvR 479/92 - - 1 BvR 307/94 -

IM NAMEN DES VOLKES

In den Verfahren über die Verfassungsbeschwerden

1. des Herrn Dr. T...,

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Dr. Rudolf Sottung und Partner, Maximiliansplatz 12, München -

gegen a) das Urteil des Oberlandesgerichts München vom 20. Februar 1992 - 1 U 2278/91 -,

b) das Urteil des Landgerichts München I vom 16. Januar 1991 - 9 O 738/90 -

- 1 BvR 479/92 -,

2. des Herrn Professor Dr. H...

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Hartmut Neifer und Partner, Wöhrdstraße 5, Tübingen -

gegen a) das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 16. November 1993 - VI ZR 105/92 -,

b) das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 19. März 1992 - 14 U 57/89 -

- 1 BvR 307/94 -

hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung des Vizepräsidenten Seidl, der Richter Grimm, Kühling, der Richterinnen Seibert, Jaeger, Haas und der Richter Hömig, Steiner

am 12. November 1997 beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerden werden zurückgewiesen.

G r ü n d e :

A.

Die zur gemeinsamen Entscheidung verbundenen Verfassungsbeschwerden betreffen die Rechtsprechung der Zivilgerichte, nach der die Unterhaltspflicht für ein Kind bei fehlgeschlagener Sterilisation oder fehlerhafter genetischer Beratung einen zu ersetzenden Schaden darstellen kann.

I. Verfahren 1 BvR 479/92

1. Der Beschwerdeführer ist ein niedergelassener Urologe. Er beriet den Ehemann der Klägerin des Ausgangsverfahrens in Fragen der Familienplanung und nahm an ihm einen ärztlichen Eingriff zum Zwecke der Sterilisation vor. Die Sterilisation mißlang; der Patient wurde hierüber nicht aufgeklärt. Seine Ehefrau gebar im Mai 1984 ihren vierten Sohn. Der Beschwerdeführer und dessen Haftpflichtversicherung lehnten Schadensersatzansprüche ab.

2. a) Im Ausgangsverfahren verlangte die Ehefrau Schadensersatz wegen des Unterhaltsaufwands für das Kind sowie ein Schmerzensgeld wegen der ungewollten Schwangerschaft und der Geburt des Kindes.

Das Landgericht verurteilte den Beschwerdeführer zur Leistung des Regelunterhalts für nichteheliche Kinder und zur Zahlung eines Zuschlags von 70 vom Hundert des Regelunterhalts für den Betreuungsaufwand. Da die Mutter allein geklagt hatte, wurde ihr nach dem Rechtsgedanken von § 1360 Satz 2 und § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB nur die Hälfte des zu ersetzenden Gesamtunterhaltsaufwands zugesprochen. Daneben hielt das Landgericht ein Schmerzensgeld in Höhe von 6.000 DM für angemessen.

Im einzelnen führte das Landgericht aus: Zwischen dem Beschwerdeführer und dem Ehemann der Klägerin sei ein Behandlungsvertrag über die Durchführung einer Sterilisation geschlossen worden. Die Klägerin sei in den Schutzbereich dieses Vertrages mit einbezogen worden, so daß sie Schadensersatzansprüche aus der Schlechterfüllung des Vertrages habe. Der versprochene Sterilisationseingriff sei zum Zwecke der Familienplanung, nicht aus medizinischen Gründen durchgeführt worden. Einer solchen Arztleistung sei es wesenseigen, daß der vertragliche Schutz gegen Schlechterfüllung jedem Ehegatten zukommen solle, weil er durch seine Unterhaltslast betroffen sei. Der Beschwerdeführer habe den Behandlungsvertrag schlecht erfüllt, weil er den Ehemann der Klägerin nicht ordnungsgemäß und umfassend über den Sterilisationseingriff aufgeklärt habe. Die Zuerkennung des Schadensersatzes verstoße nicht gegen die Menschenwürde des Kindes. Nicht das Kind werde als Schaden im juristischen Sinne betrachtet, sondern die durch seine planwidrige Geburt ausgelöste Unterhaltsbelastung der Eltern. Die Existenz des Kindes sei zwar Voraussetzung für diese Unterhaltsbelastung; die haftungsrechtliche Zurechnung der wirtschaftlichen Belastung durch das Kind und die Existenz des Kindes seien jedoch voneinander zu trennen. Der Überbürdung von Unterhaltslasten auf einen Dritten könne man schwerlich die Bedeutung beimessen, die Eltern dokumentierten damit, daß sie sich fortwährend gegen das Lebensrecht des Kindes stellten. Welche innere Einstellung zwischen Eltern und Kind bestehe, hänge nicht davon ab, ob ein Kind "unerwünscht" im Sinne von "planwidrig" gewesen sei. Es habe schon immer unerwünschte Kinder gegeben, die nach ihrer Geburt von ihren Eltern dieselbe Zuwendung erfahren hätten wie sogenannte Wunschkinder. Darüber hinaus sei nicht einzusehen, warum sich der Schädiger unter dem Vorwand einer psychologischen Rücksichtnahme auf das Kind seinen Verpflichtungen solle entziehen können. Die Befreiung von der finanziellen Belastung durch den Schädiger habe eine für das Verhältnis der Klägerin zu ihrem Kind förderliche Wirkung, da die infolge der Geburt eingetretenen wirtschaftlichen Belastungen neutralisiert würden.

b) Das Oberlandesgericht wies die Berufung des Beschwerdeführers zurück. Es bestätigte das landgerichtliche Urteil nicht nur im Ergebnis, sondern folgte ihm auch in der Begründung in vollem Umfang. Es schloß sich dabei ausdrücklich der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs an, wonach Schadensersatzansprüche wegen des Unterhaltsaufwands für ein gesundes eheliches Kind bestehen, wenn durch das schuldhafte Verhalten eines Arztes eine wirtschaftlich motivierte Familienplanung durchkreuzt wird.

3. Mit der Verfassungsbeschwerde macht der Beschwerdeführer geltend, die Urteile des Landgerichts und des Oberlandesgerichts verletzten die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 6 und Art. 12 GG sowie aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

Mit der kritiklosen Übernahme der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs überschritten Landgericht und Oberlandesgericht die Grenzen der zulässigen richterlichen Rechtsfortbildung. Zwar sei die richterliche Rechtsfortbildung grundsätzlich zulässig; sie müsse aber anerkannten Gerechtigkeitsvorstellungen entsprechen, eine Lücke im Gesetz schließen und frei von Willkür sein. Letzteres bedeute, daß sie mit den dogmatischen Grundsätzen des jeweiligen Rechtsgebiets vereinbar sein müsse. Diese vom Bundesverfassungsgericht der richterlichen Rechtsfortbildung gesetzten Grenzen hätten die Gerichte verletzt. Die Auffassung, daß der für ein unerwünschtes Kind zu leistende Unterhaltsaufwand einen erstattungsfähigen Schaden darstelle, widerspreche den ethischen Grundvorstellungen, die im Grundgesetz normiert seien. Kinder unterlägen dem Grundrechtsschutz; sie seien kein Schaden. Den Wertungen unserer Rechtskultur und Ethik entspreche es nicht, die rechtliche Betrachtung in materiellen Konsequenzen zu erschöpfen, wenn ein zunächst unerwünschtes Kind geboren werde. Die Rechtsfortbildung sei auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil der Bundesgerichtshof damit eine Lücke nach den Maßstäben der praktischen Vernunft geschlossen hätte. Die (familienrechtlichen) Regelungen über die wechselseitigen Unterhaltsverpflichtungen in der Familie seien abschließend. Dies zeige insbesondere die Ausnahmevorschrift des § 844 Abs. 2 BGB, die vorliegend zu Unrecht erweiternd herangezogen worden sei. Die angegriffenen Entscheidungen seien auch nicht frei von Willkür, denn sie mißachteten anerkannte Grundsätze des Schadensersatzrechts und der juristischen Dogmatik. Die aus der Geburt des Kindes erwachsene familienrechtliche Unterhaltspflicht lasse sich nicht mit anderen rein vermögensrechtlichen Belastungen gleichsetzen. Die Rechtsordnung erlaube es nicht, Schwangerschaft und Geburt eines gesunden Kindes als Schaden im zivilrechtlichen Sinne zu bewerten. Naturalrestitution komme daher nicht in Betracht. Auch mute der Bundesgerichtshof den Eltern systemwidrig nicht die Freigabe des Kindes zur Adoption zum Zwecke der Schadensminderung zu. Andererseits begrenze er aber den Anspruch auf den Regelunterhalt und einen Zuschlag für den Wert der pflegerischen Leistungen. Diese billigkeitsorientierte Schadensreduktion zeige, daß die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs - und der ihr folgenden Gerichte im vorliegenden Verfahren - bereits im Ansatz verfehlt sei.

Der Beschwerdeführer sieht sich ferner in seinem Grundrecht auf freie Berufsausübung verletzt, weil durch Richterrecht ein weiterer gesetzlich nicht geregelter Haftungstatbestand geschaffen worden sei. Die haftungsrechtlichen Konsequenzen dieser Judikatur seien so weitreichend, daß sie im Ergebnis sogar einen Eingriff in die Substanz des ärztlichen "Gewerbebetriebs" darstellten (Art. 14 Abs. 1 GG). Die Einführung eines so weitgehenden Haftungstatbestandes mit Schutzwirkungen zugunsten eines unübersehbaren Kreises von Geschlechtspartnern bedürfe der gesetzlichen Regelung. Zum Bereich der verfassungsrechtlich geschützten Berufsausübung gehörten überdies die für den Arzt geltenden ethischen Grundsätze; der Arzt sei in erster Linie verpflichtet, Leben zu erhalten und der Vernichtung keimenden Lebens entgegenzuwirken. Diese ethischen Pflichten würden ins Gegenteil verkehrt, wenn ihm die mit der Geburt eines Kindes einhergehende Unterhaltsverpflichtung als Folge einer fehlerhaften Sterilisation auferlegt würde. Die Zahlungsverpflichtung "bestrafe" ihn für das, was seine ureigene berufliche Aufgabe sei, nämlich Leben zu retten, zu schützen und zu schaffen. Für eine solche Pönalisierung fehle sowohl die ethische Grundlage als auch eine im Hinblick auf Art. 12 Abs. 1 GG notwendige Eingriffsnorm. Das Berufsbild des Arztes werde durch die Auffassung in den angefochtenen Entscheidungen, der Arzt solle für von ihm nicht verhindertes Leben bezahlen, ad absurdum geführt.

