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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 26.03.2002
Aktenzeichen: 2 BvR 357/02
Rechtsgebiete: StPO, GG


Vorschriften:

StPO § 33a
GG Art. 103 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 357/02 -

In dem Verfahren über die Verfassungsbeschwerde

gegen

a) den Beschluss des Landgerichts Rottweil vom 30. Januar 2002 - 3 Qs 25/02 -,

b) den Beschluss des Amtsgerichts Rottweil vom 8. Januar 2002 - 3 Cs - AK 364/01 -

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch die Richterin Präsidentin Limbach und die Richter Hassemer, Mellinghoff gemäß § 93c in Verbindung mit §§ 93a, 93b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)

am 26. März 2002 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Grenzen der Beweiswürdigung im wiederaufnahmerechtlichen Aditionsverfahren nach einer Verurteilung durch Strafbefehl.

1. Der Beschwerdeführer war durch Strafbefehl vom 28. Dezember 2000 wegen Diebstahls geringwertiger Sachen (§§ 242, 248a StGB) zu einer Geldstrafe verurteilt worden. Der Strafbefehl war rechtskräftig geworden, weil der Beschwerdeführer keinen Einspruch eingelegt hatte. Der Verurteilung hatte die Annahme zu Grunde gelegen, der Beschwerdeführer habe in der Nacht vom 14. zum 15. September 2000 einen 50 DM-Schein, den B. in seiner Wohnung aufbewahrt hatte, entwendet.

Der Beschwerdeführer beantragte die Wiederaufnahme des Verfahrens und legte eine schriftliche Erklärung des Zeugen B. vor, wonach er das Geld nicht gestohlen habe. Er trug vor, er habe B. erst im März 2001 ausfindig machen und auf seine Strafanzeige ansprechen können. Dabei habe dieser erklärt, der vermeintliche Diebstahl habe sich aufgeklärt.

Das Amtsgericht verwarf den Wiederaufnahmeantrag als unzulässig. Entscheidend für den Erlass des Strafbefehls sei die Aussage des Zeugen B. gewesen. Das auf seinen Aussagewiderruf gestützte Wiederaufnahmevorbringen sei ungeeignet, weil keine einleuchtende Erklärung dafür abgegeben wurde, weshalb der Zeuge nunmehr Tatsachen bekunden solle, die in einem unüberbrückbaren Widerspruch zur früheren "Zeugenaussage" stünden.

Der Beschwerdeführer machte hiergegen mit der sofortigen Beschwerde geltend, dass B. nie als Zeuge vernommen worden sei. Dem Strafbefehlsverfahren liege nur dessen Strafanzeige zu Grunde. Zur Zeit der Anzeige sei B. noch davon ausgegangen, er habe den Geldschein durch Diebstahl eingebüßt. Wäre er später vernommen worden, hätte er bekundet, er habe den Geldschein später wieder gefunden.

Das Landgericht verwarf das Rechtsmittel als unbegründet. Es nahm "auf die zutreffenden Gründe der angefochtenen Entscheidung" Bezug und ergänzte, dass einem Aussagewiderruf eines Belastungszeugen nur dann ausreichende Beweiskraft zukomme, wenn dieses Verhalten näher erklärt werde.

2. Der Beschwerdeführer sieht sich in seinen Rechten aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG und aus Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Die angegriffenen Entscheidungen beruhten auf der Annahme, B. habe bereits im Strafbefehlsverfahren als Zeuge ausgesagt. Dies sei aber mangels einer Vernehmung unrichtig. Die Gerichte des Ausgangsverfahrens seien trotz seiner Hinweise darauf nicht eingegangen. Zudem hätten sie die Anforderungen an ein zulässiges Wiederaufnahmebegehren überspannt.

3. Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegt. Die Verfassungsbeschwerde hat - derzeit - keine Aussicht auf Erfolg; denn sie ist unzulässig. Der Rechtsweg ist nicht erschöpft (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).

