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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 14.08.2001
Aktenzeichen: 1 BvR 310/98
Rechtsgebiete: FGG, BGB, GG


Vorschriften:

FGG § 55 c
BGB § 1748
GG Art. 1
GG Art. 2
GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 310/98 -

IM NAMEN DES VOLKES

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 22. Dezember 1997 - 14 Wx 11/97 -

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Papier und die Richterinnen Haas, Hohmann-Dennhardt

am 14. August 2001 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Köln vom 22. Dezember 1997 - 14 Wx 11/97 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes. Die Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Köln zurückverwiesen.

Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Der Wert des Gegenstandes der anwaltlichen Tätigkeit wird auf 20.000 DM (in Worten: zwanzigtausend Deutsche Mark) festgesetzt.

Gründe:

I.

Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Zurückweisung des Antrages seines gesetzlichen Vertreters, die Einwilligung seiner leiblichen Mutter zu seiner Adoption durch die Pflegeeltern gemäß § 1748 BGB zu ersetzen.

1. Der Beschwerdeführer wurde im April 1988 als nichteheliches Kind geboren. Erstmals mit Beschluss vom 11. Juli 1990 entzog das Amtsgericht Charlottenburg der leiblichen Mutter die Personensorge und übertrug diese auf das Bezirksamt Wilmersdorf von Berlin als Pfleger. Seit dem 20. Juli 1990 lebt der Beschwerdeführer von seiner Mutter getrennt. Am 15. Januar 1992 wurde er vom Jugendamt aus einer Kurzpflegestelle mit dem Ziel der Adoption zu seinen jetzigen Pflegeeltern vermittelt. Mit Schreiben vom 26. Mai 1995 beantragte das Jugendamt als gesetzlicher Vertreter, die Einwilligung der Kindesmutter zur Adoption zu ersetzen.

a) Das Amtsgericht lehnte den Antrag mit Beschluss vom 8. November 1995 ohne Anhörung des Beschwerdeführers ab.

b) Ebenfalls ohne Anhörung des Beschwerdeführers, die sein gesetzlicher Vertreter in der Beschwerdeschrift angeregt hatte, wies das Landgericht die Beschwerde mit Beschluss vom 22. September 1997 zurück. Zu Recht sei das Amtsgericht davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 1748 BGB nicht vorliegen. Es sei nicht ersichtlich, dass die Mutter ihre Verpflichtungen gegenüber dem Beschwerdeführer anhaltend und gröblich verletzt habe.

c) Das Oberlandesgericht wies die weitere Beschwerde, mit der auch die Verletzung von § 55 c FGG gerügt worden war, mit Beschluss vom 22. Dezember 1997 zurück. Zur Begründung führte es insbesondere aus, das Landgericht habe die Tragweite von § 1748 BGB nicht verkannt. Nach dem Entzug der elterlichen Sorge könnten von dem Elternteil nur noch die verbliebenen Pflichten - Unterhalt, Pflichten im Rahmen der Befugnis zum persönlichen Umgang - verletzt werden. Pflichtverletzungen in dieser Hinsicht habe das Landgericht nicht festgestellt. Soweit das Jugendamt eine Pflichtverletzung schon darin sehe, dass die Mutter die Einwilligung in die Adoption verweigere, könne dem nicht gefolgt werden. Da die Ersetzung der Einwilligung nach § 1748 BGB nur bei verweigerter Einwilligung erforderlich sei, könne die Verweigerung als solche jedenfalls im Regelfall nicht schon das Merkmal der Pflichtverletzung im Sinne von § 1748 BGB ausfüllen.

2. Der Beschwerdeführer rügt mit seiner gegen die Entscheidung des Oberlandesgerichts gerichteten Verfassungsbeschwerde eine Verletzung von Art. 1, Art. 2 und Art. 103 Abs. 1 GG. Er beanstandet unter anderem, dass seine Anhörung im instanzgerichtlichen Verfahren - trotz mehrfacher Rügen - unterblieben sei. Die Frage, welcher Familie er angehören soll, stelle einen seiner zentralsten Lebensbelange dar. Auch in seinem Alter hätte er bei einer Anhörung seine Neigungen, seine Bindungen sowie seinen Willen, welcher Familie er angehören wolle, vortragen können. Er habe ein Recht auf ein ungestörtes Aufwachsen in einer der leiblichen Familie rechtlich angeglichenen Familie, um so eine den späteren Anforderungen des Lebens gewachsene Persönlichkeit zu entwickeln. Selbst das Amtsgericht sei in seinem Beschluss davon ausgegangen, dass eine Beziehung zur Mutter schon durch die langjährige Trennung zerstört sei. Ihm werde durch eine missbräuchliche Ausübung des Einwilligungsrechts durch die Kindesmutter die Möglichkeit genommen, Teil einer intakten Familie zu sein.