Die angegriffenen Entscheidungen seien auch mit Art. 6 und Art. 1 Abs. 2 GG unvereinbar. Die Durchbrechung des geschlossenen familienrechtlichen Regelsystems verstoße gegen den Grundgedanken des Art. 6 GG, der die Familie unter den besonderen Schutz der staatlichen Ordnung stelle. Das Kind sei in seiner Menschenwürde betroffen. Schon durch die Zubilligung eines Schmerzensgeldanspruchs der Mutter für die Zeit der Schwangerschaft erfahre das Kind, daß seine Existenz auf einen Schädiger zurückzuführen sei, der in die körperliche Unversehrtheit seiner Mutter eingegriffen habe und hierfür Schmerzensgeld zahlen müsse, während seine Geschwister sämtlich gewünscht und geplant gewesen seien. Das Kind erfahre auch, daß seine Mutter als Ausgleich für seine Betreuung und Pflege monatlich einen Geldbetrag erhalte, während seine Geschwister die gleiche Betreuung ohne eine solche Geldleistung erhielten. Damit bleibe dem Kind seine besondere Situation innerhalb der Familie auf Dauer nicht verborgen. Die Mutter müsse es, um ihre Schadensersatzansprüche zu sichern, auf Dauer zum ungewünschten Kind erklären. Damit werde das Kind zwangsläufig zu der Erkenntnis gelangen, daß sich seine Eltern ihm nur deshalb nicht weniger widmeten als seinen Geschwistern, weil ihnen die Last seiner Existenz durch Schadensersatzzahlungen erleichtert werde.

Auch soweit die angegriffenen Entscheidungen der Klägerin ein Schmerzensgeld wegen der durch die Schwangerschaft erlittenen Beeinträchtigungen zusprächen, seien die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschritten. Würde für eine normale Schwangerschaft, die mit der Geburt eines gesunden, vollentwickelten Kindes ende, ein Schmerzensgeld zuerkannt, werde das Austragen des verfassungsrechtlich geschützten nasciturus als Lebensbeeinträchtigung im Sinne des § 847 BGB verstanden. Die Rechtsordnung erkenne ein haftungsrechtlich relevantes, in Geld formulierbares gesteigertes Genugtuungsbedürfnis für das Durchleben einer normalen Schwangerschaft nicht an. Die Schwangerschaft sei kein Eingriff in die körperliche Integrität der Frau. Diese Rechtsfortbildung sei auch mit dem numerus clausus der Schadensersatzansprüche in § 253 BGB nicht in Einklang zu bringen und verstoße gegen das Willkürverbot. Die Zuerkennung eines Schmerzensgeldes für eine Schwangerschaft führe darüber hinaus zur Schaffung eines weiteren Haftungstatbestandes mit völlig unübersehbaren Konsequenzen, wodurch unzulässig in die ärztliche Berufsausübung eingegriffen werde.

4. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Bayerische Staatsministerium der Justiz, der Präsident des Bundesgerichtshofs und die Klägerin des Ausgangsverfahrens Stellung genommen.

a) Das Staatsministerium vertritt die Auffassung, daß die angegriffenen Urteile nicht die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschritten. Die Gerichte hätten keinen neuen Haftungstatbestand geschaffen. Die angegriffenen Entscheidungen beruhten vielmehr auf einer nachvollziehbaren Auslegung und konsequenten Fortentwicklung des Schadensbegriffs des § 249 BGB. Es sei nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die Stichhaltigkeit der gegen die angegriffene Rechtsprechung vorgebrachten Argumente zu überprüfen, soweit es dabei um einfachrechtliche Fragen, insbesondere die zivilrechtliche Dogmatik, gehe.

Bedenken bestünden jedoch im Hinblick auf die von Verfassungs wegen zu schützende Menschenwürde des Kindes, weil das Bundesverfassungsgericht in einem obiter dictum festgestellt habe, daß die rechtliche Qualifikation des Daseins eines Kindes als Schadensquelle wegen Art. 1 Abs. 1 GG nicht in Betracht komme. Zwar habe sich der Bundesgerichtshof in seiner Rechtsprechung mit diesem Argument im einzelnen auseinandergesetzt. Es erscheine indessen zweifelhaft, ob es mit den Wertvorstellungen des Grundgesetzes vereinbar sei, die (nicht geplante) Geburt eines Kindes rechtlich allein unter dem Gesichtspunkt der Unterhaltsbelastung der Eltern zu betrachten. Zwar entspreche diese Betrachtungsweise der Dogmatik des Schadensrechts. Dem besonderen, in erster Linie von immateriellen Beziehungen geprägten Verhältnis zwischen Eltern und Kind dürfte diese rein vermögensrechtliche Beurteilung jedoch nicht gerecht werden.

Die Zuerkennung von Schmerzensgeld für die mit einer Schwangerschaft verbundenen Beeinträchtigungen sei aus dem Gesichtspunkt der Rechtsfortbildung verfassungsrechtlich unbedenklich. Hiergegen dürften jedoch die gleichen verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen wie gegen die Bewertung des Unterhaltsaufwands für ein ungewolltes Kind als Schaden. Auch die Schwangerschaft der Mutter sei eine vom Dasein des Kindes nicht zu trennende Begleiterscheinung.

b) Der Präsident des Bundesgerichtshofs hat eine Äußerung des Vorsitzenden des VI. Zivilsenats vorgelegt, in der im wesentlichen auf die Rechtsprechung dieses Senats hingewiesen wird. Ferner wird hervorgehoben, daß nur der Ehepartner, nicht aber jeder andere Sexualpartner in den Schutzzweck des Behandlungsvertrags einbezogen sei.

c) Die Klägerin des Ausgangsverfahrens hält die angegriffenen Entscheidungen für richtig und verweist darauf, daß bei familienplanerischen Entscheidungen finanzielle Erwägungen und Fragen der persönlichen Entfaltung von nicht unerheblicher Bedeutung seien. Es sei nicht zu verkennen, daß in Einzelfällen aus diesen Gründen auch Lösungen gegen das Kind gefunden würden. Das werdende Kind sei daher in dieser Willensbildungsphase in seinem Dasein erheblich gefährdet. Die Aussicht der Eltern, in einem solchen Fall von dem Arzt, der seine Pflichten schuldhaft verletzt habe, einen angemessenen Beitrag zur Lebensführung der Familie zu erhalten, nehme von den Eltern einen wesentlichen Teil des gegen das Kind gerichteten Entscheidungsdrucks. Es sei nicht nachvollziehbar, daß die Würde eines Menschen einen Dritten von der Haftung für schuldhaft fehlerhaftes Handeln entbinde. Zudem würden nicht nur die unmittelbaren wirtschaftlichen Verhältnisse des Kindes hiervon betroffen; wirtschaftlich benachteiligt seien in erster Linie alle anderen Familienmitglieder.

II. Verfahren 1 BvR 307/94

1. Die Kläger zu 1) und 2) des Ausgangsverfahrens sind die Eltern einer 1982 geborenen von Geburt an geistig und körperlich behinderten Tochter. Weil sie eine genetische Disposition zur Zeugung behinderter Kinder befürchteten, suchten sie im August 1983 die damals vom Beschwerdeführer geleitete Abteilung für klinische Genetik eines Universitätsinstituts auf, um vor dem Entschluß zu einem weiteren Kind die Gefahr von Erbkrankheiten abklären zu lassen. Der Beschwerdeführer unterzeichnete einen Arztbrief, der den beiden Klägern abschriftlich zur Kenntnis gebracht wurde. Danach war eine vererbbare Störung äußerst unwahrscheinlich; dem Ehepaar müsse nicht von einer weiteren Schwangerschaft abgeraten werden. Im März 1985 wurde die zweite Tochter mit den gleichen geistigen und körperlichen Behinderungen wie ihre Schwester geboren.

2. a) Das Landgericht wies die Klage auf Unterhaltsersatz (der Eltern) sowie auf Schmerzensgeld (der Mutter und der behinderten Tochter) mit der Begründung ab, daß den Klägern der Beweis einer pflichtwidrigen Beratung nicht gelungen sei.

b) Das Oberlandesgericht sprach den Eltern auf ihre Berufung den Ersatz des materiellen Schadens zu, der ihnen durch den gesamten Unterhaltsaufwand für das behinderte Kind entstanden sei und entstehen werde. Der Mutter billigte es darüber hinaus ein Schmerzensgeld zu. Eigene Ansprüche des Kindes lehnte es ab.

Das Oberlandesgericht hielt den Beweis für erbracht, daß die fehlerhafte und unzureichende genetische Beratung für den geltend gemachten Schaden ursächlich gewesen sei, da die geistigen und körperlichen Behinderungen des Kindes - jedenfalls auch - auf eine genetische Störung zurückzuführen seien und die Eltern bei vollständiger und zutreffender Beratung von der Zeugung eines weiteren Kindes Abstand genommen hätten. Der Höhe nach sei den Eltern der gesamte Unterhaltsaufwand zu ersetzen, nicht nur der krankheitsbedingte Mehrbedarf des Kindes. Der Mutter stehe ferner aus Deliktsrecht Schmerzensgeld in Höhe von 10.000 DM zu, weil infolge des Beratungsfehlers Schwangerschaft und Geburt ungewollt gewesen und damit als Körperverletzung anzusehen seien. Dabei wurden stationäre Klinikaufenthalte während der Schwangerschaft infolge drohender Frühgeburt und die Kaiserschnittentbindung wegen vorzeitiger Lösung der Plazenta schmerzensgelderhöhend bewertet. Hingegen wurde eine seelische Belastung "durch das Haben eines gesundheitlich beeinträchtigten Kindes" bei der Schmerzensgeldbemessung nicht berücksichtigt.

