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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 21.03.2002
Aktenzeichen: 1 BvR 861/01
Rechtsgebiete: BVerfGG, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93 a Abs. 2 Buchstabe b
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 12 Abs. 1
GG Art. 80 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 861/01 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 11. April 2001 - BVerwG 3 B 198.00 -,

b) das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. September 2000 - 8 A 2429/99 -,

c) das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 4. März 1999 - 6 K 3296/97 -

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Jaeger und die Richter Hömig, Bryde

am 21. März 2002 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die Ablehnung ihres Antrages auf Anerkennung als Überwachungsorganisation von freiberuflichen Kfz-Sachverständigen zur Durchführung von Hauptuntersuchungen und Sicherheitsprüfungen von Kraftfahrzeugen in Nordrhein-Westfalen. Sie ist in den Ländern Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern als Überwachungsorganisation anerkannt.

I.

Die Beschwerdeführerin, die in Nordrhein-Westfalen über vier Prüfingenieure verfügt, möchte dort als Überwachungsorganisation im Sinne der Anlage VIII b zu § 29 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung (StVZO) Hauptuntersuchungen und Sicherheitsprüfungen von Kraftfahrzeugen durchführen.

1. Als die Beschwerdeführerin im Jahre 1995 ihren Antrag auf Anerkennung als Überwachungsorganisation stellte, galt die vom Bundesverordnungsgeber durch die Achte Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 24. Mai 1989 (BGBl I S. 1002) geänderte Anlage VIII zu § 29 Abs. 1 und 2 der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung. Nach Nr. 1.3.1 der dazugehörigen Richtlinie für die Anerkennung von Überwachungsorganisationen nach Nummer 7 der Anlage VIII StVZO (Anerkennungsrichtlinie für Überwachungsorganisationen) vom 6. Juni 1989 (VkBl S. 394) ist die ausreichende Leistungsfähigkeit der Organisation erforderlich. Deshalb sollte die Organisation von mindestens 40 Kraftfahrzeugsachverständigen gebildet und getragen werden; dabei werden Sachverständige der Organisation in anderen Ländern mitgezählt.

Durch die Achtundzwanzigste Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 20. Mai 1998 (BGBl I S. 1051) wurde die auch heute noch geltende Anlage VIII b mit Wirkung zum 1. März 1999 in die Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung eingefügt und nachfolgend nochmals mit Rechtsverordnung vom 3. Februar 1999 (BGBl I S. 82) geändert. Im Hinblick auf die für eine Anerkennung erforderliche Mindest-Mitgliederzahl (Mindest-Gesellschafterzahl) einer Überwachungsorganisation wurden dort unter Nr. 2.1 nun eine Zahl von mindestens 60 selbständigen und hauptberuflich tätigen Kraftfahrzeugsachverständigen bundesweit und ein Sachverständiger je 100.000 im Anerkennungsgebiet zugelassener Kraftfahrzeuge und Anhänger gefordert, jedoch nicht mehr als insgesamt 30 Sachverständige im jeweiligen Anerkennungsgebiet.

2. Das zuständige Ministerium stellte den 1995 gestellten Antrag der Beschwerdeführerin mit Rücksicht auf die zu erwartende Änderung der Rechtslage zurück und wies darauf hin, dass die Anzahl von vier Personen, die die Beschwerdeführerin als Prüfingenieure benannt habe und von denen drei noch an andere Organisationen gebunden seien, unterhalb einer tragfähigen Größenordnung liege.

Die im April 1997 erhobene Untätigkeitsklage wies das Verwaltungsgericht ab. Nach Zulassung der Berufung lehnte der Beklagte durch Bescheid vom Juli 2000 den Antrag auf Anerkennung als Überwachungsorganisation ab.

