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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 11.09.2001
Aktenzeichen: 2 BvR 1491/01
Rechtsgebiete: BVerfGG, StPO, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93b
BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93a Abs. 2
StPO § 359 Nr. 5
StPO § 368 Abs. 1
GG Art. 1 Abs. 1
GG Art. 2 Abs. 2 Satz 2
GG Art. 19 Abs. 4
GG Art. 20 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1491/01 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Rostock vom 25. Juli 2001 - I Ws 274 - 276/01 -,

b) den Beschluss des Landgerichts Schwerin vom 14. Mai 2001 - 33 KLs 7/01 -

und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Präsidentin Limbach und die Richter Hassemer, Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 11. September 2001 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein strafrechtliches Wiederaufnahmeverfahren.

1. Der Beschwerdeführer wurde wegen Sexualdelikten zum Nachteil seiner Tochter zu einer Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Die Feststellungen des sachverständig beratenen Erstgerichts zum Tatgeschehen beruhten auf der Zeugenaussage der Geschädigten. Das Gericht hielt die Zeugin für glaubwürdig und ihre Angaben zu den Taten für glaubhaft, weil die Zeugin ausreichend aussagetüchtig und "suggestionsresistent" sei, ihre Angaben konstant und detailliert gewesen seien, ihre Aussageweise durch emotionale Beteiligung geprägt gewesen sei und die Aussageentstehung für die Glaubwürdigkeit spreche. Dies werde durch Zeugen bestätigt, denen sich die Geschädigte offenbart habe.

2. Der Beschwerdeführer machte mit seinem Wiederaufnahmeantrag geltend, neue Zeugen könnten bekunden, dass ein weiterer Missbrauchsfall an einem See, den die Mutter der Geschädigten bei ihrer Zeugenvernehmung unter Hinweis auf den telefonischen Bericht ihrer Tochter angedeutet habe, sich tatsächlich nicht zugetragen habe. Das Landgericht verwarf diesen Wiederaufnahmeantrag als unzulässig (§§ 359 Nr. 5, 368 Abs. 1 StPO), weil diese Beweise ungeeignet seien. Das Geschehen am See zähle nicht zu den vom Erstgericht festgestellten Straftaten, es beruhe nur auf einem Zeugnis vom Hörensagen und sei nur vage erläutert worden. Am Beweisergebnis des Erstgerichts "würde der Umstand, dass die Geschädigte - bewusst oder unbewusst - ihrer Mutter in Bezug auf den Vorfall am See die Unwahrheit gesagt hat, nichts ändern". Das Oberlandesgericht verwarf die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde.

II.

Der Beschwerdeführer sieht sich in seinen Rechten aus Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 2 Satz 2, 19 Abs. 4, 20 Abs. 3, 103 Abs. 1 GG verletzt. Die Annahme, dass sogar eine Falschangabe der Geschädigten gegenüber ihrer Mutter zum Geschehen am See nichts an der Beweislage ändere, führe das Wiederaufnahmerecht "ad absurdum".

III.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

1. Das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes ist nicht verletzt. Es folgt im Wiederaufnahmeverfahren aus dem Anspruch des Verurteilten auf ein rechtsstaatliches Verfahren, der seine Grundlage in dem materiellen Freiheitsrecht in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes hat (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 7. September 1994 - 2 BvR 2093/93 -, NStZ 1995, S. 43 <44>). Das strafrechtliche Wiederaufnahmeverfahren hat die Funktion, den Konflikt zwischen den Grundsätzen der Gerechtigkeit und der Rechtssicherheit zu lösen, indem es um der Gerechtigkeit willen ausnahmsweise gestattet, die Rechtskraft von Strafurteilen zu durchbrechen (vgl. BVerfGE 22, 322 <328 f.>). Demgemäß ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Zulässigkeit des Wiederaufnahmeantrags unter Bewertung der Eignung der neuen Beweise zur Herbeiführung des Wiederaufnahmeziels geprüft wird. Dazu ist nach der fachgerichtlichen Praxis in den Fällen der §§ 359 Nr. 5, 368 Abs. 1 StPO vom Standpunkt des Erstgerichts aus zu prüfen, ob dessen Urteil bei Berücksichtigung der im Wiederaufnahmeantrag vorgebrachten neuen Tatsachen oder Beweise anders ausgefallen wäre. Das Wiederaufnahmegericht verfehlt dabei das Ziel des Wiederaufnahmeverfahrens, wenn es durch überhöhte Anforderungen an die Eignung des Wiederaufnahmevorbringens eine wesentliche Verschlechterung der Chancen des Verurteilten auf Erlangung eines gerechten Richterspruchs verursacht. Der Zweck der Eignungsprüfung, die Rechtskraft von Strafurteilen nicht durch von vornherein ungeeignete Wiederaufnahmebegehren in Frage zu stellen, rechtfertigt aber die Verwerfung des Antrags als unzulässig, wenn das Wiederaufnahmevorbringen bei Berücksichtigung der Beweisgrundlagen des Urteils und der Aktenlage als nutzlos erscheint. Erst wenn sich bei Berücksichtigung aller Umstände unzweideutig ergibt, dass rechtsstaatlich unverzichtbare Erfordernisse nicht mehr gewahrt sind, ist der Anspruch auf ein faires Verfahren verletzt (vgl. BVerfGE 57, 250 <276>).

2. Daran gemessen, sind die angegriffenen Entscheidungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Es kann im Einzelfall gegen das Gebot der Gewährung effektiven Rechtsschutzes verstoßen, wenn ein Wiederaufnahmeantrag mangels Beweiseignung als unzulässig verworfen wird, der auf den Nachweis einer Falschaussage des einzigen Tatzeugen gerichtet ist. Stellt sich nämlich die Unwahrheit eines Teils der Angaben des einzigen Tatzeugen heraus, dann darf ein Schuldspruch nicht auf den Rest seiner Aussage gestützt werden, sofern nicht gewichtige, außerhalb der konkreten Aussage liegende Gründe dafür vorliegen (vgl. BGHSt 44, 153 <159>). Insoweit gelten ähnliche Anforderungen an die Beweisgrundlagen eines Strafurteils wie beim Zeugnis vom Hörensagen (vgl. dazu BVerfGE 57, 250 <292 f.>). Dies betrifft aber nur Fälle, in denen der einzige Tatzeuge zum eigentlichen Verfahrensgegenstand bewusst die Unwahrheit sagt (vgl. BGHSt 44, 256 <257>). Nach dem Wiederaufnahmevorbringen des Beschwerdeführers ging es in seinem Fall nicht darum; eine Missbrauchstat an einem See wurde nicht abgeurteilt.

Die Annahme des Landgerichts, auch bei einer - bewusst oder unbewusst - fehlerhaften Angabe der Geschädigten gegenüber ihrer Mutter zum Missbrauchsgeschehen am See ändere sich nichts am Beweisergebnis, ist auch im Übrigen nicht zu beanstanden. Im Erstverfahren lagen neben der Zeugenaussage des Tatopfers weitere Indizien vor, die zur Absicherung herangezogen wurden. Insbesondere hatten andere Zeugen berichtet, dass sich die Geschädigte ihnen gegenüber offenbart habe. Insoweit wäre selbst bei einer Falschangabe der Geschädigten gegenüber ihrer Mutter zu einem Geschehen am See eine rechtlich tragfähige Zeugenaussage zu den abgeurteilten Taten verblieben.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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