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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 08.10.1997
Aktenzeichen: 1 BvR 9/97
Rechtsgebiete: BVerfGG


Vorschriften:

GG Art. 3 Abs. 3 Satz 2
Leitsätze

zum Beschluß des Ersten Senats vom 8. Oktober 1997

- 1 BvR 9/97 -

1. Zum Verbot der Benachteiligung Behinderter (Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG) im Bereich des Schulwesens.

2. Die Überweisung eines behinderten Schülers an eine Sonderschule gegen seinen und seiner Eltern Willen stellt nicht schon für sich eine verbotene Benachteiligung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG dar. Eine solche Benachteiligung ist jedoch gegeben, wenn die Überweisung erfolgt, obwohl eine Unterrichtung an der allgemeinen Schule mit sonderpädagogischer Förderung möglich ist, der dafür benötigte personelle und sächliche Aufwand mit vorhandenen Personal- und Sachmitteln bestritten werden kann und auch organisatorische Schwierigkeiten und schutzwürdige Belange Dritter der integrativen Beschulung nicht entgegenstehen.


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BUNDESVERFASSUNGSGERICHT - 1 BvR 9/97 -

IM NAMEN DES VOLKES

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

der minderjährigen S...,

- Bevollmächtigte: Rechtsanwalt Professor Dr. Joachim Fischer und Partnerin, Kurze Geismar- straße 22, Göttingen -

gegen den Beschluß des Niedersächsischen Oberverwaltungs- gerichts vom 29. November 1996 - 13 M 4539/96 -

hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung des Vizepräsidenten Seidl, der Richter Grimm, Kühling, der Richterinnen Jaeger, Haas und der Richter Hömig, Steiner am 8. Oktober 1997 beschlossen:

Die Verfassungsbeschwerde wird zurückge- wiesen.

G r ü n d e :

A.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG eine gemeinsame Erziehung und Unterrichtung von schulpflichtigen behinderten und nichtbehinderten Kindern und Jugendlichen an allgemeinen öffentlichen Schulen (sogenannte integrative Beschulung) verlangt.

I. 1. Behinderte Kinder und Jugendliche, die wegen ihrer Behinderung sonderpädagogischer Förderung bedürfen, wurden in der Bundesrepublik Deutschland nach dem Aufbau eines eigenständigen Sonderschulwesens zunächst nahezu ausschließlich in Sonderschulen unterrichtet. Vor allem mit der Begründung, daß im Rahmen einer solchen Beschulung die angestrebte gesellschaftliche Integration behinderter Menschen nicht in dem gewünschten Maße gefördert werden könne, wurde in Wissenschaft und Politik aber schon bald die Forderung erhoben, behinderte Schüler möglichst gemeinsam mit nichtbehinderten Schülern in allgemeinen Schulen (im folgenden auch als Regelschulen bezeichnet) zu unterrichten. Unter Berücksichtigung des im Einzelfall festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarfs sollen danach integrative Angebotsformen und Förderkonzepte (etwa der Besuch einer Regelklasse mit zusätzlichem sonderpädagogischem Förderunterricht) einer separierenden Förderung in eigenständigen Institutionen (wie der Beschulung in einer Sonder- oder Förderschule) vorgehen (vgl. zum Ganzen etwa Bach, Zeitschrift für Heilpädagogik <ZfH> 1995, S. 4 <6 f.>; Heimlich, ZfH 1996, S. 46 <47 ff.>).

2. Im Sinne dieser Forderung hatte sich schon 1973 die Bildungskommission des Deutschen Bildungsrats in ihren Empfehlungen "Zur pädagogischen Förderung behinderter und von Behinderung bedrohter Kinder und Jugendlicher" gegen deren Unterrichtung in eigens für sie eingerichteten Schulen ausgesprochen. Statt dessen empfahl sie, Behinderte und Nichtbehinderte so weit wie möglich gemeinsam zu unterrichten, und befürwortete selbst für solche behinderten Kinder, für die eine gemeinsame Unterrichtung nicht sinnvoll erscheine, soziale Kontakte mit Nichtbehinderten (Empfehlungen, S. 15 f.).

Auf europäischer Ebene sind der Rat der Europäischen Gemeinschaften und die im Rat vereinigten Minister der Mitgliedstaaten für das Bildungswesen mehrfach dafür eingetreten, die - auch für nichtbehinderte Kinder gewinnbringende - Integration behinderter Kinder in normalen Schulen als wichtigen Beitrag zur Eingliederung der Behinderten in die Gesellschaft zu verstehen (vgl. Anlage I Buchstabe a der Schlußfolgerungen vom 14. Mai 1987 zu einem europäischen Kooperationsprogramm für die schulische Eingliederung behinderter Kinder <Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften - ABlEG - Nr. C 211 vom 8. August 1987, S. 2>). Deshalb sollte ihre volle Integration in das allgemeine Bildungssystem der Mitgliedstaaten in allen geeigneten Fällen als vorrangige Option gelten; die Arbeit der Sonderschulen und -einrichtun- gen sei als Ergänzung der Arbeit des allgemeinen Bildungssystems anzusehen (vgl. Nr. 2 und 3 der Entschließung vom 31. Mai 1990 über die Eingliederung von behinderten Kindern und Jugendlichen in allgemeine Bildungssysteme <ABlEG Nr. C 162 vom 3. Juli 1990, S. 2>).

Im nationalen Rahmen hat sich die Kultusministerkonferenz in ihren am 6. Mai 1994 beschlossenen "Empfehlungen zur sonderpädagogischen Förderung in den Schulen der Bundesrepublik Deutschland", dem "gewandelten pädagogischen Selbstverständnis" auf dem Gebiet der sonderpädagogischen Förderung Rechnung tragend, dafür ausgesprochen, die Bildung behinderter junger Menschen verstärkt als gemeinsame Aufgabe für grundsätzlich alle Schulen anzustreben. Ziel müsse es sein, die Bemühungen um gemeinsame Erziehung und gemeinsamen Unterricht für Behinderte und Nichtbehinderte zu unterstützen (vgl. Abschnitt I der Empfehlungen). Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf könnten allgemeine Schulen besuchen, wenn dort die notwendige sonderpädagogische und auch sächliche Unterstützung sowie die räumlichen Voraussetzungen gewährleistet seien, wobei die Förderung aller Schülerinnen und Schüler sichergestellt sein müsse; sei die sonderpädagogische Förderung in einer allgemeinen Schule nicht ausreichend gewährleistet, werde in Sonderschulen und vergleichbaren Einrichtungen unterrichtet (vgl. Abschnitt III Nr. 3.2 und 3.3 der Empfehlungen).

3. Die integrative Unterrichtung behinderter Schüler kann in unterschiedlichen, nach dem Grad der Integration abgestuften Formen erfolgen. Diese reichen von der Erziehung und Ausbildung in allgemeinen Schulen mit sonderpädagogischer Förderung über die Einrichtung sogenannter Außenklassen von Sonder- und Förderschulen in den Gebäuden der allgemeinen Schulen bis hin zu mehr oder weniger intensiven Formen bloßer Kooperation zwischen - räumlich getrennten - allgemeinen und besonderen Schulen (im einzelnen vgl. etwa die Aufzählung in § 2 Abs. 1 der saarländischen Verordnung - Schulordnung - über die gemeinsame Unterrichtung von Behinderten und Nichtbehinderten in Schulen der Regelform - Integrations-Verordnung - vom 4. August 1987 <ABl S. 972>). Soweit die integrative Unterrichtung an allgemeinen Schulen stattfindet, kann sie zielgleich oder zieldifferent vorgenommen werden. Im ersten Fall gelten für die behinderten Schüler die gleichen Lernziele wie für die nichtbehinderten.