Will ein Beschwerdeführer mit der Verfassungsbeschwerde rügen, ihm sei bei Erlass eines Beschlusses im Strafverfahren rechtliches Gehör nicht gewährt worden, so fordert das Gebot der Rechtswegerschöpfung, dass er zuvor von der durch § 33a StPO eröffneten Möglichkeit Gebrauch gemacht hat, sich durch einen entsprechenden Antrag nachträglich Gehör vor Gericht zu verschaffen (vgl. BVerfGE 33, 192 <194>; 42, 172 <174>; 42, 243 <245 ff.>; 42, 252 <255>). Dabei ist § 33a StPO so auszulegen und anzuwenden, dass er jeden Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG im Beschlussverfahren erfasst (vgl. BVerfGE 42, 243 <250>). Art. 103 Abs. 1 GG gewährt Verfahrensbeteiligten nicht nur das Recht, sich zur Sachlage zu informieren und zu äußern. Er schließt auch das Recht ein, Äußerungen zur Rechtslage abzugeben (vgl. BVerfGE 86, 133 <144>). Das Äußerungsrecht wird durch das in Art. 103 Abs. 1 GG gleichfalls verbürgte Recht auf angemessene Berücksichtigung der Äußerungen bei der Entscheidungsfindung ergänzt. Das Gericht ist danach verpflichtet, den Vortrag der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und bei seiner Entscheidung in Erwägung zu ziehen (stRspr, vgl. BVerfGE 81, 97 <107>; 83, 24 <35>; 86, 133 <145>). Eine solche Verletzung des Anspruchs auf Gehör vor Gericht durch die Fachgerichte kommt hier in Betracht. Ob § 33a StPO auch einer weiter gehenden Fehlerkorrektur dient (vgl. BGHSt 45, 37 <39 f.>), kann offen bleiben.

Das Amtsgericht hat seine vom Landgericht gebilligte Entscheidung auf die Annahme gestützt, es liege ein unüberbrückbarer Widerspruch zwischen der "früheren Zeugenaussage" und der Widerrufserklärung des Belastungszeugen vor, der im Wiederaufnahmeantrag einer Erklärung bedürfe. Es hat dabei auf das Postulat einer "erweiterten Darlegungslast" zurückgegriffen (vgl. Theobald, Barrieren im strafrechtlichen Wiederaufnahmeverfahren, 1998, S. 123 ff.), das auch aus prozessökonomischen Gründen dazu dient, den schlichten Widerruf einer der Verurteilung zu Grunde liegenden Aussage als geeigneten Wiederaufnahmegrund auszuschließen. Ob dieses Postulat auch dann gilt, wenn die maßgebliche Beweisperson früher nicht vernommen worden war, haben die Fachgerichte nicht geprüft, obwohl der Beschwerdeführer darauf hingewiesen hatte. Dabei hätte die Erwägung nahe gelegen; denn die Verurteilung durch Strafbefehl beruht auf einem Freibeweisverfahren, das auch Äußerungen außerhalb einer Vernehmung berücksichtigen konnte, denen inhaltlich regelmäßig geringeres Beweisgewicht zukommt. Steht im Wiederaufnahmeverfahren einer solchen Äußerung, die die Verurteilung trägt, eine inhaltlich abweichende Äußerung gleicher Art gegenüber, so liegt es fern, weitere Anforderungen an die Darlegung der Tauglichkeit des neuen Entlastungsbeweises zu stellen. Dies gilt namentlich bei einfach gelagerten Sachverhalten wie im Ausgangsverfahren. Hatte dort der einzige unmittelbare Belastungszeuge etwa angenommen, der Geldschein sei ihm vom Beschwerdeführer gestohlen worden, weil er ihn in seiner Wohnung vermisst hatte und nur der Beschwerdeführer anwesend gewesen war, so kann das Gegenteil mit der Bemerkung, der Verbleib des Geldscheins habe sich nachträglich anders aufklären lassen, nachvollziehbar erklärt werden. Für weitere Darlegungsanforderungen ist dann kein Raum. Im Fall des Beschwerdeführers gilt dies nach der Wertung, die § 77d Abs. 1 StGB enthält, auch deshalb, weil der Zeuge B. das Strafverfahren bis zu seinem rechtskräftigen Abschluss durch Rücknahme seines Strafantrags ohne Begründung hätte beenden können.

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

Ende der Entscheidung

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