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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 27.02.2003
Aktenzeichen: 2 BvR 1120/02
Rechtsgebiete: StPO, BVerfGG, GG


Vorschriften:

StPO § 97
StPO § 103
BVerfGG § 93b
BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93a Abs. 2
BVerfGG § 93d Abs. 1 Satz 3
GG Art. 13 Abs. 1
GG Art. 13 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1120/02 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Landgerichts Saarbrücken vom 13. Juni 2002 - 8 Qs 127/02 -,

b) den Beschluss des Amtsgerichts Saarbrücken vom 19. April 2002 - 7 Gs 2556/01 -

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 27. Februar 2003 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft eine auf "Gefahr im Verzug" gestützte Ergreifungsdurchsuchung nach § 103 StPO bei einem Rechtsanwalt.

I.

1. Die Staatsanwaltschaft Saarbrücken führt gegen einen im Ausland lebenden Beschuldigten ein Ermittlungsverfahren wegen Steuerhinterziehung. Auf ihren Antrag erließ das Amtsgericht am 10. Oktober 2001 einen auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützten Haftbefehl. Dieser wurde am 11. Oktober 2001 von zwei Beamten beim Ermittlungsrichter abgeholt und zur Staatsanwaltschaft gebracht. In den Räumen der Staatsanwaltschaft wurden die ermittelnden Beamten kurz nach 13.00 Uhr fernmündlich darüber informiert, dass der Beschuldigte soeben ein Hochhaus in Saarbrücken betreten habe. Es sei zu vermuten, dass er sich zu der dort befindlichen Kanzlei seines Verteidigers begeben werde. Nach dieser fernmündlichen Mitteilung der observierenden Fahndungskräfte ordnete der Staatsanwalt gegen 13.10 Uhr an, den Beschuldigten aufgrund des ergangenen Haftbefehls festzunehmen. Die beiden Beamten fuhren sodann zu dem angegebenen Hochhaus und trafen dort gegen 13.20 Uhr ein. Sie wurden von der mobilen Fahndungseinheit darüber informiert, dass keine Erkenntnisse über den Aufbau bzw. über die Ausgangsmöglichkeiten des Hochhauses vorlägen und eine lückenlose Observation des gesamten Gebäudes nicht möglich sei. Daraufhin begaben sie sich umgehend in die Räume der Anwaltskanzlei. Der in der Sozietät als Rechtsanwalt tätige Beschwerdeführer verweigerte auf entsprechende Frage über den Aufenthalt des Beschuldigten die Auskunft. Daraufhin durchsuchten die Polizeibeamten, denen nicht bekannt war, ob die Büroräume über weitere Ausgänge verfügten, wegen "Gefahr im Verzug" das Anwaltszimmer des Beschwerdeführers und nahmen dort gegen 13.40 Uhr den Beschuldigten aufgrund des Haftbefehls fest.

2. Der Beschwerdeführer beantragte die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung seines Anwaltszimmers mit der Begründung, "Gefahr im Verzug" habe nicht vorgelegen. Sowohl im fachgerichtlichen Verfahren als auch in seiner Verfassungsbeschwerde vertritt er die Auffassung, die Zeit habe ausgereicht, um zumindest einen telefonischen richterlichen Durchsuchungsbeschluss zu erlangen. Die Fachgerichte folgten - mit z.T. unterschiedlicher Begründung - dieser Ansicht nicht und stellten die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung fest.

II.

Die Verfassungsbeschwerde, mit der der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 13 Abs. 1 und 2 GG beanstandet, wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>). Der Beschwerdeführer ist nicht in seinen Grundrechten verletzt. Der verfassungsrechtliche Maßstab ist geklärt (vgl. insbesondere BVerfGE 103, 142 <150 ff.>). Es handelt sich vorliegend um einen exemplarischen Fall einer Anordnungskompetenz der Ermittlungsbehörden wegen Gefahr im Verzug.

1. Es bedarf im vorliegenden Fall keiner Entscheidung, ob für die Beurteilung der zur Verfügung stehenden Zeitspanne lediglich auf die Möglichkeit der Erlangung eines mündlichen (telefonischen) richterlichen Durchsuchungsbeschlusses abzustellen ist (vgl. hierzu Rengier, NStZ 1981, S. 372 <374>; Asbrock, StV 2001, S. 322 <323>; Einmahl, NJW 2001, S. 1393 <1394>; a.A. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 45. Aufl., § 105 Rn. 3; Müller in: KMR, StPO, § 105 Rn. 4) oder ob "Gefahr im Verzug" nicht bereits dann angenommen werden muss, wenn der Versuch einer vorherigen Einholung eines schriftlichen richterlichen Beschlusses den Erfolg der Durchsuchung gefährden würde. Vorliegend handelte es sich um ein dynamisches Geschehen, das sich im Minutenbereich abspielte. Auch der Versuch, einen telefonischen ermittlungsrichterlichen Beschluss einzuholen, hätte deshalb den Ergreifungserfolg gefährdet. Für die Ermittlungsbehörden war weder erkennbar noch vorhersehbar, wann und auf welchem Weg der Beschuldigte das Hochhaus, in dem sich die Kanzlei seines Verteidigers befand, wieder verlassen würde. Die zehnminütige Fahrt selbst war zu kurz, um eine dem hohen Rechtsgut des Art. 13 Abs. 1 GG angemessene richterliche Entscheidung zu erlangen.

2. Der Rechtmäßigkeit der Durchsuchung steht auch nicht der Umstand entgegen, dass sie in den Räumen einer Anwaltskanzlei erfolgte. Aus dem Fehlen besonderer Regelungen für Durchsuchungen beim Verteidiger ergibt sich, dass sie nach den allgemein in der Strafprozessordnung zur Durchsuchung bei nicht verdächtigen Personen niedergelegten Grundsätzen (§ 103 StPO) durchgeführt werden können. Wegen der Fernwirkung des § 97 StPO darf nur nach beschlagnahmefreien Gegenständen nicht gezielt geforscht werden (vgl. Nack in: Karlsruher Kommentar, StPO, 4. Aufl., § 103 Rn. 7 m.w.N.). Das ist bei einer Ergreifungsdurchsuchung jedoch von vorneherein ausgeschlossen.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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