4. Für Niedersachsen bestimmt das Niedersächsische Schulgesetz (NSchG) in der Fassung vom 27. September 1993 (GVBl S. 383) in § 4 in Verbindung mit § 14 Abs. 2 Satz 1, daß im gegliederten Schulwesen des Landes (vgl. dazu § 5 NSchG) Schülerinnen und Schüler, die wegen körperlicher, geistiger oder psychischer Beeinträchtigungen oder einer Beeinträchtigung ihres sozialen Verhaltens einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen, an allen Schulen gemeinsam mit anderen Schülerinnen und Schülern erzogen und unterrichtet werden sollen, wenn auf diese Weise ihrem individuellen Förderbedarf entsprochen werden kann und soweit es die organisatorischen, personellen und sächlichen Gegebenheiten erlauben. Dementsprechend sind Schulpflichtige mit sonderpädagogischem Förderbedarf nach § 14 Abs. 2 Satz 1 und § 68 Abs. 1 Satz 2 NSchG zum Besuch der Sonderschule nur verpflichtet, wenn sie die notwendige Förderung nicht in einer Schule einer anderen Schulform erfahren können. Als eine anderweitige Förderung kommt auch eine integrative zieldifferente Beschulung in einer sogenannten Integrationsklasse in Betracht. Derartige Klassen können nach § 23 Abs. 4 und 5 NSchG mit Genehmigung der Schulbehörde im 1. bis 10. Schuljahrgang der allgemeinbildenden Schulen eingerichtet werden.

Die Vorschriften des Niedersächsischen Schulgesetzes haben, soweit sie hier von Bedeutung sind, folgenden Wortlaut:

§ 4 Integration Schülerinnen und Schüler, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen (§ 14 Abs. 2 Satz 1), sollen an allen Schulen gemeinsam mit anderen Schülerinnen und Schülern erzogen und unterrichtet werden, wenn auf diese Weise dem individuellen Förderbedarf der Schülerinnen und Schüler entsprochen werden kann und soweit es die organisatorischen, personellen und sächlichen Gegebenheiten erlauben. § 5 Gliederung des Schulwesens (1) Das Schulwesen gliedert sich in Schulformen und in Schulbereiche. (2) Schulformen sind: 1. als allgemeinbildende Schulen: a) die Grundschule, b) bis e) ..., f) die Gesamtschule, g) und h) ..., i) die Sonderschule, 2. ... (3) ...

§ 14 Sonderschule (1) In der Sonderschule können Schülerinnen und Schüler aller Schuljahrgänge unterrichtet werden. (2) In der Sonderschule werden Schülerinnen und Schüler unterrichtet, die wegen körperlicher, geistiger oder psychischer Beeinträchtigungen oder einer Beeinträchtigung ihres sozialen Verhaltens einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen und diese Förderung nicht in einer Schule einer anderen Schulform erfahren können. An der Sonderschule können Abschlüsse der allgemeinbildenden Schulen erworben werden. (3) ... (4) Die Sonderschule ist zugleich Förderzentrum für Unterricht und Erziehung von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, die andere Schulen besuchen. Das Förderzentrum unterstützt die schulische Integration förderungsbedürftiger Schülerinnen und Schüler. (5) ...

§ 23 Besondere Organisation allgemeinbildender Schulen (1) bis (3) ... (4) Im 1. bis 10. Schuljahrgang der allgemeinbildenden Schulen können Integrationsklassen eingerichtet werden, in denen Schülerinnen und Schüler, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen (§ 14 Abs. 2 Satz 1), gemeinsam mit anderen Schülerinnen und Schülern unterrichtet werden und in denen die Leistungsanforderungen der unterschiedlichen Lernfähigkeit der Schülerinnen und Schüler entsprechen. (5) Eine besondere Organisation nach den Absätzen 1 bis 4 bedarf der Genehmigung der Schulbehörde. Die Genehmigung wird auf Antrag des Schulträgers oder der Schule erteilt, wenn ein geeignetes pädagogisches Konzept vorliegt und die organisatorischen, personellen und sächlichen Voraussetzungen geschaffen sind. ...

§ 68 Schulpflicht bei sonderpädagogischem Förderbedarf (1) Schülerinnen und Schüler, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen (§ 14 Abs. 2 Satz 1), sind zum Besuch der für sie geeigneten Sonderschule oder des für sie geeigneten Sonderunterrichts verpflichtet. Eine Verpflichtung zum Besuch der Sonderschule besteht nicht, wenn die notwendige Förderung in einer Schule einer anderen Schulform gewährleistet ist. (2) Die Schulbehörde entscheidet, ob die Verpflichtung nach Absatz 1 besteht und welche Schule zu besuchen oder an welchem Sonderunterricht teilzunehmen ist. ... (3) ...

Ergänzend zu diesen Regelungen ist die Verordnung über sonderpädagogische Förderung vom 16. November 1994 (GVBl S. 502) ergangen, die unter anderem die Mitwirkung der Erziehungsberechtigten am Verfahren zur Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs regelt und vorsieht, daß die Schulbehörde über eine sonderpädagogische Förderung unter Berücksichtigung eines von einer Lehrkraft gefertigten Berichts, eines von einer Sonderschullehrerin oder einem Sonderschullehrer erstellten Beratungsgutachtens und der Empfehlung einer auf Antrag der Erziehungsberechtigten berufenen Förderkommission entscheidet. Der Kommission gehören auch die Erziehungsberechtigten an.

II. 1. Die Beschwerdeführerin wurde 1984 mit einer Fehlbildung des Rückenmarks (spina bifida) geboren. Sie ist an beiden Beinen, Blase und Mastdarm gelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen. Außerdem leidet sie an einer Störung der Koordination von Bewegungsabläufen (Ataxie) mit Verlangsamung der Motorik und des Sprechens sowie einer feinmotorischen Beeinträchtigung der Hände, die sich in Streßsituationen verstärkt.

Entsprechend dem Vorschlag eines zuvor eingeholten sonderpädagogischen Gutachtens wurde die Beschwerdeführerin in eine Grundschule aufgenommen, die sie ohne Klassenwiederholung durchlief. Sie erhielt sonderpädagogischen Förderunterricht in Rechnen und wurde im Unterricht von einem Zivildienstleistenden begleitet.

Zum Schuljahr 1995/96 wechselte die Beschwerdeführerin in den 5. Schuljahrgang einer Integrierten Gesamtschule. Ein bald danach eingeholtes neues Beratungsgutachten kam zu dem Ergebnis, daß sie an dieser Schule in den meisten Unterrichtsfächern, unter anderem in Mathematik und den naturwissenschaftlichen Fächern, nicht zielgleich unterrichtet werden könne; für Mathematik bestehe ein erweiterter sonderpädagogischer Förderbedarf. Bei entsprechender Förderung sei die weitere integrative Unterrichtung in der Integrierten Gesamtschule möglich; alternativ komme eine Beschulung in einer Schule für Körperbehinderte in Betracht. Die Förderkommission empfahl als sonderpädagogische Fördermaßnahmen an der bisherigen Schule fünf Stunden Einzelunterricht wöchentlich in Mathematik und Unterrichtsbegleitung durch eine pädagogisch oder therapeutisch ausgebildete Stützkraft als Eingliederungshilfe in allen anderen Lernbereichen, in denen eine zielgleiche Unterrichtung nicht möglich sei. Die Bezirksregierung stellte daraufhin bei der Beschwerdeführerin einen sonderpädagogischen Förderbedarf fest und verfügte - entgegen dem Wunsch der Eltern - die Überweisung an eine Schule für Körperbehinderte, weil die erforderlichen Fördermaßnahmen an der Integrierten Gesamtschule nicht ermöglicht werden könnten. Im - ausführlich begründeten - Widerspruchsbescheid ordnete sie außerdem die sofortige Vollziehung der Sonderschulüberweisung an.