Die Berufung des Kindes wurde zurückgewiesen, weil mit der Zuerkennung unmittelbarer Schadensersatzansprüche an das geschädigt geborene Kind die Grenzen überschritten würden, innerhalb derer eine rechtliche Anspruchsregelung tragbar sei. Der Mensch habe sein Leben so hinzunehmen, wie es von der Natur gestaltet sei, ohne daß ihm ein Anspruch auf seine Nichtexistenz oder auf Verhütung durch andere zuerkannt werden dürfe (unter Berufung auf BGHZ 86, 240; 89, 95).

c) Das Kind hat die zunächst eingelegte Revision zurückgenommen. Die Revision des Beschwerdeführers wurde vom Bundesgerichtshof lediglich hinsichtlich der vertraglichen Haftung auf Schadensersatz angenommen und zurückgewiesen (BGHZ 124, 128).

In den Gründen heißt es: Der Senat halte an seiner Rechtsprechung fest, daß die vertragliche Arzthaftung den Unterhaltsaufwand für ein Kind umfassen könne. Diese Rechtsprechung sei auf den Fall der fehlerhaften genetischen Beratung vor Zeugung eines Kindes übertragbar. Zwar habe der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts in seinem Urteil vom 28. Mai 1993 im Leitsatz 14 sowie unter D V 6 der Gründe (vgl. BVerfGE 88, 203 <296>) in diesem Punkt Bedenken erhoben. Auch wenn den Ausführungen keine Bindungswirkung zukomme und der Senat seine Rechtsprechung schon mehrfach kritischer Prüfung unterzogen habe, machten sie doch eine neuerliche eingehende Überprüfung der Rechtslage erforderlich. Der Senat vermöge indessen dem Hinweis des Bundesverfassungsgerichts keine Begründung zu entnehmen, die im vorliegenden Fall einer Beurteilung der Aufwendungen für den Unterhalt als Schaden entgegenstehe.

Ausgangspunkt für die rechtliche Wertung des Unterhaltsaufwands als Schaden sei die vertragliche Haftung des Arztes für die Erfüllung der medizinischen Anforderungen zur Erzielung des Erfolgs der Behandlung oder Beratung, die er übernommen habe. Dieser haftungsrechtliche Ansatz gelte allerdings nur für Verträge, gegen deren Rechtmäßigkeit keine Bedenken bestünden. Es könne daher offenbleiben, ob ein Schwangerschaftsabbruch, der aus den Gründen des genannten Urteils des Bundesverfassungsgerichts für nicht gerechtfertigt erklärt werden müsse, nach der Rechtsordnung noch Ansatz für einen Schadensersatzanspruch sein könne. Beratungsverträge, durch die bereits die Zeugung eines erbgeschädigten Kindes verhindert werden solle, hätten ebenso wie die auf Vermeidung der Geburt eines Kindes gerichteten Sterilisationsverträge die Herbeiführung eines rechtmäßigen Erfolges zum Ziel. Der Wunsch der Eltern eines behinderten Kindes, die Zeugung eines weiteren Kindes vom Ergebnis einer genetischen Beratung abhängig zu machen, begegne nicht einmal moralischen Bedenken, sondern sei in hohem Maße von elterlicher Verantwortung geprägt. Sei aber ein Vertrag auf ein von der Rechtsordnung erlaubtes Ziel gerichtet, so habe der Arzt für die Erreichung dieses Vertragszwecks durch die Erfüllung der von ihm übernommenen Pflichten auch haftungsrechtlich einzustehen. Insoweit ergäben sich keine verfassungsrechtlichen Bedenken; vielmehr werde auch in dem genannten Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausdrücklich hervorgehoben, daß die Schlechterfüllung ärztlicher Behandlungs- oder Beratungspflichten grundsätzlich zivilrechtliche Haftungsfolgen auslösen könne. Diene die Übernahme der medizinischen Aufgabe durch den Arzt der Erreichung eines erlaubten Vertragszwecks, könne das nicht ohne rechtliche Verantwortung für den Arzt und nicht ohne Konsequenzen für das Haftungsrecht bleiben. Vielmehr sei der haftungsrechtliche Schutz, der einem Vertragspartner zukommen müsse, letztlich Auswirkung des medizinischen Fortschritts, wenn dieser in Einklang mit der Rechtsordnung derartige Möglichkeiten zur Vermeidung der Geburt eines Kindes eröffne. Bei einer solchen Sachlage würde es einen gravierenden Eingriff in das Gefüge vertraglicher Interessen darstellen, wenn der Arzt von den haftungsrechtlichen Konsequenzen einer schuldhaften Verletzung seiner Vertragspflichten freigestellt würde.

Auch unter Berücksichtigung der Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts sei kein sich aus der Verfassung ergebender Grund zu erkennen, der einen derart schwerwiegenden Eingriff in die zivilrechtliche Vertragshaftung erforderlich machen könnte. Der Senat halte es schon seit seinem Leiturteil vom 18. März 1980 (BGHZ 76, 249 <253 f.>) für unzulässig, die Existenz des Kindes selbst als Schaden anzusehen. Das stehe in Übereinstimmung mit der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts. Das Schlagwort "Kind als Schaden" stelle eine unangemessene und aus rechtlicher Sicht auch untaugliche Betrachtung dar. Der Schaden bestehe in dem durch die planwidrige Geburt des Kindes ausgelösten Unterhaltsaufwand. Die Unterscheidung zwischen der Existenz des Kindes und seinem unbestreitbaren Wert als Persönlichkeit einerseits und der sich für die Eltern ergebenden Unterhaltsbelastung andererseits bedeute keine künstliche Aufspaltung der "personalen Ganzheit", sondern erweise sich aus schadensrechtlicher Sicht als folgerichtig. Erst die Belastung der Eltern mit dem Unterhalt stelle die den Schaden kennzeichnende Vermögensminderung dar.

Die Eltern würden durch die teilweise Beteiligung des Arztes an ihrer wirtschaftlichen Belastung auch nicht von ihrer Unterhaltspflicht gegenüber ihrem Kind freigestellt. Bei dem schadensrechtlich erforderlichen Vergleich der wirtschaftlichen Lage mit und ohne Schadensereignis würden nämlich nicht etwa Existenz und Nichtexistenz des Kindes in dem Sinne miteinander verglichen, daß die Nichtexistenz des Kindes als positiver, seine Existenz hingegen als negativer Vermögensfaktor zu berücksichtigen wäre. Dies müßte unter dem Blickpunkt der Würde des Menschen nach Art. 1 GG verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen. Ein derartiger Vergleich wäre auch aus schadensrechtlicher Sicht verfehlt. Diese beschränke sich allein auf die wirtschaftliche Seite des komplexen Lebenssachverhalts, den die Geburt eines Kindes bedeute. Bei dem für eine Schadensermittlung erforderlichen Vergleich der Vermögenslagen sei nur die wirtschaftliche Situation des Unterhaltsverpflichteten mit und ohne Unterhaltsbelastung in Ansatz zu bringen. Es werde dabei nicht verkannt, daß die wirtschaftliche Belastung erst durch die Existenz des Kindes ausgelöst werde. Dabei handele es sich jedoch um einen naturwissenschaftlichen Kausalzusammenhang, der für sich genommen wertfrei sei. Auch bei einem "Wunschkind" werde die Unterhaltsverpflichtung für die Eltern in der Vermögensbilanz als wirtschaftliche Belastung fühlbar, ohne daß sich dies auf das Verhältnis von Eltern und Kind negativ auswirke.

Der Senat habe - mit Stimmen in der Literatur - erwogen, ob es unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten geboten sein könnte, in Beratungsfällen der vorliegenden Art oder bei fehlgeschlagener Sterilisation einen Anspruch auf billige Entschädigung in Geld für einen immateriellen Schaden durch die Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Eltern zuzuerkennen. Eine derartige Betrachtung würde aber von einem Vergleich mit der Lage ohne die Existenz des Kindes nicht freistellen. Die Qualifizierung als immaterieller Nachteil für seine Eltern würde vielmehr unmittelbarer und gravierender auf die Person des Kindes ausstrahlen als die Feststellung der wirtschaftlichen Belastung der Eltern und ihre (teilweise) Entlastung durch den Arzt.

Die Anknüpfung der Schadensersatzpflicht an den Unterhalt wirke sich auch nicht negativ auf Persönlichkeit und Dasein des Kindes aus. Die Abnahme der wirtschaftlichen Belastung durch den Arzt sei nämlich entsprechend der Ausgleichsaufgabe von Schadens- und Haftungsrecht auf eine rein vermögensmäßige Bedeutung beschränkt und belege weder das Kind mit einem Makel noch stelle es gar sein Lebensrecht in Frage. Nach dem Gesetz und der schadensrechtlichen Praxis sei der Schadensbegriff nicht mit einer so negativen Bedeutung versehen, daß es sich von daher verbieten müßte, finanzielle Belastungen aus der Geburt eines Kindes als Schaden anzusehen. Insbesondere bedeute die Beurteilung der Unterhaltsbelastung als Schaden im Verhältnis zwischen Eltern und Arzt nicht etwa, daß über das Kind ein Unwerturteil ausgesprochen und es durch die Verbindung mit dem Begriff "Schaden" in seiner Persönlichkeit herabgewürdigt werde.

