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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 06.05.2004
Aktenzeichen: 2 BvR 1375/03
Rechtsgebiete: BVerfGG


Vorschriften:

BVerfGG § 93a Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1375/03 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 11. März 2003 - VIII R 76/02 -,

b) das Urteil des Hessischen Finanzgerichts vom 8. August 2002 - 13 K 391/02 -,

c) mittelbar gegen §§ 32 Abs. 6, 66 Abs. 1, 31 Satz 4 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2552)

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 6. Mai 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage, ob das Gesetz zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2552), das die Einführung eines Betreuungsfreibetrages vorsieht, verfassungsgemäß ist, obwohl das Kindergeld nicht entsprechend erhöht wurde.

I.

1. Die Beschwerdeführer, die zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, haben zwei in den Jahren 1995 und 1997 geborene Kinder. Im Jahr 2000 wurden ihnen Kinder- und Betreuungsfreibeträge gemäß § 32 Abs. 6 EStG nicht gewährt. Denn die so genannte Günstigerprüfung gemäß § 31 Satz 4 EStG hatte ergeben, dass die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums durch das ausgezahlte Kindergeld bewirkt worden war. Einspruch, Klage und Revision waren erfolglos.

2. Die mit der Verfassungsbeschwerde mittelbar angegriffene Neuregelung des Familienleistungsausgleichs zum 1. Januar 2000 in §§ 32 Abs. 6, 66 Abs. 1, 31 Satz 4 EStG i.d.F. des Gesetzes zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999 (BGBl I S. 2552) sah zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 10. November 1998 (vgl. BVerfGE 99, 216) die Einführung eines Betreuungsfreibetrages für Kinder unter 16 Jahren in Höhe von 3.024 DM zusätzlich zu dem Kinderfreibetrag in Höhe von - unverändert - 6.912 DM vor. Das Kindergeld wurde für erste und zweite Kinder von 250 DM im Jahr 1999 auf 270 DM zum 1. Januar 2000 angehoben, für dritte und weitere Kinder blieb es unverändert bei 300 DM bzw. 350 DM. Der Betreuungsfreibetrag wurde in die so genannte Günstigerprüfung nach § 31 Satz 4 EStG einbezogen. Dadurch erhöhte sich der Anteil derjenigen Steuerpflichtigen, bei denen die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums nicht durch das Kindergeld, sondern erst durch Abzug der Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG bewirkt wurde. Gleichzeitig wurden die meisten Familien nur durch das erhöhte Kindergeld entlastet.

3. Die Beschwerdeführer sehen sich durch die angegriffenen Regelungen in ihren Rechten aus Art. 6 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 GG verletzt. Das Bundesverfassungsgericht habe selbst entschieden, dass die Verschonung des Betreuungsbedarfs bei allen Eltern einzutreten habe. Diese Verschonung könne in einem modernen Sozialstaat aber nur durch ein ausgewogenes Verhältnis der beiden Steuerungsinstrumente (Anhebung von Freibetrag und Kindergeld) gewährleistet werden.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Annahmevoraussetzungen liegen nicht vor.

1. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die mit ihr aufgeworfenen Fragen zum Verhältnis von Freibeträgen für Kinder und Kindergeld sind durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bereits geklärt (im einzelnen unten).

2. Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zwar zulässig, aber unbegründet und hat daher keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>).

Die den angegriffenen Entscheidungen zugrunde liegende Regelung in §§ 32 Abs. 6, 66 Abs. 1, 31 Satz 4 EStG i.d.F. für das Jahr 2000 genügt den verfassungsrechtlichen Anforderungen sowohl im Hinblick auf die steuerliche Funktion (aa) als auch im Hinblick auf die Funktion des Kindergeldes als Förderung der Familie (bb).

a) aa) Das verfassungsrechtliche Gebot der steuerlichen Verschonung des Familienexistenzminimums fordert nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (zusammenfassend BVerfGE 99, 246 <259 f.> m.w.N. der ständigen Rechtsprechung), dass existenznotwendiger Aufwand in angemessener, realitätsgerechter Höhe von der Einkommensteuer freigestellt wird. Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab ist der sich aus Art. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG ergebende Grundsatz, dass der Staat dem Steuerpflichtigen sein Einkommen insoweit steuerfrei belassen muss als es zur Schaffung der Mindestvoraussetzungen für ein menschenwürdiges Dasein benötigt wird. Der existenznotwendige Bedarf bildet von Verfassungs wegen die Untergrenze für den Zugriff durch die Einkommensteuer. Art. 6 Abs. 1 GG gebietet darüber hinaus, dass bei der Besteuerung einer Familie das Existenzminimum sämtlicher Familienmitglieder steuerfrei bleiben muss.

Der Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) begründet in seiner Ausprägung als "horizontale Steuergleichheit" weitere verfassungsrechtliche Anforderungen. Er gebietet, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit gleich hoch zu besteuern. Auch Bezieher höherer Einkommen müssen je nach Einkommen gleich besteuert werden; eine verminderte Leistungsfähigkeit durch Unterhaltsverpflichtung gegenüber einem Kind muss dementsprechend bei allen Steuerpflichtigen unabhängig von ihrem individuellen Grenzsteuersatz sachgerecht berücksichtigt werden.

