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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 18.12.2006
Aktenzeichen: 1 BvR 874/05
Rechtsgebiete: GG, BVerfGG, StGB


Vorschriften:

GG Art. 19 Abs. 4
GG Art. 12 Abs. 1
GG Art. 14 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 103 Abs. 2
GG Art. 103 Abs. 1
BVerfGG § 93 a Abs. 2
StGB § 284
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 1 BvR 874/05 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 18. März 2005 - 1 M 88/05 -,

b) Ziffer 5 des Bescheids des Landesverwaltungsamts Sachsen-Anhalt vom 11. Oktober 2004 - 201b-12252-5/04 -

und

Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Bryde, Eichberger, Schluckebier gemäß § 93 b in Verbindung mit § 93 a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 18. Dezember 2006 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos.

Das Land Sachsen-Anhalt hat der Beschwerdeführerin die ihr im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe:

I.

1. Die Verfassungsbeschwerde betrifft die sofortige Vollziehbarkeit einer vom Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt im Oktober 2004 erlassenen Verfügung, durch die der in Thüringen ansässigen Beschwerdeführerin, die sich hinsichtlich der von ihr angebotenen gewerblichen Sportwetten auf eine 1990 vom Magistrat der Stadt Gera erteilte Erlaubnis nach dem Gewerbegesetz der Deutschen Demokratischen Republik (künftig: DDR-Gewerbegesetz) vom 6. März 1990 (GBl I S. 138) in Verbindung mit der Durchführungsverordnung zum Gewerbegesetz vom 8. März 1990 (GBl I S. 140) beruft, für das Land Sachsen-Anhalt untersagt wird, insbesondere Sportwetten mit festen Gewinnquoten auch über das Internet anzubieten und entgegenzunehmen.

Dem gegen die unter Ziffer 5 des betreffenden Bescheids des Landesverwaltungsamts angeordnete sofortige Vollziehung gestellten Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung gab das Verwaltungsgericht zunächst statt. Auf Beschwerde des Landesverwaltungsamts lehnte das Oberverwaltungsgericht den Antrag demgegenüber ab. Die Untersagungsverfügung sei als rechtmäßig zu bewerten. Die Beschwerdeführerin verstoße durch ihr Sportwettangebot jedenfalls gegen § 284 StGB. Das besondere Vollzugsinteresse ergebe sich bereits aus dem erheblichen öffentlichen Interesse an der schon einstweiligen Unterbindung strafbaren Verhaltens. Das aus § 284 StGB in Verbindung mit dem Gesetz über das Zahlenlotto und über Sportwetten im Lande Sachsen-Anhalt (Lotto-Toto-G) vom 16. August 1991 (GVBl LSA S. 266) in der Fassung des Gesetzes vom 18. Juni 2004 (GVBl LSA S. 326) folgende Verbot unerlaubten öffentlichen Veranstaltens von Sportwetten verstoße insbesondere nicht gegen Art. 12 Abs. 1 GG. Die der Beschwerdeführerin aufgrund des DDR-Gewerbegesetzes erteilte und nach Art. 19 Satz 1 EV grundsätzlich wirksam gebliebene Erlaubnis entfalte für das Gebiet des Landes Sachsen-Anhalt keine Legalisierungswirkung.

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 2 sowie Art. 103 Abs. 1 GG. Sie ist der Auffassung, insbesondere der angegriffene Beschluss des Oberverwaltungsgerichts stelle ihren Rechtsschutzanspruch auf unzumutbare Weise zurück. Die sofort vollziehbare Untersagung greife mit der Intensität einer Berufszulassungsschranke insbesondere in ihre durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützte Berufsfreiheit ein. Ihr sei das Entgegennehmen von Sportwetten auch aus Sachsen-Anhalt aufgrund der wirksamen Erlaubnis nach dem DDR-Gewerbegesetz, die als bundesrechtliche Erlaubnis fortgelte, erlaubt.

3. Zum Verfahren haben die Landesregierung und das Landesverwaltungsamt Sachsen-Anhalt Stellung genommen.

II.

Gründe für die Annahme der Verfassungsbeschwerde im Sinne von § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor.

1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne von § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG zu. Sie wirft keine verfassungsrechtlichen Fragen auf, die sich nicht ohne weiteres aus dem Grundgesetz beantworten lassen oder die noch nicht durch die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung geklärt sind (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 f.>).

Dies gilt neben der Frage, welche Anforderungen die Verfassung an die Gewährung effektiven verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes stellt, auch soweit mit der Verfassungsbeschwerde eine Verletzung der Berufsfreiheit der Beschwerdeführerin gerügt wird. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 - (vgl. NJW 2006, S. 1261 ff.) grundsätzlich geklärt, welche Anforderungen das Grundrecht der Berufsfreiheit an die Errichtung eines staatlichen Sportwettmonopols stellt und inwieweit die damit einhergehenden Beschränkungen gerechtfertigt sein können.