2. a) Über die von der Beschwerdeführerin erhobene Klage ist noch nicht entschieden. Ihren Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage lehnte das Oberverwaltungsgericht ab. Die Beschwerdeführerin benötige eine sonderpädagogische Förderung im Sinne von § 14 Abs. 2 Satz 1 NSchG. Organisationsbedingt könne ihr diese Förderung nicht an der Integrierten Gesamtschule zuteil werden. Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der demnach voraussichtlich rechtmäßigen Sonderschulüberweisung überwiege das Interesse der Beschwerdeführerin, an der Integrierten Gesamtschule zu bleiben.

b) Diese Entscheidung wurde auf eine frühere Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin hin durch die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts unter Zurückverweisung der Sache an das Oberverwaltungsgericht aufgehoben (Beschluß vom 30. Juli 1996, JZ 1996, S. 1073 m. Anm. Dietze = NJW 1997, S. 1062). Die Beschwerdeführerin werde in ihrem Recht aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verletzt, weil die Begründung der Entscheidung nicht erkennen lasse, daß das Oberverwaltungsgericht die Ausstrahlungswirkung dieser Regelung berücksichtigt habe.

c) Das Oberverwaltungsgericht hat den Antrag der Beschwerdeführerin auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung erneut abgelehnt (vgl. NJW 1997, S. 1087).

Weder nach § 4 noch nach § 68 NSchG ergebe sich ein vorrangiger Anspruch darauf, daß Schülerinnen und Schüler mit sonderpädagogischem Förderbedarf in den allgemeinen Schulen gemeinsam mit Schülern ohne einen derartigen Bedarf unterrichtet werden. Den Eltern stehe lediglich ein Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung der Schulbehörde zu, so daß eine Überweisung an eine Sonderschule rechtswidrig sei, wenn die Voraussetzungen der notwendigen Förderung auch an einer allgemeinen Schule erfüllt seien und die Eltern deren Besuch für ihr Kind wünschten.

In dieser Auslegung sei das Landesschulrecht mit dem Grundgesetz, insbesondere mit dessen Art. 3 Abs. 3 Satz 2, vereinbar. In der Verweisung eines behinderten Kindes auf eine Sonderschule gegen seinen oder den Willen seiner Erziehungsberechtigten liege nicht schon für sich eine verbotene Benachteiligung. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG komme vielmehr nur in Betracht, wenn ein Schüler gegen seinen Willen wegen seiner Behinderung in die Sonderschule "abgeschoben" werden solle, obwohl er für die allgemeine Schule geeignet sei.

Es erscheine zweifelhaft, inwieweit Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG überhaupt auf die schulrechtliche Verpflichtung zum Besuch einer Sonderschule einwirke. Diese Verpflichtung bestehe nach § 68 Abs. 1 NSchG bei einem - in einer anderen Schule nicht zu erfüllenden - "sonderpädagogischen Förderbedarf". Demgegenüber knüpfe das Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG an den - unklaren - Begriff einer "Behinderung" an. Beides sei nicht identisch.

In jedem Fall werde die Wirkung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG im Schulbereich durch die staatliche Schulaufsicht begrenzt. Die Länder hätten danach eine weitgehende Gestaltungsfreiheit insbesondere bei der Festlegung der Schulorganisation und der Erziehungsprinzipien. Diese Gestaltungsfreiheit werde durch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht beseitigt. Die Schaffung und Beibehaltung von Sonderschulen im Lande könne deshalb nicht als verfassungswidrige Benachteiligung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG angesehen werden.

Bei der Beschwerdeführerin gehe es darum, ob der bei ihr festgestellte sonderpädagogische Förderbedarf an der Integrierten Gesamtschule befriedigt werden müsse. Ein darauf gerichteter verfassungsunmittelbarer Leistungsanspruch lasse sich aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht herleiten.

Auf dieser rechtlichen Grundlage spreche Überwiegendes dafür, daß die angefochtene Verfügung der Schulbehörde rechtmäßig sei. Die gebotene besondere Förderung der in erheblichem Umfang sonderpädagogisch förderbedürftigen Beschwerdeführerin könne an der von ihr besuchten Integrierten Gesamtschule in einer Klasse mit 27 Schülern nicht erbracht werden, weil der Schule die dafür erforderlichen Sonderschullehrer(stunden) nicht zur Verfügung stünden, sie für die Eingliederungshilfe nach dem Bundessozialhilfegesetz nicht zuständig sei und die Beschäftigung schulfremder Personen, worauf der Begriff "Stützkraft" offenbar abziele, nach dem Niedersächsischen Schulgesetz unzulässig sei.

In die zu Beginn des Schuljahres 1996/97 bei der Integrierten Gesamtschule eingerichtete Integrationsklasse könne die Beschwerdeführerin nicht aufgenommen werden. Es sei rechtlich nicht zu beanstanden, daß die Schulbehörde eine Aufnahme in diese Lerngruppe mit drei Schülern, die nach den Rahmenrichtlinien der Schule für Geistigbehinderte und der Schule für Lernhilfe unterrichtet würden, und 18 anderen Kindern wegen Fehlens der personellen Möglichkeiten und aus pädagogischen Gründen - im Hinblick auf die gebotene Relation von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu Schülern ohne einen solchen Bedarf - nicht für vertretbar halte. Ebenso sei es frei von Ermessensfehlern, daß sie der Weiterführung bereits eingerichteter Integrationsklassen im Hinblick auf den Vertrauensschutz der dort unterrichteten Kinder den Vorrang vor einer Neueinrichtung solcher Klassen einräume. Schließlich habe die Schulbehörde auch glaubhaft gemacht, daß die erforderlichen personellen Ressourcen für die Bildung einer zusätzlichen Integrationsklasse an der Integrierten Gesamtschule nicht vorhanden seien.

Unter diesen Umständen sei auch von der Rechtmäßigkeit des angeordneten Sofortvollzugs auszugehen.

3. Auf einen Antrag der Beschwerdeführerin setzte die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Wirkung dieser Entscheidung vorläufig aus (Beschluß vom 4. April 1997, NJW 1997, S. 1844). Die Bezirksregierung hob daraufhin die sofortige Vollziehung der Überweisung an die Schule für Körperbehinderte auf. Über die Frage einer Fortsetzung des Hauptsacheverfahrens könne nach einer grundlegenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Auslegung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG befunden werden.

Seit August 1997 besucht die Beschwerdeführerin die 7. Klasse einer Hauptschule.

III. Mit der Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin gegen die unter II 2 c dargestellte zweite Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts.

Sie hält die Verfassungsbeschwerde ungeachtet der inzwischen eingetretenen Entwicklung aufrecht. Ihr Rechtsschutzbedürfnis an der Aufhebung des angegriffenen Beschlusses bestehe fort. Es bliebe eine verfassungsrechtliche Frage von grundsätzlicher Bedeutung ungeklärt, wenn über die Verfassungsbeschwerde nicht entschieden würde; auch betreffe der gerügte Eingriff ein besonders bedeutsames Grundrecht.

In der Sache rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG.

Bereits die Auslegung des § 4 NSchG durch das Oberverwaltungsgericht begegne durchgreifenden Bedenken, weil sich aus dieser Norm ein Vorrang der gemeinsamen Beschulung behinderter und nichtbehinderter Schüler als Regel vor der Beschulung in einer Sonderschule als Ausnahme ergebe.

Die Zweifel des Oberverwaltungsgerichts an der Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG auf den vorliegenden Fall seien unbegründet. In Anknüpfung an § 3 SchwbG seien als Behinderte jedenfalls die Personen anzusehen, die von Auswirkungen einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung betroffen seien, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruhe. Der Begriff der Funktionsbeeinträchtigung sei Bestandteil nicht nur der Definition einer Behinderung, sondern auch der Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs. Mit der Feststellung eines solchen Bedarfs werde deshalb zugleich eine Behinderung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG festgestellt.

Das falsche Verständnis des Oberverwaltungsgerichts vom Begriff der Behinderung führe auch zu einer fehlerhaften Bewertung des Benachteiligungsverbots. Dies gelte namentlich für die Feststellung, die Wirkung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG im Schulbereich werde durch die staatliche Schulaufsicht begrenzt. Der Staat habe die Grundrechte der Schülerinnen und Schüler auch im Rahmen seiner Schulaufsicht zu beachten.

