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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 08.04.2004
Aktenzeichen: 2 BvR 2224/03
Rechtsgebiete: BVerfGG, StPO


Vorschriften:

BVerfGG § 93b
BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93a Abs. 2
StPO § 94 Abs. 2
StPO § 98 Abs. 2 Satz 2
StPO § 102
StPO § 103
StPO § 105 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 2224/03 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen a) den Beschluss des Landgerichts Kleve vom 3. Dezember 2003 - 226 Qs (49/03) -,

b) den Beschluss des Amtsgerichts Rheinberg vom 30. Dezember 2002 - 4 Gs (332/02) -

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 8. April 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Sie hat keine Aussicht auf Erfolg.

Notwendiger und grundsätzlich auch hinreichender Eingriffsanlass für Zwangsmaßnahmen im Strafverfahren ist der Verdacht einer Straftat. Diesen Verdacht hat der für die vorherige Gestattung des behördlichen Eingriffs oder dessen nachträgliche Kontrolle zuständige Richter eigenverantwortlich zu prüfen und dabei die Interessen des Betroffenen angemessen zu berücksichtigen (vgl. BVerfGE 103, 142 <151>). Der Anfangsverdacht als Eingriffsvoraussetzung im Sinne des § 94 Abs. 2 StPO muss eine Tatsachengrundlage haben, aus der sich die Möglichkeit der Tatbegehung durch den Beschuldigten ergibt, ohne dass es auf eine erhöhte Wahrscheinlichkeit ankommt; eine bloße Vermutung würde nicht ausreichen (vgl. BVerfGE 44, 353 <381 f.>; 59, 95 <97 f.>). Andererseits muss sich aus den Umständen, die den Anfangsverdacht begründen, nicht eine genaue Tatkonkretisierung ergeben. Ein Eingreifen des Bundesverfassungsgerichts ist nur geboten, wenn die Auslegung und Anwendung der einfach-rechtlichen Bestimmungen über die prozessualen Voraussetzungen des Verdachts (§§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO) als Anlass für die strafprozessuale Zwangsmaßnahme und die strafrechtliche Bewertung der Verdachtsgründe objektiv willkürlich sind oder Fehler erkennen lassen, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Anschauung der Grundrechte des Beschwerdeführers beruhen (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 ff.> und stRspr).

Gemessen daran liegt dem amtsgerichtlichen Durchsuchungsbeschluss eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Verdachtsannahme zu Grunde. Der Anfangsverdacht war durch konkrete Tatsachen belegt. Eine im Internet verkaufte Foto-CD mit Kinderbildern, die durch e-mail-Adresse und Bankverbindung dem Beschwerdeführer zugerechnet werden konnte, kann Grundlage eines Anfangsverdachts für das Verbreiten kinderpornografischer Schriften sein. Dass sich allein mit den vorhandenen Anhaltspunkten dieser Vorwurf nicht zwingend beweisen ließ, sondern sich aus ihnen nur die Möglichkeit einer entsprechenden Tatbegehung ergibt, liegt in der Natur des Anfangsverdachts. Das Ergebnis der Beurteilung der tatsächlichen Anhaltspunkte entzieht sich einer Überprüfung durch das Bundesverfassungsgericht, denn es hat nicht seine eigene Wertung nach Art eines Rechtsmittelgerichts an die Stelle derjenigen des zuständigen Richters zu setzen. Ob in jeder Hinsicht eine zutreffende Gewichtung vorgenommen wurde oder ob eine andere Beurteilung näher gelegen hätte, unterfällt nicht seiner Entscheidung (vgl. BVerfGE 95, 96 <141>).

