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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 15.12.2000
Aktenzeichen: 2 BvR 347/00 (1)
Rechtsgebiete: BVerfGG, AuslG, VwGO, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93c
BVerfGG § 90 Abs. 1
BVerfGG § 93a Abs. 2 Buchstabe b
BVerfGG § 93d Abs. 1 Satz 3
AuslG § 47 Abs. 1 Nr. 2
AuslG § 57 Abs. 2 Nr. 5
AuslG § 57 Abs. 2 Satz 4
VwGO § 80 Abs. 5
GG Art. 20 Abs. 3
GG Art. 2 Abs. 2 Satz 3
GG Art. 104 Abs. 1
GG Art. 103 Abs. 1
GG Art. 20 Abs. 3
GG Art. 2 Abs. 2 Satz 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 347/00 -

IM NAMEN DES VOLKES

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

des türkischen Staatsangehörigen

G ...

- Bevollmächtigte: Rechtsanwälte Erol Akbulut und Koll., Grotefendstraße 2, Hannover -

gegen

a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 21. Februar 2000 - 5 W 28/00 -,

b) den Beschluss des Landgerichts Oldenburg vom 26. Januar 2000 - 14 T 1469/99 -,

c) den Beschluss des Amtsgerichts Vechta vom 8. Dezember 1999 - 15 XIV 222/99 B -

hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Richter Sommer, die Richterin Osterloh und den Richter Di Fabio gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 15. Dezember 2000 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Der Beschluss des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 21. Februar 2000 - 5 W 28/00 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 des Grundgesetzes in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Er wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Oldenburg zurückverwiesen.

Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Oldenburg vom 26. Januar 2000 - 14 T 1469/99 - und den Beschluss des Amtsgerichts Vechta vom 8. Dezember 1999 - 15 XIV 222/99 B - richtet, wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerde-Verfahren und das Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu erstatten.

Gründe:

A.

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die aufgrund Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG bestehenden verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Aufrechterhaltung von Abschiebungshaft.

I.

Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Amtsgerichts Vechta vom 8. Dezember 1999, mit dem das Gericht gegen ihn Abschiebungshaft (Sicherungshaft) für die Dauer von drei Monaten angeordnet hat, sowie gegen die im Rechtsmittelverfahren ergangenen Beschlüsse des Landgerichts Oldenburg vom 26. Januar 2000 und des Oberlandesgerichts Oldenburg vom 21. Februar 2000.

1. Der Beschwerdeführer, türkischer Staatsangehöriger, reiste am 27. Oktober 1992 in das Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag, der mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 25. Januar 1994 abgelehnt wurde. Gegen die Ablehnung des Asylantrages war zum Zeitpunkt der Erhebung der Verfassungsbeschwerde das Klageverfahren beim Verwaltungsgericht Chemnitz - A 7 K 30186/99 - anhängig.

2. Mit rechtskräftigem Urteil des Landgerichts Hannover vom 10. Oktober 1997 wurde der Beschwerdeführer wegen vorsätzlicher Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz zu einer Jugendstrafe von fünf Jahren und zwei Monaten verurteilt, weil er zusammen mit seinem Vater in erheblichem Umfang mit Drogen gehandelt hatte. Mit Verfügung vom 30. November 1999 wies daraufhin der Oberkreisdirektor des Landkreises Vechta/Ordnungsamt (nachfolgend: Ausländerbehörde) den Beschwerdeführer, gestützt auf § 47 Abs. 1 Nr. 2 AuslG, unter Anordnung der sofortigen Vollziehung aus der Bundesrepublik Deutschland aus und ordnete die Abschiebung in die Türkei zum Zeitpunkt der Haftentlassung an.