Der Gesetzgeber des Bürgerlichen Gesetzbuchs habe bewußt davon abgesehen, die Begriffe Vermögen und Vermögensschaden festzulegen, sie vielmehr der Wissenschaft und Praxis zur Ausbildung überlassen. Die Rechtsprechung habe von Anfang an als Schaden die Verminderung von Aktiv- oder die Vermehrung von Passivposten in einem rechnerischen Vergleich der durch das schädigende Ereignis eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen zugrunde gelegt, die sich ohne das Ereignis ergeben hätte (vgl. Beschluß des Großen Senats für Zivilsachen BGHZ 98, 212 <217 f.>). Die Differenzmethode sei eine an sich wertneutrale Rechenoperation, enthebe allerdings nicht davon, die in die Differenzbildung einzusetzenden Rechnungsposten wertend nach dem Schutzzweck der Haftung und der Ausgleichsfunktion des Schadensersatzes zu bestimmen. Sei jedoch der Vertrag mit dem Arzt auch darauf gerichtet gewesen, eine Unterhaltsbelastung der Eltern zu vermeiden, so sei diese Belastung sowohl vom Schutzzweck des Vertrages wie auch vom Ausgleichszweck des Schadensersatzes her als Vermögensschaden anzusehen. Mit dem schadensrechtlichen Vergleich der Vermögenslagen werde nicht etwa menschliches Dasein in entwürdigender Weise auf eine buchhalterisch-bilanzierende Sicht verengt. Es gehe um eine Methode zur Ermittlung von vermögensmäßigen Auswirkungen, auf die das Schadensrecht immer angewiesen sei. Bedeute Schadensersatz mithin nach heutigem Verständnis eine gerechte Lastenverteilung nach den jeweiligen Haftungskriterien, nicht aber eine Sanktion schädlichen Verhaltens, so sei nicht ersichtlich, weshalb die Beurteilung der Unterhaltspflicht als Schaden der Würde des Kindes abträglich sein könnte. Die Zubilligung von Schadensersatz gerade in Fällen der vorliegenden Art könne für das Kind sogar dienlich sein, weil hierdurch seine wirtschaftliche Lage verbessert und möglicherweise seine Wertschätzung innerhalb der Familie noch erhöht werde.

Die Überbürdung von Unterhaltslasten auf den behandelnden Arzt erscheine dann besonders einleuchtend, wenn er infolge seines Beratungsfehlers für die mitunter existenzgefährdenden wirtschaftlichen Lasten mitverantwortlich sei, die ein schwerbehindertes, dauernd pflegebedürftiges Kind verursache. Für die Eltern verbleibe auch in solchen Fällen, in denen der Arzt nicht wie bei der Geburt eines gesunden Kindes einen von vornherein durch die Regelunterhaltssätze beschränkten Teil der Unterhaltsbelastung, sondern den durch den Vermögensvergleich erfaßbaren Vermögensaufwand voll zu übernehmen habe, der gesamte übrige Betreuungsaufwand sowie ein beträchtliches Maß an vermögensmäßigen Leistungen und Verzichten, die sie nicht auf den Schädiger abwälzen könnten. Daß diese beschränkte wirtschaftliche Entlastung der Eltern in einem Zusammenhang mit einem verfassungsrechtlich unzulässigen Angriff auf die Würde des Kindes stehen solle, vermöge der Senat nicht zu erkennen.

Auch wenn der Schadensausgleich in solchen Fällen die herkömmliche Rechtsauffassung vor Anforderungen stelle, die der Gesetzgeber bei Schaffung des Bürgerlichen Gesetzbuchs noch nicht habe bedenken können, sei die Rechtsprechung zu einer Entwicklung des Haftungs- und Schadensrechts aufgerufen, das hier eine ausreichende Grundlage abgebe, um im Zivilrecht auf den Fortschritt der Fortpflanzungsmedizin und auf die dort in Anspruch genommenen Einwirkungs- und Steuerungskompetenzen angepaßt zu antworten. Wenn und soweit die Inanspruchnahme von Steuerungskompetenz durch die Medizin nicht gegen die Menschenwürde verstoße, könne nach Auffassung des Senats nichts anderes gelten für eine zivilrechtliche Haftung für die Folgen, in denen das Ausmaß der vom Arzt übernommenen Verantwortung sichtbar werde.

Der Unterhaltsaufwand für ein schwerbehindertes Kind sei auch nicht teilbar in einen solchen, der für ein hypothetisch gesundes Kind familienrechtlich geschuldet werde, und einen solchen, der durch den Gesundheitsschaden zusätzlich bedingt sei. Der erforderliche Aufwand für die Existenzsicherung eines schwerbehinderten Kindes sei unteilbar. Es sei mit der Achtung vor der Person des Kindes im Sinne von Art. 1 Abs. 1 GG unvereinbar, an seine Existenz und die sich hieraus im einzelnen ergebenden Bedürfnisse den Maßstab eines "normalen" Kindes anzulegen. Die Freistellung der Eltern vom gesamten Unterhaltsbedarf auch in solchen Fällen sei deshalb keinesfalls mit einer Mißachtung der Würde des Kindes verbunden, sondern geeignet, diese schadensrechtlich zu schützen und zu gewährleisten.

3. Mit der Verfassungsbeschwerde greift der Beschwerdeführer die Urteile des Oberlandesgerichts und des Bundesgerichtshofs an, soweit er zum Ersatz der Unterhaltsaufwendungen verurteilt worden ist. Er rügt die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG sowie vorsorglich auch Art. 12 und Art. 14 GG.

Der Bundesgerichtshof habe bei der Auslegung des Begriffs "Schaden" Verfassungsprinzipien, insbesondere Art. 1 Abs. 1 GG, grundlegend unzutreffend bewertet und dadurch die Bindung an das Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht beachtet. Ein solcher Verstoß könne über Art. 2 Abs. 1 GG gerügt werden. Die rechtliche Qualifikation des Daseins eines Kindes als Schadensquelle komme von Verfassungs wegen auch dann nicht in Betracht, wenn das Kind behindert sei. Dies habe der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts im Urteil vom 28. Mai 1993 ausgesprochen. Die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, jeden Menschen in seinem Dasein um seiner selbst willen zu achten, verbiete es, die Unterhaltspflicht für ein Kind als Schaden zu begreifen. Das beruhe auf Art. 1 Abs. 1 GG. Das Kind würde sonst zum bloßen Objekt eines rechtlichen Anspruchs herabgewürdigt; sein Dasein würde zu einem bloßen Schadensposten verkommen, eingestellt in die Schadensberechnung in Gestalt einer "wirtschaftlichen Belastung".

Die Aufspaltung zwischen der Existenz des Kindes und der sich für die Eltern hieraus ergebenden Unterhaltsbelastung sei künstlich und willkürlich. Gerade die vom Bundesgerichtshof vorgenommene Beschränkung der Betrachtungsweise auf die wirtschaftliche Seite sei es, die das Kind zum bloßen Objekt einer Schadensberechnung herabwürdige. Durch die Anerkennung der Unterhaltsbelastung als Schaden werde die Unerwünschtheit des Kindes verfestigt und diesem selbst - sobald es die erforderliche Erkenntnisfähigkeit habe - drastisch vor Augen geführt. Daß diese Erkenntnis seelische Schäden des Kindes zur Folge haben werde, lasse der Bundesgerichtshof außer Betracht. Aus dem wertbetonten Gesamtkomplex der durch die Geburt eines Menschen begründeten Sonderbeziehungen ließen sich nicht einzelne Verpflichtungen isolieren. Dadurch werde die personale Ganzheit des Menschen geleugnet. Der Verbund der zwischen Eltern und Kind gegenseitig bestehenden, verzahnten Rechte und Pflichten könne nicht willkürlich aufgesprengt werden; dies lasse die gegenseitigen immateriellen Beziehungen völlig außer acht.

Ein Verstoß gegen spezifisches Verfassungsrecht, der über Art. 2 Abs. 1 GG gerügt werden könne, liege zumindest insoweit vor, als der Beschwerdeführer nicht nur zum Ersatz des aufgrund der Behinderungen sich ergebenden Mehrbedarfs des Kindes verurteilt worden sei, sondern darüber hinaus zum Ersatz des gesamten Unterhaltsaufwands. Die Anerkennung auch des gewöhnlichen Unterhaltsaufwands als Schaden würdige endgültig bereits die bloße Existenz des Kindes zu einer nicht erwünschten wirtschaftlichen Belastung herab. Ein Kind zum Gegenstand eines Anspruchs auf dessen Nichtexistenz zu machen, sei mit der verfassungsrechtlich geschützten Würde dieses Kindes, mit seinem verfassungsrechtlichen Anspruch auf uneingeschränkte Anerkennung seines Lebensrechtes durch die gesamte Rechtsordnung nicht in Einklang zu bringen.

Nur vorsorglich werde auch die Verletzung der Grundrechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 GG gerügt. Ein Eingriff in den konkreten Bestand des Vermögens könne auch in einem vollstreckbaren Urteil aufgrund einer verfassungsrechtlich zumindest im vorliegenden Umfang nicht zulässigen Schadensersatzverpflichtung liegen. Ferner werde in sein Grundrecht auf freie Berufsausübung dadurch rechtswidrig eingegriffen, daß er mit einer verfassungsrechtlich nicht zulässigen Begründung auf Schadensersatz in Anspruch genommen würde.

