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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 10.02.2001
Aktenzeichen: 2 BvR 1384/99
Rechtsgebiete: BverfGG, AuslG, StPO, AsylVfG, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93b
BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93a Abs. 2
AuslG § 51 Abs. 1
AuslG § 51 Abs. 3
StPO § 170 Abs. 2
AsylVfG § 78 Abs. 1
AsylVfG § 77 Abs. 1
AsylVfG § 30 Abs. 4
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 103 Abs. 1
GG Art. 16a Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1384/99 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

der türkischen Staatsangehörigen

1. K ... ,

2. K ... ,

3. K ... ,

die Beschwerdeführerin zu 3. gesetzlich vertreten durch

die Beschwerdeführer zu 1. und 2.,

- Bevollmächtigte: Rechtsanwältin Waltraut Verleih und Koll., Souchaystraße 3, 60594 Frankfurt am Main -

gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Wiesbaden vom 2. Juni 1999 - 6 E 7060/91.A(3) -

hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Sommer, Broß, Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 10. Februar 2001 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

I.

Die Beschwerdeführer, Eheleute und ihre minderjährige Tochter, sind türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit. Im Jahre 1989 stellten sie Asylanträge, die das Bundesamt für die Anerkennung ausländische Flüchtlinge ablehnte. In der Folgezeit wurde der Beschwerdeführer zu 1. durch das Amtsgericht - Schöffengericht - Mainz aufgrund der Beteiligung an der Erstürmung und Verwüstung des Türkischen Generalkonsulats in Mainz am 11. März 1992 wegen eines besonders schweren Falls des Landfriedensbruchs zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Nach einem Brandanschlag auf eine türkische Gaststätte in Wiesbaden am 4. November 1993, bei der eine Person zu Tode kam und etwa ein Dutzend weitere Personen zum Teil schwere Verletzungen erlitten, befand sich der Beschwerdeführer zu 1. wegen dringenden Tatverdachts der gemeinschaftlich begangenen besonders schweren Brandstiftung und Brandstiftung mit Todesfolge vom 10. November 1993 an mehrere Monate in Untersuchungshaft, bevor das Ermittlungsverfahren durch Verfügung der Staatsanwaltschaft Wiesbaden gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt wurde, weil - trotz fortbestehenden erheblichen Tatverdachts - ihm die Tat nicht mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit würde nachgewiesen werden können.

Das Verwaltungsgericht Wiesbaden ging im angegriffenen Urteil von einer Tatbeteiligung des Beschwerdeführers zu 1. aus und wies die erhobene Asylklage als offensichtlich unbegründet ab.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde machen die Beschwerdeführer geltend, das angegriffene Urteil verstoße gegen die Unschuldsvermutung sowie gegen das Willkürverbot und stelle eine Überraschungsentscheidung dar. Die Klagabweisung als offensichtlich unbegründet sei verfassungsrechtlich nicht haltbar.

II.

Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführer angezeigt; denn die Verfassungsbeschwerde besitzt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).

1. Das angegriffene Urteil verstößt nicht gegen die Unschuldsvermutung. Zwar wird bis zum Nachweis der Schuld des Beschuldigten seine Unschuld vermutet (vgl. BVerfGE 35, 311 <320>; 74, 358 <371>). Die Unschuldsvermutung verbietet aber nur, gegen den Beschuldigten Maßregeln zu verhängen, die in ihrer Wirkung einer Strafe oder strafähnlichen Sanktion gleichkommen, oder ihm in einer strafgerichtlichen Entscheidung Schuld zuzuweisen, ohne dass ihm in dem gesetzlich dafür vorgeschriebenen Verfahren strafrechtliche Schuld nachgewiesen worden ist (vgl. BVerfGE 82, 106 <117>). Vorliegend geht es um eine Entscheidung, die weder eine Strafe noch eine strafähnliche Maßnahme festsetzt, sondern mit ihrer Ablehnung des begehrten Flüchtlingsschutzes nach § 51 Abs. 1 AuslG an ordnungsrechtlichen Zielsetzungen orientiert ist. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden hat in dem angegriffenen Urteil unter Auswertung der beigezogenen strafrechtlichen Ermittlungsakten ausführlich dargelegt, warum es trotz der Verfahrenseinstellung nach § 170 Abs. 2 StPO der Überzeugung ist, der Beschwerdeführer zu 1. sei an dem Brandanschlag beteiligt gewesen. Hiermit setzt sich die Verfassungsbeschwerde nicht im Einzelnen auseinander. Auch der in diesem Zusammenhang erhobene Vorwurf, das Verwaltungsgericht habe nicht dargelegt, warum es den Beschwerdeführer zu 1. zum Gewalt bereiten Aktionspotenzial der PKK zählt, greift nicht durch. Das Verwaltungsgericht hat insoweit ebenfalls auf seine Auswertung der beigezogenen Straf- und Ermittlungsakten Bezug genommen, ohne dass die Beschwerdeführer dem substantiierte Einwendungen entgegensetzen.

2. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG ist gleichfalls nicht erkennbar. Die Beschwerdeführer machen insoweit geltend, angesichts der Tatsache, dass der Beschwerdeführer zu 1. zuletzt im Jahre 1993 - und damit seit sechs Jahren (bezogen auf den Urteilszeitpunkt) nicht mehr - im Rahmen einer PKK-Aktion in Erscheinung getreten sei und die PKK sich seit 1995 von gewalttätigen Aktionen distanziere, sei die Einschätzung, der Beschwerdeführer zu 1. würde bei einem erneuten Aufruf der PKK-Funktionäre wiederum Gewalt anwenden, willkürlich. Das Verwaltungsgericht hat seine Überzeugung, der Beschwerdeführer zu 1. sei weiterhin Gewalt bereit, unter Bezugnahme auf die Sitzungsniederschrift auf dessen Bekundungen gestützt, aus denen sich ergebe, dass er sich in keiner Weise kritisch mit der Rolle der PKK auseinander gesetzt oder sich gar von ihr distanziert habe. Warum diese Würdigung nicht nachvollziehbar und deshalb willkürlich sein sollte, ergibt sich aus der Begründung der Verfassungsbeschwerde nicht.

3. Die Beschwerdeführer sehen einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG darin, dass das Verwaltungsgericht den Sachverhalt, der zur Einstellung des Ermittlungsverfahrens nach § 170 Abs. 2 StPO durch die Staatsanwaltschaft geführt habe, vollständig anders bewerte als diese, ohne dass sich insbesondere der Beschwerdeführer zu 1. hierzu habe äußern können; damit habe es eine unzulässige Überraschungsentscheidung gefällt. Ein Gehörsverstoß liegt in dem Vorgehen des Verwaltungsgerichts jedoch nicht. Das Gericht ist grundsätzlich weder zu einem Rechtsgespräch noch zu einem vorherigen Hinweis auf seine Rechtsauffassung verpflichtet (vgl. BVerfGE 66, 116 <147>; 74, 1 <5>; 86, 133 <145>). Der Beschwerdeführer zu 1. musste mit einer Verwertung der beigezogenen Ermittlungs- und Strafakten durch das Verwaltungsgericht auch zu seinem Nachteil rechnen. Er hat ausweislich der Sitzungsniederschrift des Verwaltungsgerichts die Beiziehung der Akten des Strafverfahrens zum Beweis der Tatsache beantragt, dass er zunächst zum Kreis der Tatverdächtigen gezählt und später lediglich der Tatverdacht ihm gegenüber fallen gelassen worden ist. Damit war offen, welche Folgerungen das Gericht im Rahmen seiner Amtsermittlung aus den beigezogenen Akten ziehen würde.

