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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 15.08.2006
Aktenzeichen: 2 BvR 1199/06
Rechtsgebiete: StPO


Vorschriften:

StPO § 356 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1199/06 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 26. April 2006 - 2 StR 51/06 -,

b) das Urteil des Landgerichts Gera vom 18. Oktober 2005 - 360 Js 17314/05-9 KLs -

hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richter Di Fabio und Landau gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 15. August 2006 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde ist teilweise unzulässig und ansonsten unbegründet.

I.

1. Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit sich der Beschwerdeführer gegen die seiner Meinung nach unzureichende Begründung des Freispruchs wendet. Durch den Freispruch ist der Beschwerdeführer nicht im rechtlichen Sinne beschwert, auch nicht durch die Art seiner Begründung (vgl. BVerfGE 6, 7 <9>; 28, 151 <159>).

2. Eine Verletzung des Art. 103 Abs. 1 GG wird vom Beschwerdeführer nicht hinreichend substantiiert dargelegt.

Das Verfahrensgrundrecht des Art. 103 Abs. 1 GG sichert rechtliches Gehör im gerichtlichen Verfahren mit dem Ziel, dass der Einzelne nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein, sondern vor einer Entscheidung, die seine Rechte betrifft, zu Wort kommen soll, um als Subjekt Einfluss auf das Verfahren und sein Ergebnis nehmen zu können (vgl. BVerfGE 84, 188 <190>; 86, 133 <144>; 107, 395 <408 f.>; m.w.N.).

Der Beschwerdeführer legt nicht dar, warum ihm hinsichtlich der abgeurteilten Taten, die zweifellos Prozessgegenstand waren, die Möglichkeit verwehrt war, auf das Verfahren und sein Ergebnis Einfluss zu nehmen. Er teilt insbesondere nicht mit, inwiefern das Vorgehen des Gerichts seine Verteidigungsstrategie beeinflusst hat und welche Gesichtspunkte er vorgetragen hätte, wenn ihm der Stand der Überzeugungsbildung des Gerichts bereits während des laufenden Verfahrens bekannt gewesen wäre. Soweit der Beschwerdeführer rügt, auch im Revisionsverfahren in seinem Recht auf rechtliches Gehör verletzt zu sein, kommt hinzu, dass er versäumt hat, das Nachverfahren gem. § 356 a StPO durchzuführen.

II.

Soweit die Verfassungsbeschwerde zulässig ist, ist sie unbegründet.

1. Prüfungsmaßstab für die hier zu entscheidenden Fragen der verfassungsrechtlichen Anforderungen an die strafrichterliche Beweiswürdigung ist Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG. Die Grundsätze fairen Verfahrens haben insoweit Vorrang vor dem aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ableitbaren Willkürverbot, da sie die stärkere sachliche Beziehung zu dem zu prüfenden Sachverhalt haben (BVerfG-K 1, 145 <149>; m.w.N.).

Die Freiheit der Person darf nur aus besonders gewichtigen Gründen und unter strengen formellen Gewährleistungen eingeschränkt werden (BVerfG-K 1, 145 <149 f.>). Solche Gewährleistungen sehen die Strafprozessordnung und die auf ihrer Grundlage entwickelte Rechtsprechung unter anderem in Form der bei der Wahrheitsfindung des Gerichts zu beachtenden Beweisregeln vor. Verstößt das Tatgericht in willkürlicher Weise gegen solche Regeln, kann dies die Revision gegen das Urteil begründen und auch einen Verfassungsverstoß darstellen.

Allerdings rechtfertigt nicht jeder Verstoß gegen § 244 Abs. 2 oder § 261 StPO und die hierzu von der Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze das Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts. Voraussetzung ist vielmehr, dass sich das Tat- und gegebenenfalls das Revisionsgericht so weit von der Verpflichtung entfernt haben, in Wahrung der Unschuldsvermutung bei jeder als Täter in Betracht kommenden Person auch die Gründe, die gegen die mögliche Täterschaft sprechen, wahrzunehmen, aufzuklären und zu erwägen, dass der rationale Charakter der Entscheidung verloren gegangen scheint und sie keine tragfähige Grundlage mehr für die mit einem Schuldspruch einhergehende Freiheitsentziehung sein kann (BVerfG-K 1, 145 <152>).

2. Ein solcher Ausnahmefall liegt hier nicht vor.

Das Tatgericht stützt seine Überzeugungsbildung hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Zeugin B.S. auf eine eingehende Würdigung von deren Aussageverhalten und des Aussageinhalts. Das Gericht schildert zahlreiche Details der Aussage, die nach seiner Überzeugung dafür sprechen, dass der Aussage ein reales Erleben zugrunde liegt. Es setzt sich zudem intensiv mit der Frage der Aussagekonstanz auseinander und würdigt detailliert Gemeinsamkeiten und Abweichungen der von B.S. in insgesamt sechs Vernehmungen getätigten Angaben. Auch die Problematik einer etwaigen Fremd- oder Autosuggestion thematisiert das Gericht.

Die Einwände des Beschwerdeführers, das Gericht setze sich nicht ausreichend mit dem familiären Trennungskonflikt und der Aussagemotivation von B.S. auseinander und lege keine außerhalb ihrer Aussage liegenden gewichtigen Gründe für die Glaubwürdigkeit der Zeugin dar, finden in den Urteilsausführungen keine Stütze. Das Gericht gelangt zu plausiblen Überzeugungen hinsichtlich der Aussageentstehung und untersucht eingehend die Frage, ob die den Beschwerdeführer belastende Aussage einen Racheakt für das Verlassen der Familie oder ein taktisches Vorgehen zum Erlangen von Vorteilen im Scheidungsverfahren der Mutter darstellen könnte. An außerhalb der Aussage der Zeugin liegenden Anhaltspunkten für deren Glaubwürdigkeit zieht das Gericht unter anderem die Aussagen des Zeugen H. und der Zeugin I.S. heran. Dabei handelt es sich um gewichtige Anhaltspunkte, da diese beiden Zeugen die ersten Personen waren, denen B.S. sich anvertraute.

Unzutreffend ist der Einwand des Beschwerdeführers, die Beweiswürdigung des Gerichts sei widersprüchlich, weil es hinsichtlich der abgeurteilten Taten der Aussage von B.S. Glauben schenke, nicht aber hinsichtlich der freigesprochenen Taten. Das Tatgericht stützt den Freispruch nicht auf Zweifel an der Aussage der Zeugin oder entgegenstehenden Beweisanzeichen, sondern darauf, dass es sich um zahlreiche gleichförmige Fälle gehandelt habe, die nicht mehr hinreichend gegeneinander abgrenzbar seien. Einen Widerspruch zu den Fällen, die die Zeugin wegen der Besonderheit der Tatumstände individualisieren konnte, vermag die Kammer darin nicht zu erkennen.

Vor diesem Hintergrund ist die Beweiswürdigung des Tatgerichts verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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