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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 08.02.2002
Aktenzeichen: 2 BvR 1809/01
Rechtsgebiete: ZPO, BVerfGG, AsylVfG, GG


Vorschriften:

ZPO § 114
BVerfGG § 93b
BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93a Abs. 2
AsylVfG § 10 Abs. 7
AsylVfG § 10 Abs. 4
AsylVfG § 10 Abs. 4 Satz 2
AsylVfG § 10 Abs. 4 Satz 4
AsylVfG § 10 Abs. 4 Satz 3
AsylVfG § 10 Abs. 4 Satz 4 2. Halbsatz
GG Art. 19 Abs. 4
GG Art. 3 Abs. 1
GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 1809/01 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 13. September 2001 - 1 L 313/01 -,

b) das Urteil des Verwaltungsgerichts Magdeburg vom 6. Juli 2001 - 4 A 83/00 MD -

und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

und Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung des Rechtsanwaltes Gemeinhardt

hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richter Sommer, Broß, Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 8. Februar 2002 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung von Rechtsanwalt Gemeinhardt als Prozessbevollmächtigten wird abgelehnt.

Gründe:

I.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft Fragen der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 60 VwGO) und der Zustellungsfiktion nach § 10 Abs. 4 Satz 4 2. Halbsatz AsylVfG.

1. Der Beschwerdeführer, nach eigenen Angaben irakischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit aus dem Zentralirak, wendet sich dagegen, dass seine Asylklage als unzulässig abgewiesen und ihm keine Wiedereinsetzung gewährt wurde. Der den Beschwerdeführer betreffende Ablehnungsbescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge ging am 4. Februar 2000 bei der Aufnahmeeinrichtung ein, wo vom 4. bis 8. Februar 2000 (Freitag bis Dienstag) ein Aushang auf den Bescheideingang hinwies. In der Aufnahmeeinrichtung werden die Postausgabe- und Postverteilungszeiten in jedem Unterkunftshaus per Aushang in deutscher, englischer und französischer Sprache bekannt gemacht. Die Ausgabe der Bescheide erfolgt getrennt von der übrigen Post. Der Beschwerdeführer holte den Bescheid bis zum 8. Februar 2000 nicht ab, woraufhin dieser am 9. Februar 2000 an das Bundesamt zurückgesandt wurde. Am 23. Februar 2000 erkundigte sich der Beschwerdeführer dort nach dem Stand seines Verfahrens und erhielt eine Bescheidkopie ausgehändigt. Am 29. Februar 2000 erhob der Beschwerdeführer Klage und beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist. Eidesstattlich versicherte er, dass er in der Aufnahmeeinrichtung jeden Tag zwischen dem 1. und 23. Februar 2000 vergeblich an der Postausgabestelle nach für ihn eingegangener Post gefragt habe. Bereits am 17. Februar 2000 habe er sich an die Außenstelle des Bundesamtes gewandt, dort jedoch die Antwort erhalten, ein Bescheid liege nicht vor. Zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags machte der Beschwerdeführer geltend, dass der Bescheid schon nicht wirksam zugestellt worden sei. Die Zustellungsfiktion nach § 10 Abs. 4 Satz 4 2. Halbsatz AsylVfG greife nicht ein, weil die Postausgabe- und -verteilungszeiten nicht gemäß § 10 Abs. 4 Satz 2 AsylVfG durch Aushang bekannt gemacht worden seien. Der Aushang in deutscher, englischer und französischer Sprache sei erkennbar nicht geeignet, den allein Arabisch sprechenden Beschwerdeführer ausreichend zu informieren. Daneben hätte der Aushang nicht nur vom 4. bis 8. Februar 2000 erfolgen dürfen. Zum einen liege in diesem Zeitraum ein Wochenende und zum anderen müsse der Aushang während der gesamten Dauer der Rechtsbehelfsfrist erfolgen. Durch die täglichen Nachfragen bei der Postausgabestelle habe der Beschwerdeführer seinen Mitwirkungspflichten genügt. Die Versäumung der Klagefrist sei daher unverschuldet.

