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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 29.01.2004
Aktenzeichen: 2 BvR 2321/03
Rechtsgebiete: BVerfGG, ZPO, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93b
BVerfGG § 93a
ZPO § 719 Abs. 1 Satz 2
GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 2321/03 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen den Beschluss des Landgerichts Köln vom 24. November 2003 - 89 O 104/03 -

und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 29. Januar 2004 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.

Gründe:

I.

Mit der Zustellung einer Zahlungsklage forderte das Landgericht Köln die Beschwerdeführerin auf, binnen zwei Wochen ihre Verteidigungsbereitschaft anzuzeigen. Mit Versäumnisurteil vom 21. Oktober 2003 verurteilte das Landgericht Köln die Beschwerdeführerin zur Zahlung und erklärte das Urteil für vorläufig vollstreckbar. Nach Auskunft der Geschäftsstelle wurde es am 21. Oktober 2003 um 8.10 Uhr unterschrieben. Um 11.30 Uhr desselben Tages zeigte die Beschwerdeführerin dem Landgericht ihre Verteidigungsbereitschaft an. Sie legte Einspruch ein und beantragte, die Zwangsvollstreckung aus diesem Urteil ohne Sicherheitsleistung einzustellen, weil das Versäumnisurteil in ungesetzlicher Weise ergangen sei. Ihr seien Klageschrift und Aufforderung zur Anzeige der Verteidigungsbereitschaft erst am 7. Oktober 2003 zugestellt worden, so dass sie ihre Verteidigungsbereitschaft fristgemäß angezeigt habe.

Mit Beschluss vom 28. Oktober 2003 hat das Landgericht die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil gegen Sicherheitsleistung eingestellt und darauf hingewiesen, dass nach dem ihm vorliegenden Rückschein die Zustellung der Klageschrift bereits am 6. Oktober 2003 erfolgt sei. Gegen diesen Beschluss richtete sich die Gegenvorstellung der Beschwerdeführerin. Sie beantragte erneut, die Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung einzustellen, weil das Versäumnisurteil in gesetzwidriger Weise ergangen sei. Mit Beschluss vom 24. November 2003 hat das Landgericht die Gegenvorstellung zurückgewiesen. Dies hat es damit begründet, dass selbst dann, wenn das Versäumnisurteil in ungesetzlicher Weise ergangen sei, eine Einstellung der Zwangsvollstreckung nur unter den weiteren Voraussetzungen des § 707 Abs. 1 Satz 2 ZPO in Betracht komme.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde macht die Beschwerdeführerin geltend, der Beschluss vom 24. November 2003 verletze ihren Anspruch auf rechtliches Gehör. Das in nicht gesetzlicher Weise ergangene Versäumnisurteil verletze Art. 103 Abs. 1 GG. Die Garantie rechtlichen Gehörs gebiete, § 719 Abs. 1 Satz 2 ZPO - wie das Oberlandesgericht Stuttgart in seinem Beschluss vom 21. Oktober 2002 hervorhebe (NJW-RR 2003, 713 ff.) - verfassungskonform auszulegen und die Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung einzustellen. Die Voraussetzungen des § 707 Abs. 1 Satz 2 ZPO müssten zur Einstellung der Vollstreckung ohne Sicherheitsleistung nicht vorliegen.

II.

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 <25 f.>).

Die von der Beschwerdeführerin erhobene Rüge ist jedenfalls unbegründet. Der Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG ist nicht verletzt.

1. Wird die Verfassungswidrigkeit einer Vollstreckungshandlung ge t, ist die gegen sie gerichtete Verfassungsbeschwerde zulässig, soweit geltend gemacht wird, die Vollstreckungsbehörde habe bei der Durchführung des Vollstreckungsverfahrens neue Grundrechtsverletzungen begangen. Die gegen einen Vollstreckungsakt gerichtete Verfassungsbeschwerde kann dagegen nicht auf die Verfassungswidrigkeit des vorausgegangenen Gerichtsurteils gestützt werden. Soweit dieses als verfassungswidrig angesehen wird, muss die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil selbst gerichtet werden (vgl. BVerfGE 28, 1 <8> m.w.N.).

Demgemäß ist ausschließlich zu prüfen, ob der im Vollstreckungsverfahren ergangene Beschluss des Landgerichts erneut rechtliches Gehör verletzt hat. Die Beschwerdeführerin kann die Verfassungswidrigkeit des Beschlusses nicht allein darauf stützen, dass das Versäumnisurteil Art. 103 Abs. 1 GG verletze.