Das Oberverwaltungsgericht wies die Berufung zurück (NZV 2000, S. 184). Die Beschwerdeführerin könne die Anerkennung als Überwachungsorganisation nicht aus Anlage VIII b zu § 29 StVZO beanspruchen, weil diese Bestimmung verfassungswidrig sei. Für sie fehle es an einer nach Art. 80 Abs. 1 GG erforderlichen gesetzlichen Ermächtigung. Zur Vermeidung eines verfassungsrechtlich unhaltbaren Zustandes, der in einer Verfestigung des Wettbewerbsvorteils bereits anerkannter Überwachungsorganisationen bestünde, sei es allerdings unerlässlich, die wesentlichen Rechtssätze der Anlage VIII b zu § 29 StVZO für eine Übergangszeit weiter anzuwenden. Die Beschwerdeführerin erfülle nicht die Voraussetzungen der Nr. 2.1 der inhaltlich verfassungsrechtlich unbedenklichen Anlage VIII b in der Fassung des Art. 1 Nr. 3 Buchstabe a der Vierundzwanzigsten Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung vom 3. Februar 1999 (BGBl I S. 82). Es sei unverzichtbar, dass die Organisation über eine leistungsfähige Binnenstruktur nicht nur im Bundesgebiet, sondern auch im jeweiligen Bundesland verfüge. Das setze voraus, dass ihr dort eine gewisse Anzahl der sie als Gesellschafter tragenden und hauptberuflich tätigen Kraftfahrzeugsachverständigen angehöre. Selbst wenn die nach Maßgabe der unwirksamen Vorschrift geforderten 30 Gesellschafter für Nordrhein-Westfalen verfassungsrechtlich nicht haltbar wären, sei es jedenfalls unverzichtbar, dass in der Übergangszeit, für die sie die Anerkennung erstrebe, mehr als die vier Sachverständigen verfügbar seien.

Die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wies das Bundesverwaltungsgericht zurück.

3. Mit ihrer fristgemäß eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 12 Abs. 1 und Art. 3 Abs. 1 GG sowie des rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzips (Art. 20 Abs. 3 GG) durch die verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen. Eine "leistungsfähige Binnenstruktur" dürfe erst dann verlangt werden, wenn die jeweilige Überwachungsorganisation ihre Überwachungstätigkeit tatsächlich aufnehme. Das Oberverwaltungsgericht habe sich für die Übergangsregelung nicht auf das Unerlässliche beschränkt. Als "mildere Maßnahme" komme in Betracht, die betreffende Überwachungsorganisation zunächst anzuerkennen und lediglich die nachfolgende Aufnahme der Überwachungstätigkeit von der Erfüllung von Bedingungen und/oder Auflagen abhängig zu machen, die an die Schaffung bestimmter personeller, sächlicher und rechtlicher Voraussetzungen anknüpften. Für die Übergangszeit hätte hinsichtlich der Mindestanforderungen auch nicht auf die ab 1998 geltenden strengeren Maßstäbe zurückgegriffen werden dürfen. Zudem sei es mit Art. 3 Abs. 1 GG sowie mit dem aus Art. 20 Abs. 3 GG abzuleitenden rechtsstaatlichen Vertrauensschutzprinzip nicht zu vereinbaren, wenn drei Überwachungsorganisationen in Nordrhein-Westfalen auf der Basis der älteren Anlage VIII anerkannt worden seien, während ihr infolge einer von ihr nicht zu vertretenden Verzögerung des Verfahrens und einer für sie zwischenzeitlich nachteiligen Änderung des Rechts die Anerkennung versagt worden sei. Das widerspreche auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (unter Hinweis auf BVerwGE 100, 346 <350>).

II.

Die Voraussetzungen für die Annahme der Verfassungsbeschwerde (§ 93 a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor.

1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass in den Fällen, in denen das Fehlen einer gesetzlichen Grunndlage ausnahmsweise für eine Übergangszeit hinzunehmen ist, sich für deren Dauer die Befugnis zu Eingriffen in verfassungsrechtlich geschützte Positionen auf das beschränkt, was im konkreten Fall unter Berücksichtigung der jeweiligen Verhältnisse für die geordnete Weiterführung eines funktionsfähigen Betriebes unverzichtbar ist (vgl. BVerfGE 41, 251 <267>; 76, 171 <189>).

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der von der Beschwerdeführerin als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

Die Annahme ist angezeigt, wenn die geltend gemachte Verletzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten besonderes Gewicht hat oder den Beschwerdeführer in existentieller Weise betrifft. Besonders gewichtig ist eine Grundrechtsverletzung unter anderem dann, wenn sie auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hindeutet oder wegen ihrer Wirkung geeignet ist, von der Ausübung von Grundrechten abzuhalten (vgl. BVerfGE 90, 22 <25>).

a) Die angegriffene Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts deutet nicht auf eine generelle Vernachlässigung von Grundrechten hin. Soweit das Gericht eine ausreichende gesetzliche Grundlage für die angegriffene Verwaltungsentscheidung vermisst hat, wird der Gesetzgeber aller Voraussicht nach Abhilfe schaffen (vgl. den Gesetzentwurf der Bundesregierung BRDrucks 32/02, S. 4, 95 f., 102).

Das Oberverwaltungsgericht hat die verfassungsrechtlichen Vorgaben für eine richterrechtliche Notkompetenz bei grundrechtsbeschränkenden Regelungen nicht verkannt. Seine Rechtsauffassung hat zumindest die verfassungsrechtlich verbürgten Reche der Beschwerdeführerin nicht verkürzt.