Das Verwaltungsgericht wies die Klage als unzulässig, da verfristet, ab. Der Beschwerdeführer sei ordnungsgemäß entsprechend § 10 Abs. 7 AsylVfG über die Zustellungsvorschriften in arabischer Sprache belehrt worden. Soweit er eidesstattlich versichere, sich in der Zeit vom 1. bis 23. Februar 2000 nach Post erkundigt zu haben, habe er dies an der falschen Stelle, nämlich der für die Vergabe der privaten Post zuständigen, getan. Nach Ablauf der Aushängefrist habe er sich erst am 23. Februar 2000 erkundigt und es damit schuldhaft versäumt, sich rechtzeitig zu erkundigen.

Den Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte das Oberverwaltungsgericht ab.

2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung von Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 und 2, 3 Abs. 1, 19 Abs. 4, 20 Abs. 3 und 103 Abs. 1 GG. Die angegriffenen Entscheidungen verletzten die Rechtsschutzgarantie aus Art. 19 Abs. 4 GG, weil sie die Klage des Beschwerdeführers aufgrund verfassungswidriger Auslegung verfahrensrechtlicher Vorschriften als unzulässig abgewiesen hätten. Die Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 4 AsylVfG könne nur eingreifen, wenn der Bundesamtsbescheid während der gesamten Rechtsmittelfrist bekannt gegeben werde. Die Zustellungsfiktion könne erst recht nicht eingreifen, wenn der Bescheid - wie vorliegend - lediglich an zwei Werktagen bekannt gegeben worden sei. Bei der Drei-Tage-Frist des § 10 Abs. 4 Satz 4 2. Halbsatz AsylVfG dürften Feiertage, Samstage und Sonntage nicht eingerechnet werden. Die Fiktion der Zustellung setze zudem voraus, dass die Postausgabe- und Postverteilungszeiten für jeden Werktag in der Sprache des Asylbewerbers bekannt gemacht würden. Die Belehrung des Bundesamtes, wonach sich der Asylbewerber in der Aufnahmeeinrichtung nach Ort und Zeitpunkt der Verteilung der behördlichen Post erkundigen müsse, entspreche nicht der Rechtslage. Der Beschwerdeführer sei vorliegend nicht nur über die Postausgabe- und Postverteilungszeiten nicht informiert worden, sondern auch nicht über die Trennung der Ausgabe von privater und behördlicher Post. Unter Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG sei dem Beschwerdeführer in willkürlicher und gleichheitswidriger Weise nicht geglaubt worden, dass er sich schon am 17. Februar 2000 beim Bundesamt vergeblich nach seinem Bescheid erkundigt habe. Insoweit habe das Verwaltungsgericht auch ein gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßendes Überraschungsurteil gefällt.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, da die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen. Sie besitzt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).

1. Eine Verletzung des Art. 19 Abs. 4 GG durch die Klageabweisung als unzulässig ist nicht erkennbar.

Das Verwaltungsgericht hat die Zustellungsvorschrift des § 10 Abs. 4 AsylVfG nicht in verfassungsrechtlich zu beanstandender Weise ausgelegt und angewandt.

Dass das zuzustellende Schriftstück während der gesamten Rechtsmittelfrist von der Aufnahmeeinrichtung bereitzuhalten wäre, um die Zustellungsfiktion des § 10 Abs. 4 Satz 4 AsylVfG auszulösen, lässt sich dem Wortlaut der Vorschrift nicht entnehmen. Bemerkt der Asylbewerber während der Drei-Tages-Frist die Bekanntmachung des Eingangs eines ihm zuzustellenden Schriftstücks nicht, geht auch nicht der ihm zustehende gerichtliche Rechtsschutz verloren. So kann er immer noch durch Nachfrage bei der Aufnahmeeinrichtung oder beim Bundesamt rechtzeitig Kenntnis vom Bescheid erlangen, auch steht ihm für den Fall, dass er in unverschuldeter Weise keine Kenntnis vom Bundesamtsbescheid erhalten hat, die Möglichkeit der Wiedereinsetzung offen (vgl. Hessischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 30. Oktober 1997, AuAS 1998, S. 44 <45 f.>).

Die Frage, ob bei der Drei-Tages-Frist Feiertage, Samstage und Sonntage auszuklammern sind, ist vorliegend nicht entscheidungserheblich, da der Bescheid für den Beschwerdeführer vom 4. bis 8. Februar 2000 bereitgehalten wurde und in diesen Zeitraum drei Werktage fallen.

