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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 01.09.2009
Aktenzeichen: 2 BvL 10/07
Rechtsgebiete: GG, LVwG SH


Vorschriften:

GG Art. 20 Abs. 2
GG Art. 104 Abs. 2
LVwG SH § 201 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
In dem Verfahren

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts

durch

den Vizepräsidenten-Voßkuhle,

den Richter -Mellinghoff und

die Richterin -Lübbe-Wolff

gemäß § 81a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl. I S. 1473)

am 1. September 2009

einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Vorlage ist unzulässig.

Gründe:

A.

I.

Das Amtsgericht hat dem Bundesverfassungsgericht § 201 Abs. 2 Satz 11 bis 14 Landesverwaltungsgesetz Schleswig-Holstein (im Folgenden: LVwG SH) zur Prüfung der Verfassungsmäßigkeit vorgelegt. Die vorgelegten Bestimmungen betreffen die Zuweisung der - originären - Entscheidung über die Verlängerung eines polizeilich verhängten Aufenthaltsverbots an die Gerichte.

§ 201 LVwG SH hat folgenden Wortlaut:

"(1)

Zur Abwehr einer im einzelnen Falle bevorstehenden Gefahr ist es zulässig, eine Person vorübergehend von einem Ort zu verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes zu verbieten. Die Platzverweisung kann auch gegen Personen angeordnet werden, die den Einsatz der Feuerwehr oder von Hilfs- oder Rettungsdiensten behindern.

(2)

Sprechen Tatsachen dafür, dass eine Person in naher Zukunft in einem bestimmten örtlichen Bereich einer Gemeinde oder benachbarter Gemeinden strafbare Handlungen begehen wird, die Schaden für Leib, Leben oder Freiheit oder gleichgewichtigen Schaden für sonstige Sach- oder Vermögenswerte oder für die Umwelt erwarten lassen, kann ihr, wenn auf andere Weise die Schadensverhütung nicht möglich erscheint, zeitlich befristet verboten werden, diesen Bereich zu betreten oder sich dort aufzuhalten (Aufenthaltsverbot). Die Vorschriften des Versammlungsrechts bleiben unberührt. Das Verbot nach Satz 1 ist örtlich auf den zur Verhütung der erwarteten Schäden erforderlichen Umfang zu beschränken. Hat die betroffene Person im räumlichen Geltungsbereich des Aufenthaltsverbotes ihren Wohnsitz oder muss ihn aus einem vergleichbar wichtigen Grund betreten, ist dies bei der Entscheidung nach Satz 3 angemessen zu berücksichtigen. Das Verbot nach Satz 1 soll zunächst auf maximal 14 Tage befristet werden. Weitere Verlängerungen um jeweils maximal 14 Tage sind zulässig, soweit die Voraussetzungen des Satzes 1 weiterhin vorliegen. Das Verbot darf insgesamt die Dauer von drei Monaten nicht überschreiten. Der Lauf der Frist des Verbotes nach Satz 1 beginnt mit der Bekanntgabe und endet mit Ablauf des bezeichneten Tages; § 89 findet keine Anwendung. Die Entscheidung trifft die Leiterin oder der Leiter des Landespolizeiamtes, des Landeskriminalamtes oder einer Polizeidirektion. Diese können die Anordnungsbefugnis auf besonders beauftragte Personen des Polizeivollzugsdienstes übertragen. Jede weitere Verlängerung des Aufenthaltsverbotes im Sinne von Satz 6 bedarf der richterlichen Entscheidung. Zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk das Landespolizeiamt oder Landeskriminalamt seinen oder die Polizeidirektion ihren Sitz hat. Für das Verfahren findet das Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechende Anwendung. Die Entscheidung ergeht auf Antrag. § 20 des Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit bleibt unberührt."

II.

Gegen die Betroffenen des Ausgangsverfahrens ergingen unter dem 25. September 2007 Ordnungsverfügungen der Polizeidirektion Neumünster, die ein Aufenthaltsverbot für bestimmte Straßen und Plätze in Rendsburg für die Zeit vom 27. September bis zum 10. Oktober 2007 enthielten. Per E-Mail beantragte die Polizeidirektion Neumünster beim Amtsgericht Neumünster die Verlängerung des Verbotes um weitere 14 Tage gemäß § 201 Abs. 2 LVwG SH.

III.

