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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 08.05.2002
Aktenzeichen: 1 BvR 485/01
Rechtsgebiete: GG, BauGB


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 103 Abs. 1
BauGB § 64 Abs. 2 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 485/01 -

IM NAMEN DES VOLKES

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen

1. den Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 19. März 2001 - 1 U 523/98 (Baul) -,

2. das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 21. Februar 2001 - 1 U 523/98 (Baul.) -

hat die 3. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier und die Richterinnen Haas, Hohmann-Dennhardt

am 8. Mai 2002 einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Das Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz vom 21. Februar 2001 - 1 U 523/98 (Baul.) - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes, soweit der weiter gehende Antrag auf gerichtliche Entscheidung und die weiter gehende Berufung zurückgewiesen wurden. In diesem Umfang wird das Urteil aufgehoben und die Sache an das Oberlandesgericht Koblenz zurückverwiesen. Der Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 19. März 2001 - 1 U 523/98 (Baul) - ist danach gegenstandslos.

2. Das Land Rheinland-Pfalz hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verneinung eines Anspruchs auf Verzinsung des Geldausgleichs in einer Baulandsache.

1. Das Oberlandesgericht änderte den Umlegungsplan dahingehend ab, dass an den Beschwerdeführer eine Geldentschädigung in Höhe von 46.050,86 DM zu zahlen ist. Den weiter gehenden Antrag auf gerichtliche Entscheidung und die weiter gehende Berufung wies es zurück, weil es einen Zinsanspruch des Beschwerdeführers verneinte.

Zwar könne grundsätzlich auch im Umlegungsverfahren ein Zinsanspruch gemäß § 99 Abs. 3 Satz 1 BauGB in Betracht kommen. Denn die Geldabfindung nach § 59 Abs. 2 Satz 2 BauGB trage im Hinblick auf die entsprechend anzuwendenden Entschädigungsvorschriften der §§ 95 f. BauGB enteignungsrechtlichen Charakter, sei also dem Grunde nach der für Enteignungsfälle geltenden Zinspflicht gleichzubehandeln. Allerdings sei dieser zusätzliche Zinsausgleich nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 64 Abs. 2 Satz 3 BauGB möglich. Er setze voraus, dass die Anfechtung des Umlegungsplans lediglich wegen der Höhe einer Geldleistung erfolgt sei und dass ein Härtefall vorliege. Denn auch ein Prozess, der nur in diesem beschränkten Umfang die Anfechtung des Umlegungsplans zum Gegenstand habe, solle nur in Ausnahmefällen zu einem Zinsgewinn führen.

Im Wege der Tatbestandsberichtigung beschloss das Oberlandesgericht den Wegfall eines weiteren den Zinsausspruch betreffenden Absatzes der Entscheidungsgründe.

2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde wendet sich der Beschwerdeführer gegen die Entscheidungen des Oberlandesgerichts und rügt eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG in der Ausprägung als Willkürverbot und des Art. 103 Abs. 1 GG. Die Entscheidung, dass der Entschädigungsanspruch nicht verzinst werde, finde im Baugesetzbuch keine Stütze und sei daher willkürlich. Die Auslegung des § 64 Abs. 2 Satz 3 BauGB durch das Oberlandesgericht sei abwegig.

3. Die weiteren Beteiligten des Ausgangsverfahrens, das Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz sowie der Bundesgerichtshof und das Bundesverwaltungsgericht hatten Gelegenheit zur Stellungnahme. Sie haben sich nicht geäußert.

II.

1. Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Entscheidung angenommen, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung liegen vor (§ 93 c Abs. 1 BVerfGG). Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Danach verstößt die Entscheidung des Baulandsenats, den die Zinsforderung betreffenden weiter gehenden Antrag auf gerichtliche Entscheidung und die weiter gehende Berufung zurückzuweisen, gegen Art. 3 Abs. 1 GG in der Ausprägung als Willkürverbot.

a) Willkürlich ist ein Richterspruch, wenn er unter keinem denkbaren rechtlichen Aspekt rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Das ist anhand objektiver Kriterien festzustellen. Schuldhaftes Handeln des Richters ist nicht erforderlich. Fehlerhafte Auslegung des Gesetzes allein macht eine Gerichtsentscheidung nicht willkürlich. Willkür liegt vielmehr erst vor, wenn die Rechtslage in krasser Weise verkannt wird. Davon kann jedoch nicht gesprochen werden, wenn das Gericht sich mit der Rechtslage eingehend auseinander setzt und seine Auffassung nicht jeden sachlichen Grundes entbehrt (vgl. BVerfGE 89, 1 <13 f.>).

b) Die angegriffene Zinsentscheidung hält einer verfassungsrechtlichen Prüfung anhand dieses Maßstabes nicht stand.

