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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 14.04.2004
Aktenzeichen: 2 BvR 2225/03
Rechtsgebiete: BVerfGG


Vorschriften:

BVerfGG § 93b
BVerfGG § 93a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 2225/03 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 14. November 2003 - 2 Ws 303/03 -

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 14. April 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde rügt die Entscheidung über zugleich vorgetragene Ablehnungsgesuche, die alle Richter eines Spruchkörpers betreffen und deren Ablehnungsgründe zueinander in Verbindung stehen.

I.

Der Beschwerdeführer verbüßt eine Freiheitsstrafe. In einem Verfahren vor der Strafvollstreckungskammer lehnte er mit zwei nacheinander angebrachten Gesuchen jeweils den Vorsitzenden und mit einem weiteren alle drei Richter wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Er lastete den Richtern absichtliche Verfahrensverzögerungen an. Das letzte Gesuch stützte er zudem auf die Mitwirkung der Richter an einem Beschluss, für den sie unzuständig gewesen seien.

Die Strafvollstreckungskammer wies - besetzt mit drei anderen Richtern - alle Ablehnungsgesuche durch eine gemeinsame Entscheidung zurück.

Die dagegen gerichtete sofortige Beschwerde verwarf das Hanseatische Oberlandesgericht mit dem angegriffenen Beschluss. Entgegen dem Beschwerdevorbringen sei eine einheitliche Entscheidung auf die zugleich gegen mehrere Richter gerichteten Ablehnungsgesuche sachgerecht und daher veranlasst gewesen, weil die Ablehnungsgründe zueinander in Verbindung gestanden hätten. Nacheinander auf die einzelnen abgelehnten Richter gerichtete Entscheidungen hätten zu langdauernden und umständlichen Zwischenverfahren geführt und unter Umständen auch zu unterschiedlichen Entscheidungen über gleiche oder ähnliche Befangenheitsfragen. Zudem sei die Reihenfolge der Entscheidungen nicht sachgerecht zu lösen. Auch die beiden vorausgehenden, allein gegen den Vorsitzenden gerichteten Ablehnungsgesuche seien mit den weiteren gegen alle drei Richter gerichteten zu einer verfahrensmäßigen Einheit verklammert worden. Die Ablehnungsgesuche seien unbegründet.

II.

Der Beschwerdeführer meint, der angegriffene Beschluss verletze sein Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 GG). Die gemeinsame Entscheidung über mehrere Ablehnungsgesuche ermögliche die Manipulation der Kammerbesetzung, die über die Gesuche entscheide. Die Kammer hätte bei Beachtung des Art. 101 GG zunächst über das gegen den Vorsitzenden gerichtete Gesuch entscheiden müssen, dann über die später eingereichten Gesuche. Geringe Verfahrensverzögerungen bei einem solchen Vorgehen könnten ein Abweichen von Art. 101 GG nicht rechtfertigen.

III.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund nicht gegeben ist (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Ihr kommt grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zu, und sie dient auch nicht der Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten des Beschwerdeführers. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.

Ein Gericht kann durch seine Entscheidung das grundrechtsgleiche Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) verletzen, wenn diese willkürlich ist. Durch einen bloßen Verfahrensirrtum (error in procedendo) wird der gesetzliche Richter jedoch nicht entzogen (vgl. BVerfGE 3, 359 <364 f.>; stRspr, zuletzt: BVerfGE 96, 68 <77>; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 20. Februar 1995 - 2 BvR 1406/94 -, NJW 1995, S. 2914). Ob die Maßnahme oder Entscheidung eines Gerichts auf Willkür beruht, ist nach den besonderen Umständen des Einzelfalles zu beurteilen. Von Willkür kann nicht schon bei jeder fehlerhaften Anwendung einer Zuständigkeits- oder Verfahrensnorm des einfachen Rechts die Rede sein, sondern nur, wenn die Entscheidung sich so weit von dem sie beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters entfernt hat, dass sie nicht mehr zu rechtfertigen ist, weil sie nicht mehr verständlich und offensichtlich unhaltbar erscheint und die Bedeutung und Tragweite des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG daher grundlegend verkannt worden ist (vgl. BVerfGE 29, 45 <49>; 29, 198 <207>; 31, 145 <164>; 58, 1 <44 f.>; 82, 159 <194>; 82, 286 <299>; 87, 282 <284 f.>). Diese Grundsätze gelten bei der Anwendung nicht nur von Zuständigkeitsnormen, sondern auch von Bestimmungen über die Entscheidung über Ablehnungsgesuche (vgl. BVerfGE 31, 145 <164>; 37, 67 <75>).

