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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 22.10.2003
Aktenzeichen: 2 BvR 1784/03
Rechtsgebiete: BVerfGG, StPO, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93b
BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93a Abs. 2
StPO § 154 Abs. 2
StPO § 264
GG Art. 103 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1784/03 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Landgerichts Mühlhausen vom 25. September 2003 - 350 Js 41163/95-8 KLs -,

b) den Beschluss des Landgerichts Mühlhausen vom 25. August 2003 - 350 Js 41163/95-8 KLs -

und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 22. Oktober 2003 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe:

Der Beschwerdeführer begehrt die Einstellung eines laufenden Strafverfahrens, weil wegen derselben prozessualen Tat bereits ein weiteres Strafverfahren nach § 154 Abs. 2 StPO eingestellt worden sei.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen sind entschieden (§ 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung der Rechte des Beschwerdeführers angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG); denn die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <24 ff.>).

I. 1. Das Landgericht (8. Strafkammer) verhandelt seit August 2002 auf Grund dreier verbundener Anklagen gegen den Beschwerdeführer. Gegenstand des Tatvorwurfs ist unter anderem der Verdacht, der Beschwerdeführer habe als faktischer Geschäftsführer eines Joint-Ventures, das von einer weiteren Gesellschaft des Beschwerdeführers ein CD-Werk erstellen ließ, erfolgreich überhöhte Investitionszuschüsse des Staates beantragen lassen. In dem Wissen, dass die Förderung prozentual erfolge, habe er das Investitionsvolumen falsch angegeben.

Nach der Eröffnung des Hauptverfahrens erhob die Staatsanwaltschaft eine weitere Anklage im Zusammenhang mit der Errichtung des CD-Werks. Der Beschwerdeführer habe Rechnungen für Leistungen, die nicht im Zusammenhang mit dem CD-Werk gestanden hätten, über dieses abgerechnet, und damit die Banken, die den Bau zu 100 Prozent finanziert hatten, geschädigt. Dieses Verfahren hat das Landgericht (6. Strafkammer) nach § 154 Abs. 2 StPO im Hinblick auf die im anderen Verfahren zu erwartende Strafe und auf eine bereits rechtskräftige mehrjährige Freiheitsstrafe eingestellt.

Die 8. Strafkammer beabsichtigt nunmehr, Beweis darüber zu erheben, ob die Rechnungen, die in der Anklageschrift des zwischenzeitlich eingestellten Verfahrens aufgeführt waren, tatsächlich keine dem subventionierten Bauvorhaben zugute gekommenen Leistungen enthielten. Hierauf beantragte der Beschwerdeführer die Einstellung des Verfahrens vor der 8. Strafkammer, weil die darin genannte prozessuale Tat bereits Gegenstand des eingestellten Verfahrens vor der 6. Strafkammer gewesen sei. Es gehe jeweils um den angeblich mit der Werkserrichtung erzielten überhöhten Gewinn, der durch Irrtumserregung bei den Banken, Bürgen und Subventionsgebern über den tatsächlichen Wert der Ausrüstungen und die angebliche Einbeziehung nicht zum Vorhaben gehörender Rechnungen erzielt worden sei. Die Strafkammer lehnte die Verfahrenseinstellung ab, weil es sich nicht um dieselbe prozessuale Tat handele.

2. Hiergegen wendet sich der Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde. Zwar handele es sich jeweils um nicht isoliert anfechtbare Zwischenentscheidungen, es sei ihm jedoch nicht zuzumuten, den Abschluss des fachgerichtlichen Verfahrens, der derzeit nicht absehbar sei, abzuwarten.

Die Beschlüsse verletzten ihn in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 3 GG, weil über den Lebenssachverhalt, der nunmehr in das Verfahren einbezogen werden solle, bereits durch die 6. Strafkammer abschließend entschieden worden sei. Dort sei es auf Grund eines einheitlichen Sachverhalts um einen Kreditbetrug gegangen, hier gehe es um einen Subventionsbetrug. Es komme auch nicht darauf an, dass die Tathandlungen und die Geschädigten unterschiedlich seien, weil der Begriff der Tat im Sinne des § 264 StPO den gesamten Lebenssachverhalt, einschließlich aller damit zusammenhängenden Vorkommnisse, umfasse.

