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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 15.05.2003
Aktenzeichen: 1 BvR 552/03
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 552/03 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen die Beschlüsse des Landgerichts Wuppertal vom 31. Januar 2003 - 11 T 6/02, 11 T 7/02, 11 T 8/02, 11 T 9/02, 11 T 10/02, 11 T 11/02 -

und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Präsidenten Papier, die Richterin Haas und den Richter Hoffmann-Riem gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 15. Mai 2003 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe:

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer, das Ausgangsgericht habe unter Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG eine Vorlage an den Europäischen Gerichtshof zu der Frage unterlassen, ob die für GmbH & Co KGŽs geltende Publizitätspflicht nach der Richtlinie 90/605/EWG mit gemeinschaftsrechtlich garantierten Grundrechten vereinbar ist.

Die Verfassungsbeschwerde, der keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zukommt, wird nicht zur Entscheidung angenommen. Sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG; vgl. BVerfGE 90, 22 <25>).

Die Frage einer Verletzung des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG wegen einer unterlassenen Vorlage an den EuGH ist in der Rechtsprechung des BVerfG geklärt (BVerfGE 82, 159 <194 ff.>). Danach beanstandet das BVerfG die Auslegung und Anwendung von Zuständigkeitsnormen - hier des Art. 234 Abs. 3 EGV - nur, wenn sie bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz bestimmenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheinen und offensichtlich unhaltbar sind. Die Vorlagepflicht nach Art. 234 EGV wird insbesondere in den Fällen offensichtlich unhaltbar gehandhabt, in denen ein letztinstanzliches Hauptsachegericht eine Vorlage trotz der - seiner Auffassung nach bestehenden - Entscheidungserheblichkeit der gemeinschaftsrechtlichen Frage überhaupt nicht in Erwägung zieht, obwohl es selbst Zweifel hinsichtlich der richtigen Beantwortung der Frage hegt (grundsätzliche Verkennung der Vorlagepflicht). Gleiches gilt in den Fällen, in denen das letztinstanzliche Hauptsachegericht in seiner Entscheidung bewusst von der Rechtsprechung des EuGH zu entscheidungserheblichen Fragen abweicht und gleichwohl nicht oder nicht neuerlich vorlegt (bewusstes Abweichen ohne Vorlagebereitschaft). Liegt zu einer entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts einschlägige Rechtsprechung des EuGH noch nicht vor oder hat eine vorliegende Rechtsprechung die entscheidungserhebliche Frage möglicherweise noch nicht erschöpfend beantwortet oder erscheint eine Fortentwicklung der Rechtsprechung des EuGH nicht nur als entfernte Möglichkeit, wird Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nur verletzt, wenn das letztinstanzliche Hauptsachegericht den ihm in solchen Fällen notwendig zukommenden Beurteilungsrahmen in unvertretbarer Weise überschritten hat (Unvollständigkeit der Rechtsprechung). Dies kann insbesondere dann der Fall sein, wenn mögliche Gegenauffassungen zu der entscheidungserheblichen Frage des Gemeinschaftsrechts gegenüber der vom Gericht vertretenen Meinung eindeutig vorzuziehen sind (BVerfGE 82, 159 <194 ff.>).

Hier hat das Landgericht weder seine Vorlagepflicht grundsätzlich verkannt, noch ist es von seiner Vorlagepflicht bewusst abgewichen. Der Vortrag der Beschwerdeführer lässt auch nicht erkennen, dass das Landgericht eine Rechtsauffassung vertreten haben könnte, gegenüber der andere Auffassungen eindeutig vorzuziehen wären. Das Landgericht hat hinsichtlich der Erforderlichkeit der Publizitätspflichten darauf abgestellt, dass die von den Beschwerdeführern vorgeschlagene Reduzierung der Offenlegungsverpflichtung nicht ausreichend sei, um die wirtschaftliche Situation einer Gesellschaft hinreichend sicher beurteilen zu können. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wiederholen die Beschwerdeführer lediglich ihre entgegenstehende Auffassung, wonach der Zweck der Publizitätspflicht auch durch eine Beschränkung auf die Angabe bestimmter Kennzahlen, einer verkürzten Bilanz oder eines Testats über die Bonität des Unternehmens erreicht werden könne, ohne dies jedoch näher darzulegen. Dass ihre Auffassung gegenüber der des Landgerichts eindeutig vorzugswürdig sein könnte, ergibt sich aus der Verfassungsbeschwerde somit nicht. Gleiches gilt, soweit die Beschwerdeführer sich gegen die Auffassung des Landgerichts wenden, die Befolgung der Publizitätsvorschriften sei den von den Beschwerdeführern vertretenen Unternehmen auch angesichts ihrer Eigenkapitalquote und der Beschaffung des Fremdkapitals von konzernrechtlich verbundenen Unternehmen zumutbar. Dem halten die Beschwerdeführer entgegen, dass die Publizitätsvorschriften eine unverhältnismäßige Belastung darstellten. Warum ihre entgegenstehende Auffassung eindeutig vorzugswürdig sein soll, wird von den Beschwerdeführern nicht dargelegt und ist auch nicht ersichtlich.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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