Danach verletzt die angegriffene Entscheidung das Recht des Beschwerdeführers aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht, denn sie erweist sich als nicht willkürlich. In welcher Reihenfolge auf mehrere Ablehnungsgesuche zu entscheiden ist, die sich gegen verschiedene Richter eines Spruchkörpers richten, ist für die hier fragliche Konstellation umstritten. Einigkeit herrscht darüber, dass mehrere nacheinander angebrachte und auf unterschiedliche Gesichtspunkte gestützte gegen verschiedene Richter gerichtete Ablehnungsgesuche ebenso nacheinander zu bescheiden sind (BGH, NStZ 1996, S. 144 <145>) wie Ablehnungsgesuche, die sich einerseits gegen erkennende Richter und außerdem gegen diejenigen Richter richten, die über das Ablehnungsgesuch zu entscheiden haben (BGHSt 21, 334 <337 f.>). Für zugleich gegen mehrere Richter angebrachte Ablehnungsgesuche hält der Bundesgerichtshof eine einheitliche Entscheidung für sachgerecht und daher veranlasst, wenn die Ablehnungsgründe zueinander in Verbindung stehen. Gesonderte Entscheidungen seien unökonomisch, führten zu langdauernden und umständlichen Zwischenverfahren und unter Umständen auch zu unterschiedlichen Entscheidungen über gleiche Befangenheitsfragen (BGHSt 44, 26 <27>). Dies ist auf verbreitete Zustimmung gestoßen (Bockemühl, in: KMR-StPO, Losebl. [Dezember 2003], § 27 Rn. 15; Meyer-Goßner, StPO, 46. Aufl. 2003, § 27 Rn. 3 f.; Pfeiffer, in: KK-StPO, 5. Aufl. 2003, § 27 Rn. 6; Pfeiffer, StPO, 4. Aufl. 2002, § 27 Rn. 2). Vertreter der Gegenansicht meinen, der gesetzliche Richter sei nur durch gesonderte Entscheidungen über jedes Gesuch sicherzustellen, und zwar zuerst über das gegen den Vorsitzenden gerichtete, danach über die anderen in der Reihenfolge des Dienstalters der betroffenen Richter (SchlHOLG, SchlHA 1982, S. 31; Wendisch, in: Löwe/Rosenberg, StPO, 25. Aufl. 1999, § 27 Rn. 35; beide allerdings, ohne die ihnen zeitlich nachfolgende Entscheidung BGHSt 44, 26 <27> berücksichtigen zu können).

Das Hanseatische Oberlandesgericht ist mit der angegriffenen Entscheidung der Ansicht des Bundesgerichtshofs gefolgt. Diese Anwendung des einfachen Rechts (§ 27 Abs. 1 StPO) hält einer Überprüfung nach Willkürgesichtspunkten stand. Es entspricht einer jedenfalls vertretbaren und daher von Verfassungs wegen nicht zu beanstandenden Auslegung des § 27 Abs. 1 StPO, wenn dieser Bestimmung entnommen wird, dass bei gleichzeitig angebrachten und auf gleiche oder im Wesentlichen ähnliche Gründe gestützte Ablehnungsgesuche gegen mehrere Richter diese sämtlich von der Mitwirkung an der Entscheidung über die Gesuche ausgeschlossen sind, so dass sie alle durch die geschäftsplanmäßigen Vertreter zu ersetzen sind. Der Beschwerdeführer sieht bei einer solchen einheitlichen Entscheidung über die Ablehnungsgesuche die Möglichkeit zu Manipulationen. Tatsächlich gewährleistet die einheitliche Entscheidung ohne Mitwirkung eines der zugleich abgelehnten Richter eine von Unparteilichkeit, Sachlichkeit und Distanz geprägte Entscheidung (vgl. BVerfGE 4, 412 <416>; 46, 34 <37>; 52, 131 <154, 161>; 95, 322 <327>) über die Ablehnungsgesuche eher als mehrfache Entscheidungen. Nach Zurückweisung eines Gesuchs müsste der dadurch wieder hinzutretende Richter an einer Entscheidung mitwirken, die sich mit gleichen oder ähnlichen Ablehnungsgründen zu befassen hat, die zuvor gegen ihn selbst vorgetragen wurden. Daraus folgt nicht selbstverständlich die Unfähigkeit zu sachlicher und distanzierter Beurteilung. Dem Vertrauen des Betroffenen in eine unparteiliche Entscheidung wird es eher dienen, dass über die durch die gemeinsam vorgetragenen Ablehnungsgesuche in engen zeitlichen und sachlichen Zusammenhang gebrachten Ablehnungsgründe nur solche Richter entscheiden, denen das so ausgedrückte Misstrauen nicht entgegengebracht wird.

Auch die Feststellung des Oberlandesgerichts, dass die dargelegten Voraussetzungen für eine gemeinsame Entscheidung über alle Ablehnungsgesuche vorliegen, ist willkürfrei getroffen worden. Am Maßstab des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG begegnet es keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, die sachliche Gleichartigkeit der Ablehnungsgründe schon darin zu sehen, dass allen zugleich abgelehnten Richtern eine absichtliche Verfahrensverzögerung angelastet wird, mögen dabei auch jedem der Richter andere verzögernde Handlungen vorgeworfen werden. Schließlich ist von Verfassungs wegen auch nichts dagegen zu erinnern, den Bestimmungen über das Ablehnungsverfahren zu entnehmen, dass über mehrere gegen einen Richter vorgebrachte noch nicht erledigte Ablehnungsgesuche gleichzeitig zu entscheiden ist, so dass auch die einzeln vorgetragenen Ablehnungsgesuche Gegenstand der einheitlichen Entscheidung werden, die sich auch mit dem gemeinsam gegen alle Richter angebrachten Gesuch befasst.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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