Im Rahmen der Gehörsrüge macht der Beschwerdeführer weiter geltend, das Verwaltungsgericht habe seine Feststellung, dass das Gewalt bereite Aktionspotenzial der PKK "nach allgemeiner Ansicht" trotz des Verbots nach wie vor vorhanden sei, weder begründet noch dem Beschwerdeführer zu 1. die zugrunde liegenden Erkenntnisquellen mit Gelegenheit zur Stellungnahme bekannt gemacht. Auch diese Rüge hat keinen Erfolg. Insoweit kann weiterhin offen bleiben, ob auch allgemeinkundige Tatsachen ausdrücklich zum Gegenstand der Verhandlung gemacht werden müssen (vgl. dazu BVerfGE 10, 177 <183>; 12, 110 <112 f.>; 48, 206 <209>). Denn jedenfalls ist nicht dargelegt oder ersichtlich, dass bei Gewährung des vermissten rechtlichen Gehörs die - auf den vorliegenden Einzelfall bezogene - Feststellung des Verwaltungsgerichts, der Beschwerdeführer zu 1. gehöre zum Gewalt bereiten Aktionspotenzial der PKK, so nicht hätte getroffen werden können.

4. Die Abweisung der Asylklage als offensichtlich unbegründet verletzt schließlich nicht Art. 19 Abs. 4 und Art. 16a Abs. 1 GG.

a) Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt die Abweisung einer Asylklage als offensichtlich unbegründet mit der Folge des Ausschlusses weiterer gerichtlicher Nachprüfung (vgl. § 78 Abs. 1 AsylVfG) voraus, dass im maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 AsylVfG) an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen des Gerichts vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung (nach dem Stand von Rechtsprechung und Lehre) die Abweisung der Klage sich dem Verwaltungsgericht geradezu aufdrängt. Aus den Entscheidungsgründen muss sich klar ergeben, weshalb das Gericht zu einem Urteil nach § 78 Abs. 1 AsylVfG kommt, warum somit die Klage nicht nur als schlicht unbegründet, sondern als offensichtlich unbegründet abgewiesen worden ist (vgl. BVerfGE 65, 76 <95 f.>; 71, 276 <293 f.>).

Im Falle der Geltendmachung einer kollektiven Verfolgungssituation setzt die Abweisung der Asylklage als offensichtlich unbegründet in aller Regel voraus, dass eine gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung vorliegt. Fehlt es hieran, so kann sich die offensichtliche Unbegründetheit der Asylklage auch aus eindeutigen und widerspruchsfreien Auskünften und Stellungnahmen sachverständiger Stellen ergeben (vgl. BVerfGE 65, 76 <97>).

b) Es kann hier dahin stehen, ob das Verwaltungsgericht in der angegriffenen Entscheidung das Offensichtlichkeitsurteil im Hinblick auf die geltend gemachte kollektive Verfolgungssituation zureichend begründet hat. Den Beschwerdeführern entsteht durch die Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde insoweit jedenfalls kein besonders schwerer Nachteil (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>). Denn zum gegenwärtigen Zeitpunkt wird eine landesweite Gruppenverfolgung der Kurden in der Türkei im Hinblick auf das Bestehen einer inländischen Fluchtalternative im Westen der Türkei auch für Kurden aus den Notstandsprovinzen von einer gefestigten obergerichtlichen Rechtsprechung - unter Einschluss des hier zuständigen Hessischen Verwaltungsgerichtshofs - verneint (vgl. Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 27. Januar 1999, ESVGH 49, 160; Beschluss vom 27. Juli 1999, ESVGH 50, 77; Urteil vom 27. März 2000, nur in JURIS veröffentlicht).

c) Soweit das Verwaltungsgericht die Abweisung der Klage des Beschwerdeführers zu 1. als offensichtlich unbegründet auf § 51 Abs. 3 AuslG und § 30 Abs. 4 AsylVfG gestützt hat, wird die Heranziehung dieser Vorschriften in der Verfassungsbeschwerde nicht ausdrücklich beanstandet. Die Anwendung der genannten Vorschriften durch das Verwaltungsgericht auf den konkreten Einzelfall entspricht den in der verwaltungsgerichtlichen Praxis entwickelten Maßstäben (vgl. insbesondere BVerwGE 106, 351 <360 ff.>; 109, 1 <6 ff.>) und lässt als solche keine verfassungsrechtlich erheblichen Fehler erkennen.

Von einer weiter gehenden Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.



Ende der Entscheidung

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