Mit Schreiben vom 1. Dezember 1999 beantragte die Ausländerbehörde beim Amtsgericht Vechta, den Beschwerdeführer für die Dauer von drei Monaten, beginnend mit seiner Entlassung aus der Strafhaft, gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 5 AuslG zur Sicherung der Abschiebung in Haft zu nehmen, da der Beschwerdeführer über keinen festen Wohnsitz verfüge und die Gefahr, dass er nach der Haftentlassung untertauchen werde, sehr groß sei. Es gelte zu verhindern, dass der Beschwerdeführer nach der Haftentlassung weitere Straftaten begehe. Es bestehe der begründete Verdacht, dass er sich der Abschiebung entziehen werde; er sei nicht gewillt, die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen.

3. Mit dem angegriffenen Beschluss vom 8. Dezember 1999 ordnete das Amtsgericht Vechta gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 5 AuslG nach Anhörung des Beschwerdeführers Abschiebungshaft für die Dauer von drei Monaten und die sofortige Vollziehbarkeit dieser Entscheidung an. Es bestehe der begründete Verdacht, dass der Beschwerdeführer nach seiner Entlassung aus der Strafhaft untertauchen und sich der Abschiebung entziehen werde.

Seit dem 13. Dezember 1999 befand sich der Beschwerdeführer in Abschiebungshaft.

Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 22. Dezember 1999 legte der Beschwerdeführer sofortige Beschwerde gegen die Anordnung der Sicherungshaft ein. Die Erklärung des Beschwerdeführers, nicht in sein Heimatland zurückkehren zu wollen, reiche allein für die Annahme, er werde nach der Haftentlassung untertauchen, nicht aus. Gegen die Ausweisungsverfügung sei am 10. Dezember 1999 Widerspruch eingelegt und Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz beim Verwaltungsgericht Oldenburg gestellt worden. In seinem Asylverfahren sei die Klage noch anhängig. Diese habe auch Aussicht auf Erfolg. Das Verwaltungsgericht Chemnitz habe am 30. Juli 1999 einen Beweisbeschluss dazu erlassen, ob dem Beschwerdeführer in der Türkei gerade aus den Gründen des Strafverfahrens politische Verfolgung drohe. Bei Haftentlassung wäre der Beschwerdeführer nicht ohne festen Wohnsitz.

Das Landgericht Oldenburg wies die sofortige Beschwerde nach Anhörung des Beschwerdeführers mit dem angegriffenen Beschluss vom 26. Januar 2000 zurück und verwies in seiner Begründung ergänzend darauf, dass der Versuch, den Beschwerdeführer am 13. Januar 2000 auf dem Luftwege in seine Heimat abzuschieben, gescheitert sei. Das Landeskriminalamt hatte der Ausländerbehörde telefonisch mitgeteilt, dass sich der Beschwerdeführer der Abschiebung widersetzt habe. Nach seiner Behauptung, er werde von den türkischen Behörden als PKK-Anhänger betrachtet, hätten sich die anderen türkischen Staatsangehörigen geweigert, mit ihm zu fliegen.

Gegen den Beschluss des Landgerichts legte der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom 8. Februar 2000 sofortige weitere Beschwerde ein.

4. Bereits mit Beschluss vom 26. Januar 2000 hatte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die Beschwerde des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 5. Januar 2000 zugelassen, soweit dieses darin den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gegen die Abschiebungsanordnung in dem Bescheid der Ausländerbehörde vom 30. November 1999 abgelehnt hatte.