In der Überweisung auf die Sonderschule liege eine Benachteiligung. Die Beschwerdeführerin empfinde diese Maßnahme als Degradierung und nicht etwa als Chance. Das Oberverwaltungsgericht habe nur festgestellt, daß der sonderpädagogische Förderbedarf an der Integrierten Gesamtschule nicht erfüllt werde. Hingegen lasse sich der Entscheidung nicht entnehmen, daß es unmöglich sei, ihn dort zu erfüllen. Unberücksichtigt bleibe, daß die notwendigen Förderstunden der Integrierten Gesamtschule von der Bezirksregierung angeboten, von der Schule jedoch nicht in Anspruch genommen worden seien.

IV. Zu der Verfassungsbeschwerde haben das Niedersächsische Ministerium der Justiz und für Europaangelegenheiten sowie die zuständige Bezirksregierung als Antragsgegnerin des Ausgangsverfahrens Stellung genommen.

1. Das Ministerium führt aus, es bedürfe keiner abschließenden Auslegung des Begriffs der Behinderung, weil das Oberverwaltungsgericht bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens davon ausgegangen sei, daß bei der Beschwerdeführerin eine Behinderung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG vorliege. Überwiegendes spreche dafür, daß im Ausschluß vom Besuch der Regelschule und in der Überweisung auf eine Sonderschule eine Benachteiligung liege, die besonderer Rechtfertigung bedürfe. Eine an das grundsätzlich verbotene Unterscheidungsmerkmal der Behinderung anknüpfende Benachteiligung erweise sich nur dann als zulässig, wenn sie unerläßlich sei, um einer behindertenbedingten Besonderheit Rechnung zu tragen. Dabei sei ein besonders strenger Maßstab anzuwenden. Daraus folge auch, daß für den Fall der Rechtfertigung einer Benachteiligung besondere Anforderungen an die insoweit gegebene Begründung zu stellen seien.

Wenngleich Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG sich in erster Linie als Abwehrrecht erweise, also keinen verfassungsunmittelbaren subjektiven Anspruch auf nachteilsausgleichende Leistungen verleihe, dürfe ein Zusammenhang von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und verfassungsrechtlichen Anspruchspositionen nicht übersehen werden. Aus Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und einem anderen einschlägigen Grundrecht könne sich ein verfassungsrechtlich gewährleistetes derivatives Teilhaberecht auf Zugang zu einer Bildungseinrichtung nach Maßgabe des Vorhandenen ergeben. Das Benachteiligungsverbot zugunsten Behinderter trete verstärkend hinzu.

Trotz der strengen Anforderungen an die Rechtfertigung einer Benachteiligung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG könne eine gerichtliche Entscheidung, die die Überweisung eines Behinderten auf eine Sonderschule bestätige, im Rahmen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle nur in engen Grenzen nachgeprüft werden. Erwiesen sich die Ablehnung der integrativen Beschulung und die Überweisung auf die Sonderschule als nachvollziehbar, spreche Überwiegendes dafür, daß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht verletzt sei.

2. Nach Auffassung der Bezirksregierung wird ein Schüler durch die Überweisung auf eine Sonderschule nicht benachteiligt, weil er auch dort sämtliche Abschlüsse des allgemeinbildenden Schulwesens erwerben könne.

B.

Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig.

Der Beschwerdeführerin war es im Hinblick auf die voraussichtliche Dauer des Verfahrens über ihre Klage nicht zuzumuten, vor einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts den Hauptsacherechtsweg zu erschöpfen (vgl. BVerfGE 86, 15 <22>).

Auch ist ihr Rechtsschutzbedürfnis nicht deshalb entfallen, weil die Bezirksregierung während des Verfassungsbeschwerdeverfahrens die Anordnung der sofortigen Vollziehung der Überweisung der Beschwerdeführerin an die Schule für Körperbehinderte aufgehoben hat und die Beschwerdeführerin inzwischen die 7. Klasse einer Hauptschule besucht. Das Rechtsschutzinteresse besteht trotz Erledigung des ursprünglich mit der Verfassungsbeschwerde verfolgten Begehrens fort, weil andernfalls die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage von grundsätzlicher Bedeutung unterbliebe und ein besonders schwerwiegender Grundrechtseingriff gerügt wird (vgl. BVerfGE 91, 125 <133> m.w.N.; stRspr). Diese Voraussetzung ist hier gegeben. Die Frage, ob und mit welchen Konsequenzen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG in Schulrechtsfällen der vorliegenden Art Beachtung finden muß, ist von erheblicher verfassungsrechtlicher Bedeutung und vom Bundesverfassungsgericht noch nicht entschieden.

C.

Die Verfassungsbeschwerde ist jedoch nicht begründet. Der angegriffene Beschluß ist im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

I. 1. Nach der - durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 27. Oktober 1994 (BGBl I S. 3146) neu geschaffenen - Vorschrift des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG darf niemand wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

a) Was unter Behinderung zu verstehen ist, läßt sich den Gesetzesmaterialien (vgl. BTDrucks 12/6000, S. 52 f.; 12/6323, S. 11 f.; 12/8165, S. 28 f.) nicht unmittelbar entnehmen. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat aber erkennbar an das Begriffsverständnis angeknüpft, das im Zeitpunkt der Verfassungsänderung gebräuchlich war. Dieses hat vor allem in § 3 Abs. 1 Satz 1 des Schwerbehindertengesetzes Ausdruck gefunden. Behinderung ist danach die Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht. Dasselbe Verständnis von Behinderung liegt dem Behindertenbegriff des Dritten Berichts der Bundesregierung über die Lage der Behinderten und die Entwicklung der Rehabilitation zugrunde, der seinerseits mit den international üblichen Begriffsabgrenzungen übereinstimmt (vgl. BTDrucks 12/7148, S. 2). Es spricht nichts dagegen, von dieser Definition grundsätzlich auch bei der Auslegung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG auszugehen (vgl. auch Osterloh in: Sachs, Grundgesetz, Kommentar, 1996, Art. 3 Rn. 309 f.; Rüfner in: Bonner Kommentar, Art. 3 Rn. 870 <Stand: Mai 1996>). Ob mit ihm das Merkmal der Behinderung abschließend bestimmt ist, bedarf hier keiner Entscheidung. Der Fall der Beschwerdeführerin gibt dazu keinen Anlaß.

b) Auch der Begriff der Benachteiligung sowie Bedeutung und Reichweite des Benachteiligungsverbots des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG erschließen sich nur unvollkommen aus der Entstehungsgeschichte. Sie lassen sich aber aus dem Gesamtinhalt des Art. 3 Abs. 3 GG entnehmen.

aa) Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG schließt zwar bewußt an das Diskriminierungsverbot des früheren Art. 3 Abs. 3 und jetzigen Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG an. Darin kommt zum Ausdruck, daß Satz 2 wie Satz 1 den Schutz des allgemeinen Gleichheitssatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG für bestimmte Personengruppen verstärken soll und der staatlichen Gewalt insoweit engere Grenzen vorgeben will, als die Behinderung nicht als Anknüpfungspunkt für eine - benachteiligende - Ungleichbehandlung dienen darf (vgl. BVerfGE 85, 191 <206> und im Anschluß daran insbesondere BTDrucks 12/6323, S. 12). Ebenso bewußt hat der verfassungsändernde Gesetzgeber aber davon abgesehen, die Merkmale im bisherigen Art. 3 Abs. 3 GG lediglich um das der Behinderung zu erweitern. Das läßt erkennen, daß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG auch eigenständige Bedeutung hat. Ersichtlich hängt dies mit dem besonderen Merkmal der Behinderung zusammen.

