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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesverfassungsgericht
Beschluss verkündet am 07.06.2005
Aktenzeichen: 2 BvR 401/05
Rechtsgebiete: BVerfGG, StPO, GG


Vorschriften:

BVerfGG § 93a
BVerfGG § 93b
StPO § 111 a
StPO § 111 a Abs. 2
GG Art. 19 Abs. 4 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT

- 2 BvR 401/05 -

In dem Verfahren

über

die Verfassungsbeschwerde

gegen den Beschluss des Landgerichts Marburg vom 10. Februar 2005 - 4 Qs 22/05 -

hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch den Vizepräsidenten Hassemer, die Richterin Osterloh und den Richter Mellinghoff gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 7. Juni 2005 einstimmig beschlossen:

Tenor:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.

Gründe:

Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen, weil ein Annahmegrund nicht gegeben ist (§ 93a Abs. 2 BVerfGG). Grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung kommt der Verfassungsbeschwerde nicht zu, und sie dient auch nicht der Durchsetzung von Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten der Beschwerdeführerin, denn sie hat keine Aussicht auf Erfolg.

Die Nachprüfung der Anwendung des einfachen Rechts (§§ 315 c, 69 StGB und 111 a StPO), die sich auf die Feststellung objektiv sachfremder und damit willkürlicher Erwägungen beschränken muss (vgl. BVerfGE 18, 85 <92 f., 96>; 95, 96 <127 f.>), führt nicht zu verfassungsrechtlichen Beanstandungen.

1. Der Bürger hat aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG einen Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle von Maßnahmen der öffentlichen Gewalt. Wirksamer Rechtsschutz bedeutet zumal auch Rechtsschutz innerhalb angemessener Zeit. Die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens ist nach den besonderen Umständen des einzelnen Falles zu bestimmen (vgl. BVerfGE 55, 349 <369>; 60, 253 <269>; 88, 118 <124>).

Auch das Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes erfordert die angemessene Beschleunigung des Strafverfahrens. Eine von den Strafverfolgungsorganen zu verantwortende erhebliche Verzögerung des Strafverfahrens verletzt den Beschuldigten in seinem Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren (vgl. BVerfGE 63, 45 <69>; BVerfGK 1, 269 <278 ff.>).

Die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 111 a StPO ist eine Präventivmaßnahme, die der Allgemeinheit Schutz vor weiteren Verkehrsstraftaten gewähren soll (vgl. Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. September 2000 - 2 BvQ 30/00 -, NJW 2001, S. 357). Strafprozessuale Grundrechtseingriffe wie die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis müssen auch im Einzelfall dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Dieser Grundsatz setzt staatlichen Eingriffen Grenzen, die insbesondere auch durch Abwägung der in Betracht kommenden Interessen zu ermitteln sind. Führt die Abwägung zu dem Ergebnis, dass die dem Eingriff entgegenstehenden Interessen im konkreten Fall ersichtlich wesentlich schwerer wiegen als diejenigen Belange, deren Wahrung die staatliche Maßnahme dienen soll, so verletzt der gleichwohl erfolgte Eingriff den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (vgl. BVerfGE 44, 353 <373>; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 25. September 2000 - 2 BvQ 30/00 -, a.a.O.).

Auch wenn die Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis nicht schematisch mit dem Überschreiten einer bestimmten Verfahrensdauer begründet werden kann, sondern bei der Entscheidung gemäß § 111 a Abs. 2 StPO die Sicherheitsbelange der Allgemeinheit und die weiteren Umstände des Einzelfalls, namentlich die Gründe des eingetretenen Zeitablaufs, in den Blick zu nehmen sind, erlangt mit zunehmender Verfahrensdauer nicht nur die Frage an Bedeutung, ob der Maßregelzweck bereits durch die vorläufige Entziehung erreicht wurde und daher ein Fortbestehen des Eignungsmangels nicht anzunehmen ist (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 38. Aufl., § 111 a Rn. 9 m.w.N.). Bei der vorzunehmenden Abwägung gewinnen in diesen Fällen das Beschleunigungsgebot und die Unschuldsvermutung als Ausprägung des Rechtsstaatsprinzips (vgl. BVerfGE 74, 358 <371>) immer größeres Gewicht (vgl. ähnlich zur Untersuchungshaft BVerfGE 53, 152 <158 f., 162>; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 13. September 2001 - 2 BvR 1316/01 -, NJW 2002, S. 207 <208>).

Ermittlungsverfahren, in denen eine vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis angeordnet wurde, sind daher mit besonderer Beschleunigung zu führen. Durch eine effektive Verfahrensgestaltung ist eine rasche Klärung der Dauerhaftigkeit des Ausschlusses vom Straßenverkehr zu gewährleisten und - mit Rücksicht auf die Unschuldsvermutung - der Gefahr eines übermäßigen "Vorwegvollzuges" der Maßregel vor der erstinstanzlichen tatrichterlichen Entscheidung zu begegnen.

2. Zwar ist im vorliegenden Verfahren auf der Grundlage des Vorbringens der Beschwerdeführerin nicht ersichtlich, weshalb die vom Amtsgericht Schwalmstadt am 13. Dezember 2004 und 1. März 2005 angeordneten Beweiserhebungen nicht bereits zu einem deutlich früheren Zeitpunkt hätten vorgenommen werden können, wie dies die Beschwerdeführerin sogar angeregt hatte. Auch wenn deshalb die Annahme einer vermeidbaren Verfahrensverzögerung nahe liegt, erweisen sich die angegriffenen Entscheidungen unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten doch als noch vertretbar. Mit Blick auf die Stärke des vom Landgericht eingehend erörterten Tatverdachts, die erlittenen Verletzungen des Geschädigten und die angenommene voraussichtliche Dauer des Führerscheinentzugs ist es unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten noch nicht zu beanstanden, dass das Landgericht die Fortdauer des vorläufigen Führerscheinentzugs mit Rücksicht auf die Sicherheitsbelange der Allgemeinheit anordnete.

Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).

Diese Entscheidung ist unanfechtbar.

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