Mit Beschluss vom 16. Februar 2000 ordnete das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Ausweisungsbescheid vom 30. November 1999 bis zur Entscheidung im Widerspruchsverfahren an, soweit darin die Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei angeordnet worden ist. Zur Begründung führte das Oberverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, es bestehe nach der im Entscheidungszeitpunkt vorliegenden Kenntnislage - eine Auskunft des Auswärtigen Amtes auf die Anfrage des Verwaltungsgerichts Chemnitz, ob seitens der türkischen Behörden gegen den Beschwerdeführer ermittelt werde, stehe noch aus - die konkrete Gefahr, dass der Beschwerdeführer bei einer Rückkehr in die Türkei wegen des Verdachts, die PKK mit erheblichen finanziellen, aus dem Drogenhandel des Vaters herrührenden Mitteln unterstützt zu haben, bzw. als naher Verwandter und enger "Mitarbeiter" seines Vaters von den türkischen Sicherheitsbehörden verhört und dabei gefoltert werde. Die aufschiebende Wirkung sei gemäß § 80 Abs. 5 VwGO bis zur Entscheidung im Widerspruchsverfahren befristet worden, weil sowohl die Auskunft des Auswärtigen Amtes als auch die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Chemnitz im Asylverfahren - beides werde bei der Entscheidung der Widerspruchsbehörde zu berücksichtigen sein - noch nicht vorlägen und deshalb die bei der Entscheidung über die Abschiebung des Beschwerdeführers zu berücksichtigenden Gesichtspunkte gegenwärtig noch nicht vollständig geklärt seien.

5. Mit Schreiben vom 21. Februar 2000 teilte der Beschwerdeführer, der sich bereits zur Begründung seiner sofortigen weiteren Beschwerde auf die Beschwerdezulassung durch das Oberverwaltungsgericht berufen hatte, dem Landgericht Oldenburg die Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. Februar 2000 mit.

Mit dem angegriffenen Beschluss vom 21. Februar 2000 wies das Oberlandesgericht Oldenburg die sofortige weitere Beschwerde zurück: Nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen der Beschwerdekammer lägen die in § 57 Abs. 2 Nr. 5 AuslG normierten Gründe zur Anordnung der Sicherungshaft vor. Der vorgelegte Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 26. Januar 2000, durch den dem Beschwerdeführer vorläufiger Rechtsschutz gegenüber der Abschiebungsanordnung gewährt worden sei, rechtfertige keine gegenteilige Entscheidung, weil die Anordnung der Sicherungshaft gemäß § 57 Abs. 2 Nr. 5 AuslG nicht voraussetze, dass die Ausreisepflicht vollziehbar angeordnet worden sei und eine Abschiebungsanordnung vorliege. Daher könne auch der mit Schriftsatz vom 21. Februar 2000 vorgelegte Beschluss des Oberverwaltungsgerichts der weiteren Beschwerde nicht zum Erfolg verhelfen.

II.

1. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 Sätze 2 und 3 GG sowie Art. 104 Abs. 1 und 103 Abs. 1 GG. Die Voraussetzungen der Sicherungshaft zum Zwecke der Abschiebung des Beschwerdeführers in die Türkei seien ausweislich des Beschlusses des Oberverwaltungsgerichts nach der derzeitigen Kenntnislage nicht gegeben. Erscheine die Durchführung der Abschiebung von vornherein aussichtslos, sei auch die Sicherungshaft unzulässig. Der Umstand, dass der Beschwerdeführer vielleicht irgendwann abgeschoben werden könne, rechtfertige die Anordnung der Sicherungshaft nicht. Die gegen den Beschwerdeführer angeordnete Sicherungshaft sei offensichtlich unverhältnismäßig.

Das Landgericht habe die Entscheidung des Amtsgerichts bestätigt, ohne ihn - den Beschwerdeführer - anzuhören. Auf die dagegen erhobene Gehörsrüge sei das Oberlandesgericht nicht eingegangen.

2. Eine telefonische Sachstandsanfrage seitens des Bundesverfassungsgerichts beim Ordnungsamt des Landkreises Vechta am 28. Februar 2000 ergab, dass das gegen die Ausweisungsverfügung betriebene Widerspruchsverfahren noch nicht an die zuständige Bezirksregierung Weser-Ems abgegeben worden war.

Auf die weitere telefonische Sachstandsanfrage beim Verwaltungsgericht Chemnitz zum Asylstreitverfahren A 7 K 30186/99 teilte der dortige Berichterstatter am 28. Februar 2000 mit, dass die mit Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 30. Juli 1999 erbetene Auskunft des Auswärtigen Amtes noch nicht vorliege und dessen letzte Zwischennachricht vom 8. Dezember 1999 datiere.