Wie bei den schon von Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG erfaßten Merkmalen etwa des Geschlechts, der Abstammung, der Rasse oder der Sprache handelt es sich dabei um eine persönliche Eigenschaft, auf deren Vorhandensein oder Fehlen der Einzelne keinen oder nur einen begrenzten Einfluß nehmen kann. Doch bezeichnet Behinderung nicht nur ein bloßes Anderssein, das sich für den Betroffenen häufig erst im Zusammenwirken mit entsprechenden Einstellungen und Vorurteilen im gesellschaftlichen Umfeld nachteilig auswirkt, bei einer Veränderung dieser Einstellungen die Nachteilswirkung aber auch wieder verlieren kann. Behinderung ist vielmehr eine Eigenschaft, die die Lebensführung für den Betroffenen im Verhältnis zum Nichtbehinderten unabhängig von einem solchen Auffassungswandel grundsätzlich schwieriger macht. Diese besondere Situation soll nach dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers weder zu gesellschaftlichen noch zu rechtlichen Ausgrenzungen führen. Solche Ausgrenzungen sollen im Gegenteil verhindert oder überwunden werden können (vgl. BTDrucks 12/8165, S. 28). Das erklärt, daß Satz 2 des Art. 3 Abs. 3 GG Differenzierungen nicht wie Satz 1 schlechthin untersagt. Nur an die Behinderung anknüpfende Benachteiligungen sind nach der Neuregelung verboten. Bevorzugungen mit dem Ziel einer Angleichung der Verhältnisse von Nichtbehinderten und Behinderten sind dagegen erlaubt, allerdings nicht ohne weiteres auch verfassungsrechtlich geboten.

bb) Eine Benachteiligung liegt vor diesem Hintergrund nicht nur bei Regelungen und Maßnahmen vor, die die Situation des Behinderten wegen seiner Behinderung verschlechtern, indem ihm etwa der tatsächlich mögliche Zutritt zu öffentlichen Einrichtungen verwehrt wird oder Leistungen, die grundsätzlich jedermann zustehen, verweigert werden. Vielmehr kann eine Benachteiligung auch bei einem Ausschluß von Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten durch die öffentliche Gewalt gegeben sein, wenn dieser nicht durch eine auf die Behinderung bezogene Förderungsmaßnahme hinlänglich kompensiert wird. Wann ein solcher Ausschluß durch Förderungsmaßnahmen so weit kompensiert ist, daß er nicht benachteiligend wirkt, läßt sich nicht generell und abstrakt festlegen. Ob die Ablehnung einer vom Behinderten erstrebten Ausgleichsleistung und der Verweis auf eine andere Entfaltungsalternative als Benachteiligung anzusehen sind, wird regelmäßig von Wertungen, wissenschaftlichen Erkenntnissen und prognostischen Einschätzungen abhängen. Nur aufgrund des Gesamtergebnisses dieser Würdigung kann darüber befunden werden, ob eine Maßnahme im Einzelfall benachteiligend ist.

2. Für den Bereich des Schulwesens gilt im Grundsatz nichts anderes.

a) aa) Zwar gibt Art. 7 Abs. 1 GG mit der Regelung über die staatliche Schulaufsicht dem Staat die Befugnis zur Planung und Organisation des Schulwesens mit dem Ziel, ein Schulsystem zu gewährleisten, das allen jungen Menschen gemäß ihren Fähigkeiten die den heutigen gesellschaftlichen Anforderungen entsprechenden Bildungsmöglichkeiten eröffnet. Deshalb sind etwa die organisatorische Gliederung der Schule, die Entscheidung über die strukturelle Ausgestaltung des Ausbildungssystems und die Festlegung der Ausbildungsgänge und Unterrichtsziele Sache des Staates (vgl. BVerfGE 34, 165 <182>; 45, 400 <415>; 53, 185 <196>). Dabei haben die für das Schulwesen zuständigen Länder eine weitgehende Entscheidungsfreiheit (vgl. BVerfGE 59, 360 <377> m.w.N.). Sie ist jedoch eingeschränkt, soweit übergeordnete Normen des Grundgesetzes ihr Grenzen setzen (vgl. BVerfGE 6, 309 <354>; 34, 165 <181>; 59, 360 <377>). Das geschieht nicht nur durch das - seinerseits einschränkbare - Recht des Schülers auf möglichst ungehinderte Entwicklung seiner Persönlichkeit, Anlagen und Befähigungen nach Art. 2 Abs. 1 GG (vgl. dazu BVerfGE 45, 400 <417> m.w.N.) und das elterliche Erziehungsrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, das dem Erziehungsauftrag des Staates nach Art. 7 Abs. 1 GG gleichgeordnet zur Seite gestellt ist (vgl. BVerfGE 52, 223 <236>; stRspr). Grenzen setzt vielmehr auch das durch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG neu geschaffene Benachteiligungsverbot.

Unabhängig davon, ob sich aus diesem Grundrecht originäre Leistungsansprüche herleiten lassen (dagegen einhellig das Schrifttum; vgl. etwa Osterloh, a.a.O., Art. 3 Rn. 305; Scholz in: Maunz/Dürig, Grundgesetz, Kommentar, Art. 3 Abs. 3 Rn. 174 <Stand: Oktober 1996>), folgt aus ihm doch, zumal im Zusammenwirken mit den vorbezeichneten Freiheitsrechten aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, daß der Staat und die Schulgesetzgeber der Länder für behinderte Schüler eine besondere Verantwortung tragen. Auch für ihre Erziehung und Unterrichtung im Bereich der Schulen hat der Staat das zumindest faktische Monopol, auch für sie besteht wie für Nichtbehinderte grundsätzlich die Pflicht zum Besuch der öffentlichen Schulen. Mit Rücksicht darauf ist der Staat nach Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG grundsätzlich gehalten, für behinderte Kinder und Jugendliche schulische Einrichtungen bereitzuhalten, die auch ihnen eine sachgerechte schulische Erziehung, Bildung und Ausbildung ermöglichen. Art und Intensität der Behinderung sowie den Anforderungen der Schulart und Unterrichtsstufe ist dabei unter Berücksichtigung des jeweiligen Standes der pädagogisch-wissenschaftlichen Erkenntnis Rechnung zu tragen.

bb) Nach dem gegenwärtigen pädagogischen Erkenntnisstand ließe sich ein genereller Ausschluß der Möglichkeit einer gemeinsamen Erziehung und Unterrichtung von behinderten Schülern mit nichtbehinderten derzeit verfassungsrechtlich nicht rechtfertigen. Ungeachtet auch kritischer Stimmen wird die integrative Beschulung, wie die unter A I 1 und 2 wiedergegebenen Äußerungen belegen, von der pädagogischen Wissenschaft wie von maßgeblichen politischen Gremien überwiegend positiv beurteilt und als verstärkt realisierungswürdige Alternative zur Erziehung und Unterrichtung in Sonder- und Förderschulen befürwortet. Dem hat der niedersächsische Landesgesetzgeber dadurch Rechnung getragen, daß er für Schülerinnen und Schüler, die sonderpädagogischer Förderung bedürfen, neben der Sonderschule (§ 14 NSchG) "an allen Schulen" (§ 4 NSchG) und in Integrationsklassen mit zieldifferenter Beschulung (§ 23 Abs. 4 NSchG) die Möglichkeit der gemeinsamen Erziehung und Unterrichtung mit anderen Schülern geschaffen hat. Nach § 4 in Verbindung mit § 68 Abs. 1 NSchG soll die Unterrichtung integrativ und zielgleich erfolgen, wenn auf diese Weise - erforderlichenfalls unter Bereitstellung sonderpädagogischer Förderung (vgl. insbesondere § 14 Abs. 4 Satz 2 NSchG) - dem individuellen Förderbedarf der förderungsbedürftigen Schülerinnen und Schüler entsprochen werden kann und soweit es die organisatorischen, personellen und sächlichen Gegebenheiten erlauben. Diese Regelung ermöglicht es auf sonderpädagogische Förderung angewiesenen Kindern und Jugendlichen sowie ihren Erziehungsberechtigten, sich unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen für eine der Formen integrativer Beschulung oder für die Unterrichtung in einer Sonderschule auszusprechen, deren Fortbestand als eigenständige Schulform im gegliederten Schulwesen des Landes damit zu Recht nicht in Frage gestellt wird.

