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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 01.08.2006
Aktenzeichen: 2 BvR 1701/04
Rechtsgebiete: GG


Vorschriften:

GG Art. 2 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3
GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT IM NAMEN DES VOLKES

- 2 BvR 1701/04 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) den Beschluss des Landgerichts Mönchengladbach vom 21. Juli 2004 - 2 S 221/03 -,

b) das Urteil des Amtsgerichts Erkelenz vom 10. Oktober 2003 - 15 C 413/02 -

hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richter Di Fabio und Landau gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Absatz 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 1. August 2006 einstimmig beschlossen:

Tenor:

1. Der Beschluss des Landgerichts Mönchengladbach vom 21. Juli 2004 - 2 S 221/03 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Artikel 103 Absatz 1 des Grundgesetzes; der Beschluss wird aufgehoben.

Das Verfahren wird an das Landgericht Mönchengladbach zurückverwiesen.

2. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

3. Das Land Nordrhein-Westfalen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.

Gründe:

Der Beschwerdeführer wendet sich mit der Verfassungsbeschwerde gegen die ohne mündliche Verhandlung erfolgte Zurückweisung seiner Berufung in einem Zivilverfahren.

I.

1. Das Amtsgericht verurteilte den Beschwerdeführer zur Zahlung von 3094,88 € Mietzins. Dieser legte hiergegen Berufung ein. Das Landgericht wies ihn mit Beschluss vom 28. Januar 2004 auf seine Absicht hin, die Berufung als unbegründet im Sinne von § 522 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zurückzuweisen. Dabei führte es aus, der neue Vortrag des Beschwerdeführers, wonach es keine Bauabnahme der gemieteten Halle gegeben habe, rechtfertige keine von der amtsgerichtlichen Entscheidung abweichende Beurteilung. Nach Erwiderung des Beschwerdeführers mit Schriftsatz vom 25. Februar 2004 forderte das Landgericht den Kläger mit Verfügung vom 13. April 2004 auf, die "Abnahmebescheinigung der Baubehörde" vorzulegen. Unter dem 17. Mai 2004 bestimmte es Termin zur mündlichen Verhandlung auf den 9. Juli 2004, der am 27. Mai 2004 wegen Verhinderung des Klägervertreters auf den 23. Juli 2004 verlegt wurde. Mit Schreiben vom 21. Mai 2004 übersandte das Landgericht dem Beschwerdeführer einen Schriftsatz des Klägers vom 18. Mai 2004, mit dem dieser eine Bescheinigung über die Bauzustandsbesichtigung vorgelegt hatte, "zur Kenntnisnahme". Der Beschwerdeführer hat nach eigenen Angaben hierauf mit Schriftsatz vom 9. Juni 2004 Stellung genommen, der sich jedoch nicht in der Verfahrensakte des Landgerichts befindet.

Das Landgericht wies die Berufung mit Beschluss vom 21. Juli 2004 gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Zugleich wies es einen Prozesskostenhilfeantrag des Beschwerdeführers zurück und hob den Verhandlungstermin auf. Zur Begründung verwies es auf die angefochtene Entscheidung sowie seinen Hinweisbeschluss vom 28. Januar 2004. Nach der vorgelegten Bescheinigung über die durchgeführte Bauzustandsbesichtigung, auf die der Beschwerdeführer keine Stellung genommen habe, sei ein Kündigungs- oder Leistungsverweigerungsrecht nicht mehr ersichtlich. Seine pauschale Behauptung, bis Ende 2002 sei keine Abnahme erfolgt, sei nach Vorlage der Bescheinigung unsubstantiiert.

2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 103 Abs. 1 GG.

Das Landgericht habe die Berufung nach Bestimmung eines Verhandlungstermins nicht mehr nach § 522 ZPO zurückweisen dürfen. Es verstoße damit gegen Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG. Jedenfalls habe es vor der Zurückweisung erneut eines Hinweises mit der Möglichkeit zur Stellungnahme bedurft. Dann hätte er den fehlenden Eingang seines Schriftsatzes vom 9. Juni 2004 bemerkt. Die Verfahrensweise des Landgerichts werde Art. 103 Abs. 1 GG nicht gerecht.

Die Entscheidung habe für ihn existenzielle Bedeutung, da er wirtschaftlich nicht in der Lage sei, die Klageforderung zu begleichen. Er müsste sein Gewerbe abmelden und könnte dann seine vierköpfige Familie nicht mehr ohne Sozialleistungen ernähren.

3. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen und der Kläger des Ausgangsverfahrens hatten Gelegenheit zur Äußerung; sie haben von einer Stellungnahme abgesehen.

II.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde - soweit sie sich gegen den Beschluss des Landgerichts vom 21. Juli 2004 wendet - zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt ist (§§ 93b, 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Über die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden. Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit offensichtlich begründet im Sinne des § 93c Abs. 1 BVerfGG.