3. Zugleich mit der Erhebung der Verfassungsbeschwerde hatte der Beschwerdeführer den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt. Mit Beschluss der Kammer vom 29. Februar 2000 (NVwZ-Beilage I 7/2000, S. 74) hat das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts unter gleichzeitiger Erteilung einer Meldeauflage für den Beschwerdeführer angeordnet, dass der Vollzug der Abschiebungshaft bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens bis zur Entscheidung der Widerspruchsbehörde über den Widerspruch des Beschwerdeführers gegen die Ausweisungsverfügung des Oberkreisdirektors des Landkreises Vechta vom 30. November 1999 einstweilen ausgesetzt wird.

Mit Beschluss vom 1. März 2000 hat das Amtsgericht Vechta daraufhin seinen Beschluss vom 25. Februar 2000, mit dem es auf Antrag der Ausländerbehörde die Sicherungshaft um drei Monate verlängert hatte, aufgehoben und festgestellt, dass der Vollzug der mit Beschluss vom 8. Dezember 1999 angeordneten Abschiebungshaft einstweilen ausgesetzt worden sei. Der Beschwerdeführer ist daraufhin am 1. März 2000 aus der Haft entlassen worden.

4. Der Landkreis Vechta und das Niedersächsische Ministerium für Justiz und für Europaangelegenheiten, denen Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden ist, haben sich zu der Verfassungsbeschwerde nicht geäußert.

B.

Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde, soweit sie sich gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts richtet, zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG) und gibt ihr insoweit statt. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.

I.

1. Die Verfassungsbeschwerde ist im Umfang ihrer Annahme zur Entscheidung zulässig.

Durch die Entlassung aus der Abschiebungshaft ist das Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers für die Verfassungsbeschwerde nicht entfallen. Dies folgt bereits daraus, dass aufgrund der einstweiligen Anordnung des Bundesverfassungsgerichts und der daran anknüpfenden Feststellung des Amtsgerichts Vechta in seinem Beschluss vom 1. März 2000 lediglich der Vollzug der Abschiebungshaft (unter Auflagen) ausgesetzt worden ist. Der Beschwerdeführer müsste folglich im Falle einer Beendigung der Aussetzung eine erneute Inhaftierung befürchten, weil die im Beschluss des Amtsgerichts Vechta vom 8. Dezember 1999 angeordnete Dauer der Sicherungshaft von drei Monaten im Zeitpunkt seiner Entlassung noch nicht ausgeschöpft war. Das Rechtsschutzbedürfnis für die Verfassungsbeschwerde bestünde im Übrigen - trotz eingetretener Erledigung - auch dann fort, wenn diese Gefahr nicht gegeben wäre, da der gerügte Eingriff in das Freiheitsgrundrecht hier besonders schwer wiegt (vgl. dazu BVerfGE 9, 89 <93 f.>; 53, 152 <157 f.>; 58, 208 <219>).

2. Die Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts ist auch - in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer begründenden Weise - offensichtlich begründet; denn die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG).

Der angegriffene Beschluss des Oberlandesgerichts verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.