Es ist von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, daß nach diesem Konzept die zielgleiche wie die zieldifferente integrative Erziehung und Unterrichtung unter den Vorbehalt des organisatorisch, personell und von den sächlichen Voraussetzungen her Möglichen gestellt ist (vgl. §§ 4, 23 Abs. 4 i.V.m. Abs. 5 NSchG). Dieser Vorbehalt ist Ausdruck dessen, daß der Staat seine Aufgabe, ein begabungsgerechtes Schulsy-stem bereitzustellen, von vornherein nur im Rahmen seiner finanziellen und organisatorischen Möglichkeiten erfüllen kann (vgl. BVerfGE 34, 165 <183 f.>), und erklärt sich daraus, daß der Gesetzgeber bei seinen Entscheidungen auch andere Gemeinschaftsbelange berücksichtigen und sich die Möglichkeit erhalten muß, die nur begrenzt verfügbaren öffentlichen Mittel für solche anderen Belange einzusetzen, wenn er dies für erforderlich hält (vgl. BVerfGE 40, 121 <133>; 75, 40 <68>; 82, 60 <80>; 90, 107 <116>).

Der Gesetzgeber ist deshalb, wenn er sich in seinem Regelungskonzept für das Angebot einer sowohl zielgleichen als auch zieldifferenten integrativen Beschulung entscheidet, verfassungsrechtlich nicht gehindert, die tatsächliche Verwirklichung dieser Integrationsformen von einschränkenden Voraussetzungen der hier in Rede stehenden Art abhängig zu machen. Ein Einschätzungsspielraum sowie der Vorbehalt des tatsächlich Machbaren und des finanziell Vertretbaren bestehen aber auch bei der Ausgestaltung des Regelungskonzepts durch den Gesetzgeber. Er ist durch Art. 2 Abs. 1, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht verpflichtet, für das jeweilige Land alle Formen integrativer Beschulung bereitzuhalten. Im Rahmen seiner Entscheidungsfreiheit kann er vielmehr von der Einführung solcher Integrationsformen absehen, deren Verwirklichung ihm aus pädagogischen, aber auch aus organisatorischen, personellen und finanziellen Gründen nicht vertretbar erscheint. Voraussetzung dafür ist, daß die verbleibenden Möglichkeiten einer integrativen Erziehung und Unterrichtung den Belangen behinderter Kinder und Jugendlicher ausreichend Rechnung tragen.

b) Auch Auslegung und Anwendung des Schulrechts sind an die Vorgaben des Benachteiligungsverbots des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG gebunden.

aa) Bei der Entscheidung der Schulbehörde darüber, an welcher Schule behinderte Kinder und Jugendliche im Einzelfall zu erziehen, zu unterrichten und auf das spätere Leben in der Gemeinschaft mit Nichtbehinderten vorzubereiten sind, sind nicht nur das Recht des Schülers auf eine seine Anlagen und Befähigungen möglichst weitgehend berücksichtigende Ausbildung (Art. 2 Abs. 1 GG) und das Recht der Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG zu beachten, den Bildungsweg in der Schule für ihr Kind im Rahmen von dessen Eignung grundsätzlich frei zu wählen (vgl. BVerfGE 34, 165 <184>). Zu berücksichtigen sind vielmehr auch die zusätzlichen Bindungen, die sich für die Schulbehörde aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG ergeben.

Da, wie oben unter C I 1 b bb dargelegt, der benachteiligende Charakter einer Maßnahme nicht ohne Rücksicht auf eine mit ihr einhergehende spezifische Förderung beurteilt werden kann, bedeutet das in dieser Regelung enthaltene Benachteiligungsverbot allerdings nicht, daß die Überweisung eines behinderten Schülers an eine Sonderschule schon für sich eine verbotene Benachteiligung darstellt. Das gilt auch dann, wenn die Entscheidung der Schulbehörde gegen den Willen des Behinderten oder seiner Erziehungsberechtigten ergeht. Nur die Überweisungsverfügung, die den Gegebenheiten und Verhältnissen des jeweils zu beurteilenden Falles ersichtlich nicht gerecht wird, ist durch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG untersagt. Eine solche Entscheidung ist nicht nur dann anzunehmen, wenn ein Kind oder Jugendlicher wegen seiner Behinderung auf eine Sonderschule verwiesen wird, obwohl seine Erziehung und Unterrichtung an der allgemeinen Schule seinen Fähigkeiten entspräche und ohne besonderen Aufwand möglich wäre. Eine Benachteiligung im Sinne des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG kommt vielmehr auch dann in Betracht, wenn die Sonderschulüberweisung erfolgt, obgleich der Besuch der allgemeinen Schule durch einen vertretbaren Einsatz von sonderpädagogischer Förderung ermöglicht werden könnte.

Ob letzteres der Fall ist, ob sich also beispielsweise durch die Bereitstellung einer zusätzlichen sonderpädagogischen Lehrkraft oder, soweit gesetzlich vorgesehen, durch die Einrichtung einer Integrationsklasse eine integrative Beschulung erreichen läßt, die das behinderte Kind mit Aussicht auf Erfolg durchlaufen kann, ist das Ergebnis einer Gesamtbetrachtung im Einzelfall, bei der Art und Schwere der jeweiligen Behinderung ebenso zu berücksichtigen sind wie Vor- und Nachteile einerseits einer integrativen Erziehung und Unterrichtung an einer Regelschule und andererseits einer Beschulung in einer Sonder- oder Förderschule. Dabei sind, soweit es um die Bewertung einer integrativen Beschulung geht, in den Gesamtvergleich nicht nur die dem behinderten Kind oder Jugendlichen damit eröffneten Chancen für seine Ausbildung und sein späteres Erwachsenenleben einzustellen, sondern auch die mit einer solchen Maßnahme möglicherweise verbundenen Belastungen zu würdigen. Letzteres gilt mit Blick auf das behinderte Kind selbst, das sich vor allem bei zielgleicher Unterrichtung zunehmend höheren Leistungsanforderungen ausgesetzt sehen wird, ist aber darauf nicht zu beschränken. Vielmehr sind auch denkbare Belastungen für Mitschüler und Lehrpersonal sowie die schultypische gemeinsame Unterrichtung in Klassen oder Kursen in die Gesamtbetrachtung einzubeziehen. Zu berücksichtigen ist schließlich auch, daß staatliche Maßnahmen zum Ausgleich einer Behinderung nur nach Maßgabe des finanziell, personell, sachlich und organisatorisch Möglichen verlangt und gewährt werden können (vgl. BVerfGE 40, 121 <133>). Der insoweit mit der integrativen Beschulung an allgemeinen Schulen verbundene Aufwand darf nicht zu Lasten solcher Kinder gehen, deren Teilnahme an einem gemeinsamen Unterricht aufgrund der Art oder des Grades ihrer Behinderung ausgeschlossen ist oder pädagogisch nicht wünschenswert erscheint und die deshalb auf eine der besonderen pädagogischen Aufgabe personell und sachlich angemessene Ausstattung der Sonder- und Förderschulen angewiesen sind.

Die jeweiligen Vor- und Nachteile einer integrativen oder separierenden schulischen Ausbildung sind weder allein aus der Sicht der behinderten Schüler und ihrer Eltern noch ausschließlich aus der Sicht der Schulverwaltung zu beurteilen. Die Vorstellungen der Eltern und der Kinder und Jugendlichen darüber, wie deren schulische Erziehung und Unterrichtung gestaltet und an welcher Schule sie begonnen oder fortgesetzt werden sollen, haben allerdings im Hinblick auf die grundrechtlichen Gewährleistungen des Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und des Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich großes Gewicht. Entscheiden sich die Eltern im aus ihrer Sicht so gewürdigten Interesse ihres Kindes für eine Beschulung gemeinsam mit nichtbehinderten Schülern, darf sich die Schulbehörde darüber nicht einfach etwa mit der nicht näher fundierten Begründung hinwegsetzen, die Überweisung an eine Sonderschule und die Unterrichtung dort seien in Wahrheit besser geeignet, dem wohlverstandenen Interesse des behinderten Kindes zu dienen. Erforderlich sind vielmehr eine eingehende Prüfung des Elternwunsches und eine Auseinandersetzung mit dem in ihm zum Ausdruck gebrachten elterlichen Erziehungsplan.