II. Der Beschwerdeführer ist hierdurch nicht in seinem grundrechtsgleichen Recht aus Art. 103 Abs. 3 GG verletzt. Durch Art. 103 Abs. 3 GG ist das Verbot, eine verbrauchte Strafklage zu wiederholen, zum Rang eines Verfassungsrechtssatzes erhoben worden. Er garantiert dem schon bestraften oder rechtskräftig freigesprochenen Täter grundsätzlich Schutz gegen erneute Verfolgung und Bestrafung wegen derselben Tat (vgl. BVerfGE 12, 62 <66>). Ob eine Verfahrenseinstellung nach § 154 Abs. 2 StPO die Strafklage ebenso wie ein Sachurteil verbraucht (vgl. Schmidt-Aßmann, in: Maunz/Dürig, Art. 103 Abs. 3 GG, Rn. 296) und deswegen einer erneuten Rechtshängigkeit in einem anderen Verfahren entgegensteht, bedarf hier keiner Entscheidung, weil der der Verfahrenseinstellung zu Grunde liegende Tatvorwurf nicht die Tat umfasst, über die vor der 8. Strafkammer verhandelt werden soll.

1. Das Grundgesetz enthält keine Definition des Tatbegriffs. Das in Art. 103 Abs. 3 GG enthaltene Doppelbestrafungsverbot nimmt insoweit auf einen Grundsatz des vorverfassungsrechtlichen Prozessrechts Bezug, den der Verfassungsgeber absichern und einer erschwerten Änderung unterwerfen wollte (Art. 79 Abs. 1 und 2 GG). Das Grundgesetz geht somit von einem prozessualen Tatbegriff aus, wie er im vorverfassungsrechtlichen Gesamtbild des Prozessrechts, insbesondere in der Rechtsprechung, Geltung besaß. Dieser Begriff stellt auf einen nach natürlicher Auffassung zu beurteilenden einheitlichen Lebensvorgang ab (vgl. RGSt 56, 324 <325>; 61, 236 <237>; 62, 130 f.; 65, 106 <109 f.>; 72, 339 <340>). "Tat" in diesem Sinne ist der geschichtliche - und damit zeitlich und sachverhaltlich begrenzte - Vorgang, auf welchen Anklage und Eröffnungsbeschluss hinweisen und innerhalb dessen der Angeklagte als Täter oder Teilnehmer einen Straftatbestand verwirklicht haben soll (BVerfGE 23, 191 <202>; 45, 434 <435>; 56, 22 <27 f.>).

2. Die in beiden gegen den Beschwerdeführer gerichteten Strafverfahren enthaltenen Tatvorwürfe betreffen nicht dieselbe Tat im Sinne des Art. 103 Abs. 3 GG. Im zwischenzeitlich eingestellten Verfahren lag dem Beschwerdeführer ein Betrug zum Nachteil der Banken zur Last, die den Bau des CD-Werks vollständig finanzierten. Tathandlung war dort die Täuschung über die zweckwidrige Verwendung des ausgezahlten Darlehens. Tathandlung des anhängigen Verfahrens ist die Täuschung der subventionsgewährenden Stelle über den Umfang der Investitionsleistungen, um eine höhere Subvention zu erlangen. Zwar beruht die Täuschung jeweils auf einer falschen Kalkulation oder Abrechnung eines einheitlichen Bauvorhabens. Strafrechtlich relevant wird die falsche Abrechnung jedoch erst in dem Zeitpunkt, in dem sie dem Geschädigten vorgelegt oder ihm gegenüber verwendet wird. Auf Grund der unterschiedlichen vertraglichen Beziehungen waren jeweils gesonderte Tathandlungen erforderlich. Mit der nunmehr beabsichtigten Beweisaufnahme über die Rechtmäßigkeit der einzelnen Rechnungen wird auch nicht über die eingestellte Tat neu verhandelt. Die Beweisaufnahme soll lediglich klären, in welchem Umfang das vom Beschwerdeführer gegenüber den Subventionsbehörden angegebene Investitionsvolumen den tatsächlichen Investitionsbedarf überstiegen hat. Es handelt sich insoweit um eine in beiden Verfahren parallel erforderliche Beweisaufnahme. Die 8. Strafkammer beabsichtigt nicht zu prüfen, ob der Beschwerdeführer wegen eines Betrugs zum Nachteil der Banken zu verurteilen ist. Durch diese Bewertung wird kein einheitlicher Lebenssachverhalt unnatürlich aufgespalten.

Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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