a) Der in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit gewährleistet in Verbindung mit dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG eine umfassende Prüfung der Voraussetzungen für eine Anordnung von Abschiebungshaft in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht. Insbesondere verpflichtet er ein Gericht, das gegen einen Ausländer Abschiebungshaft angeordnet hat, im Rahmen zulässiger Rechtsbehelfe zu überprüfen, ob die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Haft noch vorliegen oder auf Grund nachträglich eingetretener - und auch im Verfahren der sofortigen weiteren Beschwerde berücksichtigungsfähiger (vgl. Remmel in GK-AuslR, Stand: Juni 2000, § 57 AuslG Rn. 400, 404 m.w.N.) - Umstände entfallen sind. Zu solchen Umständen zählt namentlich - und in der Regel - das Ergehen einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung, durch die der Inhaftierte der Ausreisepflicht ledig oder die Durchführbarkeit seiner Abschiebung für längere Zeit oder auf Dauer gehindert wird (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 21. Mai 1987 - 2 BvR 800/84 -, NJW 1987, S. 3076; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 28. November 1995 - 2 BvR 91/95 -, NVwZ-Beilage Nr. 3/1996, S. 17 <18>). Der rechtsstaatliche Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebietet es, von der Sicherungshaft abzusehen, wenn die Abschiebung nicht durchführbar und die Freiheitsentziehung deshalb nicht erforderlich ist (vgl. Kammerbeschluss vom 28. November 1995 - 2 BvR 91/95 -, a.a.O.; Remmel in GK-AuslR, a.a.O. Rn. 254 ff. m.w.N.). Dieses Verfassungsgebot zwingt weiter dazu, das öffentliche Interesse an der Sicherung der Abschiebung und den Freiheitsanspruch des Betroffenen als wechselseitige Korrektive zu sehen und gegeneinander abzuwägen; dabei ist immer auch zu bedenken, dass sich das Gewicht des Freiheitsanspruchs gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer wirksamen Durchsetzung ausländerrechtlicher Vorschriften mit zunehmender Dauer der Haft regelmäßig vergrößern wird (vgl. Kammerbeschluss vom 28. November 1995 - 2 BvR 91/95 -, a.a.O.; BVerfGE 53, 152 <158 f.> zur Untersuchungshaft; 61, 28 <34 f.> zur Auslieferungshaft). Insoweit erweist sich § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG als einfachgesetzliche Ausprägung des in diesem Sinne verstandenen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für den Fall der Ungewissheit darüber, ob die Haft tatsächlich erforderlich ist (vgl. Kammerbeschluss vom 28. November 1995 - 2 BvR 91/95 -, a.a.O.).

b) Diesem Maßstab entspricht die angegriffene Entscheidung des Oberlandesgerichts nicht.

Gemäß § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG ist die Sicherungshaft unzulässig, wenn feststeht, dass aus Gründen, die der Ausländer nicht zu vertreten hat, die Abschiebung nicht innerhalb der nächsten drei Monate durchgeführt werden kann. Das Oberlandesgericht hat diese auf den verfassungsrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zurückgehende Vorschrift nicht beachtet.

§ 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG wird in der angegriffenen Entscheidung vom 21. Februar 2000 nicht erwähnt. Es ist auch der Sache nach nicht erkennbar, dass das Oberlandesgericht in die verfassungsrechtlich gebotene Prüfung eingetreten ist, ob und inwieweit der ihm bei seiner Beschlussfassung vorliegende Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. Februar 2000 als Umstand zu bewerten sein könnte, der dauerhaft oder doch auf längere, nicht absehbare Zeit der Durchführung der Abschiebung entgegensteht. Dass es sich hierbei um einen der Abschiebung entgegenstehenden Grund handelt, den der Beschwerdeführer im Sinne von § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG nicht zu vertreten hat, bedarf keiner weiteren Ausführungen.