Die verfassungsrechtlichen Aussagen zur Unvereinbarkeit der derzeitigen Ausgestaltung des staatlichen Sportwettmonopols mit Art. 12 Abs. 1 GG treffen dabei grundsätzlich auch auf die Rechtslage in Sachsen-Anhalt zu. Denn weder enthielt das im Ausgangsverfahren noch maßgebliche Lotto-Toto-Gesetz, noch enthält das Glücksspielgesetz des Landes Sachsen-Anhalt (Glücksspielgesetz - GlüG LSA) vom 22. Dezember 2004 (GVBl LSA S. 846) gesetzliche Regelungen, die eine konsequente und aktive Ausrichtung des in Sachsen-Anhalt zulässigen Sportwettangebots am Ziel der Begrenzung der Wettleidenschaft und Bekämpfung der Wettsucht materiell und strukturell gewährleisten (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 -, NJW 2006, S. 1264 ff.). Ebenso wenig wird dieses Regelungsdefizit durch den auch vom Land Sachsen-Anhalt ratifizierten Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland (vgl. GVBl LSA 2004 S. 328) ausgeglichen, von dessen unmittelbarer Geltung aufgrund des Gesetzes zum Staatsvertrag zum Lotteriewesen in Deutschland und zum Staatsvertrag über die Regionalisierung von Teilen der von den Unternehmen des Deutschen Lotto- und Totoblocks erzielten Einnahmen vom 18. Juni 2004 (GVBl LSA S. 326) sowie nunmehr des Glücksspielgesetzes auszugehen ist. Daher ist grundsätzlich auch das Land Sachsen-Anhalt verfassungsrechtlich gehalten, den Bereich der Sportwetten nach Maßgabe der Gründe des Urteils vom 28. März 2006 neu zu regeln und einen verfassungsmäßigen Zustand entweder durch eine konsequente Ausgestaltung des Sportwettmonopols oder eine gesetzlich normierte und kontrollierte Zulassung gewerblicher Sportwettangebote durch private Wettunternehmen herzustellen.

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung von in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechten der Beschwerdeführerin angezeigt (§ 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG).

a) Zwar verkennt insbesondere die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts bei der Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Untersagungsverfügung die verfassungsrechtlichen Anforderungen, die das Grundrecht der Berufsfreiheit an einen verfassungsrechtlich gerechtfertigten Ausschluss der Veranstaltung und Vermittlung gewerblicher Sportwetten durch ein staatliches Sportwettmonopol stellt (vgl. BVerfG, Urteil vom 28. März 2006 - 1 BvR 1054/01 -, NJW 2006, S. 1264 ff.). Die Beschwerdeführerin hat aber bisher trotz der von ihr zur Befolgung der Verfügung ergriffenen Maßnahmen wegen der sofort vollziehbaren Untersagung keinen schweren Nachteil erlitten, zumal im Hinblick auf Fragen der technischen Umsetzbarkeit der Untersagungsverfügung sowie der Unzumutbarkeit des vollständigen Abschaltens des Internetauftritts der Beschwerdeführerin die aufschiebende Wirkung des Hauptsacherechtsbehelfs gegen die erfolgte Zwangsgeldfestsetzung angeordnet wurde.

Soweit die Behörde unter Berufung auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 28. März 2006 das Verbot gewerblicher Sportwettangebote und die sofortige Vollziehung der gegenüber der Beschwerdeführerin ergangenen Untersagungsverfügung aufrecht erhält, steht der Beschwerdeführerin zur Kontrolle der Einhaltung der dies rechtfertigenden verfassungsgerichtlichen Vorgaben zunächst das Verfahren vor den Verwaltungsgerichten nach § 80 Abs. 7 VwGO offen (vgl. dazu BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 4. Juli 2006 - 1 BvR 138/05 -, juris).

b) Soweit die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Grund- und grundrechtsgleichen Rechte unter dem Gesichtspunkt einer Verkennung der Legalisierungswirkung der bei ihr vorliegenden Erlaubnis nach dem DDR-Gewerbegesetz rügt, ist die Verfassungsbeschwerde subsidiär und hat daher keine Aussicht auf Erfolg. Der Beschwerdeführerin ist es zumutbar, eine fachgerichtliche Klärung der sowohl hinsichtlich der räumlichen Reichweite im Gebiet der neuen Bundesländer als auch der gegenständlichen Erstreckung der Erlaubnis auf das Internetwettgeschäft nicht abschließend geklärten rechtlichen Wirkungen ihrer gewerberechtlichen Erlaubnis zum "Abschluss von Sportwetten" nach DDR-Gewerbegesetz im Hauptsacheverfahren abzuwarten. Die insoweit aufgeworfenen Fragen sind, auch hinsichtlich etwaiger Grundrechtsverletzungen, die aus der Versagung der Anerkennung einer Legalisierungswirkung der nach dem DDR-Gewerbegesetz erteilten Erlaubnis für das Land Sachsen-Anhalt herrühren könnten, vorrangig im Rahmen der von der Beschwerdeführerin erhobenen Anfechtungsklage zu entscheiden.

3. Von einer weiteren Begründung wird nach § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

III.

Da die Kammer die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung annimmt, wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (vgl. § 40 Abs. 3 GOBVerfG).

Die Anordnung der Auslagenerstattung erfolgt aufgrund § 34 a Abs. 3 BVerfGG. Sie entspricht vorliegend der Billigkeit, da die angegriffenen Entscheidungen bei ihrem Erlass, wie unter II. 2. a) ausgeführt, mit dem Grundgesetz unvereinbar waren.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).



Ende der Entscheidung

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