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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 10.05.2003
Aktenzeichen: 1 BvR 697/03
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 5 Abs. 1 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 697/03 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen die sitzungspolizeiliche Anordnung des Vorsitzenden der 22. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main vom 17. März 2003 und die ergänzende Verfügung des Vorsitzenden vom 7. April 2003 - 5/22 Ks 3490 Js 230118/02 -

hier: Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungs- gerichts durch den Präsidenten Papier, die Richterin Haas und den Richter Hoffmann-Riem gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 10. April 2003 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde und der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung betreffen sitzungspolizeiliche Maßnahmen über das Fertigen von Fernsehaufnahmen in einem Strafverfahren.

I.

1. Am 8. April 2003 hat vor der 22. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main die öffentliche Hauptverhandlung in der Strafsache gegen den Angeklagten Magnus XX begonnen, dem vorgeworfen wird, den Bankierssohn Jakob von Metzler entführt und getötet zu haben. Der Fall fand und findet eine intensive öffentliche Aufmerksamkeit und Erörterung. Neben der Schwere des angeklagten Verbrechen liegt dies auch daran, dass zwischen dem Opfer und dem Angeklagten eine private Beziehung bestand. Ferner ist dem Angeklagten während seiner polizeilichen Vernehmung die Anwendung von Folter angedroht worden. Das ist weiterhin Gegenstand einer intensiven öffentlichen Diskussion.

Die Beschwerdeführer beabsichtigen, über die Hauptverhandlung im Rahmen einer Pool-Lösung zu berichten, auf die sich deutsche Fernsehveranstalter verständigt haben.

2. Mit sitzungspolizeilicher Verfügung des Vorsitzenden vom 17. März 2003 und 7. April 2003 wurden Film- und Bildaufnahmen im Sitzungssaal vor der Sitzung für 15 Minuten gestattet. Der Angeklagte soll danach nur dann bei Anwesenheit der Pressevertreter in den Sitzungssaal geführt werden, wenn diese sich vorher verpflichten, sein Gesicht vor Veröffentlichung und Weitergabe der Aufnahmen an andere Fernsehanstalten so zu anonymisieren, dass nur eine Verwendung in anonymisierter Form möglich bleibt, es sei denn, er sei mit der Veröffentlichung seiner Bilder einverstanden. Der Angeklagte habe sich geweigert, sich im Sitzungssaal filmen oder fotografieren zu lassen. Eine zwangsweise Vorführung gegen seinen Willen sei vor dem Hintergrund, dass ihm im Ermittlungsverfahren schon einmal mit Gewalt gedroht wurde, nicht verhältnismäßig.

3. Mit dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihres Grundrechts auf Rundfunkfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Die erfolgte Beschränkung der Berichterstattungsfreiheit durch die Anordnungen gemäß § 176 GVG sei nicht gerechtfertigt. Dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit an der Person des Angeklagten, der mit vollem Namen, Lebensumständen und Bildnis seit Monaten in der Öffentlichkeit bekannt sei, stünden keine Rechtsgüter entgegen, die die sitzungspolizeilichen Anordnungen rechtfertigen könnten. Die Verfügung selbst lasse keine Abwägung der betroffenen grundrechtlichen Positionen erkennen. Soweit der Angeklagte sich weigere, sich filmen oder fotografieren zu lassen, könne er keinen Anonymitätsschutz in Anspruch nehmen. Die bloße Weigerung allein könne auch im Hinblick auf das Interesse an einem geordneten Ablauf der Verhandlung nicht dazu führen, dass es der Angeklagte in der Hand habe, den Umfang der Medienberichterstattung zu bestimmen.

II.

Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.

An einer aktuellen und authentischen Berichterstattung über die Hauptverhandlung gegen den Angeklagten, dem Mord an einem ihm anvertrauten Kind und damit eine besonders schwere Straftat vorgeworfen wird, besteht ein erhebliches öffentliches Interesse. Von dem durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Berichterstattungsinteresse der Beschwerdeführer ist die bildliche Dokumentation der Geschehnisse im Sitzungssaal am Rande der Verhandlung der Strafkammer umfasst. Angesichts der besonderen Umstände und der Schwere der Straftat hat das Berichterstattungsinteresse Vorrang gegenüber dem Persönlichkeitsrecht des Angeklagten auch hinsichtlich seiner Abbildung (zu den Maßstäben vgl. BVerfGE 35, 202 <231>).

Soweit das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 15./17. April 2002 (BVerfG, 1. Kammer des Ersten Senats, NJW 2002, S. 2021) die Anfertigung von Ton- und Bildaufnahmen unter dem Vorbehalt der Anonymisierung der Aufnahmen angeordnet hat, beruhte diese Einschätzung auf anderen Voraussetzungen, insbesondere einer im Einzelnen begründeten Gefährdungslage.

Die Auflage des Vorsitzenden, Aufnahmen des Gesichts des Angeklagten zu anonymisieren, ist allerdings kein schwerer Nachteil im Sinne des § 32 Abs. 1 BVerfGG, dessen Abwehr den Erlass der einstweiligen Anordnung gebietet. Das Bild des Angeklagten ist in der Öffentlichkeit bekannt und auch von den Beschwerdeführern mehrfach veröffentlicht worden. Ihnen wird lediglich verwehrt, ein neues Bild aus der Verhandlung zu veröffentlichen, das auch das Gesicht erkennen lässt. Sie erhalten die Möglichkeit, vor und nach der Hauptverhandlung im Sitzungssaal zu filmen und damit einen visuellen Eindruck von dem äußeren Rahmen der Verhandlung zu vermitteln. Soweit sie auch das Gesicht des Angeklagten abbilden wollen, stehen ihnen bereits vorher entstandene Aufnahmen zur Verfügung. Dass sie kein aktuelles Bild des Gesichts aus der Verhandlung veröffentlichen können, ist ein rechtserheblicher Nachteil, der aber nicht derart schwer wiegt, dass er den Erlass einer einstweiligen Anordnung gebietet.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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