Der Anwendung von § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG steht nicht entgegen, dass es sich bei dem Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts um eine lediglich vorläufige Regelung handelt. Bei Regelungen dieser Art können die Haftgerichte zwar in verfassungsrechtlich unbedenklicher Weise annehmen, dass die Undurchführbarkeit der Abschiebung nicht feststeht; dies freilich nur, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Abschiebung, die auf Grund der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes durch die Verwaltungsgerichte ausgeschlossen worden ist, gerade in der Dreimonatsfrist des § 57 Abs. 2 Satz 4 AuslG wieder möglich werden könnte (vgl. Kammerbeschluss vom 28. November 1995 - 2 BvR 91/95 -, a.a.O.: Im dortigen Verfahren hatten die Haftgerichte derartige konkrete Anhaltspunkte angenommen, die das Bundesverfassungsgericht zu der Beurteilung bewogen haben, die entsprechende Begründung der Haftgerichte erscheine als "noch vertretbar"). Solche konkreten Anhaltspunkte hat das Oberlandesgericht im hier zu beurteilenden Fall nicht untersucht; sie sind auch nicht zu erkennen: Der Zeitpunkt der Entscheidung der Widerspruchsbehörde, den das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht als Endpunkt der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen die Anordnung der Abschiebung bestimmt hat, war nach der im vorliegenden Verfahren eingeholten Auskunft der Ausländerbehörde zum Stand des Widerspruchsverfahrens zur Zeit der Entscheidung des Oberlandesgerichts völlig ungewiss; das Widerspruchsverfahren war noch nicht einmal an die Widerspruchsbehörde abgegeben worden. Ferner hatte das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht die Erwartung geäußert, dass die Widerspruchsbehörde die vom Verwaltungsgericht Chemnitz im dortigen Asylstreitverfahren vom Auswärtigen Amt schon mit Beschluss vom 30. Juli 1999 erbetene Auskunft, ob seitens der türkischen Behörden gegen den Beschwerdeführer ermittelt wird, bei ihrer Entscheidung ebenso berücksichtigen werde wie die zukünftige Entscheidung des Verwaltungsgerichts Chemnitz. Die Erteilung der erbetenen Auskunft durch das Auswärtige Amt war aber im maßgeblichen Zeitpunkt angesichts der diesseits eingeholten Sachstandsmitteilung des Verwaltungsgerichts Chemnitz gleichfalls ungewiss, folglich ebenso Zeitpunkt und Inhalt der verwaltungsgerichtlichen Asylentscheidung. Auf der Basis dieser Sachlage, deren - verfassungsrechtlich gebotene - Ermittlung auch dem Oberlandesgericht ohne Weiteres möglich gewesen wäre, durfte das Oberlandesgericht von Verfassungs wegen nicht davon ausgehen, die Undurchführbarkeit der Abschiebung des Beschwerdeführes habe nicht festgestanden.

Das Gericht hat auch im Übrigen keine Erwägungen zur Frage der Verhältnismäßigkeit angestellt. Der in der angegriffenen Entscheidung enthaltene Hinweis auf die Kommentierung von Renner (AuslR, 7. Aufl., § 57 AuslG Rn. 12) führt in dieser Hinsicht nicht weiter. Dabei ist anzumerken, dass das Oberlandesgericht auch diese Fundstelle nicht zum Anlass genommen hat, sich mit dem dort erwähnten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und seinen Auswirkungen auf den zu entscheidenden Sachverhalt auseinander zu setzen.

3. Der Beschluss des Oberlandesgerichts ist demnach aufzuheben, ohne dass es auf weitere hiergegen erhobene Rügen ankommt. Die Sache ist an das Oberlandesgericht zurück zu verweisen (vgl. § 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG), damit über die sofortige weitere Beschwerde des Beschwerdeführers neu entschieden werden kann.

II.

Soweit mit der Verfassungsbeschwerde auch die Beschlüsse des Amtsgerichts Vechta vom 8. Dezember 1999 und des Landgerichts Oldenburg vom 26. Januar 2000 angegriffen werden, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen (§§ 93a Abs. 2, 93b BVerfGG). Das erneute Verfahren beim Oberlandesgericht bietet Gelegenheit, etwaige Grundrechtsverstöße seitens des Amtsgerichts oder des Landgerichts bei einer erneuten Entscheidung über die sofortige weitere Beschwerde auszuräumen.

Von einer weitergehenden Begründung wird insoweit gemäß § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.

III.

Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 und 3 BVerfGG. Dabei hat die Kammer dem Umstand Rechnung getragen, dass der Beschwerdeführer sein Rechtsschutzziel im Wesentlichen erreicht hat.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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