Für diese Aussage kommt es letztlich nicht darauf an, ob die in Nr. 2.1 der Anlage VIII b zu § 29 StVZO geforderte Zahl von 30 Sachverständigen im Anerkennungsgebiet von Nordrhein-Westfalen, die das Oberverwaltungsgericht herangezogen hat, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entspricht. Nach den Vorstellungen des Verordnungsgebers soll mit der angeordneten Relation zwischen der Zahl zugelassener Fahrzeuge und der Zahl der Sachverständigen sichergestellt werden, dass eine angemessene Anzahl von die Organisation tragenden Sachverständigen zur Gewährleistung und Aufrechterhaltung ihrer Leistungsfähigkeit im Anerkennungsgebiet tatsächlich präsent und tätig ist (vgl. die Begründung zum Entwurf der Vierundzwanzigsten Verordnung zur Änderung der Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung, VkBl 1999, S. 556 f.). Dies dient der Erhaltung von Sicherheit und Ordnung im Straßenverkehr (vgl. auch BRDrucks a.a.O., S. 102). Es ist allerdings fraglich, ob die hohe Anzahl von Sachverständigen, die sich im Wesentlichen nach der Zahl der im Anerkennungsgebiet zugelassenen Fahrzeuge bemisst, die Anzahl der im Anerkennungsgebiet beabsichtigten Niederlassungen jedoch nicht berücksichtigt, in jeder Weise den verfassungsrechtlichen Anforderungen an Eignung und Erforderlichkeit genügt.

Auch eine existentielle Betroffenheit der Beschwerdeführerin kann nicht angenommen werden. Selbst wenn es verfassungsrechtlich geboten gewesen wäre, das ihr günstigere Recht anzuwenden, das noch im Zeitpunkt der Antragstellung galt, hätte die Beschwerdeführerin vor dem Oberverwaltungsgericht keinen Erfolg haben können. Sie hat auch den nach altem Recht festgelegten Mindestanforderungen an die Binnenorganisation nicht genügt. In der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht hat sie eingeräumt, dass die Zahl der in Nordrhein-Westfalen ansässigen Sachverständigen, die die Absicht hätten, zu ihr zu wechseln, in absehbarer Zeit nicht nennenswert gesteigert werden könnte. Auch im Verfassungsbeschwerdeverfahren hat sie nicht vorgetragen, dass sie weitere Sachverständige hinzugewinnen könnte. Angesichts dieser Tatsachenlage sind der Beschwerdeführerin keine zusätzlichen Nachteile dadurch entstanden, dass ihr Anerkennungsantrag erst auf Untätigkeitsklage hin beschieden worden ist. Auch die mit der Verfassungsbeschwerde angegriffene Rechtsansicht des Oberverwaltungsgerichts, Rechtsänderungen zwischen einem solchen Antrag und der Entscheidung hierüber seien bei der Erteilung einer Erlaubnis rechtserheblich (vgl. dazu aber BVerwGE 4, 81 <88>; 100, 346 <349>; BVerwG, NJW 1961, S. 1275), hat deshalb für das Ergebnis keine Bedeutung.

b) Soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, es sei eine mildere Maßnahme, nicht schon die Erlaubnis, sondern die Aufnahme der Überwachungstätigkeit von der Erfüllung bestimmter personeller Voraussetzungen abhängig zu machen, ist ihr zuzustimmen. Aber auch unter Berücksichtigung dieses Arguments sind die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG nicht erfüllt.

Die Beschwerdeführerin räumt selbst ein, dass zumindest die Aufnahme der Tätigkeit eine leistungsfähige Binnenstruktur voraussetzt. Im Verlauf des seit mehr als sechs Jahren andauernden Verfahrens hat aber die Beschwerdeführerin keine Indizien dafür benennen können, dass es ihr demnächst möglich sein könnte, eine genügende Anzahl von Prüfingenieuren an sich zu binden. Das wäre aber erforderlich.

Sofern eine Erlaubnis zur Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben berechtigten soll, muss es bei ihrer Erteilung zumindest plausibel erscheinen, dass der Begünstigte von ihr auch in absehbarer Zeit Gebrauch machen will und kann. Anderenfalls bliebe für die Anerkennungsbehörde ungewiss, in welchem Umfang im Anerkennungsgebiet die Überwachungsaufgaben wahrgenommen werden können, für deren Erfüllung der Staat die Verantwortung trägt. Auch im Verfassungsbeschwerdeverfahren ist nicht hervorgetreten, dass die Beschwerdeführerin bei Anlegung dieses milderen Maßstabes in der Sache hätte Erfolg haben können.

3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).

Ende der Entscheidung

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