4. Zu der Verfassungsbeschwerde haben der Deutsche Juristinnenbund, die Beklagten zu 2) und 3) (ein Klinikarzt an dem Institut und die Universität) sowie die Kläger des Ausgangsverfahrens Stellung genommen. Der Bundesgerichtshof hat sich auf seine Stellungnahme im Verfahren 1 BvR 479/92 bezogen.

a) Der Deutsche Juristinnenbund hält die Verfassungsbeschwerde für begründet, soweit es um die Haftung der Ärzte für den allgemeinen Lebensbedarf eines minderjährigen Kindes geht, hingegen für unbegründet, soweit der Beschwerdeführer verurteilt worden ist, den behinderungsbedingten, in Geld faßbaren Mehrbedarf eines minderjährigen Kindes zu zahlen. Die Gewährleistung des allgemeinen Lebensunterhalts für ein gesundes oder behindertes minderjähriges Kind sei Ausfluß der Personensorge. Sie sei mit der Elternschaft verbunden und von den Umständen der Zeugung oder Geburt auch dann unabhängig, wenn ein Behandlungs- oder Beratungsfehler für die Geburt des Kindes mitursächlich gewesen sei. Personengebundene familienrechtliche Verpflichtungen könnten nicht im Wege des Schadensausgleichs verlagert werden. Etwas anderes gelte für den durch die Behinderung des minderjährigen Kindes bedingten Mehraufwand. Auch insoweit seien die Eltern zur Abdeckung dieses - abgrenzbaren - über die allgemeinen Lebenshaltungskosten hinausgehenden Bedarfs verpflichtet. Für diesen finanziell feststellbaren Mehrbedarf habe ein Schädiger grundsätzlich einzustehen. Insofern gebe die Vorschrift des § 843 Abs. 4 BGB vor, daß ein Schadensersatzanspruch nicht dadurch ausgeschlossen werde, daß ein anderer dem Verletzten Unterhalt zu gewähren habe. Alleiniger Prüfungsmaßstab sei Art. 2 Abs. 1 GG. Eine nicht an der Verfassung ausgerichtete Auslegung des Begriffs Schaden würde zu einer übermäßigen Belastung mit Schadensersatzansprüchen und damit zu einer grundgesetzwidrigen Einschränkung der allgemeinen Handlungsfreiheit führen.

b) Die Beklagten zu 2) und 3) des Ausgangsverfahrens halten die Verfassungsbeschwerde für begründet. Den angefochtenen Entscheidungen liege ein Schadensbegriff zugrunde, der mit den in Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Grundprinzipien unvereinbar sei und den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG verletze. Es könne nicht zwischen dem Dasein eines Kindes als solchem und der damit verbundenen Unterhaltslast unterschieden werden. Vielmehr müsse aus der Verpflichtung zur Achtung der Würde des Menschen die unabdingbare Folgerung gezogen werden, daß der Unterhalt für ein Kind generell nicht als Schaden angesehen werden könne.

c) Die Kläger des Ausgangsverfahrens halten die angegriffenen Entscheidungen für verfassungsgemäß. Bei den Ausführungen des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts handele es sich um ein obiter dictum, dem die Bindungswirkung nach § 31 Abs. 1 BVerfGG fehle; denn der Ausspruch über Schaden und Unterhalt sei durch den Gegenstand des Normenkontrollverfahrens nicht geboten gewesen. Die Aufgabe und die Pflicht der Eltern, ihr Kind dauernd als zur Familie voll zugehörig und liebend aufzunehmen, werde durch die Überbürdung des Unterhaltsanspruchs auf einen Dritten nicht geschmälert. Die Würde des Kindes werde dadurch nicht berührt. Das Dasein des Menschen sei an materielle Voraussetzungen oder Bedingungen geknüpft. Wer solche Unterhaltsansprüche zur Entstehung bringe, greife dadurch nicht in die Würde des Erzeugten ein, sondern ermögliche nur seine materielle Existenz. Auch nach § 844 Abs. 2 BGB würden Unterhaltspflichten als Schadenswiedergutmachung auf Dritte übertragen, ohne daß dadurch der Berechtigte in seinem Dasein um seiner selbst willen mißachtet werde.

III. Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts hat sich in Form eines Beschlusses vom 22. Oktober 1997 zu dem vorliegenden Verfahren geäußert: Er ist mehrheitlich der Ansicht, daß es sich bei der in BVerfGE 88, 203 <296> geäußerten Rechtsauffassung, es sei von Verfassungs wegen (Art. 1 Abs. 1 GG) nicht gestattet, die Unterhaltspflicht für ein Kind als Schaden zu begreifen, um eine die Entscheidung des Senats tragende Rechtsansicht handele. Ferner ist er mehrheitlich der Auffassung, daß die Entscheidung der Vorfrage, ob eine Rechtsansicht tragende Bedeutung hat, von dem Plenum entschieden werden müsse, wenn der Senat, der die Rechtsauffassung geäußert hat, erklärt hat, daß ihr tragende Bedeutung zukomme, während der andere Senat sie nicht für tragend hält.

Eine Anfrage nach § 48 Abs. 2 GOBVerfG durch den Ersten Senat ist nicht erfolgt.

B.

Die Verfassungsbeschwerden sind unbegründet. Die angegriffenen Entscheidungen überschreiten nicht die Grenzen, welche der Entwicklung des Rechts durch richterliche Entscheidungen von Verfassungs wegen gesetzt sind (I). Sie verstoßen auch in ihrem sachlichen Gehalt nicht gegen Grundrechte (II).

I. Die angegriffenen Entscheidungen, mit denen die Beschwerdeführer zu Schadensersatz und Schmerzensgeld verurteilt worden sind, wahren die Bindung des Richters an Gesetz und Recht, so daß eine Grundrechtsverletzung unter diesem Gesichtspunkt ausscheidet.

1. Die der Verurteilung zugrunde liegenden Vorschriften des zivilen Vertrags- und Deliktsrechts (insbesondere §§ 611, 276, 249 BGB sowie § 823 Abs. 1, § 847 BGB) begegnen keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Sie haben von jeher dem Richter als ausreichend bestimmte Grundlage zur Entscheidung von Haftungsfragen gedient.

2. Die Auslegung dieser Vorschriften durch die Zivilgerichte überschreitet nicht die Grenzen richterlicher Entscheidungsbefugnis, die sich aus Art. 20 Abs. 2 und 3 GG ergeben.

a) Die Auslegung des einfachen Gesetzesrechts einschließlich der Wahl der hierbei anzuwendenden Methode ist Sache der Fachgerichte und vom Bundesverfassungsgericht nicht auf ihre Richtigkeit zu untersuchen. Das Bundesverfassungsgericht hat nur zu gewährleisten, daß dabei die Anforderungen des Grundgesetzes eingehalten werden.

Art. 20 Abs. 2 GG verleiht dem Grundsatz der Gewaltenteilung Ausdruck. Auch wenn dieses Prinzip im Grundgesetz nicht im Sinn strikter Trennung der Funktionen und Monopolisierung jeder einzelnen bei einem bestimmten Organ ausgestaltet worden ist (vgl. BVerfGE 9, 268 <279 f.>; stRspr), so schließt es doch jedenfalls aus, daß die Gerichte Befugnisse beanspruchen, die von der Verfassung eindeutig dem Gesetzgeber übertragen worden sind (vgl. BVerfGE 4, 219 <234>; stRspr). Art. 20 Abs. 3 GG bindet die Rechtsprechung an Gesetz und Recht. Damit wäre es unverträglich, wenn sich die Gerichte aus der Rolle des Normanwenders in die einer normsetzenden Instanz begeben, also objektiv betrachtet sich der Bindung an Recht und Gesetz entziehen würden (vgl. BVerfGE 87, 273 <280> m.w.N.).

Diese Verfassungsgrundsätze verbieten es dem Richter allerdings nicht, das Recht fortzuentwickeln. Angesichts des beschleunigten Wandels der gesellschaftlichen Verhältnisse und der begrenzten Reaktionsmöglichkeiten des Gesetzgebers sowie der offenen Formulierung zahlreicher Normen gehört die Anpassung des geltenden Rechts an veränderte Verhältnisse im Gegenteil zu den Aufgaben der Dritten Gewalt. Das gilt insbesondere bei zunehmendem zeitlichen Abstand zwischen Gesetzesbefehl und richterlicher Einzelfallentscheidung. Das hat das Bundesverfassungsgericht gerade mit Blick auf das Bürgerliche Gesetzbuch ausgesprochen (vgl. BVerfGE 34, 269 <288 f.>).

Der Richter darf sich dabei allerdings nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Seine Aufgabe beschränkt sich darauf, diesen unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen. Handelt es sich bei den veränderten Bedingungen um neuartige, durch den wissenschaftlich-technischen Fortschritt geschaffene Handlungs- oder Einwirkungsmöglichkeiten, so wird die Rechtsfindung in der Regel in einer Ausweitung des Anwendungsfeldes einer bereits geläufigen Auslegung bestehen. Die Zwecksetzungsprärogative des Gesetzgebers wird dadurch regelmäßig nicht berührt.

Da auch die Rechtsfortbildung das einfache Recht betrifft, obliegt die Beantwortung der Frage, ob und in welchem Umfang gewandelte Verhältnisse neue rechtliche Antworten erfordern, ebenfalls den Fachgerichten. Das Bundesverfassungsgericht darf deren Würdigung daher grundsätzlich nicht durch seine eigene ersetzen. Seine Kontrolle beschränkt sich unter dem Gesichtspunkt von Art. 20 GG darauf, ob das Fachgericht bei der Rechtsfortbildung die gesetzgeberische Grundentscheidung respektiert hat und den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung gefolgt ist.

b) Diesem Maßstab halten die angegriffenen Entscheidungen sowohl hinsichtlich der vertraglichen Haftung für den Kindesunterhalt als auch in bezug auf das Schmerzensgeld wegen einer gegen den Willen der Frau eingetretenen Schwangerschaft und Geburt stand.

