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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 06.06.2007
Aktenzeichen: 2 BvR 1060/06
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 2
GG Art. 19 Abs. 4 Satz 1
GG Art. 33 Abs. 2
GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1060/06 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. April 2006 - 1 UZ 881/06 -,

b) den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 15. März 2006 - 1 UZ 786/05 -,

c) das Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 26. Februar 2004 - 1 E 492/98(2) -

hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richter Di Fabio und Landau gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 6. Juni 2007 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen ein Dienstleistungszeugnis über ihre Tätigkeit während einer Erprobungszeit am Oberlandesgericht.

1. Die Beschwerdeführerin steht seit 1979 als Richterin im Dienst des Landes Hessen. In der Zeit von Januar bis Oktober 1996 war sie als teilzeitbeschäftigte Richterin mit einer halben Richterstelle zur Erprobung an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main abgeordnet. Nach Beendigung der Abordnung erteilte der Präsident des Oberlandesgerichts der Beschwerdeführerin ein Dienstleistungszeugnis, mit dem er sie im Ergebnis als für das Amt einer Richterin am Oberlandesgericht "gut geeignet" beurteilte. Das Zeugnis wurde mit der Beschwerdeführerin erörtert und später in mehreren Punkten abgeändert. Gegen das geänderte Zeugnis erhob die Beschwerdeführerin Widerspruch, dem der Präsident des Oberlandesgerichts teilweise abhalf. Im Übrigen wies er den Widerspruch zurück. Mit Schreiben vom 7. März 1998 erhob die Beschwerdeführerin daraufhin Klage zum Verwaltungsgericht Darmstadt, mit der sie die Erstellung eines neuen Dienstleistungszeugnisses begehrte. Wenig später erhob sie zudem Klage vor dem Hessischen Dienstgericht für Richter mit dem Antrag festzustellen, dass das Dienstleistungszeugnis insgesamt, jedenfalls aber zahlreiche der in ihm enthaltenen Formulierungen wegen einer Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit unzulässig seien. Dieses Verfahren wurde letztinstanzlich mit Urteil des Bundesgerichtshofs vom 25. September 2002 durch Zurückweisung der Revision der Beschwerdeführerin abgeschlossen. Mit Urteil vom 26. Februar 2004 wies das Verwaltungsgericht Darmstadt auch die Klage der Beschwerdeführerin auf Neubeurteilung ab. Den hiergegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung und eine anschließende Anhörungsrüge wies der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Beschlüssen vom 15. März und 21. April 2006 zurück.

2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 1, Art. 3 Abs. 1 und 2, Art. 19 Abs. 4 Satz 1, Art. 33 Abs. 2 und Art. 103 Abs. 1 GG. Sie trägt unter anderem vor:

a) Das Zeugnis verletze sie in ihrem Recht aus Art. 3 Abs. 2 GG. Es nehme Bezug auf eine vorbereitende Stellungnahme des Senatsvorsitzenden, derzufolge die Beurteilungsgrundlage unter anderem deshalb nicht besonders breit gewesen sei, weil sie - die Beschwerdeführerin - nur mit einem halben Dezernat beschäftigt gewesen sei. Diese Bemerkung sei zwar später aus dem Zeugnis herausgenommen worden. In ihr sei indes eine Voreingenommenheit des Senatsvorsitzenden gegenüber weiblichen Teilzeitbeschäftigten zum Ausdruck gekommen, die auch für andere abwertende Formulierungen in der Beurteilung und für die schlechte Gesamtbeurteilung ihrer Leistungen mitursächlich gewesen sei.

b) Der Beschluss, mit dem der Verwaltungsgerichtshof ihren Antrag auf Zulassung der Berufung zurückgewiesen habe, verstoße auch gegen das Willkürverbot des Art. 3 Abs. 1 GG. Der Verwaltungsgerichtshof vertrete die Auffassung, dass von einer gleichheitswidrigen Beurteilungspraxis zu ihrem Nachteil nicht ausgegangen werden könne, begründe diese Auffassung aber nur mit Leerformeln. Dabei habe sie substantiiert dargelegt, dass über Jahre ohne einheitlichen Beurteilungsmaßstab nach dem Motto "wir nehmen nur die, die wir haben wollen" agiert worden sei. Außerdem habe sie dargetan, dass sie nur deshalb so schlecht beurteilt worden sei, weil sie Interesse an einer Stelle als Richterin am Oberlandesgericht geäußert habe, obwohl ihr Dienstherr sie zur Vorsitzenden am Landgericht habe ernennen wollen.

