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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 02.03.2006
Aktenzeichen: 2 BvR 120/06
Rechtsgebiete: BVerfGG, StPO, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93b
StPO § 302 Abs. 2
GG Art. 3 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 120/06 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 9. Dezember 2005 - 1 Ws 286/2005 -,

b) den Beschluss des Landgerichts Stuttgart vom 16. November 2005 - 56 Ns 141 Js 69255/01 -

hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richter Di Fabio und Landau gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 2. März 2006 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde ist unbegründet.

1. Eine Verletzung des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner Ausprägung als allgemeines Willkürverbot liegt nicht vor. Dies wäre nur dann der Fall, wenn die den angegriffenen Entscheidungen zugrunde liegende Rechtsanwendung unter keinem denkbaren Aspekt mehr rechtlich vertretbar ist und sich daher der Schluss aufdrängt, dass sie auf sachfremden und damit willkürlichen Erwägungen beruht (vgl. BVerfGE 80, 48, <51>; 83, 82, <84>; 86, 59, <63>; stRspr).

2. Ein solcher Ausnahmefall ist hier nicht gegeben. Das Landgericht und das Oberlandesgericht haben in den angegriffenen Entscheidungen in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise angenommen, dass die Berufungsrücknahme aufgrund einer ausdrücklichen Ermächtigung des Verteidigers durch den Beschwerdeführer (§ 302 Abs. 2 StPO) erfolgt war.

a) Das Landgericht stützt seinen Beschluss, mit dem es die Berufung des Beschwerdeführers für erledigt erklärt, auf die von dem damaligen Bevollmächtigten des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt W., mit Schriftsatz vom 23. September 2005 mitgeteilte Rücknahme der Berufung, die "namens und im Auftrag" des Beschwerdeführers erfolgte. Nachdem der neue Bevollmächtigte des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt L., mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2005 mitgeteilt hatte, dass die Berufungsrücknahme gegen den ausdrücklichen Willen des Beschwerdeführers und ohne Ermächtigung durch diesen erfolgt war, unternahm das Landgericht Anstrengungen, die Frage der Wirksamkeit der Berufungsrücknahme zu klären, indem es Rechtsanwalt W. zur Stellungnahme aufforderte. Zu einer solchen Stellungnahme kam es nicht, da der Beschwerdeführer der Aufforderung, Rechtsanwalt W. von seiner anwaltlichen Schweigepflicht zu entbinden, nicht nachkam. Auf dieser Grundlage durfte das Landgericht von der Richtigkeit der Erklärung des Rechtsanwalts W., die Berufungsrücknahme erfolge "namens und im Auftrag" des Beschwerdeführers, ausgehen, da für das Fehlen einer Ermächtigung im Sinne des § 302 Abs. 2 StPO keine ausreichenden Anhaltspunkte vorlagen. Dabei hat das Gericht auch die Tatsache gewürdigt, dass die Berufungsrücknahme erst in einigem zeitlichen Abstand zu dem Fax-Schreiben vom 18. August 2005 erfolgt war und dieses somit nur in eingeschränkter Weise einen Anhaltspunkt für das Fehlen einer Ermächtigung darstellen konnte.

b) Das Oberlandesgericht stützt seine Entscheidung im Wesentlichen auf die Stellungnahme des Rechtsanwalts W. vom 21. November 2005. Darin erklärte Rechtsanwalt W., dass die Frage der Berufungsrücknahme mehrfach zwischen ihm und dem Beschwerdeführer besprochen worden war, auch nach Erhalt des Fax-Schreibens vom 18. August 2005. Ergebnis dieser Besprechungen sei gewesen, dass die Berufung zurückgenommen werden sollte. Diese Angaben hat das Oberlandesgericht eingehend, auch unter Heranziehung anderer Beweismittel, gewürdigt und daraus die Schlussfolgerung gezogen, dass Rechtsanwalt W. zum Zeitpunkt der Rücknahmeerklärung durch den Beschwerdeführer ausdrücklich zur Berufungsrücknahme ermächtigt war. Auch diese Würdigung ist nach dem Maßstab des Willkürverbots verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie wird zusätzlich gestützt durch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer seine Einwände erst in einigem zeitlichen Abstand zur Berufungsrücknahme geltend machte, was für eine neuerliche Willensbildung im Hinblick auf die Frage der Berufungsrücknahme und gegen das - dem Berufungsgericht im Falle einer durch den Verteidiger bereits abgegebenen Rücknahmeerklärung unverzüglich anzuzeigende (vgl. Frisch, in: Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung, 16. Aufl. 1997, § 302 Rn. 76; Meyer-Goßner, 48. Aufl. 2005, § 302 Rn. 34) - Fehlen einer Ermächtigung spricht.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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