Die von Verfassungs wegen zu berücksichtigenden existenzsichernden Aufwendungen müssen nach dem tatsächlichen Bedarf - realitätsgerecht - bemessen werden (vgl. BVerfGE 66, 214 <223>; 68, 143 <153>; 82, 60 <88>). Dessen Untergrenze ist durch die Sozialhilfeleistungen konkretisiert, die das im Sozialstaat anerkannte Existenzminimum gewährleisten sollen, verbrauchsbezogen ermittelt und auch regelmäßig den veränderten Lebensverhältnissen angepasst werden. Mindestens das, was der Gesetzgeber dem Bedürftigen zur Befriedigung seines existenznotwendigen Bedarfs aus öffentlichen Mitteln zur Verfügung stellt, muss er auch dem Einkommensbezieher von dessen Erwerbsbezügen belassen (vgl. BVerfGE 87, 153 <171>; 91, 93 <111>; 99, 246 <260>).

Dem Gesetzgeber steht es dabei grundsätzlich frei, die kindesbedingte Minderung der Leistungsfähigkeit entweder im Steuerrecht zu berücksichtigen, ihr statt dessen im Sozialrecht durch die Gewährung eines dafür ausreichenden Kindergeldes Rechnung zu tragen oder auch eine Entlastung im Steuerrecht und eine solche durch das Kindergeld miteinander zu kombinieren (vgl. BVerfGE 82, 60 <84>; 99, 246 <265>). Die Umrechnung von Kindergeld in einen Steuerfreibetrag hat jedoch den verfassungsrechtlichen Grundsatz der horizontalen Steuergerechtigkeit zu beachten, wonach Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern sind (vgl. BVerfGE 82, 60 <89 f.>; 99, 246 <263>).

bb) Diesen Maßstäben werden die angegriffenen Entscheidungen und die mittelbar angegriffene Neuregelung des Familienleistungsausgleichs im Gesetz zur Familienförderung vom 22. Dezember 1999 gerecht.

Die Beschwerdeführer selbst machen nicht unmittelbar geltend, dass in ihrem Fall das Gebot der steuerlichen Verschonung des Familienexistenzminimums verletzt worden sei, noch sind hierfür Anhaltspunkte erkennbar. Daher kommt es im vorliegenden Verfahren nicht darauf an, ob die Freibeträge für Kinder im Streitjahr 2000 ihrer Höhe nach den Vorgaben der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügt haben. Vielmehr kann davon ausgegangen werden, dass bei den Beschwerdeführern die gebotene steuerliche Verschonung des Familienexistenzminimums über das Kindergeld bewirkt worden ist.

b) Im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine ausreichende Förderung der Familie ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Staat durch das Schutzgebot des Art. 6 Abs. 1 GG nicht gehalten, jegliche die Familie treffende Belastung auszugleichen oder die Familie ohne Rücksicht auf andere öffentliche Belange zu fördern. Die staatliche Familienförderung steht unter dem Vorbehalt des Möglichen im Sinne dessen, was der Einzelne vernünftigerweise von der Gesellschaft beanspruchen kann (vgl. BVerfGE 87, 1 <35>; stRspr). So lässt sich weder aus Art. 6 Abs. 1 GG noch etwa aus dem Sozialstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 1 GG ein Anspruch auf Erhalt von Kindergeld zur Förderung der Familie in einer bestimmten Höhe ableiten (so auch die angegriffene Entscheidung des Bundesfinanzhofs m.w.N.).

Diesen Maßstäben genügt die mittelbar angegriffene Neuregelung des Familienleistungsausgleichs. Wie der Bundesfinanzhof in der angegriffenen Entscheidung zu Recht festgestellt hat, sind die in §§ 31, 32 Abs. 6, 66 Abs. 1 EStG getroffenen Regelungen insbesondere nicht deswegen verfassungswidrig, weil der Gesetzgeber zwar mit Wirkung ab dem Jahr 2000 gemäß den Vorgaben der Entscheidung vom 10. November 1998 (vgl. BVerfGE 99, 216) einen Betreuungsfreibetrag eingeführt hat, aber das Kindergeld in § 66 Abs. 1 EStG nicht in entsprechendem Umfang, sondern nur geringfügig erhöht hat.

Denn nach der gesetzgeberischen Konzeption des Familienleistungsausgleichs dient das Kindergeld, soweit es zur steuerlichen Freistellung eines Einkommensbetrags in Höhe des Existenzminimums eines Kindes nicht erforderlich ist, der Förderung der Familie (§ 31 Satz 2 EStG), so dass allein jene Maßstäbe zur Anwendung kommen, nach denen sich ein Anspruch auf eine stärkere Erhöhung des Kindergeldes für das Jahr 2000 nicht ergibt.

Zugleich ist es von Verfassungs wegen nicht zu beanstanden, dass sich durch die Neuregelung des Familienleistungsausgleichs im Jahr 2000 der Anteil derjenigen Steuerpflichtigen erhöht hat, bei denen die gebotene steuerliche Freistellung des Existenzminimums nicht schon durch das Kindergeld, sondern erst durch Abzug der Freibeträge nach § 32 Abs. 6 EStG bewirkt wird.

Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.



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