Die rechtlichen Erwägungen, mit denen das Oberlandesgericht einen Zinsanspruch des Beschwerdeführers verneint, sind unter keinem Gesichtspunkt vertretbar. Das Oberlandesgericht verkennt den Anwendungsbereich des § 64 Abs. 2 Satz 3 BauGB.

Gemäß § 64 Abs. 2 Satz 2 BauGB kann zur Vermeidung von Härtefällen die Fälligkeit der Ausgleichsleistungen für Mehrwerte hinausgeschoben und vorgesehen werden, dass die Bezahlung in wiederkehrenden Leistungen erfolgt. Als Mehrwerte bezeichnet man die über dem Sollanspruch liegenden Zuteilungen an den Eigentümer, die dieser auszugleichen hat (vgl. BTDrucks 10/4630, S. 100). In diesen Fällen soll nach Satz 3 der Vorschrift die Ausgleichsleistung ab Fälligkeit und bei Anfechtung des Umlegungsplans lediglich wegen der Höhe einer Geldleistung ab In-Kraft-Treten des Umlegungsplans verzinst werden. Ohne die Pflicht zur Verzinsung der Ausgleichsleistung käme die Stundung im wirtschaftlichen Ergebnis einer Minderung der Ausgleichsleistung gleich und bestünde der Anreiz, einen Prozess über die Höhe des Geldbetrags möglichst lange hinauszuzögern (vgl. BTDrucks 10/4630, S. 103; Stang in: Schrödter, BauGB, 6. Auflage 1998, § 64 Rn. 10 f.; Stemmler/Otte in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, Stand September 1987, § 64 Rn. 8, 12 a; Schriever in: Brügelmann, BauGB, Stand April 1999, § 64 Rn. 20, 23). Die Umlegungsstelle kann aber Ausnahmen von der Verpflichtung des Eigentümers, die Geldleistung in den genannten Fällen zu verzinsen, zulassen. Nach allgemeiner Meinung setzt dies jedoch eine weitere besondere Härte voraus (vgl. BTDrucks 10/6166, S. 157; Stang, a.a.O., § 64 Rn. 6; Stemmler/Otte, a.a.O., § 64 Rn. 8; Schriever, a.a.O., § 64 Rn. 17).

Für von der Gemeinde zu erbringende Geldleistungen hingegen gilt nach § 59 Abs. 2 Satz 2 BauGB die Verzinsungspflicht des § 99 Abs. 3 BauGB, soweit die Zuteilung den Einwurfswert oder mehr als nur unwesentlich den Sollanspruch unterschreitet (vgl. Stang, a.a.O., § 64 Rn. 6), was vom Fachgericht zu prüfen wäre.

Vor dem dargestellten Hintergrund ist die vom Oberlandesgericht vertretene Rechtsauffassung, dass der Zinsanspruch des Eigentümers nur unter den besonderen Voraussetzungen des § 64 Abs. 2 Satz 3 BauGB gegeben sei und voraussetze, dass die Anfechtung des Umlegungsplans lediglich wegen der Höhe einer Geldleistung erfolgt sei und dass ein Härtefall vorliege, nicht nachvollziehbar. Sie ist unter keinem erkennbaren Gesichtspunkt mehr vertretbar und daher willkürlich.

Soweit das Urteil des Oberlandesgerichts mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen ist, beruht es auf dem festgestellten Verfassungsverstoß. Es ist daher in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben und die Sache an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen (§ 93 c Abs. 2, § 95 Abs. 2 BVerfGG). Der Tatbestandsberichtigungsbeschluss des Oberlandesgerichts vom 19. März 2001 wird damit gegenstandslos.

c) Auf die Rüge einer Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG kommt es damit nicht mehr an.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 34 a Abs. 2 BVerfGG.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).

Ende der Entscheidung

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