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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 29.06.2004
Aktenzeichen: 1 BvR 336/04
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 336/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg vom 28. Januar 2004 - 7 W 74/03 -,

b) den Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 19. November 2003 - 303 O 474/02 -

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier, den Richter Steiner und die Richterin Hohmann-Dennhardt gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 29. Juni 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine Richterablehnung nach § 42 Abs. 2 ZPO.

I.

1. Der Beschwerdeführer begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in einem Amtshaftungsverfahren gegen die Freie und Hansestadt Hamburg. Vertreter der Beklagten in diesem Verfahren ist der derzeit in die Justizbehörde abgeordnete Vorsitzende Richter am Landgericht N., der zuvor bis zum 30. April 2002 acht Jahre lang als Beisitzer der für Amtshaftungsverfahren zuständigen 3. Zivilkammer des Landgerichts angehört hatte. Das gegen sämtliche Mitglieder der 3. Zivilkammer gerichtete Ablehnungsgesuch des Beschwerdeführers vom 8. Oktober 2003 wurde durch Beschluss der 21. Zivilkammer des Landgerichts Hamburg vom 19. November 2003 als unbegründet zurückgewiesen. Zur Begründung führte das Landgericht aus, ein bloßes Kollegialverhältnis reiche für die Annahme der Befangenheit selbst dann nicht aus, wenn dieses Verhältnis noch bestehe. Es müssten zumindest nähere berufliche oder private Beziehungen hinzukommen, für die hier keine Anhaltspunkte ersichtlich seien. Dabei sei zu bedenken, dass der Richter am Landgericht N. nicht betroffene Partei, sondern nur der zeitweilig zuständige Sachbearbeiter der Gegenpartei sei. Die sofortige Beschwerde des Beschwerdeführers beim Oberlandesgericht blieb ohne Erfolg.

2. Mit der fristgerecht erhobenen Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung des Rechts auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Aus den vom Hanseatischen Oberlandesgericht eingeholten ergänzenden dienstlichen Äußerungen der Richter ergäben sich durchaus besondere Umstände, die zu einer Ablehnung der Richter führen müssten.

II.

Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Annahmegründe im Sinne des § 93 a Abs. 2 BVerfGG sind nicht gegeben.

1. Die Verfassungsbeschwerde wirft keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Fragen auf (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die verfassungsrechtlichen Maßstäbe für die Ablehnung einer Gerichtsperson sind geklärt (vgl. BVerfGE 21, 139, <145 f.>; 30, 149 <154>; 31, 145, <164 f.>; 32, 288, <290>; 82, 30 <38 ff.>; 98, 134 <137 ff.>; 99, 51 <56 f.>; 101, 46 <50 f.>; 102, 122 <125 f.>).

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung des als verletzt gerügten Rechts erforderlich (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Denn die Verfassungsbeschwerde hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22, <25 f.>). Der gerügte Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG liegt nicht vor. Das Recht auf den gesetzlichen Richter ist durch die Zurückweisung eines Ablehnungsantrags nicht schon dann verletzt, wenn dieser Zurückweisung eine fehlerhafte Anwendung einfachen Rechts zugrunde liegt. Voraussetzung ist vielmehr, dass die Entscheidung auf willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 31, 145 <164> m.w.N.). Daran fehlt es hier.

a) Die den angegriffenen Beschlüssen zugrunde liegende Annahme, ein vernünftiger Grund, an der Objektivität eines Richters zu zweifeln, liege nur dann vor, wenn über ein bloßes kollegiales Verhältnis hinaus ein engeres persönliches Verhältnis des zur Entscheidung berufenen Richters zur gegnerischen Partei bestehe, ist frei von Willkür. Diese Auslegung des Begriffs "Besorgnis der Befangenheit" in § 42 ZPO folgt der Rechtsprechung der allgemeinen Gerichte und der Fachgerichtsbarkeiten (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Juli 1957, ZZP 71, S. 447 <448>; sich anschließend: BFH, Beschluss vom 1. August 2001, BFH/NV 2002, S. 40 <41>; OLG Nürnberg, Beschluss vom 8. Dezember 1966, MDR 1967, S. 407; LAG Schleswig-Holstein, Beschluss vom 16. April 1968, BB 1968, S. 794; OVG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 18. Januar 2001, DVBl 2001, S. 938 <nur Leitsatz>; VG Düsseldorf, Beschluss vom 18. Februar 1997, NWVBl 1997, S. 436 <437>) und steht im Einklang mit Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG. Sie gewährleistet, dass der nach Gesetz und Geschäftsverteilungsplan an sich zuständige Richter nicht ohne triftigen Grund in einem Einzelfall von der Mitwirkung an der Entscheidung ausgeschlossen wird.