3. Das Land Nordrhein-Westfalen und die Kindesmutter haben zu der Verfassungsbeschwerde nicht Stellung genommen.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist zur Entscheidung anzunehmen, weil dies zur Durchsetzung des Rechts des Beschwerdeführers aus Art. 103 Abs. 1 GG angezeigt ist (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung (§ 93 c BVerfGG) sind erfüllt. Die für die Entscheidung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93 c Abs. 1 Satz 1 und 2 BVerfGG).

1. Die Verfassungsbeschwerde hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung. Insbesondere sind die klärungsbedürftigen Fragen zur Gewährung rechtlichen Gehörs in kindschaftsrechtlichen Verfahren durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beantwortet (vgl. nur BVerfGE 55, 171 <182 ff.>; 75, 201 <215 f.>; 99, 145 <162 ff.>).

2. Die Verfassungsbeschwerde ist offensichtlich begründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt den Anspruch des Beschwerdeführers auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG.

a) Amts- und Landgericht haben eine Anhörung des bei Verfahrensbeginn siebenjährigen (zum Zeitpunkt der Entscheidung des Landgerichts neunjährigen) Beschwerdeführers unterlassen, obwohl eine Anhörung des Kindes in Adoptionsverfahren auch gesetzlich durch § 55 c in Verbindung mit § 50 b FGG grundsätzlich zwingend vorgeschrieben ist (vgl. Keidel-Kuntze, § 55 c Rn. 2, 5; OLG Karlsruhe, FamRZ 1995, S. 1012; OLG Düsseldorf, FamRZ 1995, S. 1294 <1295>; BayObLG, FamRZ 1988, S. 871 <872 f.>). Das Oberlandesgericht hat sich trotz der Rüge des Beschwerdeführers, seine Rechte aus §§ 55 c, 50 b FGG seien verletzt worden, in seiner Entscheidung mit der unterbliebenen Anhörung überhaupt nicht befasst. Es hat auch nicht dargelegt, ob es schwerwiegende Gründe im Sinne von § 50 b Abs. 3 Satz 1 FGG gesehen hat, die ausnahmsweise ein Absehen von der Kindesanhörung rechtfertigen können (vgl. dazu Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 13. August 1986 - 1 BvR 1413/85 -). Dafür sind Anhaltspunkte nicht ersichtlich. Damit hat das Oberlandesgericht Tragweite und Bedeutung des verfassungsrechtlich geschützten Rechts auf rechtliches Gehör verkannt und das Recht des Beschwerdeführers aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt.

b) Die angegriffene Entscheidung beruht auch auf der Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Oberlandesgericht unter Berücksichtigung des Anspruchs des Beschwerdeführers auf Gewährung rechtlichen Gehörs und dessen, was er nach seinem Vorbringen zu den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1748 BGB vorgetragen hätte, zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Der Beschwerdeführer hätte nicht nur das tatsächliche Verhältnis zu seiner leiblichen Mutter beschrieben, sondern auch seinen Willen kundgetan und zu seinen Neigungen und Bindungen sowie zu seiner Integration in die Pflegefamilie vorgetragen. Diese Gesichtspunkte und der damit in das Verfahren eingeführte Blickwinkel des Kindes sind für die Auslegung der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 1748 Abs. 1 Satz 1 BGB von besonderer Bedeutung. Dies gilt zum einen für die dort näher beschriebene Pflichtverletzung "gegenüber dem Kind", aber auch für die in § 1748 Abs. 1 Satz 1 BGB enthaltene andere Tatbestandsvoraussetzung für eine Ersetzung der elterlichen Einwilligung zur Adoption, die dann vorliegt, wenn das elterliche Verhalten gezeigt hat, dass dem Elternteil das Kind gleichgültig ist. Selbst wenn man davon ausginge, das Kind hätte bei seiner Anhörung nur wenig zur Frage einer Pflichtverletzung seiner Mutter aussagen können, hätte es doch aus seiner Sicht beschreiben können, wie sich die Mutter ihm gegenüber verhalten hat. Es hätte so insgesamt zur Klärung beitragen können, ob eine dieser beiden Tatbestandsvoraussetzungen des § 1748 Abs. 1 Satz 1 BGB gegeben ist.

3. Die Entscheidung über die Erstattung der notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG. Der Gegenstandswert war gemäß § 113 Abs. 2 Satz 3 BRAGO unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Bedeutung der Angelegenheit, des Umfangs und der Schwierigkeit der anwaltlichen Tätigkeit sowie der Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Auftraggebers nach billigem Ermessen zu bestimmen (vgl. BVerfGE 79, 365 <366 ff.>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.



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