2. Rechtliches Gehör sichert im gerichtlichen Verfahren einerseits ein Recht auf Information, Äußerung und Berücksichtigung des Vorbringens der Parteien zu, so dass sie sich im Prozess eigenbestimmt und situationsspezifisch verhalten können (vgl. Plenumsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 30. April 2003 - 1 PbvU 1/02, NJW 2003, S. 1924 ff.). Andererseits gebietet Art. 103 Abs. 1 GG, dass sowohl die normative Ausgestaltung des Verfahrensrechts als auch das gerichtliche Verfahren im Einzelfall ein Ausmaß an rechtlichem Gehör eröffnen, das sachangemessen ist, um dem in bürgerlich-rechtlichen Streitigkeiten aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Erfordernis eines wirkungsvollen Rechtsschutzes gerecht zu werden. Den Beteiligten muss die Möglichkeit gegeben sein, sich im Prozess mit tatsächlichen und rechtlichen Mitteln zu behaupten. Die nähere Ausgestaltung rechtlichen Gehörs muss den einzelnen Verfahrensordnungen überlassen bleiben. Die Verletzung solcher Bestimmungen stellt nur dann einen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG dar, wenn das Gericht bei deren Auslegung oder Anwendung die Bedeutung oder Tragweite des Anspruchs auf rechtliches Gehör verkannt hat (vgl. BVerfGE 74, 228 <233> m.w.N.).

Nach diesen Maßstäben verletzt die Auslegung des § 719 Abs. 1 Satz 2 ZPO durch den Beschluss des Landgerichts den Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG nicht. Es ist mit Art. 103 Abs. 1 GG vereinbar, für die Einstellung der Zwangsvollstreckung ohne Sicherheitsleistung aus einem Versäumnisurteil neben den Voraussetzungen des § 719 Abs. 1 Satz 2 ZPO zusätzlich die Voraussetzungen des § 707 Abs. 1 Satz 2 ZPO zu verlangen. Unabhängig von der Möglichkeit einer Verletzung rechtlichen Gehörs durch das Versäumnisurteil, wird der Anspruch auf rechtliches Gehör im Zwangsvollstreckungsverfahren durch den Beschluss nicht (neu) verletzt. Das Landgericht Köln hat weder den Vortrag der Beschwerdeführerin im Vollstreckungsverfahren außer Acht gelassen noch bei seiner Auslegung die Tragweite und Bedeutung des Anspruchs auf rechtliches Gehör verkannt. Auch die Auslegung des § 719 Abs. 1 Satz 2 ZPO wird dem aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Erfordernis wirkungsvollen Rechtsschutzes gerecht.

Die Beschwerdeführerin kann ihre Rechte weiterhin tatsächlich und rechtlich behaupten. Sie kann die Einstellung der Vollstreckung zum einen ohne weiteres gegen Sicherheitsleistung erreichen, zum anderen aber auch ohne Sicherheitsleistung, indem sie gemäß § 707 Abs. 1 Satz 2 ZPO glaubhaft macht, dass sie zur Sicherheitsleistung nicht in der Lage ist und ihr die Vollstreckung einen nicht zu ersetzenden Nachteil bringen würde. Zudem kann sie in dem vom Zwangsvollstreckungsverfahren zu trennenden Versäumnisurteilsverfahren Einspruch einlegen und hierbei die Verletzung rechtlichen Gehörs en. Wird das Versäumnisurteil im Einspruchsverfahren aufgehoben oder geändert, kann die von der Beschwerdeführerin ge te Gehörsverletzung zudem in derselben Instanz geheilt werden.

Erreicht sie die Einstellung der Zwangsvollstreckung aus dem für vorläufig vollstreckbar erklärten Versäumnisurteil gegen Sicherheitsleistung, steht ihr bei Aufhebung oder Abänderung des Versäumnisurteils im Einspruchsverfahren gemäß § 717 Abs. 2 Satz 1 ZPO ein verschuldensunabhängiger Schadenersatzanspruch in Höhe der ihr durch die Sicherheitsleistung angefallenen Kosten zu. Diesen kann sie gemäß § 717 Abs. 2 Satz 2 ZPO im Einspruchsverfahren geltend machen.

Ungeachtet dessen ist nicht ersichtlich, dass die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung des als verletzt bezeichneten Art. 103 Abs. 1 GG im Sinne des § 93a Abs. 2 Buchstabe b Halbsatz 2 BVerfGG angezeigt sei. Die Beschwerdeführerin zeigt nicht auf, dass ihr ein besonders schwerer Nachteil entsteht, wenn ihr das Bundesverfassungsgericht eine Entscheidung zur Sache versagt.

3. Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde nach § 93b BVerfGG wird der Antrag der Beschwerdeführerin, die Zwangsvollstreckung aus dem Versäumnisurteil des Landgerichts Köln vom 21. Oktober 2003 im Wege der einstweiligen Anordnung ohne Sicherheitsleistung gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG einzustellen, gegenstandslos (vgl. BVerfGE 7, 367 <371>).

Im Übrigen wird von einer Begründung gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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