In der niedersächsischen Verordnung über sonderpädagogische Förderung vom 16. November 1994 (GVBl S. 502) ist hierfür beispielsweise vorgesehen, daß die Schulbehörde, bevor sie über einen Antrag auf Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs entscheidet, eine Lehrkraft, die das Kind unterrichtet oder voraussichtlich unterrichten wird, mit der Erstellung eines Berichts und eine Sonderschullehrkraft mit der Fertigung eines Beratungsgutachtens beauftragt (§ 2 der Verordnung). Vorgesehen ist weiter die vom Antrag der Erziehungsberechtigten abhängige Berufung einer Förderkommission, der auch die Erziehungsberechtigten angehören und die, gestützt auf Bericht und Beratungsgutachten, Empfehlungen zur Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs und zum weiteren Schulbesuch abgibt und der Schulbehörde beim Nichtzustandekommen einer einvernehmlichen Empfehlung die verschiedenen Auffassungen mitteilt (§ 3 der Verordnung). Bericht, Beratungsgutachten und gegebenenfalls die Empfehlung oder die unterschiedlichen Stellungnahmen der Förderkommission werden von der Schulbehörde bei deren Entscheidung über eine sonderpädagogische Förderung berücksichtigt (§ 4 der Verordnung).

Dieses Verfahren, das einerseits um eine weitgehende Objektivierung der behördlichen Entscheidungsfindung bemüht ist und andererseits die Erziehungsberechtigten in den Entscheidungsprozeß einbindet, letzteres erkennbar in der Absicht, möglichst zu einer auch von ihnen akzeptierten Entscheidung zu gelangen, trägt dem möglichen Konflikt zwischen Eltern und Kindern sowie Schulverwaltung sachgerecht Rechnung. Es schafft nicht nur einen äußeren Rahmen, in dem die Grundrechtspositionen des behinderten Schülers und seiner Eltern aus Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG angemessen zur Geltung gebracht werden können, es erscheint vielmehr im Schulbereich grundsätzlich auch geeignet, als verfahrensmäßige und organisatorische Absicherung des Benachteiligungsverbots des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG zugunsten Behinderter zu dienen (zum Grundrechtsschutz durch Verfahrensgestaltung vgl. etwa BVerfGE 53, 30 <65>; 84, 34 <45 f.>).

Die Letztverantwortlichkeit der Schulbehörde für die Entscheidung über die Feststellung eines sonderpädagogischen Förderbedarfs und über die Form des Schulbesuchs für förderungsbedürftige Kinder und Jugendliche wird durch die Verordnungsregelung allerdings nicht berührt. Die Schulbehörde ist an Inhalt und Ergebnis des über den einzelnen Schüler erstatteten Berichts und des Beratungsgutachtens ebensowenig gebunden wie an die Empfehlungen der Förderkommission. Sie ist also auch dann, wenn diese Entscheidungshilfen sich im Einzelfall - ausschließlich oder alternativ - für eine Beschulung in integrativer Form aussprechen, verfahrensrechtlich nicht gehindert, die Überweisung an eine Sonderschule anzuordnen. Im Lichte des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG obliegt der Behörde aber gerade in diesem Fall eine gesteigerte Begründungspflicht.

Das Benachteiligungsverbot zugunsten Behinderter verlangt in verfahrensmäßiger Hinsicht, daß Entscheidungen, die im Zusammenhang mit einer Behinderung ergehen und eine Benachteiligung des Behinderten darstellen können, substantiiert begründet werden, also bei einem an einer integrativen Beschulung interessierten behinderten Kind oder Jugendlichen erkennen lassen, auf welchen Erwägungen der Schulbehörde dessen Überweisung an die Sonderschule im einzelnen beruht. Dabei sind die Gesichtspunkte darzulegen, deren Beachtung Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verlangt. Anzugeben sind danach je nach Lage des Falles Art und Schwere der Behinderung und die Gründe, die die Behörde gegebenenfalls zu der Einschätzung gelangen lassen, daß Erziehung und Unterrichtung des Behinderten am besten in einer Sonderschule gewährleistet erscheinen. Gegebenenfalls sind auch organisatorische, personelle oder sächliche Schwierigkeiten sowie die Gründe darzulegen, warum diese Schwierigkeiten im konkreten Fall nicht überwunden werden können. Im einen wie im anderen Fall setzt eine ausreichende Begründung der Entscheidung zugunsten einer Sonder- oder Förderschulunterrichtung schließlich ein Eingehen auf entgegengesetzte Erziehungswünsche des Behinderten und seiner Erziehungsberechtigten voraus. Sie sind in Beziehung zu setzen zu den Erwägungen der Schulbehörde und mit deren Vorstellungen in einer Weise abzuwägen, die die staatliche Maßnahme nachvollziehbar und damit auch gerichtlich überprüfbar macht.

bb) Die Entscheidung der Verwaltungsgerichte, daß eine schulbehördliche Überweisungsverfügung diesen Anforderungen entspricht, unterliegt nur eingeschränkter verfassungsgerichtlicher Kontrolle. Feststellung und Würdigung des entscheidungserheblichen Sachverhalts sowie Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des Landesschulrechts sind Aufgabe der Verwaltungsgerichte und der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich entzogen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>; 86, 122 <128 f.>). Sache des Bundesverfassungsgerichts ist es auch nicht, zu kontrollieren, wie die Gerichte den Schutz, den die Grundrechte, hier neben Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG insbesondere Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, den Beteiligten des Rechtsstreits gewähren, im einzelnen auf der Grundlage des einfachen Rechts konkretisieren und umsetzen und ob dabei jeweils der bestmögliche Schutz erreicht wird (vgl. BVerfGE 89, 276 <286>; 92, 140 <153>). Das Bundesverfassungsgericht greift vielmehr korrigierend nur ein, wenn die angegriffenen Entscheidungen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Bedeutung als Willkürverbot verletzen (vgl. dazu BVerfGE 89, 1 <13 f.>) oder Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung von der Bedeutung und Tragweite eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs, beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind (vgl. BVerfGE 89, 1 <9 f.> m.w.N.).

II. Der angegriffene Beschluß ist vor diesem Hintergrund im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Zwar wird er nicht in allen Punkten den unter C I entwickelten verfassungsrechtlichen Maßstäben gerecht (1.). Doch läßt dies die Beurteilung des Oberverwaltungsgerichts unberührt, im Hinblick auf die konkreten tatsächlichen Umstände des Falles der Beschwerdeführerin spreche Überwiegendes dafür, daß die mit der Klage angefochtene Überweisungsverfügung rechtmäßig sei (2.).