Hinsichtlich der Vertragshaftung fußen die angegriffenen Entscheidungen auf dem herkömmlichen Verständnis des Vermögensschadens, wonach grundsätzlich auch Unterhaltsverpflichtungen als Schaden im Sinne des § 249 BGB angesehen werden können, sowie auf der Schadensermittlung nach der Differenzmethode. Der Bundesgerichtshof mißt die vertragliche Haftung am Vertragszweck - Vermeidung von Zeugung und Geburt eines ehelichen Kindes auch aus wirtschaftlichen Gründen - und beschränkt den Schutzbereich des Vertrages auf die Ehepartner. Die Entscheidungen beruhen auf den seit langem entwickelten Grundsätzen zur allgemeinen Vertragshaftung, die auf neue Fälle der ärztlichen Berufstätigkeit erstreckt worden sind. Ob eine Fortentwicklung der Schadensersatzrechtsprechung in eine andere Richtung möglich gewesen wäre, bedarf hier keiner Erörterung, da das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich nicht einfachrechtliche Fragen zur zivilrechtlichen Dogmatik zu überprüfen hat. Es entspricht jedenfalls der Konsequenz des langjährig entwickelten Arzthaftungsrechts, daß in Fällen der vorliegenden Art das Zivilrecht auf neue Einwirkungs- und Steuerungsmöglichkeiten der Fortpflanzungsmedizin angemessene Antworten gesucht hat. Dem kann nicht entgegengehalten werden, daß der Bundesgerichtshof zugleich bei der Festlegung des Umfangs der Schadensersatzpflicht rechtsfortbildende Einschränkungen für erforderlich gehalten hat. Der Bundesgerichtshof hat richterrechtlich die Haftung des Arztes im Hinblick auf Wertentscheidungen am Schnittpunkt schadens- und familienrechtlicher Probleme eingeengt. Das stellt den Weg für die Schadensermittlung nicht in Frage.

Auch soweit die Entscheidungen den ungewollt schwangeren Frauen Schmerzensgeld für die mit der Schwangerschaft und der Entbindung verbundenen Beschwerden zusprechen, sind die Grenzen richterlicher Rechtsfindung nicht überschritten. Die Rüge einer unzulässigen Ausweitung des § 253 BGB berücksichtigt nicht ausreichend, daß § 847 BGB die Geldentschädigung für immaterielle Schäden ausdrücklich zuläßt. Soweit der Bundesgerichtshof eine ungewollte Schwangerschaft als unbefugten erheblichen Eingriff in die körperliche Integrität und damit als Körperverletzung bewertet, bewegt er sich im Rahmen herkömmlicher zivilrechtlicher Dogmatik.

II. Die im Wege zulässiger richterlicher Auslegung und Rechtsfortbildung getroffenen Entscheidungen sind auch in ihrem sachlichen Gehalt mit dem Grundgesetz vereinbar.

Prüfungsgegenstand sind insoweit die Auslegung verfassungsrechtlich unbedenklicher Normen sowie Ergebnis und Begründung der Rechtsgewinnung durch zivilgerichtliche Entscheidungen. Die Beschwerdeführer wenden sich dagegen, daß sie für den Unterhalt eines Kindes haften müssen, wenn sie bei der Sterilisation ihre vertraglichen Pflichten nicht erfüllt haben und deshalb ein Kind zur Welt kommt oder wenn infolge der fehlerhaft durchgeführten genetischen Beratung die Eltern von einer sonst gewählten Verhütung Abstand nehmen und ein behindertes Kind gezeugt und geboren wird. Nach ihrer Ansicht dürfen von Verfassungs wegen weder die Unterhaltspflicht der Eltern als Schaden im Sinne des Vertragsrechts noch die mit der Schwangerschaft und Geburt verbundenen Beschwerden als Schaden im Sinne des Deliktsrechts begriffen werden.

1. Die verfassungsrechtliche Gewährleistung des Eigentums in Art. 14 Abs. 1 GG greift zugunsten der Beschwerdeführer nicht ein. Der Schutzbereich dieses Grundrechts wird durch die Auferlegung von Geldleistungspflichten grundsätzlich nicht berührt (vgl. BVerfGE 95, 267 <300>; stRspr). Die Verurteilung der Beschwerdeführer zur Zahlung eines Geldbetrages aus Vertragsverletzung oder aufgrund deliktischer Haftung ist kein Eingriff in ein (etwaiges) Recht am eingerichteten Gewerbebetrieb, so daß offenbleiben kann, ob sich der Schutz des Art. 14 GG darauf erstreckt (vgl. BVerfGE 84, 212 <232>).

2. Am Grundrecht der Berufsfreiheit des Art. 12 Abs. 1 GG sind die zur Prüfung gestellten Entscheidungen ebenfalls nicht zu messen. Die zivilrechtlichen Folgen der Schlechterfüllung von Verträgen und die Haftung für Schäden, die aus unerlaubter Handlung entstehen, treten unabhängig davon ein, ob die Haftungsvoraussetzungen bei Ausübung des Berufs erfüllt werden oder nicht. Weder die zugrunde liegenden Normen des Zivilrechts noch ihre Anwendung in den Ausgangsverfahren betreffen berufsspezifische Sanktionen. Die Verpflichtung zum Schadensersatz kann allenfalls mittelbar Auswirkungen auf die Ausübung der beruflichen Tätigkeit haben, indem sie die Erwartung sorgfältiger Vertragserfüllung unter Einhaltung des beruflichen Standards nachdrücklich unterstreicht und sich auch auf den Umfang der gebotenen Haftpflichtversicherung auswirkt. Vertrags- und Deliktsrecht gehören jedoch nicht zu den Normen, die nur in Randbereichen auch nicht berufsmäßig Handelnde betreffen und daher in einem engen Zusammenhang mit der Ausübung des Berufs stehen; sie haben objektiv keine berufsregelnde Tendenz (vgl. BVerfGE 13, 181 <186>; 52, 42 <54>; 70, 191 <214>; 95, 267 <302>).

3. Als Prüfungsmaßstab für die Auferlegung von Geldleistungspflichten verbleibt demnach die in Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit. Das Grundrecht ist allerdings nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung gewährleistet. Dazu zählen alle Rechtsnormen, die formell und materiell mit dem Grundgesetz vereinbar sind. Art. 2 Abs. 1 GG ist verletzt, wenn bei Auslegung und Anwendung solcher Normen gegen objektives Verfassungsrecht verstoßen wird. Dabei kann hier dahingestellt bleiben, inwieweit es Art. 2 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als Gewährleistung der allgemeinen Handlungsfreiheit einem Beschwerdeführer ermöglicht, sich auf die Verletzung objektiven Verfassungsrechts auch dort zu berufen, wo ihm der Schutzzweck der konkreten Grundrechtsnorm eindeutig nicht zugeordnet werden kann (vgl. hierzu BVerfGE 61, 82 <112 f.>; 85, 191 <205 f.>), diese vielmehr Rechtspositionen zu schützen bestimmt ist, die dem im Ausgangsverfahren obsiegenden Prozeßgegner zuzuordnen sind. Denn die Beschwerdeführer rügen einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG und damit gegen ein tragendes Konstitutionsprinzip und den obersten Grundwert der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (vgl. BVerfGE 6, 32 <36, 41>; 45, 187 <227>; 50, 166 <175>; 87, 209 <228>). Ob eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 oder 2 GG von den Beschwerdeführern gerügt werden könnte, bedarf keiner abschließenden Prüfung, weil diesen Vorschriften gegenüber Art. 1 Abs. 1 GG hier kein eigenständiges Gewicht zukommt.

a) Die Antwort auf zivilrechtliche Wertungsfragen wird durch die objektiven Grundsatzentscheidungen beeinflußt, die im Grundrechtskatalog der Verfassung zum Ausdruck kommen. Die Fachgerichte sind danach von Verfassungs wegen verpflichtet, bei der Auslegung und Anwendung zivilrechtlicher Vorschriften die Grundrechte als "Richtlinien" zu beachten. Ebenso wie bei der Auslegung von Generalklauseln ist bei der Rechtsfortbildung in besonderem Maße auf die verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen Bedacht zu nehmen. Übersehen oder verkennen die Gerichte deren Ausstrahlungswirkung bei der Entscheidung eines konkreten Falles, so verletzen sie als Träger öffentlicher Gewalt die dadurch betroffene Prozeßpartei in ihren Grundrechten (vgl. BVerfGE 89, 214 <229 f.> unter Bezugnahme auf BVerfGE 7, 198 <206 f.>). Für das Bundesverfassungsgericht ergibt sich daraus eine Kontrollkompetenz, die allerdings auf verfassungsrechtliche Fragen beschränkt ist. Sie betrifft nur Auslegungsfehler, die eine grundsätzlich unrichtige Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, erkennen lassen und auch in ihrer materiellen Tragweite von einigem Gewicht sind (BVerfGE 18, 85 <93>; 42, 143 <149>; 85, 248 <257 f.>).

Bei dieser verfassungsgerichtlichen Kontrolle zivilgerichtlicher Urteile ist zudem zu beachten, daß es geboten sein kann, auch auf seiten der durch die angegriffenen Entscheidungen Begünstigten den Schutzgehalt von Grundrechten in die Abwägung einzustellen. Vorliegend geht es um den Schnittpunkt von ärztlicher Verantwortlichkeit und Familiensphäre. Ermöglicht die Weiterentwicklung der Medizin ärztliche Hilfeleistung in dem höchst privaten und von den Geschlechtspartnern autonom zu verantwortenden Bereich der Zeugung, kommt insbesondere dem Delikts- und Vertragshaftungsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuchs die Funktion zu, das hierdurch gefährdete Persönlichkeitsrecht von Eltern und Kind, die körperliche Unversehrtheit der Frau und die persönliche Selbstbestimmung der Eltern abzusichern. Der Ausgleich widerstreitender Interessen im einzelnen fällt hierbei der Rechtsprechung zu, soweit das bestehende Haftungsrecht einer solchen Fortentwicklung zugänglich ist. Dabei darf sie berücksichtigen, daß die Eheleute einseitig mit dem Risiko eines ärztlichen Fehlers belastet würden, wenn schuldhaftes ärztliches Handeln in diesem Bereich weitgehend sanktionslos bliebe.

b) Bei der Ausformung des Haftungstatbestandes hat der Bundesgerichtshof der Ausstrahlungswirkung des Art. 1 Abs. 1 GG hinlänglich Rechnung getragen.