c) Der Verwaltungsgerichtshof habe durch die Nichtberücksichtigung ihres Vortrags zur Befangenheit des Senatsvorsitzenden, der den maßgeblichen Beurteilungsbeitrag geleistet habe, auch gegen Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verstoßen. Das Gericht habe ihr mit seiner Ablehnung der Zulassung der Berufung in willkürlicher Weise den Zugang zu einer Berufungsentscheidung versperrt. Auch hätten die Gerichte es versäumt, in angemessener Frist über ihr Begehren zu entscheiden, und damit den Rechtsschutz in unzumutbarer Weise verkürzt.

d) Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs über ihren Antrag auf Zulassung der Berufung verstoße zudem gegen Art. 33 Abs. 2 GG. Die Nichtbeachtung der Befangenheit des Vorsitzenden, der den maßgeblichen Beurteilungsbeitrag verfasst habe, stelle eine schwere und unerträgliche Verletzung ihres Grundrechts auf gleichen Zugang zum öffentlichen Amt dar.

e) Die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen verletzten sie schließlich auch in ihren Rechten aus Art. 103 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 19 Abs. 4 GG. Das Verwaltungsgericht habe sowohl ihren Vortrag zum Fehlen eines einheitlichen Beurteilungsmaßstabs und zur Voreingenommenheit des Vorsitzenden als auch zahlreiche von ihr schriftsätzlich angekündigte Beweisanträge übergangen und damit seine Aufklärungspflicht aus § 86 Abs. 1 VwGO verletzt. Dies habe der Verwaltungsgerichtshof verkannt, als er ihren Antrag auf Zulassung der Berufung zurückgewiesen habe.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Sie hat keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung, weil die maßgeblichen Fragen in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt sind. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt, weil sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg besitzt (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>; 96, 245 <248>).

1. Soweit die Beschwerdeführerin eine unangemessen lange Dauer des fachgerichtlichen Verfahrens rügt und sich hierdurch in ihrem Recht aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG verletzt sieht, ist die Verfassungsbeschwerde unzulässig. Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit nicht in einer den Anforderungen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG genügenden Weise begründet (vgl. BVerfGE 28, 17 <19>; 99, 84 <87>).

Das aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 und Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitete Gebot effektiven Rechtsschutzes verlangt, dass strittige Rechtsverhältnisse in angemessener Zeit geklärt werden (vgl. BVerfGE 54, 39 <41>; 60, 253 <269>; 88, 118 <124>). Die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens ist nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen, so dass sich nicht generell festlegen lässt, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>). Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung dieser Frage sind stets alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere die Bedeutung der Sache für die Beteiligten, die Schwierigkeit der Sachmaterie sowie die gerichtlich nicht zu beeinflussenden Tätigkeiten von Dritten, wie etwa Sachverständigen, einzubeziehen (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Juli 2000 - 1 BvR 352/00 -; juris).

Trotz der erheblichen Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens hätte die Beschwerdeführerin danach im Einzelnen darlegen müssen, dass und warum die Verfahrensdauer verfassungsrechtlich nicht mehr hinnehmbar war (vgl. hierzu BVerfGK 2, 33 <34 f.>). Dies hat sie versäumt. Sie hat weder aufgezeigt, aus welchen Gründen sich der Prozess verzögert hat, noch hat sie behauptet, das Verwaltungsgericht habe das Verfahren grundlos nicht betrieben. Dabei wären gerade im vorliegenden Fall ergänzende Ausführungen zu den Gründen der Verfahrensverzögerung angezeigt gewesen. Denn es erscheint nach den Schilderungen der Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdeschrift jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass das Verfahren zwischenzeitlich mit Blick auf den parallel laufenden Prozess vor den Richterdienstgerichten - im Einverständnis der Beteiligten - nicht betrieben wurde. Hierfür spricht namentlich der Umstand, dass der Prozessbevollmächtigte der Beschwerdeführerin die bereits 1998 erhobene Klage erst mit Schriftsatz vom 12. Februar 2004 eingehend begründet hat, ohne dabei eine überlange Verfahrensdauer zu rügen.

2. Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Die angegriffenen verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen sind verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

a) Insbesondere verletzen die Entscheidungen die Beschwerdeführerin nicht in ihrem Recht aus Art. 3 Abs. 2 GG. Es kann insoweit dahinstehen, ob die Feststellung des Vorsitzenden, die Beurteilungsgrundlage sei unter anderem wegen der nur halbzeitigen Tätigkeit der Beschwerdeführerin nicht besonders breit gewesen, eine (mittelbare) Diskriminierung wegen des Geschlechts darstellte. Denn die Formulierung ist mit Bescheid des Präsidenten des Oberlandesgerichts vom 31. Juli 1997 aus dem Zeugnis gestrichen worden. Dass sie - wie die Beschwerdeführerin meint - in dem Beurteilungsergebnis fortwirkt, ist nicht erkennbar. Die gestrichene Passage hatte einen eher feststellenden Charakter und brachte keine negative Wertung des Vorsitzenden über die Beschwerdeführerin zum Ausdruck. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin bestehen auch darüber hinaus keine Anhaltspunkte dafür, dass das Dienstleistungszeugnis auf einer Voreingenommenheit des Senatsvorsitzenden gegenüber Frauen beruht. Die Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs, dass einzelne allgemein gehaltene, abwertende Äußerungen des Senatsvorsitzenden über Frauen in der Funktion von Richtern nicht geeignet seien, dessen Voreingenommenheit gegenüber der Beschwerdeführerin zu begründen, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. hierzu auch BVerwG, Urteil vom 23. April 1998 - 2 C 16/97 -; juris).

b) Es liegt auch kein Verstoß gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG vor. Die Beschwerdeführerin trägt insoweit vor, der Verwaltungsgerichtshof habe die Auffassung vertreten, dass weder von einer gleichheitswidrigen Beurteilungspraxis noch davon ausgegangen werden könne, dass das streitbefangene Zeugnis von der Absicht getragen sei, sie als Richterin am Oberlandesgericht zu verhindern. Diese Auffassung habe der Verwaltungsgerichtshof nur mit Leerformeln begründet, ohne auf ihre substantiierten Ausführungen zu diesen Punkten einzugehen.

Ein Verstoß gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG ergibt sich aus diesem Vorbringen nicht. Der Verwaltungsgerichtshof hat sich sowohl mit dem Einwand der Beschwerdeführerin, es habe eine gleichheitswidrige Beurteilungspraxis im Bereich des Oberlandesgericht geherrscht, als auch mit ihrer Behauptung, das Zeugnis beruhe auf Voreingenommenheit und sachfremden Erwägungen, ausführlich auseinandergesetzt und die Einwendungen der Beschwerdeführerin mit tragfähigen Argumenten zurückgewiesen. Für ein objektiv willkürliches Vorgehen des Verwaltungsgerichtshofs bestehen entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin daher keine Anhaltspunkte.

c) Die Beschwerdeführerin ist durch die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen auch nicht in ihrem durch Art. 103 Abs. 1 GG garantierten Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Es ist nicht ersichtlich, dass die Gerichte wesentliche Teile des Vortrags der Beschwerdeführerin nicht zur Kenntnis genommen oder nicht hinreichend erwogen hätten.

Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG beziehungsweise Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG liegt auch nicht darin, dass das Verwaltungsgericht den zahlreichen Beweisangeboten in den vorbereitenden Schriftsätzen der Beschwerdeführerin nicht nachgegangen ist.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Beschluss über den Antrag der Beschwerdeführerin auf Zulassung der Berufung die Auffassung vertreten, dass insoweit ein Verfahrensmangel nicht bestehe. Die anwaltlich vertretene Beschwerdeführerin habe in der mündlichen Verhandlung keine förmlichen Beweisanträge im Sinne des § 86 Abs. 2 VwGO gestellt. Da sich dem Verwaltungsgericht darüber hinaus nach den Umständen des Falles eine Beweiserhebung von Amts wegen nicht habe aufdrängen müssen, liege auch eine Verletzung der Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung nicht vor.

Diese Einschätzung des Verwaltungsgerichtshofs, die an eine gefestigte Rechtsprechung der Verwaltungsgerichte anknüpft (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. Februar 1993 - 2 C 14/91 -; juris; Beschluss vom 22. Februar 1988 - 7 B 28/88 -; NVwZ 1988, S. 1019), ist jedenfalls unter den gegebenen Umständen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 2. November 2001 - 2 BvR 1098/00 -; juris).

3. Von einer weiteren Begründung der Nichtannahmeentscheidung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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