1. Inhalt und Bedeutung des Benachteiligungsverbots des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG werden in der angegriffenen Entscheidung nicht durchweg zutreffend erkannt.

a) Allerdings ist dem Oberverwaltungsgericht darin zu folgen, daß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG weder den in Niedersachsen eingerichteten Sonderschulen noch der Zuständigkeit der Schulbehörde für Entscheidungen über den Besuch solcher Schulen nach Maßgabe des § 68 Abs. 2 Satz 1 NSchG die rechtliche Grundlage entzogen hat (vgl. C I 2 a bb). Auch trifft es, wie unter C I 2 b aa ausgeführt, zu, daß in der Verweisung eines behinderten Kindes auf eine Sonderschule gegen seinen und seiner Erziehungsberechtigten Willen nicht schon für sich eine nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verbotene Benachteiligung liegt. Dagegen kommt, anders als das Oberverwaltungsgericht annimmt, ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG nicht nur in Betracht, wenn ein Schüler wegen seiner Behinderung gegen seinen Willen in die Sonderschule "abgeschoben" werden soll, obwohl er für die normale Schule geeignet ist. Die Überweisung in eine Sonderschule benachteiligt den an integrativer Beschulung interessierten behinderten Schüler auch dann, wenn die erforderliche Gesamtbetrachtung ergibt, daß seine Erziehung und Unterrichtung an der Regelschule mit sonderpädagogischer Förderung möglich sind, der dafür benötigte personelle und sächliche Aufwand mit vorhandenen Personal- und Sachmitteln bestritten werden kann und auch organisatorische Schwierigkeiten sowie schutzwürdige Belange Dritter, insbesondere anderer Schüler, der integrativen Beschulung nicht entgegenstehen. In diesem Fall verstößt die gesonderte Beschulung gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und gegebenenfalls Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG.

b) Entgegen der Ansicht des Oberverwaltungsgerichts läßt sich dies nicht mit Hinweis darauf bezweifeln, daß der Begriff der Behinderung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und der Begriff des sonderpädagogischen Förderbedarfs, wie ihn hier § 14 Abs. 2 Satz 1 NSchG definiert, nicht identisch seien. Zwar ist nicht jedes behinderte Kind förderungsbedürftig; umgekehrt können auch nichtbehinderte Kinder sonderpädagogischen Förderungsbedarf haben. Die Überweisung an eine Sonder- oder Förderschule statt sonderpädagogischer Förderung an der allgemeinen Schule berührt aber jedenfalls dann Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, wenn der Bedarf an einer solchen Förderung durch die Folgen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Beeinträchtigung ausgelöst wird.

c) Dem Oberverwaltungsgericht kann auch in der Beurteilung des Verhältnisses von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG zur staatlichen Schulaufsicht nach Art. 7 Abs. 1 GG nicht uneingeschränkt zugestimmt werden. Zwar haben die Bundesländer, wie ausgeführt (vgl. oben C I 2 a), im Bereich des Schulwesens eine weitgehende Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit. Diese Freiheit schließt grundsätzlich die Entscheidung des Landesgesetzgebers darüber ein, wie und in welcher Schulform den spezifischen Erziehungs- und Ausbildungsbedürfnissen behinderter Schüler Rechnung getragen werden soll. Jedoch wird die staatliche Gestaltungs- und Entscheidungsfreiheit durch Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG eingeschränkt. Als Grundrecht bindet diese Norm wie jedes andere Grundrecht die gesamte staatliche Gewalt (vgl. Art. 1 Abs. 3 GG). Deshalb kann nicht diese die Wirkung der Grundrechte begrenzen, wie es das Oberverwaltungsgericht für die staatliche Schulaufsicht in ihrer Beziehung zu Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG annimmt.

d) Auch im Lichte der vorstehenden Ausführungen besteht für das Bundesverfassungsgericht kein Anlaß zu prüfen, ob die Auslegung insbesondere der §§ 4 und 68 NSchG durch das Oberverwaltungsgericht einfachrechtlich zutreffend ist. Den verfassungsrechtlichen Anforderungen, die sich aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG für die Schulbehörde ergeben, kann im Rahmen des Niedersächsischen Schulgesetzes auch dann Rechnung getragen werden, wenn sich diesem, wie das Oberverwaltungsgericht annimmt, ein vorrangiger Anspruch auf integrative Beschulung nicht entnehmen läßt. § 68 Abs. 2 Satz 1 NSchG, nach dem die Schulbehörde über die Verpflichtung zum Besuch einer Sonderschule entscheidet, gibt in der Auslegung durch das Oberverwaltungsgericht den Eltern eines Kindes mit sonderpädagogischem Förderbedarf einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung; die Überweisung an eine Sonderschule sei dann rechtswidrig, wenn die Voraussetzungen der notwendigen Förderung auch an einer allgemeinen Schule erfüllt seien und die Eltern deren Besuch für ihr Kind wünschten. Es ist nicht ersichtlich, daß anderes gelten könnte, wenn - wie hier - das behinderte Kind selbst seine Erziehung und Unterrichtung an einer solchen Schule begehrt. Auch in diesem Fall kann und muß die Schulbehörde die Anforderungen des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG an eine behindertengerechte Entscheidung im Rahmen der Betätigung ihres Ermessens beachten.

2. Die angegriffene Entscheidung hat trotz der teilweise unzutreffenden Auffassung des Oberverwaltungsgerichts von Inhalt und Bedeutung des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verfassungsrechtlich Bestand.

a) Daß die Beschwerdeführerin im Hinblick auf die Auswirkungen ihrer auf schweren Körperschäden beruhenden Funktionsbeeinträchtigungen behindert ist, hat das Oberverwaltungsgericht nicht in Zweifel gezogen. Es hat weiter festgestellt, daß die Schulbehörde in ihrem Überweisungsbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids auf der Grundlage insbesondere des Beratungsgutachtens und der Empfehlung der Förderkommission einen erheblichen sonderpädagogischen Förderbedarf der Beschwerdeführerin angenommen hat. Konkret bedürfe sie im Fach Mathematik der erweiterten sonderpädagogischen Förderung in Form von wöchentlich fünf Stunden Einzelunterricht und in weiteren - insbesondere den naturwissenschaftlichen - Fächern, in denen eine zielgleiche Unterrichtung nicht möglich sei, zusätzlicher Hilfe im Wege der Unterrichtsbegleitung durch eine pädagogisch oder therapeutisch vorgebildete "Stützkraft". Diese besondere Förderung könne in der von der Beschwerdeführerin besuchten Integrierten Gesamtschule in einer Klasse mit 27 Schülern nicht erbracht werden, weil dafür die Sonderschullehrer(stunden) in der erforderlichen Zahl nicht zur Verfügung stünden. Aus demselben Grund, aber auch im Hinblick auf die notwendige Relation von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf zu Schülern ohne einen solchen Bedarf sei auch eine Aufnahme der Beschwerdeführerin in die an der Integrierten Gesamtschule eingerichtete Integrationsklasse nicht möglich. Die Bildung anderer Integrationsklassen, in die die Beschwerdeführerin aufgenommen werden könnte, scheitere daran, daß die dafür erforderlichen personellen Ressourcen nicht vorhanden und bereits eingerichtete Integrationsklassen im Hinblick auf den Vertrauensschutz der dort unterrichteten Schüler weiterzuführen seien.

b) Was die Beschwerdeführerin dagegen vorbringt, ist nicht näher belegt und zwingt nicht zu der Annahme, daß der Sachverhalt vom Oberverwaltungsgericht aus sachfremden Erwägungen falsch oder unvollständig ermittelt worden ist. Das Bundesverfassungsgericht muß deshalb von diesem Sachverhalt ausgehen. Nicht zu beanstanden ist auch die Würdigung, daß die Schulbehörde, die sich insbesondere im Widerspruchsbescheid mit den Vor- und Nachteilen einer integrativen Beschulung der Beschwerdeführerin auseinandergesetzt und dabei auch die Vorstellungen und Wünsche ihrer Eltern berücksichtigt hat, angesichts des erheblichen sonderpädagogischen Förderbedarfs der Beschwerdeführerin und der sowohl schulorganisatorischen als auch personellen Schwierigkeiten und Engpässe die Überweisung der Beschwerdeführerin an eine Sonderschule anordnen durfte. Alle für den Fall der Beschwerdeführerin wesentlichen Gesichtspunkte sind damit hinreichend berücksichtigt. Es kann deshalb nicht angenommen werden, daß die rechtliche Beurteilung des Oberverwaltungsgerichts, es spreche Überwiegendes dafür, daß die im Hauptsacheverfahren angefochtene Sonderschulüberweisung rechtmäßig, also auch mit Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG zu vereinbaren sei, auf einer fehlerhaften Auslegung dieser Vorschrift beruht.

Seidl Grimm Kühling

Jaeger Haas Hömig

Steiner Hömig

Steiner r

Ende der Entscheidung

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