Tatvorwurf und die zu suchenden Beweismittel waren im Durchsuchungsbeschluss hinreichend konkret umschrieben. Das gilt auch für die Bezeichnung des Durchsuchungsorts. Die Durchsuchungsgestattung war ausdrücklich auf § 102 StPO (Durchsuchung beim Verdächtigen) und nicht auf § 103 StPO (Durchsuchung bei anderen Personen) gestützt. Eine Begrenzung des Durchsuchungsorts auf das Zimmer des Beschwerdeführers war von Verfassungs wegen nicht geboten. Die konkreten Verhältnisse vor Ort sind dem die Durchsuchung anordnenden Richter regelmäßig nicht bekannt. Eine Eingrenzung ist daher oft nicht möglich, gerade in Fällen, in denen mehrere Personen unter einem Dach wohnen. Die Frage, ob eine Ausdehnung der Suche auf die Zimmer der Familienangehörigen durch den Durchsuchungsbeschluss gedeckt gewesen wäre, stellt sich nicht, weil die Durchsuchungsbeamten die Privatsphäre der anderen Familienmitglieder beachtet haben.

Soweit der Beschwerdeführer rügt, ihm sei es nicht möglich gewesen, Durchsuchungszeugen heranzuziehen, ist die Art und Weise der Durchsuchung betroffen. Sie kann entsprechend § 98 Abs. 2 Satz 2 StPO durch nachträgliche Anrufung des Gerichts beanstandet werden (vgl. BGHSt 45, 183 ff.). Dazu fehlt eine erstinstanzliche Entscheidung des Ermittlungsrichters. Im Übrigen hat sich das Landgericht durch Einholung einer dienstlichen Stellungnahme der Durchsuchungsbeamten mit § 105 Abs. 2 StPO auseinander gesetzt.

Die Rüge, die Durchsuchung sei verspätet vollzogen worden, ist nicht hinreichend substantiiert begründet worden. Zwar kann längerer Zeitablauf dazu führen, dass die Vollziehung der Maßnahme nicht mehr durch eine richterliche Gestattung gedeckt ist; denn mit fortschreitendem Zeitablauf entfernt sich die tatsächliche Entscheidungsgrundlage von dem Entscheidungsinhalt, den der Richter verantwortet (vgl. BVerfGE 96, 44 <52>). Ein schwindendes Ahndungsbedürfnis für die Straftat infolge Zeitablaufs kann zudem die Angemessenheit der Zwangsmaßnahme entfallen lassen. Wie lange deshalb ein richterlicher Beschluss die Durchführung der Maßnahme trägt, richtet sich nach der Art des Tatverdachts, der Schwierigkeit der Ermittlungen, ferner nach der Dauerhaftigkeit der tatsächlichen Grundlagen für die Beurteilung der Erforderlichkeit und Zumutbarkeit der Durchsuchung (vgl. BVerfGE 96, 44 <53 f.>). Spätestens nach Ablauf eines halben Jahres ist davon auszugehen, dass die richterliche Prüfung nicht mehr die rechtlichen Grundlagen einer beabsichtigten Durchsuchung gewährleistet und die richterliche Anordnung nicht mehr den Rahmen, die Grenzen und den Zweck der Durchsuchung im Sinne eines effektiven Rechtsschutzes zu sichern vermag (BVerfGE 96, 44 <54>).

Der Beschwerdeführer hat nicht substantiiert vorgetragen, ob und in welchem Umfang er dem hierzu berufenen Landgericht die Vorprüfung des mit der Verfassungsbeschwerde vorgetragenen Beschwerdepunkts ermöglicht hat (vgl. BVerfGE 77, 381 <401>). Dem Bundesverfassungsgericht soll ein bereits eingehend geprüftes Tatsachenmaterial vorgelegt und die Fallanschauung der Fachgerichte vermittelt werden (vgl. BVerfGE 86, 382 <386 f.>). Der Grundsatz der Subsidiarität verlangt, dass ein Beschwerdeführer - über das Gebot der Rechtswegerschöpfung im engeren Sinne hinaus - auch alle sonstigen prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen hat, die eine Korrektur der geltend gemachten Grundrechtsverletzungen versprechen (vgl. BVerfGE 95, 163 <171>). Daran fehlt es, wenn im fachgerichtlichen Verfahren ein für maßgeblich erachteter Umstand nicht vorgetragen wurde. Im vorliegenden Verfahren hat der Beschwerdeführer weder die Beschwerde gegen den angegriffenen amtsgerichtlichen Beschluss vorgelegt noch die Beschwerdegründe inhaltlich mitgeteilt.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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