1. Der angegriffene Beschluss des Landgerichts Mönchengladbach vom 21. Juli 2004 verletzt den Beschwerdeführer in seinem Recht aus Art. 103 Abs. 1 GG.

Danach hat vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. Dabei ist es Sache des Gesetzgebers zu entscheiden, in welcher Weise das rechtliche Gehör in einem bestimmten Verfahren gewährt werden soll (vgl. BVerfGE 60, 175 <210 f.>; 89, 381 <391>). Eine Verletzung einfachrechtlicher Bestimmungen stellt dann zugleich einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dar, wenn das Gericht bei der Auslegung oder Anwendung der einfachrechtlichen Vorschriften die Bedeutung und Tragweite des Grundrechts auf rechtliches Gehör verkannt hat (vgl. BVerfGE 60, 305 <310 f.>).

So liegt es hier. Das Landgericht hat die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Das Gesetz schreibt in § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO ausdrücklich vor, dass das Gericht oder der Vorsitzende die Parteien auf die beabsichtigte Zurückweisung und die Gründe hierfür hinzuweisen und dem Berufungsführer Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben hat. Mit dem Hinweis und der Möglichkeit der Stellungnahme wird den Anforderungen des Art. 103 Abs. 1 GG genüge getan (vgl. BVerfGK 4, 83 <86>). Zwar hat das Landgericht zunächst einen entsprechenden Hinweis erteilt und eine Stellungnahme hierzu ermöglicht. Nach Erwiderung des Beschwerdeführers hat es jedoch Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt. Damit nahm es Abstand von dem Weg des § 522 Abs. 2 ZPO und ist nach § 523 Abs. 1 ZPO vorgegangen. Dieser regelt, dass Termin zur mündlichen Verhandlung zu bestimmen ist, wenn die Berufung nicht nach § 522 ZPO durch Beschluss verworfen oder zurückgewiesen wird. Unabhängig von der Frage, ob nach Terminierung überhaupt ein Wechsel zurück auf das Verfahren nach § 522 Abs. 2 ZPO zulässig ist (verneinend Wieczorek/Schütze-Gerken, ZPO, 3. Aufl., § 522 Rn. 79; a.A. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. Februar 2005, NJW 2005, S. 833 f.), hätte das Landgericht jedenfalls die dortigen, der Wahrung rechtlichen Gehörs dienenden Regelungen beachten müssen. Vorab hätte es den Beschwerdeführer daher auf seine geänderte Ansicht zur Erfolgsaussicht unter Einräumung einer Möglichkeit zur Stellungnahme hinweisen müssen. Dies ist nicht erfolgt. Erst zwei Tage vor dem zwischenzeitlich neu bestimmten Termin änderte das Landgericht nach außen erkennbar seine Auffassung und wies die Berufung ohne mündliche Verhandlung und ohne vorherigen Hinweis an den Beschwerdeführer gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurück. Damit verwehrte es dem Beschwerdeführer, sich auf die vom Gericht gewählte und für ihn überraschende Verfahrensweise einzustellen. Da ein auf der Grundlage von § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO ergangener Beschluss nicht anfechtbar ist (§ 522 Abs. 3 ZPO), konnte der Verstoß auch nicht geheilt werden. Die Möglichkeit einer Anhörungsrüge sah die seinerzeit gültige Fassung des § 321 a ZPO für Entscheidungen in der Berufungsinstanz nicht vor.

Die angegriffene Entscheidung beruht auch auf dem Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG, da nicht auszuschließen ist, dass der Beschwerdeführer auf einen entsprechenden Hinweis des Gerichts sein Vorbringen aus dem Schriftsatz vom 9. Juni 2004, der nicht zu den Verfahrensakten gelangt ist, wiederholt hätte und das Landgericht auf dieser Grundlage zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre.

2. Weil die Entscheidung schon wegen des Verstoßes gegen Art. 103 Abs. 1 GG aufzuheben war, kam es auf eine Prüfung der weiteren Rügen des Beschwerdeführers nicht an.

3. Dagegen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen, soweit sie sich gegen das Urteil des Amtsgerichts Erkelenz vom 10. Oktober 2003 richtet. Insoweit wurde die Verfassungsbeschwerde nicht in zulässiger Weise erhoben, weil sie den Substantiierungserfordernissen der § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG nicht entspricht. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

4. Die Entscheidung über die Aufhebung und Zurückverweisung beruht auf § 95 Abs. 2 BVerfGG.

Die Verfassungsbeschwerde hat im Wesentlichen Erfolg. Gemäß § 34a Abs. 2 BVerfGG waren deshalb die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers dem Land Nordrhein-Westfalen aufzuerlegen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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