b) Auch die Anwendung dieser Grundsätze in den mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Entscheidungen auf den vorliegenden Fall beruht auf noch vertretbaren Erwägungen, soweit dies aufgrund der allein vorliegenden ergänzenden dienstlichen Äußerungen des Vorsitzenden Richters am Landgericht Dr. B. sowie der Richterinnen M. und S. vom Januar 2004 beurteilt werden kann. Zwar bejahen die Fachgerichte regelmäßig eine engere persönliche Bindung zwischen Richterkollegen, die dem gleichen Spruchkörper angehören beziehungsweise vor nicht allzu langer Zeit angehört haben (vgl. BGH, a.a.O.; BFH, a.a.O.; OLG Nürnberg, a.a.O.; OLG Hamm, Beschluss vom 29. Juni 1977, MDR 1978, S. 583; OLG Schleswig, Beschluss vom 1. Dezember 1987, MDR 1988, S. 236; OVG Mecklenburg-Vorpommern, a.a.O.). Ist die gemeinsame Mitgliedschaft in einem Spruchkörper jedoch wie hier bereits seit geraumer Zeit beendet, ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn die Fachgerichte - auch bei längerer Dauer der Zusammenarbeit - die Besorgnis der Befangenheit nur dann als begründet ansehen, wenn aus ihr in der Zukunft fortwirkende Umstände resultieren, etwa eine Freundschaft oder Feindschaft (vgl. OVG Mecklenburg-Vorpommern, a.a.O.).

Soweit das Oberlandesgericht angenommen hat, den dienstlichen Äußerungen der abgelehnten Richter lasse sich nicht entnehmen, dass zwischen ihnen und dem Vorsitzenden Richter am Landgericht N. über den heute üblichen Umgang zwischen Kollegen oder früheren Kollegen hinausgehende nahe Beziehungen bestünden oder noch fortdauerten, begegnet dies in den engen einer verfassungsrechtlichen Nachprüfung gezogenen Grenzen ebenfalls keinen durchgreifenden Bedenken. Wie das Gericht festgestellt hat, beschränkt sich der Kontakt des Vertreters der Gegenpartei mit den abgelehnten Richtern seit dessen Ausscheiden aus der 3. Zivilkammer nur noch auf gelegentliche gemeinsame Mittagessen und Treffen bei dienstlich-gesellschaftlichen Anlässen, wie zum Beispiel Beförderungsfeiern. Wenn es diesen losen Kontakt nicht als nahe Beziehung qualifiziert, ist dies verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Zudem ist in den angegriffenen Entscheidungen darauf hingewiesen worden, dass der Vorsitzende Richter am Landgericht N. nicht betroffene Partei, sondern nur der Sachbearbeiter der Gegenpartei ist. Das Bundesverfassungsgericht hat bereits entschieden, dass es verfassungsrechtlich keinen Bedenken begegnet, wenn die Fachgerichte die Auffassung vertreten, allein in der Beziehung zwischen Konkursverwalter und Konkursrichter liegende Gründe vermöchten eine Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit nur dann zu begründen, wenn auf das konkrete Verfahren bezogene Umstände gegeben seien. Denn die Rechtskraft der Entscheidung treffe materiell den Gemeinschuldner und nicht den Konkursverwalter (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 30. November 1987, ZIP 1988, S. 174 f.). Entsprechend bestehen mit Blick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG keine Bedenken, wenn die Gerichte im Ausgangsverfahren angenommen haben, dass sich allein aus der Stellung des abgeordneten Richters als Sachbearbeiter und Vertreter der Justizbehörde eine Parteilichkeit seiner früheren Kollegen nicht ergebe. Anhaltspunkte dafür, dass das frühere Kollegialverhältnis der Richter in dem Prozesskostenhilfeverfahren konkret in Erscheinung getreten ist, liegen nicht vor; dies wurde von dem Beschwerdeführer auch nicht behauptet. Im Hinblick auf die Außendarstellung der Justiz gerade gegenüber Klägern in Amtshaftungssachen mag es nicht dienlich gewesen sein, den an die Justizbehörde abgeordneten Richter ausgerechnet mit der Prozessvertretung vor seiner ehemaligen Kammer zu beauftragen; verfassungsrechtlich begründete Bedenken gegen die Unparteilichkeit der Richter können hieraus jedoch nicht abgeleitet werden.

Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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