Mit Beschluss vom 31. Oktober 2007 setzte das Amtsgericht das Verfahren aus und legte dem Bundesverfassungsgericht die Frage zur Entscheidung vor, ob § 201 Abs. 2 Satz 11 bis 14 LVwG SH verfassungswidrig ist. Es komme für die von ihm zu treffende Entscheidung auf die Gültigkeit des § 201 Abs. 2 LVwG SH an, soweit dem Amtsgericht durch diese Norm die Zuständigkeit für die Verlängerung der Aufenthaltsverbote zugewiesen werde. Bereits die Zuständigkeitszuweisung sei verfassungswidrig; es sehe sich daher an einer Entscheidung über den Antrag der Polizeidirektion Neumünster gehindert. Jegliche Verfahrens- oder Sachentscheidung aufgrund des § 201 Abs. 2 LVwG SH stelle - selbst angesichts des eingetretenen Zeitablaufs - einen Verstoß gegen Art. 20 Abs. 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 2 GG dar. Keine andere landesrechtliche Regelung sehe, soweit dem Gericht ersichtlich, einen Richtervorbehalt vor. § 201 Abs. 2 LVwG SH übertrage den Gerichten Verwaltungsaufgaben und durchbreche damit in unzulässiger Weise den Gewaltenteilungsgrundsatz. Das Grundgesetz stelle nur die Entscheidung über die Zulässigkeit und Fortdauer der Freiheitsentziehung in Art. 104 Abs. 2 GG unter einen Richtervorbehalt. Eine bloße Freiheitsbeschränkung, wie sie auch der Ausspruch eines Aufenthaltsverbotes darstelle, falle dagegen nicht unter Art. 104 Abs. 2 GG. Die hohen verfahrensrechtlichen Anforderungen, die die Verfassung an die Anordnung einer Freiheitsentziehung stelle, sollten also nach dem Wortlaut des Art. 104 Abs. 2 GG für die bloße Freiheitsbeschränkung nicht gelten. Der Richter übe mit seiner Entscheidung über die Verlängerung eines Aufenthaltsverbotes eine Verwaltungstätigkeit aus. Die konstitutive Anordnungszuständigkeit der Polizei gehe nach zwei Wochen in eine gerichtliche Zuständigkeit über. Der Landesgesetzgeber habe sich offensichtlich von der Wertung leiten lassen, dass eine länger andauernde Freiheitsbeschränkung in Form eines Aufenthaltsverbots nach einer gewissen Dauer einen derart intensiven Grundrechtseingriff darstelle, dass sie einer Freiheitsentziehung gleichzusetzen sei. Ein solcher gleitender Zuständigkeitswechsel sei mit dem Gewaltenteilungsprinzip nicht vereinbar. Die Übertragung von Verwaltungstätigkeit auf den Richter bei der eingriffsintensiven Freiheitsentziehung lasse sich noch mit der der richterlichen Anordnung zukommenden Rechtsschutzfunktion begründen; bei dem Aufenthaltsverbot bestehe keine entsprechende Notwendigkeit. Unabhängig von diesen verfassungsrechtlichen Bedenken sei die Regelung auch völlig unpraktikabel. Angesichts der nach dem Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit gebotenen Anhörung der Betroffenen werde es bei der Höchstdauer des Aufenthaltsverbots von drei Monaten und der jeweils im Zweiwochenrhythmus fälligen Fortdauerentscheidung zu einer selbst dem strafprozessualen Haftrecht fremden ungewöhnlich hohen Befassungsdichte des Gerichts kommen.

B.

Die Vorlage ist mangels ausreichender Begründung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG) unzulässig.

Die Zulässigkeit einer Vorlage nach Art. 100 Abs. 1 GG setzt voraus, dass die Verfassungsmäßigkeit der zur Prüfung vorgelegten Norm für das Ausgangsverfahren entscheidungserheblich ist (vgl. BVerfGE 11, 330 <334> ; 107, 218 <232> ; stRspr). Die Entscheidungserheblichkeit, die noch zum Zeitpunkt der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bestehen muss (BVerfGE 85, 191 <203>; 108, 186 <209>; stRspr), ist zu begründen (§ 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG). Der Vorlagebeschluss muss hinreichend deutlich erkennen lassen, dass und aus welchen Gründen das vorlegende Gericht im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Vorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen würde als im Falle ihrer Ungültigkeit (vgl. BVerfGE 7, 171 <173 f.>; 107, 59 <85>; stRspr), und sich unter Berücksichtigung der in Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen eingehend mit der Rechtslage auseinandersetzen (BVerfGE 47, 109 <114 f.> ; 105, 61 <67>; stRspr).

Darüber hinaus muss das vorlegende Gericht seine Überzeugung von der Verfassungswidrigkeit der zur Prüfung vorgelegten Normen darlegen und dabei nicht nur deutlich machen, mit welchem verfassungsrechtlichen Grundsatz die zur Prüfung gestellte Regelung seiner Ansicht nach nicht vereinbar ist, sondern sich mit allen naheliegenden Gesichtspunkten auseinandersetzen; dazu gehört eine eingehende Darlegung der Rechtslage unter Einbeziehung von Rechtsprechung und Schrifttum (vgl. BVerfGE 94, 315 <325> ; BVerfGK 3, 285 <292 f.>, jew. m.w.N.).

Diesen Anforderungen genügt der Vorlagebeschluss nicht.

Es kann offen bleiben, ob die Entscheidungserheblichkeit der vorgelegten Normen zureichend dargelegt ist. Das vorlegende Gericht hat jedenfalls seine Überzeugung, dass die zur Prüfung vorgelegten Bestimmungen gegen den Gewaltenteilungsgrundsatz verstoßen, nicht in der erforderlichen Weise begründet. Es fehlt bereits an jeder Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Möglichkeiten und Grenzen der Zuweisung von Aufgaben an die Gerichte (vgl. nur BVerfGE 9, 89 <96 ff.> ; 21, 139 <144> ; 64, 175 <179> ; 76, 100 <106> ).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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