(1) Mit der Menschenwürde als oberstem Wert des Grundgesetzes und tragendem Konstitutionsprinzip ist der soziale Wert und Achtungsanspruch des Menschen verbunden, der es verbietet, ihn zum bloßen Objekt des Staates zu machen oder ihn einer Behandlung auszusetzen, die seine Subjektqualität prinzipiell in Frage stellt (BVerfGE 6, 32 <36, 41>; 30, 1 <26>). Jedem Menschen ist sie eigen ohne Rücksicht auf seine Eigenschaften, seine Leistungen und seinen sozialen Status. Verletzbar ist der Wert und Achtungsanspruch, der sich aus ihr ergibt (vgl. BVerfGE 87, 209 <228>). Was die Achtung der Menschenwürde im einzelnen erfordert, kann von den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen nicht völlig gelöst werden (vgl. BVerfGE 45, 187 <229>). Eine Verletzung des Achtungsanspruchs kann nicht nur in der Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung oder Ächtung von Personen (vgl. BVerfGE 1, 97 <104>), sondern auch in der Kommerzialisierung menschlichen Daseins liegen.

(2) Einen danach relevanten Fehler enthalten die angegriffenen Urteile nicht.

Das gilt zunächst für die Annahme, daß Sterilisation und genetische Beratung vor der Zeugung eines Kindes von der Rechtsordnung gebilligt werden und rechtmäßig sind. Unbedenklich ist weiterhin die Annahme, daß ein Arzt, der vertraglich solche Aufgaben übernimmt, für schuldhaftes Fehlverhalten eintreten muß. Die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, daß die Unterhaltspflicht für ein Kind in den hier zu beurteilenden Sachverhalten als Schaden anzusehen ist, stellt auch keine Kommerzialisierung dar, die das Kind seines Eigenwertes beraubt. Das Haftungsgefüge des Zivilrechts berührt grundsätzlich auch dort die Menschenwürde nicht, wo ein Schadensersatzanspruch unmittelbar an die Existenz eines Menschen anknüpft. Damit werden nicht Menschen zu Objekten, also zu vertretbaren Größen im Rahmen von vertraglichen oder deliktischen Beziehungen herabgewürdigt. Die zivilrechtlichen Vorschriften und ihre Auslegung durch die Rechtsprechung sind auf eine gerechte Lastenverteilung angelegt. Sie haben nicht zur Folge, daß elementare Persönlichkeitsbereiche kommerzialisiert werden. Die Anwendung des Schadensersatzrechts auf personale Beziehungen macht nicht den Menschen als Person oder seine unveräußerlichen Rechte zum Handelsgut. Ebensowenig enthält die - teilweise - Verlagerung der Unterhaltslast auf Dritte ein Unwerturteil über den jeweiligen Unterhaltsberechtigten.

Die personale Anerkennung eines Kindes beruht nicht auf der Übernahme von Unterhaltspflichten durch die Eltern. Auch nach bürgerlichem Recht ist die Existenz eines Kindes nur eine der tatbestandsmäßigen Bedingungen für die entstehende Unterhaltslast nach den §§ 1601 ff. BGB. Nicht jedes Kind ist unterhaltsbedürftig (§ 1602 Abs. 2 BGB). Unterhaltspflicht und Elternschaft können auseinanderfallen (vgl. BGHZ 72, 299; BGH, NJW-RR 1987, S. 898; BGHZ 129, 297). Der Adoption der Halbwaisen folgt keine volle Unterhaltsverpflichtung (§ 1755 Abs. 1 Satz 2 BGB i.V.m. § 48 Abs. 6 SGB VI). Schon das Reichsgericht unterschied zwischen dem Dasein des Kindes, das nicht als Schaden angesehen wurde, und der den Erzeuger treffenden Unterhaltsverpflichtung, die bei ihm als Vermögensschaden eingeordnet wurde (RGZ 108, 86). Das Bürgerliche Gesetzbuch begründet schadensersatzrechtliche Beziehungen zwischen den zum Unterhalt verpflichteten Familienmitgliedern und einem Schädiger, ohne daß darin eine Herabsetzung oder Vergegenständlichung des Unterhaltsberechtigten zum Ausdruck käme (§ 844 Abs. 2 i.V.m. § 843 Abs. 4 BGB). Derselbe Ausgleichsgedanke wird in zahlreichen modernen Gesetzen zur Produkt-, Umwelt- und Verkehrshaftung aufgegriffen (vgl. die Nachweise bei Heinrichs, in: Palandt, BGB, 57. Aufl. 1998, Vorbem. vor § 249 Rn. 137). Auch die Einbeziehung des nasciturus in die Unfallversicherung setzt voraus, daß die Würde des Kindes nicht dadurch verletzt wird, daß die Unterhaltsverpflichteten eine Teilentlastung erfahren (vgl. BVerfGE 45, 376).

Es ist nicht darüber zu entscheiden, welche Form des Schadensausgleichs besser mit der zivilrechtlichen Dogmatik in Einklang zu bringen ist. Der Bundesgerichtshof hat den Weg über die vertragliche Haftung für materielle Schäden gewählt und nicht den des immateriellen Schadensersatzes, den er ebenfalls erwogen hat. Er hat hierbei darauf abgestellt, daß sowohl die Schadensermittlung über die Differenzmethode als auch die billige Entschädigung in Geld für den durch die ungewollte Zeugung entstandenen Schaden nicht von einem Vergleich der Lebenssituation der Eltern mit oder ohne Kind entbinden. Verfassungsrechtlich ist allein von Belang, daß die vom Bundesgerichtshof angestrebte Lastenverteilung unter Einbeziehung der den Eltern erwachsenden gesetzlichen Unterhaltspflichten nicht gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstößt.

Es ist auch nicht Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, die Argumentation des Bundesgerichtshofs in allen Einzelheiten zu überprüfen. Sie steht nicht in Widerspruch mit Art. 1 Abs. 1 GG. Die zum Schadensersatz verurteilten Ärzte haben freiwillig vertragliche Pflichten übernommen, die von der Rechtsordnung nicht mißbilligt werden. Die ärztliche Hilfeleistung bei der Familienplanung durch Sterilisation oder die Beratung über genetisch bedingte Risiken vor der Zeugung eines Kindes berühren Art. 1 Abs. 1 GG nicht. Widerstreitet solche Hilfeleistung den persönlichen ethischen Überzeugungen eines Arztes, so kann er vom Vertragsschluß Abstand nehmen; die Schlechterfüllung einer freiwillig übernommenen Vertragspflicht kann hierin keine Rechtfertigung finden.

Soweit Ärzte in diesem Bereich tätig werden, steht ihre ärztliche Fachkompetenz im Dienst einer von Verantwortung getragenen Elternschaft, wenn die Eltern um der wirtschaftlichen Absicherung bereits geborener Kinder willen oder aus Sorge vor Überforderung - hier durch die Geburt eines zweiten schwerstgeschädigten Kindes - von der Zeugung weiterer Kinder absehen wollen. Zivilrechtliche Haftung für Schlechterfüllung kann in derartigen Fällen die Akzeptanz der Eltern für die dennoch geborenen und in die Familie aufgenommenen Kinder erhöhen, wie der Bundesgerichtshof plausibel dargelegt hat.

Die mit den Verfassungsbeschwerden vorgetragenen Argumente, daß die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs dem System des familienrechtlichen Unterhalts widerspreche oder daß dem Kind psychische Schäden drohen könnten, sofern es davon erfahre, daß seine Zeugung habe vermieden werden sollen, berühren nicht den Grundgedanken des Art. 1 Abs. 1 GG. Insofern wird geltend gemacht, daß eine finanzielle Entlastung der Eltern angesichts der komplexen Familienbeziehungen andersartige Einbußen nicht verhindert. Das betrifft Fragen der zivilrechtlichen Abwägung, mit denen sich der Bundesgerichtshof im einzelnen auseinandergesetzt hat.

In den Ausgangsverfahren handelt es sich um Kinder, zu denen sich die Eltern nach Zeugung bekannt haben. Durchkreuzte Familienplanung, die vorliegend vom Bundesgerichtshof als Haftungsgrundlage herangezogen worden ist, kann Kindern auf vielfältige Weise bekannt werden. Ob sich hieraus Schäden entwickeln, hängt nicht von der wirtschaftlichen Entlastung der Eltern, sondern von dem Eltern-Kind-Verhältnis nach der Geburt ab. Der zugebilligte Schadensersatzanspruch setzt keine Abwendung vom Kind voraus (vgl. BGHZ 76, 249 <258>; 76, 259 <264> und die Stellungnahme des Bundesgerichtshofs in diesem Verfahren). Auch ist nicht zu befürchten, daß die angegriffenen Urteile eine negative Einstellung der Beteiligten gegen das ungeplant gezeugte Leben hervorrufen oder bestärken könnten. Es kann nicht davon ausgegangen werden, daß die Ärzte entgegen ihrem ethischen Selbstverständnis nur wegen der drohenden Haftung oder deren Auswirkung auf ihre Berufshaftpflichtversicherung zur Abtreibung raten. Noch ferner liegt, daß sich die Eltern wegen der wirtschaftlichen Belastungen durch ein weiteres oder ein behindertes Kind gegen das Kind entscheiden, wenn ihnen insoweit Entlastung zuteil wird. Eine Verpflichtung zur Schadensminderung durch Abtreibung schließt der Bundesgerichtshof gerade aus. Aus der Sicht der Eltern verwirklicht die hier angegriffene Rechtsprechung vielmehr den notwendigen Schutz gegenüber Gefährdungen, die infolge ärztlicher Beteiligung an Sterilisation oder genetischer Beratung für das Persönlichkeitsrecht der Eltern und deren Selbstbestimmung im Rahmen einer geplanten Elternschaft drohen.

