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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 09.02.2007
Aktenzeichen: 1 BvR 3219/06
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 5 Abs. 1 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 3219/06 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) das Urteil des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 14. November 2006 - 7 U 38/06 -,

b) das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 7. März 2006 - 324 O 714/05 -,

c) den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 25. Oktober 2005 - 324 O 714/05 -

und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier, die Richterin Hohmann-Dennhardt und den Richter Hoffmann-Riem gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 9. Februar 2007 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe:

Verfassungsbeschwerde und Antrag des Beschwerdeführers auf Erlass einer einstweiligen Anordnung sind gegen seine Verurteilung durch die Zivilgerichte im Verfügungsverfahren auf Unterlassung einer Äußerung gerichtet.

I.

Der Beschwerdeführer ist Inhaber eines Lehrstuhls für Betriebswirtschaftslehre. Bei den Klägern des Ausgangsverfahrens handelt es sich um einen führenden inländischen Automobilkonzern und dessen zum Ende des Jahres 2005 aus seiner Stellung ausgeschiedenen vormaligen Vorstandsvorsitzenden.

Aus Anlass der angekündigten Abberufung des Vorstandsvorsitzenden wurde der Beschwerdeführer von einem Journalisten in einem Fernsehinterview zu einer Stellungnahme zu diesem Vorgang aufgefordert. Der Beschwerdeführer äußerte seine Verwunderung darüber, dass die Presseabteilung des Automobilkonzerns zu den Hintergründen noch keine Stellungnahme abgegeben habe. Auf eine Aufforderung des Journalisten hin, über mögliche Hintergründe zu spekulieren, äußerte der Beschwerdeführer in der konkret beanstandeten Passage:

Es ist ja auch bekannt, dass die Staatsanwaltschaft im Haus ist. Es war bisher nicht bekannt, dass das Žwas mit (dem Vorstandsvorsitzenden) zu tun hat. Es ist auch bisher noch nicht so weit, dass so etwas bekannt wäre, aber es könnte durchaus sein, dass ein Vorfall dieser Art letzten Endes die Sache sehr beschleunigte.

Der Beschwerdeführer wurde von den Klägern im Verfügungsverfahren auf Unterlassung dieser Äußerung in Anspruch genommen, da sie den zwingenden Eindruck erwecke, der Vorstandsvorsitzende sei wegen gegen ihn geführter staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen zurück getreten.

Mit den angegriffenen Entscheidungen haben diese von den Klägern zuletzt angerufenen Gerichte das Verbot erlassen. Die Stellungnahme des Beschwerdeführers enthalte die Verdächtigung, dass der Vorstandsvorsitzende wegen eines gegen seine Person gerichteten Ermittlungsverfahrens zurück getreten sei. Ihre Wahrheit habe der Beschwerdeführer nicht belegt. Er habe auch nicht die Voraussetzungen für eine zulässige Verdachtsberichterstattung der Presse gewahrt. An diesen müsse sich auch ein Interviewpartner der Massenmedien messen lassen. Von der Verdächtigung habe sich der Beschwerdeführer nicht distanziert. Er sei daher gehalten gewesen, ihren Inhalt mit pressemäßiger Sorgfalt durch eigene Recherchen zu erhärten, bevor er sich auf Frage eines Journalisten äußere.

Der Beschwerdeführer rügt die im Verfügungsverfahren ergangenen Entscheidungen insbesondere als Verletzung seines Grundrechts aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG. Die Gerichte hätten seiner Stellungnahme einen Inhalt unterstellt, den er weder beabsichtigt noch geäußert habe. Zudem könne von dem Beschwerdeführer nicht verlangt werden, eine der Berichterstattung anderer Massenmedien entnommene Verdächtigung selbst zu überprüfen oder sich von ihrem Inhalt zu distanzieren, wenn er innerhalb eines Medieninterviews hierauf angesprochen werde.

Der Beschwerdeführer beabsichtige, auf der bevorstehenden nächsten Hauptversammlung der Klägerin zu 1 in seinen Anträgen erneut auf die laufenden staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen zu sprechen zu kommen. Hieran sei er durch den Fortbestand des Verbots gehindert. Daher sei der Vollzug der angegriffenen Entscheidungen durch Erlass einer einstweiligen Anordnung auszusetzen.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, da die Voraussetzungen hierfür nach § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>). Sie ist unzulässig. Ihr steht der Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde entgegen. Der Beschwerdeführer ist zunächst auf den Rechtsweg in der Hauptsache zu verweisen.

1. Die angegriffenen Entscheidungen sind im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ergangen. Der in diesem Verfahren zulässige Rechtsweg ist erschöpft, da das Rechtsmittel der Revision gegen das Urteil des Oberlandesgerichts gemäß § 542 Abs. 2 Satz 1 ZPO ausgeschlossen ist.

2. Dennoch hat der Beschwerdeführer den Grundsatz der Subsidiarität missachtet, da er den Rechtsweg in der Hauptsache nicht beschritten hat, obwohl er mit dem Vorbringen, er sei durch das von den Zivilgerichten verhängte Verbot in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 verletzt, eine Rüge erhebt, die das Hauptsacheverfahren betrifft. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts fordert der Grundsatz der Subsidiarität im materiellen Sinne über die formelle Erschöpfung des Rechtsweges hinaus, dass der Beschwerdeführer die ihm zur Verfügung stehenden weiteren Möglichkeiten ergreift, um eine Korrektur der geltend gemachten Verfassungsverletzung zu erreichen oder diese gar zu verhindern. Daher ist auch die Erschöpfung des Rechtswegs in der Hauptsache geboten, wenn dort nach der Art des gerügten Grundrechtsverstoßes die Gelegenheit besteht, der verfassungsrechtlichen Beschwer abzuhelfen (vgl. BVerfGE 79, 275 <278 f.>; 86, 15 <22 f.>; 104, 65 <71 f.>). Dies ist regelmäßig anzunehmen, wenn - wie vorliegend - mit der Verfassungsbeschwerde Grundrechtsverletzungen gerügt werden, die sich auf die Hauptsache beziehen (vgl. BVerfGE 86, 15 <22>; 104, 65 <71 f.>).