Auch verlangt § 10 Abs. 4 AsylVfG keine Information des Asylbewerbers über Postausgabe- und -verteilungszeiten in dessen Sprache. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn der Aushang nicht in allen Sprachen, die den Bewohnern der Aufnahmeeinrichtung geläufig sind, abgefasst wurde (so auch Hailbronner, AuslR, § 10 Rn. 85, und Renner, AuslR, 7. Auflage, § 10 AsylVfG Rn. 20). Durch den mehrsprachigen Aushang hat vorliegend die Aufnahmeeinrichtung das in verfassungsrechtlicher Hinsicht Geforderte jedenfalls erfüllt. Denn es kann jedem einer Aufnahmeeinrichtung zugewiesenen Asylbewerber, der, wie vorliegend, über die besonderen Zustellungsvorschriften in Aufnahmeeinrichtungen und insbesondere über seine Verpflichtung, sich über Zeit und Ort der Ausgabe behördlicher Post zu erkundigen, ordnungsgemäß in seiner Sprache belehrt wurde, zugemutet werden, sich mit dem Inhalt eines solchen Aushangs vertraut zu machen. Mehr noch als sonst im Asylverfahren gilt für einen in einer Aufnahmeeinrichtung Untergebrachten, dass der Sinn seines Aufenthaltsrechts allein in der Klärung der Asylberechtigung liegt und der Aufenthalt nicht mehr als ein Warten auf den Bundesamtsbescheid ist (vgl. BVerfGE 60, 253 <294>). Dass Asylbewerber, wenn sie in einer Aufnahmeeinrichtung wohnen, sich danach erkundigen müssen, wann und wo die behördliche Post verteilt wird, ist Teil ihrer Verpflichtung nach § 10 Abs. 4 Satz 3 AsylVfG, sicherzustellen, dass Posteingänge während der Postausgabe- und -verteilungszeiten in der Aufnahmeeinrichtung ausgehändigt werden können. Diese Sicherstellung der Erreichbarkeit fordert vom Asylbewerber auch, sich darüber zu informieren, wann und wo die behördliche Post ausgegeben und verteilt wird, insbesondere die Bescheide des Bundesamtes. Auch hierüber wurde der Beschwerdeführer ausweislich der beigezogenen Akten des Bundesamtes bei der Asylantragstellung in arabischer Sprache belehrt.

2. Die Rüge des Beschwerdeführers, die von ihm eidesstattlich versicherte Nachfrage beim Bundesamt nach seinem Bescheid am 17. Februar 2000 sei ihm in willkürlicher Weise nicht geglaubt und daher eine Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG versagt worden, hat ebenfalls keinen Erfolg. Das Verwaltungsgericht hat den Vortrag des Beschwerdeführers, er habe am 17. Februar 2000 beim Bundesamt vorgesprochen und dort eine fehlerhafte Auskunft zum Stand seines Asylverfahrens erhalten, im Tatbestand des angegriffenen Urteils erwähnt, aber nicht ausdrücklich in den Entscheidungsgründen seines Urteils gewürdigt. Es ist jedoch nicht ersichtlich, dass die Entscheidung auf den geltend gemachten Grundrechtsverstößen beruhen könnte. Das Verwaltungsgericht hat seine Einschätzung, der Beschwerdeführer habe schuldhaft die Klagefrist nicht eingehalten, darauf gestützt, dass er trotz entsprechender Belehrung, sich nicht bei der Stelle nach Post erkundigt habe, die die Bundesamtsbescheide ausgibt. Auch wenn er sich am 17. Februar 2000 beim Bundesamt erkundigt und dort eine falsche Auskunft erhalten hat, durfte das Verwaltungsgericht nach dem Stand von Rechtsprechung und Literatur (vgl. BVerwGE 6, 161 <162>; 55, 61 <65>; Kopp/Schenke, VwGO, 12. Auflage, § 60 Rn. 9; Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Auflage, § 60 Rn. 4) davon ausgehen, dass das etwaige Mitverschulden der Behörde nichts an der schuldhaften Fristversäumnis durch den Beschwerdeführer ändern würde und daher sein diesbezügliches Vorbringen als unerheblich außer Betracht lassen. Denn bei der Frage, ob die Versäumung der Fristwahrung auf Verschulden beruht, ist danach von der tatsächlichen Ursache der Säumnis und von einer diese Ursache etwa überholenden neuen Ursache auszugehen.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommt mangels hinreichender Erfolgsaussicht der Verfassungsbeschwerde entsprechend § 114 ZPO nicht in Betracht (vgl. BVerfGE 1, 109 <112>).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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