C.

Die vorstehende Beurteilung zwingt nicht dazu, im Hinblick auf die Entscheidung des Zweiten Senats vom 28. Mai 1993 (BVerfGE 88, 203 <296> und Leitsatz 14) das Plenum des Bundesverfassungsgerichts anzurufen. Die Voraussetzungen des § 16 BVerfGG und des § 48 Abs. 1 GOBVerfG liegen nicht vor.

I. Mit der vom Zweiten Senat im Beschluß vom 22. Oktober 1997 geäußerten Rechtsauffassung hat sich der Erste Senat nicht förmlich zu befassen. Über ein anhängiges Verfahren befinden nur die hierzu nach Gesetz und Geschäftsverteilung berufenen Richter (vgl. BVerfGE 95, 322 <327 ff.>). Das gilt auch für die Frage, ob eine Aussage in einer Entscheidung des anderen Senats zu den tragenden Gründen gehört.

II. Nach § 16 BVerfGG entscheidet das Plenum des Bundesverfassungsgerichts, wenn ein Senat in einer Rechtsfrage von der in einer Entscheidung des anderen Senats enthaltenen Rechtsauffassung abweichen will.

1. a) Die Vorschrift unterscheidet sich zwar im Wortlaut von den für die obersten Gerichtshöfe des Bundes maßgeblichen Regelungen für die Anrufung der Großen Senate (vgl. etwa § 132 Abs. 2 GVG). Materiell gelten indessen dieselben Voraussetzungen. Das Bundesverfassungsgericht hat § 16 BVerfGG von Anfang an dahin ausgelegt, daß nur eine beabsichtigte Abweichung von einer Rechtsauffassung, die für die Entscheidung des anderen Senats tragend war, die Anrufung des Plenums gebietet (vgl. BVerfGE 4, 27 <28>; 77, 84 <104>). Diese Auslegung trägt der begrenzten Zuständigkeit der Senate Rechnung, die nur über an sie herangetragene Fälle entscheiden dürfen und deren Aussagen daher nur insoweit bindende Wirkung entfalten können, als ihre Entscheidungen hierauf beruhen.

b) Tragend für eine Entscheidung sind jene Rechtssätze, die nicht hinweggedacht werden können, ohne daß das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfiele. Nicht tragend sind dagegen bei Gelegenheit einer Entscheidung gemachte Rechtsausführungen, die außerhalb des Begründungszusammenhangs zwischen genereller Rechtsregel und konkreter Entscheidung stehen. Bei der Beurteilung, ob ein tragender Grund vorliegt, ist von der niedergelegten Begründung in ihrem objektiven Gehalt auszugehen. Angesichts der besonderen Tragweite, die verfassungsgerichtlichen Entscheidungen nach § 31 BVerfGG zukommt, müssen ihre rechtlich bindenden Aussagen auf den auch für Außenstehende erkennbaren Gehalt beschränkt sein. Es kommt nicht darauf an, ob den Richtern bestimmte Rechtsauffassungen wichtig erscheinen, sondern ob sie erkennbar im Begründungszusammenhang für die Entscheidung des Falles erheblich geworden sind.

c) Der Zweite Senat hat in seinem Urteil vom 28. Mai 1993 (a.a.O., S. 296 und Leitsatz 14) ausgeführt, eine rechtliche Qualifikation des Daseins eines Kindes als Schadensquelle komme von Verfassungs wegen (Art. 1 Abs. 1 GG) nicht in Betracht; die Verpflichtung aller staatlichen Gewalt, jeden Menschen in seinem Dasein um seiner selbst willen zu achten, verbiete es, die Unterhaltspflicht für ein Kind als Schaden zu begreifen. Diese Ausführungen müssen für Verträge über Schwangerschaftsabbrüche und für Verträge über (rechtmäßige) Sterilisationen und genetische Beratungen im Hinblick auf die unterschiedliche rechtliche Bewertung der Vertragsgegenstände nicht notwendig einheitlich gelten. Soweit der Zweite Senat seine Aussage auch auf Fälle rechtmäßiger ärztlicher Tätigkeit ohne Bezug zu einem Schwangerschaftsabbruch erstreckt haben sollte, weicht die vorliegende Entscheidung davon ab.

In diesem Umfang ist die Aussage des Zweiten Senats jedoch nach Ansicht des erkennenden Senats jedenfalls nicht tragend. Die Normenkontrollanträge, über die der Zweite Senat zu entscheiden hatte, betrafen Kernvorschriften des Beratungsmodells, deren Verfassungswidrigkeit die Nichtigkeit der Gesamtregelung zur Folge haben konnte. Zur Überprüfung standen Regelungen des Strafrechts sowie die Frage, inwieweit der Gesetzgeber auf strafrechtliche Sanktionen verzichten darf und inwieweit ein solcher Verzicht durch anderweitige Regelungen kompensiert werden muß. Ausgehend von einer Schutzpflicht für das gezeugte, aber noch nicht geborene Leben hat er geprüft, ob die Schutzvorkehrungen des Gesetzgebers ausreichend waren. Im Ausgangspunkt hat er dem Gesetzgeber freigestellt, sich zwischen einer Strafrechts- und einer Beratungslösung zu entscheiden, wenn nur deren jeweilige Ausgestaltung unter dem Gesichtspunkt des Lebensschutzes hinreichend wirksam ist (a.a.O., S. 258).

Schon dies legt nahe, daß die Aussagen, die sich mit den rechtlichen Auswirkungen des Beratungskonzepts befassen, nicht allgemein, sondern nur insoweit Geltung beanspruchen, als es um das vom Gesetzgeber verwirklichte Beratungskonzept geht. Dafür spricht auch, daß der Senat dabei auf seine Ausführungen unter D I 1 a Bezug genommen und damit an den Gegenstand seiner Entscheidung, den Schwangerschaftsabbruch und den Schutz der Leibesfrucht durch ärztliche Beratung, angeschlossen hat. Auch ärztliche Beratungsfehler sind im Abschnitt D V des Urteils nur im Zusammenhang mit Schwangerschaftsabbrüchen erörtert worden. Das Beratungskonzept erfordert nach Auffassung des Zweiten Senats einerseits, Schwangerschaftsabbrüche für rechtswidrig zu erklären und andererseits den Arzt in die Schutzaufgabe einzubeziehen. Auch alle weiteren Aussagen zum Berufs- und Vertragsrecht unter V 1 bis 5 beziehen sich ausschließlich auf Verträge aus Anlaß eines Schwangerschaftsabbruchs. Ein rechtlicher Zusammenhang mit der Vertragshaftung nach rechtmäßiger Sterilisation oder genetischer Beratung wird in der Entscheidung selbst - auch über das Schutzkonzept - nicht hergestellt. Die Erwähnung solcher Fälle findet sich nur in den zum Beleg herangezogenen Rechtsprechungsnachweisen. Auch der Umstand, daß der Senat sich darauf beschränkt hat, die Zivilgerichte lediglich zur Überprüfung ihrer Rechtsprechung aufzufordern, spricht nicht für eine tragende Bedeutung der Aussage.

Diese Auffassung über die Tragweite der Aussage des Zweiten Senats wird von der Literatur ganz überwiegend geteilt (Giesen, JZ 1994, S. 286 <288>; Schöbener, JR 1996, S. 89; Deutsch, NJW 1994, S. 776 <777>; Roth, FuR 1993, S. 305 <307>; Schiemann, in: LM BGH, § 249 <A> BGB Nr. 109, Bl. 5; Höfling, in: Sachs, Grundgesetz, 1996, Art. 1 Rn. 27; Boin, JA 1995, S. 425 <427 f.>; Weiß, JR 1994, S. 456 <462>; Ratzel, MedR 1994, S. 200; ausdrücklich offengelassen bei Backhaus, MedR 1996, S. 201 <202>; ebenso Lange, in: LM BGH, § 823 <Aa> BGB Nr. 154; unentschieden Picker, AcP 195 <1995>, S. 483 <499, 522, 531 mit Fn. 133>; vgl. auch Heinrichs, in: Palandt, 57. Aufl. 1998, Vorbem. vor § 249 Rn. 47).

2. Da nach § 16 BVerfGG keine den anderen Prozeßordnungen entsprechende Möglichkeit besteht, das Plenum bei Fragen von grundsätzlicher Bedeutung anzurufen (vgl. etwa § 132 Abs. 4 GVG), konnte der Senat das Plenum auch nicht zur Klärung der Frage anrufen, ob durch vorsorglich abgegebene Erläuterungen des jeweils anderen Senats bestimmten Rechtsfragen eine grundsätzliche Bedeutung verliehen werden kann, die eine Plenarentscheidung angezeigt erscheinen ließe. Bisher hat das Bundesverfassungsgericht diese Auffassung nicht vertreten. Der Erste Senat hält eine erweiternde Auslegung des § 16 BVerfGG nicht für gerechtfertigt (vgl. hierzu auch Lechner/Zuck, BVerfGG, 4. Aufl., § 16 Rn. 5). Verfassungsfragen sind häufig von grundsätzlicher Bedeutung, aber gleichwohl den beiden Senaten jeweils nach ihrer Zuständigkeit zur eigenen Entscheidung zugewiesen.

D.

Die Entscheidung ist zu Abschnitt B mit 6:2 Stimmen und zu Abschnitt C mit 5:3 Stimmen ergangen.

Seidl Grimm Kühling

Seibert Jaeger Haas

Hömig Steiner

Ende der Entscheidung

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