3. Die Voraussetzungen, unter denen vom Erfordernis der Rechtswegerschöpfung in der Hauptsache abgesehen werden könnte, liegen nicht vor.

a) Ein Beschwerdeführer darf bei der Rüge von Grundrechtsverletzungen, die sich auf die Hauptsache beziehen, dann nicht auf das Hauptsacheverfahren verwiesen werden, wenn dies für ihn unzumutbar ist, etwa weil die Durchführung des Verfahrens von vornherein und offensichtlich aussichtslos erscheinen muss (vgl. BVerfGE 70, 180 <186>; 86, 15 <22 f.>), oder wenn die Entscheidung von keiner weiteren tatsächlichen und rechtlichen Klärung abhängt und diejenigen Voraussetzungen gegeben sind, unter denen das Bundesverfassungsgericht gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG sofort entscheiden kann (vgl. BVerfGE 79, 275 <279>; 86, 15 <22 f.>). Beruht eine im Eilverfahren ergangene fachgerichtliche Entscheidung auf der Beurteilung schwieriger rechtlicher Fragen, die in der fachgerichtlichen Rechtsprechung noch nicht höchstrichterlich entschieden sind, und bietet das Hauptsacheverfahren Möglichkeiten weiterer Klärung, so steht es der Zumutbarkeit einer Verweisung auf den Rechtsschutz in der Hauptsache nicht entgegen, dass bereits im Eilverfahren eine mehr als nur summarische Prüfung der für die Beurteilung maßgeblichen Rechtsfragen erfolgt ist (vgl. BVerfGE 104, 65 <71 f.>).

b) Die Aussichtslosigkeit eines Hauptsacheverfahrens lässt sich nach diesem Maßstab nicht erkennen.

Die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens kann Gelegenheit zu weiterer Klärung und Vertiefung der Rechtslage bieten. Ob Stellungnahmen eines privaten Einzelnen gegenüber den Massenmedien ohne weiteres an den Anforderungen gemessen werden dürfen, wie sie die Fachgerichte für eigene Stellungnahmen der Massenmedien entwickelt haben, kann nach den hierzu entwickelten verfassungsgerichtlichen Maßstäben (vgl. dazu BVerfG 85, 1 <21 f.>; 97, 391 <407>) zumindest zweifelhaft sein. Solche verfassungsrechtlichen Anforderungen haben die angegriffenen Entscheidungen nicht in erkennbarer Weise erwogen. Auch ist als Bundesrecht von den Fachgerichten die Gewährleistung des Art. 10 der Konvention über den Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) zu beachten, so dass zu ihrer Auslegung ergangene Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) weiteren Anhalt dafür bieten kann, in welchem Umfang Stellungnahmen des privaten Einzelnen gegenüber der Öffentlichkeit oder den Massenmedien innerhalb eines Live-Interviews des Fernsehens besonderen Anforderungen nach Distanzierung von aufgegriffenen Verdächtigungen oder zur Wahrung pressemäßiger Sorgfalt unterworfen werden dürfen (vgl. EGMR, Urteil vom 7. November 2006, Beschwerde-Nr. 12697/03, Mamere gegen Frankreich, Rn. 20 ff., EGMR, Urteil vom 15. Februar 2005, Beschwerde-Nr. 68416/01, Steel und Morris gegen Großbritannien, Rn. 89 ff.; EGMR, Urteil vom 29. März 2001, Beschwerde-Nr.38423/97, Thoma gegen Luxemburg, Rn. 64 f.). Es ist zuvorderst Sache der Fachgerichte, als Bestandteil des Bundesrechts die Gewährleistungen der EMRK zu berücksichtigen und hierbei eine für ihre Auslegung bedeutsame Rechtsprechung des EGMR zu ermitteln und in ihre Erwägungen einzustellen (vgl. BVerfGE 111, 307 <316 f.>). Auch hierfür böte die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens weitere Gelegenheit.

Nicht ersichtlich ist, aus welchen anderen Gründen heraus dem Beschwerdeführer die Durchführung eines Hauptsacheverfahrens gemäß § 90 Abs. 2 Satz 2 BVerfGG unzumutbar sein soll. Der Beschwerdeführer wendet sich nicht dagegen, dass er durch das Verbot in der Verbreitung der von ihm tatsächlich vertretenen Meinung eingeschränkt worden wäre, sondern im Gegenteil dagegen, dass die angegriffenen Entscheidungen ihm eine so von ihm bereits nicht geäußerte Ansicht unterstellt hätten. Es ist dem Beschwerdeführer daher nicht unzumutbar, bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens die von den Fachgerichten geforderten Klarstellungen und Distanzierungserfordernisse bei künftigen Äußerungen zu beachten.

Gegen die Ausübung eines dem Kläger als Aktionär auf Hauptversammlungen zustehenden Fragerrechts ist das verhängte Verbot nicht unmittelbar gerichtet. Es bleibt dem Beschwerdeführer zudem unbenommen, solche Fragen der konkreten Reichweite des Verbots etwa innerhalb eines Verfahrens nach § 890 ZPO zur Nachprüfung durch die Fachgerichte zu stellen (vgl. Stöber, in: Zöller, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 890 ZPO Rn. 15).

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Ende der Entscheidung

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