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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 25.09.2000
Aktenzeichen: 2 BvQ 30/00
Rechtsgebiete: BVerfGG, StPO


Vorschriften:

BVerfGG § 93d Abs. 2
BVerfGG § 32 Abs. 1
StPO § 111 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvQ 30/00 -

In dem Verfahren

über den Antrag

des Herrn A...

- Bevollmächtigter: Rechtsanwalt Heinrich Kill, Hauptstraße 241, Herne -

im Wege der einstweiligen Anordnung

gegen den Beschluss des Amtsgerichts Bochum vom 12. Juli 2000 - 30 b Ls 2 Js 298/99 AK 4/00 erw -

und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwalts Heinrich Kill

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Präsidentin Limbach und die Richter Hassemer, Di Fabio gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993

(BGBl I S. 1473) am 25. September 2000 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwalts Heinrich Kill, Herne, wird abgelehnt.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt, weil eine Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hätte.

1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Dabei haben die Gründe, die für die Verfassungswidrigkeit des angegriffenen Hoheitsakts vorgetragen werden, grundsätzlich außer Betracht zu bleiben. Im Hinblick auf die Sicherungsfunktion der einstweiligen Anordnung ist für deren Erlass aber kein Raum, wenn davon auszugehen ist, dass eine entsprechende Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung anzunehmen sein wird (vgl. Bundesverfassungsgericht, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Oktober 1998 - DAR 1998, S. 466). Das ist hier der Fall.

2. Die - bislang nicht erhobene - Verfassungsbeschwerde gegen die Entziehung der Fahrerlaubnis gemäß § 111 a StPO hätte keine Aussicht auf Erfolg.

a) Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111 a StPO ist eine Präventiivmaßnahme, die der Allgemeinheit Schutz vor weiteren Verkehrsstraftaten gewähren soll.

Dies begegnet angesichts der besonderen Gefahren, die durch die Teilnahme ungeeigneter Kraftfahrer am Straßenverkehr drohen, keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken. Demgegenüber müssen Nachteile, die einem Beschuldigten in beruflicher oder in privater Hinsicht entstehen, in Kauf genommen werden (vgl. Bundesverfassungsgericht, a. a. O.; Vorprüfungsausschuss, Beschluss vom 4. September 1981, NStZ 1982, S. 78).

Die Gefahr des Verlustes der Arbeitsstelle, die der Antragsteller am 1. Juli 2000 angetreten hat und für die er nach seinem Vortrag eine Fahrerlaubnis benötigt, steht der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111 a StPO daher grundsätzlich nicht entgegen.

b) Strafprozessuale Grundrechtseingriffe wie die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis müssen auch im Einzelfall dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Dieser Grundsatz setzt staatlichen Eingriffen Grenzen, die insbesondere auch durch Abwägung der in Betracht kommenden Interessen zu ermitteln sind. Führt die Abwägung zu dem Ergebnis, dass die dem Eingriff entgegenstehenden Interessen im konkreten Fall ersichtlich wesentlich schwerer wiegen als diejenigen Belange, deren Wahrung die staatliche Maßnahme dienen soll, so verletzt der gleichwohl erfolgte Eingriff den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 44, 353 <373>).

Nach diesem Maßstab sind die angegriffenen Entscheidungen nicht zu beanstanden. Die Fachgerichte haben dargelegt, dass der Antragsteller der angeklagten "massiven Verkehrsstraftaten" sowie weiterer Taten, die auf eine erhebliche Neigung zur Gewalttätigkeit und eine rechtsfeindliche Einstellung schließen ließen, dringend verdächtig sei. Deshalb sei davon auszugehen, dass dem Antragsteller trotz des inzwischen verstrichenen Zeitraums von etwa 15 Monaten seit den Anlasstaten bei seiner Verurteilung die Fahrerlaubnis endgültig entzogen werde. Es lägen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass die durch die Taten zum Ausdruck kommende Ungeeignetheit zum Führen von Kraftfahrzeugen zwischenzeitlich weggefallen sei.

Die fachgerichtliche Einschätzung, dass der Antragsteller weiterhin ungeeignet zum Führen vom Kraftfahrzeugen ist, stellt eine Würdigung des Sachverhalts dar, die der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen ist; das Bundesverfassungsgericht kann nur bei einer Verletzung von spezifischem Verfassungsrecht eingreifen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f.>).

Eine solche ist hier aber nicht ersichtlich. Auch wenn der Antragsteller seit den Anlasstaten beanstandungsfrei am Straßenverkehr teilgenommen hat, ist es im Hinblick auf die Wertung des Gesetzgebers, dass der Täter einer Straßenverkehrsgefährdung in der Regel als ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen anzusehen ist (§ 69 Abs. 2 Nr. 1 StGB), sowie im Hinblick darauf, dass dem Antragsteller hier nicht nur eine fahrlässige, sondern eine vorsätzliche Straßenverkehrsgefährdung, noch dazu in Tateinheit mit einem gefährlichen Eingriff in den Straßenverkehr zur Last gelegt wird, jedenfalls nachvollziehbar, dass die Gerichte seine fortbestehende Ungeeignetheit angenommen haben. Der fachgerichtliche Wertungsrahmen ist damit nicht überschritten.

Ausgehend von der fachgerichtlichen Annahme der Ungeeignetheit ist es verfassungsrechtlich auch unbedenklich, dass Amts- und Landgericht hier dem öffentlichen Interesse am Schutz anderer Verkehrsteilnehmer vor ungeeigneten Kraftfahrern den Vorrang vor dem Interesse des Antragstellers am Bestand seiner Fahrerlaubnis beigemessen und auch jetzt noch die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet haben.

Schließlich ist auch nicht ersichtlich, dass der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis ein von Verfassungs wegen zu berücksichtigendes schützenswertes Vertrauen des Antragstellers entgegenstünde (vgl. dazu Molketin, Anmerkung zum Beschluss des Landgerichts Hagen vom 5. April 1994, NZV 1994, S. 334 m. w. N.).



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